Urteil des FG Düsseldorf vom 24.11.2006

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Finanzgericht Düsseldorf, 18 K 3223/05 E
Datum:
24.11.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 3223/05 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Kläger werden als Ehegatten für die Streitjahre 2002 und 2003 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Beide bezogen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Kläger, ein Diplom-Kaufmann, war bis zum Frühjahr 2001 bei "A" als Referent in der
Controlling-Abteilung tätig; danach wechselte er innerhalb des Konzerns als
Abteilungsleiter Controlling zu einer Tochterfirma nach B". Die als Sekretärin tätige
Klägerin begleitete den Kläger und suchte sich in "C" eine neue Arbeitsstelle. Der
Kläger und später auch die Klägerin bewohnten vom März 2001 bis Ende Juni 2001 ein
etwa 20 m² großes Apartment in "B", das der Arbeitgeber des Klägers vermittelt hatte. Im
Anschluss daran gaben die Kläger zum 25. Juni 2001 ihre ca. 80 m² große Wohnung in
"D" ( str. 25) auf. Zum 1. Juli 2001 mieteten sie in "E" eine 84 m² große 3-Zimmer
Wohnung (Monatsmiete 1.250 DM kalt + 170 DM Betriebskostenvorauszahlung) und in
"D" eine 35 m² große 2-Zimmer-Wohnung ( str. 143; Monatsmiete 395 DM kalt + 85 DM
Betriebskostenvorauszahlung) an. Mitte 2004 erhielt der Kläger eine Stelle als
kaufmännischer Leiter eines karitativen Unternehmens in "F"; unter Aufgabe ihrer
beiden Wohnungen zogen die Kläger daraufhin in eine neu erworbene
Eigentumswohnung in "D" ( platz 21) um.
2
Ihre Einkommensteuererklärungen für 2002 und 2003 gaben die Kläger Ende März
2004 beim Finanzamt "B" ab. Bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
machten sie Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung in folgender Höhe geltend
(alle Angaben in EUR):
3
2002 2003
4
Familienheimfahrten nach "D"
5
Je 24 Fahrten (409 km) 3.926 3.926
6
Übernachtungskosten
7
(Wohnung in "E") 9.771 9.883
8
insgesamt: 13.697 13.809.
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Das beklagte Finanzamt, an das die Einkommensteuerveranlagungen
zuständigkeitshalber abgegeben worden sind, setzte demgegenüber die
Einkommensteuern für 2002 und 2003 ohne Berücksichtigung von Aufwendungen für
doppelte Haushaltsführung fest (Einkommensteuerbescheide vom 15. und 17.
September 2004).
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Mit ihren Einsprüchen wandten sich die Kläger gegen die Versagung der doppelten
Haushaltsführung. Sie trugen vor, sie hätten den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in
"D" beibehalten, wo ihre Familie und ihr gesamter Freundeskreis lebe. Insbesondere sei
die Klägerin Hauptbezugsperson für ihren kranken Bruder, den sie regelmäßig
besuchen müsse.
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Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, eine doppelte
Haushaltsführung der Kläger scheitere daran, dass sich in den Streitjahren der
Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen am Beschäftigungsort befunden habe. Denn die
Kläger hätten für die Zeit ihrer Berufstätigkeit in Süddeutschland nicht ihre bisherige
Wohnung an ihrem bisherigen Wohnort "D" beibehalten, sondern dort lediglich eine
kleine Zweitwohnung angemietet; es sei zu vermuten, dass diese Wohnung nicht als
Hauptwohnsitz beibehalten, sondern nur zu Besuchszwecken vorgehalten sei.
12
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger sind der Auffassung, eine doppelte
Haushaltsführung sei auch bei beiderseits berufstätigen Ehegatten möglich, wobei nicht
entgegenstehe, dass die Eheleute auch am Beschäftigungsort zusammen wohnen.
Entgegen der Ansicht des Finanzamts habe sich ihr Lebensmittelpunkt nicht von "D"
nach "E" verändert. Die Kläger hätten von Anfang an geplant, beruflich nach "D"
zurückzukehren. Beide seien in der Region verwurzelt. Die Eltern und der Bruder der
Klägerin wohnten in "D"; die Klägerin sei zudem eine besondere Orientierungsperson
für ihren psychisch erkrankten Bruder. Außerdem habe die Klägerin ihre Hausärztin in
"D" beibehalten und zusammen mit ihrer Mutter Opern- und Ballettvorstellungen in der
Stadthalle besucht. Der Kläger stamme aus "G", wo seine Eltern und 3 Geschwister
wohnten. Zu seinem Patenkind, dem Sohn seiner Schwester, bestehe eine enge
Bindung. Sein gesamter Freundeskreis lebe hier. Der Kläger sei Mitglied bei
Fussballverein und habe zahlreiche Heimspiele besucht. Daneben sei er Mitglied eines
Stammtisches und habe regelmäßig einmal monatlich an den Stammtischterminen
teilgenommen, er habe auch seinen Frisör in "D" beibehalten. Dass die in "D"
angemietete Wohnung deutlich kleiner sei als die am Beschäftigungsort, sei auf den
angespannten Wohnungsmarkt im Raum "B" zurückzuführen. Um die durch beide
Wohnungen entstehende Doppelbelastung zu mindern, habe man in "D" bewusst eine
kleinere und billigere Wohnung im gleichen Stadtviertel angemietet. Auch die kleinere
Wohnung habe es ermöglicht, die Kontakte zu Verwandten und Bekannten aufrecht zu
erhalten.
