Urteil des FG Düsseldorf vom 05.06.2003

FG Düsseldorf: juristische person, öffentlich, staatliche aufgabe, gewalt, unternehmer, beliehener, akte, konkurrenz, verkehr, weisung

Finanzgericht Düsseldorf, 15 K 1986/00 K,F
Datum:
05.06.2003
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 1986/00 K,F
Tenor:
Die Körperschaftsteuerbescheide 1993 bis 1998 vom 07.10.1999
werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1992
DM
1993
DM
1994
DM
1995
DM
1996
DM
1997
DM
1998
DM
T a t b e s t a n d :
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Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Betriebes gewerblicher Art.
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Die Klägerin ist eine kreisfreie Stadt. Als solche verfügt sie über ein Vermessungs- und
Katasteramt. Gesetzliche Aufgabe des Vermessungs- und Katasteramts ist neben der
Führung und Neueinrichtung des Liegenschaftskatasters u.a. die Durchführung von
Teilungsvermessungen, Grenzfeststellungen und Gebäudeeinmessungen. Aus diesen
Tätigkeiten erzielte die Klägerin in den Streitjahren die folgenden Einnahmen:
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Die Einnahmen entfielen zu mehr als 70% auf Gebäudeeinmessungen, zu 25% auf
Teilungsvermessungen und zu weniger als 5% auf Grenzfeststellungen. Auftraggeber
waren vorwiegend andere öffentlich-rechtliche Körperschaften. Entgelte aus
ingenieurtechnischen Vermessungsleistungen gegenüber privaten Dritten, die nicht zu
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den gesetzlich übertragenen Aufgaben des Kataster- und Vermessungsamts gehören
(Absteckungen, baubegleitende Vermessungen sowie die Anfertigung nichtamtlicher
Lagepläne), wurden in den streitbefangenen Jahren nicht erzielt.
Anlässlich einer Außenprüfung kam der Beklagte - das Finanzamt - zu der Auffassung,
das Vermessungs- und Katasteramt sei als Betrieb gewerblicher Art der Körperschaft-
steuer zu unterwerfen. Demgemäß erließ er am 07.10.1999 für die Streitjahre
Körperschaftsteuerbescheide sowie Feststellungen nach § 47 Abs. 2
Körperschaftsteuergesetz - KStG -. Zur Begründung führte er aus, mit der
Vermessungstätigkeit werde die Klägerin nachhaltig und selbständig wirtschaftlich tätig.
Es handele sich um eine Tätigkeit, die in gleicher Weise von öffentlich bestellten
Vermessungsingenieuren ausgeführt werde. Daher trete die Klägerin zu privaten
Unternehmern in Konkurrenz und begründe einen Betrieb gewerblicher Art.
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Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trägt die Klägerin vor,
bei der Tätigkeit des Vermessungs- und Katasteramtes im Rahmen der Durchführung
von Teilungsvermessungen, Grenzfeststellungen und Gebäudeeinmessungen handele
es sich um einen Hoheitsbetrieb nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG. Denn bereits aus § 2 Abs.
3 Nr. 4 Umsatzsteuergesetz - UStG - sowie aus R 23 Abs. 7 Satz 2 und 3
Umsatzsteuerrichtlinien - UStR - ergebe sich, dass es sich bei der Vermessungstätigkeit
um eine hoheitliche Tätigkeit handele. Nach § 1 Vermessungs- und Katastergesetz -
VermKatG - seien die Landesvermessung und die Führung des Liegenschaftskatasters
öffentliche Aufgaben, die durch die kreisfreien Städte als Katasterbehörde
wahrgenommen werden. Nach § 21 Abs. 2 VermKatG handele sich dabei um eine
Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung. Im übrigen trete sie auch nicht in
Konkurrenz zu öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren. Nach § 1 der
Berufsordnung für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in Nordrhein-Westfalen -
ÖbVermIng BO NW - beschränke sich der Aufgabenbereich der öffentlich bestellten
Vermessungsingenieure darauf, als Organe des öffentlichen Vermessungswesens an
der Aufgabe der Landesvermessung im Sinne von § 5 VermKatG mitzuwirken.