13
Die Kläger beantragen,
14
die Einkommensteuerbescheide für 2002 vom 15.09.2004 und für 2003 vom
17.09.2004 jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.07.2005 in
der Weise zu ändern, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 13.697 EUR (für 2002) bzw. 13.809 EUR
(für 2003) berücksichtigt werden;
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hilfsweise: die Revision zuzulassen.
16
Das Finanzamt beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Es hält an der Beurteilung fest, dass in den Streitjahren der Lebensmittelpunkt der
Kläger am Beschäftigungsort gelegen habe und die kleinere Wohnung in "D" nur zu
Besuchszwecken vorgehalten worden sei.
19
Das Gericht hat die Kläger zum Sachverhalt angehört; insoweit wird auf das Protokoll
der mündlichen Verhandlung verwiesen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach-
und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten im Klageverfahren und die
dem Gericht übersandte Einkommensteuerakte Bezug genommen.
20
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21
Die Klage ist unbegründet.
22
Das Finanzamt hat die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen zu recht
nicht als Werbungskosten bei deren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
berücksichtigt, weil sie nicht als Mehraufwendungen durch eine beruflich veranlasste
doppelte Haushaltsführung begründet sind.
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Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre
anzuwendenden Fassung des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15. Dezember 2003
-EStG- (vgl. § 52 Abs. 23 d EStG) sind Werbungskosten auch notwendige
Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass
begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus
welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte
Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er
einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort
wohnt. Es muss mit anderen Worten aus beruflichem Anlass zu einer Aufteilung einer
bisher einheitlichen Haushaltsführung auf zwei getrennte Haushalte kommen, nämlich
auf einen (beibehaltenen) Haushalt in der bisherigen Wohnung und einen lediglich aus
beruflichen Gründen unterhaltenen Haushalt in der Wohnung am Beschäftigungsort.
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Hiernach kommt eine doppelte Haushaltsführung auch bei beidseits berufstätigen
Ehegatten mit gemeinsamer Wohnung am Beschäftigungsort in Betracht, wenn sie
außer der Wohnung an ihrem Lebensmittelpunkt während der Woche am
Beschäftigungsort gemeinsam eine Wohnung bewohnen, von der aus sie ihre jeweilige
Arbeitsstätte aufsuchen (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1994 VI R 55/93, BFH/NV 1995, 585
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unter Aufgabe der früheren Rspr.; vgl. auch BFH-Urteile vom 6. Oktober 1994 VI R
136/89, BFHE 175, 548, BStBl II 1995, 184 und vom 7. Oktober 1994 VI R 34/93,
BFH/NV 1995, 586 sowie FG Düsseldorf, Urteil vom 26.März 1999 18 K 836/96, EFG
1999, 889). Für die Annahme einer doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 5 EStG muss allerdings die bisherige Wohnung weiterhin den Mittelpunkt der
Lebensinteressen bilden. Es darf sich nicht lediglich um das Vorhalten einer Wohnung
zu Besuchszwecken handeln; vielmehr muss der eigene Hausstand außerhalb des
Beschäftigungsortes den Lebensmittelpunkt (Haupthausstand) darstellen (BFH-Urteil
vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BFHE 175, 340, BStBl II 1995, 180). Ob dies jeweils
der Fall ist, ist anhand einer Abwägung und Gesamtwürdigung der Umstände des
Einzelfalles zu ermitteln (BFH-Urteil BFHE 175, 340, BStBl II 1995, 180; vgl. auch BFH-
Beschluss vom 5. Oktober 1998 VI B 98/98, BFH/NV 1999, 179).
Bei der Beurteilung, ob die Wohnung am Heimatort oder am Beschäftigungsort als
Lebensmittelpunkt anzusehen ist, kommt es insbesondere auf die Absehbarkeit und
Dauer des auswärtigen Beschäftigung, die Anzahl der Heimfahrten (vgl. BFH-Urteil vom
10. Februar 2000 VI R 60/98, BFH/NV 2000, 949), die sozialen Kontakte zur Familie, zu
Freunden und Bekannten und -als wesentliches Indiz- auch auf die Größe und
Ausstattung der einzelnen Wohnungen an (BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90,
BFHE 175, 340, BStBl II 1995, 180 [183 unter 6.]).
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Im Streitfall ergibt sich bei der Gesamtwürdigung aller Umstände, dass die Wohnung am
Heimatort "D", die die Kläger angemietet haben, in den Streitjahren nicht der
Haupthausstand und Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen war, sondern auf die
regelmäßigen 2-wöchentlichen Besuche der Kläger in ihrer Heimat ausgelegt war und
auch tatsächlich für Besuchszwecke vorgehalten wurde. Zwar haben die Kläger
dargetan und zur Überzeugung des Senates glaubhaft gemacht, dass sei an ihrem
Heimatort "D" verwurzelt sind und dort viele soziale Kontakte beibehalten haben.
Allerdings war hier (anders als in dem vom Senat entschiedenen Fall 18 K 836/96 E,
EFG 1999, 889) nicht von vorne herein klar, wie sich das berufliche Schicksal der
Kläger, die unbefristete Arbeitsverhältnisse hatten, entwickeln würde, welche
beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten sich insbesondere für den Kläger ergeben würden
und ob sich in absehbarer Zeit die berufliche Rückkehr der Kläger in den Raum "D"
verwirklichen ließe. Angesichts dessen haben sich die Kläger an ihrem Heimatort
bewusst "kürzer gesetzt", indem sie dort die vorherige 80 m²-Wohnung aufgegeben und
eine kleinere, 35 m² große, deutlich billigere Wohnung angemietet haben.
Demgegenüber haben sie in der Nähe ihrer Beschäftigungsorte eine mit 84 m² erheblich
größere Wohnung genutzt. Dort haben sie sich offenbar auch mit Hauptwohnsitz
angemeldet, worauf die Ausstellung der Lohnsteuerkarten hindeutet. Der Senat geht
davon aus, dass sich die unterschiedlichen Wohnungsgrößen nicht -wie von den
Klägern behauptet- in erster Linie durch die Besonderheiten des Wohnungsmarktes so
ergeben haben, sondern dass es die bewusste Entscheidung der Kläger war, eine 3-
Zimmer Wohnung in der Nähe ihrer Beschäftigungsorte anzumieten, die hinreichend
komfortabel für den täglichen Gebrauch ist, und ein deutlich kleineres 2-Zimmer
Apartment am Heimatort, das für Besuchszwecke genügt. Nur folgerichtig haben die
Kläger, nachdem sie beruflich in die Nähe ihres Heimatorts zurückgekehrt sind, das 2-
Zimmer Apartment aufgegeben und eine Eigentumswohnung erworben. Denn offenbar
war das Apartment für den alltäglichen Gebrauch durch die Kläger nicht hinreichend
geeignet - es war zu klein.
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Das BFH-Urteil vom 4. April 2006 VI R 11/02, BStBl II 2006, 714 führt zu keiner anderen
28
Beurteilung. Hiernach wird eine doppelte Haushaltsführung nicht allein dadurch
beendet, dass der Steuerpflichtige seinen Familienhausstand innerhalb desselben
Ortes verlegt (ähnlich FG Düsseldorf, Urteil vom 12. Januar 2006 16 K 589/04 E, EFG
2006, 563). Auch im Streitfall bestand nach der beruflichen Neuorientierung der Kläger
im Frühjahr 2001 zunächst eine doppelte Haushaltsführung, als der Kläger ab März
2001 und zusätzlich die Klägerin ab April 2001 ein 20 m² großes 1-Zimmer-Apartment
am Beschäftigungsort bewohnten und zugleich ihre 80 m² große Wohnung am
Heimatort weiter nutzten. Im Juli 2001 verlegten die Kläger den Wohnsitz am
Beschäftigungsort in die 84 m² Wohnung und am Heimatort in das 35 m² große
Apartment. Damit haben sie aber nicht nur ihre Heimatwohnung innerhalb desselben
Ortes verlegt und ihre Wohnung in der Nähe der Beschäftigungsorte gewechselt,
sondern -wie dargelegt- zugleich ihren Lebensmittelpunkt geändert. Anders als im Fall
des BFH (a.a.O., BStBl II 2006, 715) liegt hier nicht "nach wie vor die nämliche, lediglich
in unwesentlicher Weise modifizierte (..) doppelte Haushaltsführung vor". Es besteht
auch keine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung fort, die ggf. -
was unschädlich wäre- aus privaten Gründen beibehalten wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5,
§ 52 Abs. 23 d EStG); sondern es fehlt mangels Lebensmittelpunktwohnung am
Heimatort überhaupt am Weiterbestehen einer doppelten Haushaltsführung.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung von dem BFH-Urteil VI R
11/02) zugelassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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