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Die Klägerin beantragt,
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die Körperschaftsteuerbescheide 1993 bis 1998 vom 07.10.1999 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, eine hoheitliche Tätigkeit liege nur dann vor, wenn es sich um
eine Tätigkeit handele, die dem Träger öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten
sei, aus der Staatsgewalt abgeleitet sei und staatlichen Zwecken diene und bei der der
Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung zur Annahme
verpflichtet sei. Übernehme eine juristische Person des öffentlichen Rechts jedoch
Aufgaben, wie sie auch von Personen des Privatrechts ausgeübt werden und trete sie
dadurch - und sei es ungewollt - in Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen,
sei ihre Tätigkeit nicht mehr hoheitlich. Dabei sei unerheblich, ob die konkrete Aufgabe
der juristischen Person des öffentlichen Rechts durch Gesetz übertragen worden sei
und sie mit der Erfüllung lediglich einer öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtung
nachkomme. Auch spiele keine Rolle, ob die Einnahmen, die sie durch ihre Tätigkeit
erziele, in Form öffentlich-rechtlicher Gebühren oder eines Beitrags erhoben würden.
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Ein Grundstückseigentümer könne vorliegend frei wählen, ob er die Katasterbehörde in
Anspruch nehme oder einen öffentlich bestellten Vermessungsingenieur beauftrage. Die
Klägerin habe daher nachhaltig Aufgaben übernommen, wie sie auch von Personen des
Privatrechts ausgeführt werden. Im Übrigen zeigten die Normen des VermKatG, dass
der Gesetzgeber in der Sache den Wettbewerb zwischen den Vermessungs- und
Katasterämtern und den freiberuflichen Vermessungsingenieuren zugelassen habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die
Einspruchsentscheidung vom 22.02.2000 (Blatt 5 der FG-Akte) und das Protokoll des
Erörterungstermins vom 15.05.2003 (Blatt 129 bis 133 der FG-Akte) verwiesen. Die
Beteiligten haben im Erörterungstermin und mit Schriftsatz vom 04.06.2003 (Blatt 135
der FG-Akte) auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Senat entscheidet daher nach
§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - mit Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist begründet.
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Die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide 1993 bis 1998 vom 07.10.1999 sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Das Vermessungs- und
Katasteramt der Klägerin stellt im Rahmen der Tätigkeiten nach dem Vermessungs- und
Katastergesetz keinen Betrieb gewerblicher Art nach § 4 Abs. 1 KStG dar. Denn es
handelt sich um einen Betrieb, der überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt
(Hoheitsbetrieb) dient (§ 4 Abs. 5 Satz 1 KStG).
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1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind mit Betrieben gewerblicher Art
unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG). Betriebe gewerblicher
Art sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur
Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich
innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (§ 4
Abs. 1 KStG). Die Absicht Gewinn zu erzielen und die Beteiligung am allgemeinen
wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.
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Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG gehören zu den Betrieben gewerblicher Art nicht Betriebe,
die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. u.a. Urteile vom
14.03.1990 I R 156/87, BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866; vom 21.09.1989 V R 89/85,
BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95; vom 30.06.1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II
1988, 910 m. w. N. sowie Abschn. 5 Abs. 13 Körperschaftsteuerrichtlinien - KStR -) sind
unter Ausübung öffentlich-rechtlicher Gewalt Tätigkeiten zu verstehen, die der
juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind.
Kennzeichnend für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist dabei die Erfüllung spezifisch
öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen
Zwecken dienen und bei denen es sich um Leistungen handelt, zu deren Annahme der
Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist.
Auf die Frage, ob der juristischen Person des öffentlichen Rechts die Tätigkeiten durch
Gesetz zugewiesen werden, kommt es, wie sich aus der Verknüpfung der
Auslegungskriterien der Rechtsprechung "eigentümlich und vorbehalten" ergibt, nicht
an. Es spielt daher keine Rolle, dass es sich bei den nach dem VermKatG übertragenen
Aufgaben um Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung handelt. Gleichfalls ist ohne
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Bedeutung, ob die gesetzliche Zuweisung der Tätigkeit an die juristische Person des
öffentlichen Rechts im konkreten Einzelfall im Interesse des Gemeinwohls erfolgt oder
ob mit der Übertragung Zwangs- oder Monopolrechte verbunden sind.
2. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt liegt allerdings nicht vor, wenn sich die
Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und
eine Tätigkeit entfaltet, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten
gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet (vgl. Abschn. 5 Abs. 13
Satz 7 KStR). Bewegt sich die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen
der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, ist immer eine
unternehmerische Tätigkeit anzunehmen. Denn der private Unternehmer darf nicht
durch den Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des
öffentlichen Rechts benachteiligt werden.
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1. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend die Tätigkeit des
Vermessungs- und Katasteramtes der Klägerin als hoheitlich einzustufen.
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a. Die Durchführung von Teilungsvermessungen, Grenzfeststellungen und
Gebäudeeinmessungen stellt die Erfüllung einer spezifisch öffentlich-rechtlichen
Aufgabe dar, die aus der Staatsgewalt abgeleitet ist und staatlichen Zwecken dient.
Nach § 1 Abs. 1 VermKatG sind die Landesvermessung und die Führung des
Liegenschaftskatasters öffentliche Aufgaben, die u.a. von den
Landesvermessungsämtern und den kreisfreien Städten als Katasterbehörden
wahrgenommen werden. Nach § 5 Abs. 1 VermKatG umfasst die Landesvermessung
dabei die Grundlagen- und Katastervermessung, die topographische Landesaufnahme
und -kartografie sowie die Registrierung und Sammlung im Rahmen des Luftbildarchivs.
Diese Aufgaben sind ausschließlich öffentlichen Stellen, eben den in § 1 VermKatG
genannten Behörden und Personen, vorbehalten. Private Unternehmer können diese
Aufgaben nicht erfüllen.
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b. Es handelt sich bei den von der Klägerin erbrachten Vermessungstätigkeiten auch um
Leistungen, zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder
behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Wird ein Gebäude errichtet oder in seinem
Grundriss verändert, ist der Eigentümer nach § 14 Abs. 2 VermKatG verpflichtet, das
Grundstück durch die Katasterbehörde oder einen öffentlich bestellten
Vermessungsingenieur einmessen zu lassen. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-
rechtliche Verpflichtung, die bei Nichterfüllung durch Ersatzvornahme (§ 14 Abs. 3
VermKatG) durchgesetzt werden kann. Zu ihrem Zweck dürfen Grundstücke betreten (§
4 Abs. 1 VermKatG) und Sichtzeichen aufgestellt sowie Vermessungsmarken
hinterlassen werden (§ 8 Abs. 1 VermKatG).
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c. Die Klägerin tritt mit ihrer Tätigkeit auch nicht in Konkurrenz zu privaten
Unternehmern. Nach § 1 Abs. 2 VermKatG sind die öffentlich bestellten
Vermessungsingenieure zwar gleichfalls befugt, Aufgaben der Landesvermessung
wahrzunehmen. Der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur ist jedoch als ein mit
hoheitlichen Aufgaben beliehener Unternehmer ein Organ des öffentlichen
Vermessungswesens (vgl. § 1 Abs. 1 ÖbVermIng BO NRW). Er ist aufgrund des
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Vermessungsgesetzes als Beliehener dazu berufen, an den öffentlich-rechtlichen
Aufgaben der Landesvermessung, des Liegenschaftskatasters, raum- und
bodenordnender sowie städtebaulicher und baurechtlicher Verfahren mitzuwirken und
ist neben den Behörden berechtigt, Katastervermessungen auszuführen. Er wirkt
insoweit an der Erfüllung hoheitlicher, d.h. öffentlich-rechtlich geregelter Aufgaben mit.
Ferner ist er befugt, Tatbestände, die durch vermessungstechnische Ermittlungen an
Grund und Boden festgestellt werden, mit öffentlichem Glauben zu beurkunden und
Bescheinigungen auszustellen. Dazu verfügt er über zahlreiche, in den §§ 4 Abs. 1, 8
Abs. 1, 12 Abs. 2, 16 VermKatG festgelegte Befugnisse. Ihm sind als beliehener
Unternehmer vom Staat daher echte Hoheitsbefugnisse übertragen worden, anhand
derer er die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt.
4. Die vom Beklagten angeführten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom
14.03.1990 I R 156/87, BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866 und vom 21.09.1989 V R
89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95 stehen dem nicht entgegen. In diesen
Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof Blutalkoholuntersuchungen eines
Rechtsmedizinischen Instituts einer Universität bzw. eines chemischen
Untersuchungsamtes einer Gemeinde im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden nicht
als hoheitliche Tätigkeit angesehen. Bei der Durchführung von Blutuntersuchungen
handelte es sich der Art nach jedoch um privatunternehmerische Leistungen, die
zugleich auch von einer Vielzahl privater Institutionen vorgenommen wurden.
Vorliegend werden die streitigen Vermessungstätigkeiten jedoch ansonsten nur von
öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren als Beliehene und Träger eines
öffentlichen Amts hoheitlich ausgeführt. Ein Wettbewerb des Katasteramts zu einem
privaten Mitbewerber liegt daher nicht vor.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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6. Die Revision ist nach §§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Es ist höchstrichterlich
noch nicht geklärt, ob es für die Abgrenzung zwischen Hoheitsbetrieb und Betrieb
gewerblicher Art von Belang ist, wenn die staatliche Aufgabe gleichzeitig von
beliehenen Unternehmern ausgeführt wird.
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