Urteil des FG Düsseldorf vom 18.02.2009

FG Düsseldorf: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, verordnung, kommission, begriff, china, pos, vollstreckung, einreihung, einspruch, belastung

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 3743/08 Z
Datum:
18.02.2009
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 3743/08 Z
Tenor:
Die Bescheide der Bundesfinanzdirektion vom 29. April 2008 in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. August 2008 werden
aufgehoben.
Das beklagte Hauptzollamt trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der
jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin auf deren Antrag vom 9. August
2005 eine verbindliche Zolltarifauskunft vom 27. August 2007, mit der sie Roste aus
Gusseisen mit Kugelgraphit in die Unterpos. 7325 99 10 der Kombinierten Nomenklatur
(KN) einreihte. Dabei ging die OFD davon aus, dass es sich bei den gitterförmigen
Erzeugnissen mit einer Breite von etwa 30 cm, die für Linien- und
Oberflächenentwässerungssysteme verwendet werden, um Waren aus verformbarem
Gusseisen handelt. Die OFD erteilte der Klägerin weitere vier verbindliche
Zolltarifauskünfte vom 1. Oktober 2007, mit denen sie Gusseisen mit Kugelgraphit mit
Breiten von etwa 13 cm, 20 cm, 25 cm und 32 cm ebenfalls in die Unterpos. 7325 99 10
KN einreihte. Auch hierbei ging sie davon aus, dass es sich um Erzeugnisse aus
verformbarem Gusseisen handelt.
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Mit zwei Bescheiden vom 29. April 2008 widerrief die Bundesfinanzdirektion deren
Zuständigkeit im Verlauf des Klageverfahrens auf das beklagte Hauptzollamt
übergegangen ist, die verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 27. August und 1. Oktober
2007, weil die darin vertretene Einreihungsauffassung nicht mehr aufrecht erhalten
werden könne.
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Gegen diese Bescheide legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie geltend machte:
Die Bescheide seien bereits deshalb rechtswidrig, weil sie keine Begründung
enthielten. Darüber hinaus seien die Gusseisen mit Kugelgraphit verformbar und
deshalb zu Recht in die Unterpos. 7325 99 10 KN eingereiht worden. Im Gegensatz zu
Grauguss, der ein unelastisches Verhalten zeige und bei Belastung ohne nennenswerte
plastische Verformung breche, verhinderten die Kugeln im Kugelgraphit die
Rissausbreitung. Gusseisen mit Kugelgraphit sei ein duktiler Werkstoff mit hoher
Festigkeit und guten Eigenschaften bei dynamischer Belastung. So würden hieraus
etwa auch Federn zum Einbau in Windkraftanlagen hergestellt.
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Die Bundesfinanzdirektion wies den Einspruch mit Entscheidung vom 27. August 2008
zurück und führte aus: Die Einreihung der Waren in die Unterpos. 7325 99 10 KN als
andere Waren aus verformbarem Gusseisen werde nicht mehr als zutreffend
angesehen. Die vorgenannte Unterposition gelte nur für Temperguss. Temperguss
werde in der Euro-Norm 1562 genannt, während Gusseisen mit Kugelgraphit in der
Euro-Norm 1563 genannt werde. In der letztgenannten Norm werde der Begriff
"verformbares Gusseisen" nicht verwendet. Ferner werde in der Verordnung (EG) Nr.
1212/2005 (VO Nr. 1212/2005) des Rates vom 25. Juli 2005 zur Einführung eines
endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von bestimmten Gusserzeugnissen mit
Ursprung in der Volksrepublik China (ABl EU Nr. L 199/1) der Begriff "verformbar" nur im
Zusammenhang mit Temperguss verwendet.
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Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die Bundesfinanzdirektion habe die verbindlichen
Zolltarifauskünfte zu Unrecht widerrufen. Gusseisen mit Kugelgraphit gehöre nach dem
von ihr vorgelegten Gutachten des Prof. Dr. Ing. habil. A. vom 9. Juni 2008 (Anlage 8 zur
Antragsschrift vom 23. September 2008 in dem Verfahren 4 V 3760/08 A (Z)) zu den
verformbaren Werkstoffen. Gusseisen mit Kugelgraphit unterscheide sich deutlich von
Gusseisen mit Lamellengraphit, einem nicht verformbaren Werkstoff nach der Euro-
Norm 1561. Darüber hinaus ergebe sich aus den Erläuterungen zur Kombinierten
Nomenklatur zu Pos. 7307 Randnr. 06.1, dass der Begriff "verformbares Gusseisen"
auch Gusseisen mit Kugelgraphit umfasse.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide der Bundesfinanzdirektion vom 29. April 2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27. August 2008 aufzuheben.
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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
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1. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung trägt es vor: Im Rahmen der Einführung eines endgültigen
Antidumpingzolls auf die Einfuhren von bestimmten nicht verformbaren
Gusserzeugnissen mit Ursprung in der Volksrepublik China mit der VO Nr. 1212/2005
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habe die Kommission stichprobenweise die Herstellungsweise derartiger Waren
überprüft. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Erzeugnisse ausschließlich aus
grauem sowie duktilem Eisen hergestellt worden seien und dieselben grundlegenden
materiellen, chemischen und technischen Eigenschaften aufgewiesen hätten. Bei
duktilem Gusseisen handele es sich um Kugelgraphitgusseisen, das biegsamer als
Grauguss sei und mehr ergonomische Merkmale aufweise. Aus der besseren
Biegbarkeit könne jedoch nicht auf eine Verformbarkeit geschlossen werden. Die
Kommission habe vielmehr mitgeteilt, dass im Rahmen der Untersuchungen keine
Warentypen aus verformbarem Gusseisen gefunden worden seien.
Die Beteiligten habe sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Das angegangene Gericht ist weiterhin für die Entscheidung über die von der Klägerin
erhobene Anfechtungsklage zuständig. Auf Grund der Änderung des § 25 der
Zollverordnung durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung der Zollverordnung und
der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung 1993 vom 24. November 2008 (BGBl I,
2232) ist zwar mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 das beklagte Hauptzollamt
zuständige Behörde für den Widerruf der der Klägerin erteilten verbindlichen
Zolltarifauskünfte geworden. Dieser Wechsel der Zuständigkeit der beklagten Behörde
lässt die bei Klageerhebung nach § 38 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
vorhanden gewesene Zuständigkeit des angegangenen Gerichts gemäß § 70 Satz 1
FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes jedoch unberührt.
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Die Klage ist begründet. Die Bescheide vom 29. April 2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 27. August 2008 sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Bundesfinanzdirektion hat die
der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 27. August und 1. Oktober
2007 zu Unrecht widerrufen.
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Nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex - ZK -) des Rates vom
12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl EG Nr. L
302/1) hat die Zollbehörde eine begünstigende Entscheidung zu widerrufen, wenn in
anderen als den in Art. 8 ZK bezeichneten Fällen eine oder mehrere Voraussetzungen
für ihren Erlass nicht erfüllt waren oder nicht mehr erfüllt sind. Dies kann nach
Überzeugung des Senats hinsichtlich der verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 27.
August und 1. Oktober 2007 nicht angenommen werden. Die Roste aus Gusseisen mit
Kugelgraphit sind vielmehr zu Recht in die Unterpos. 7325 99 10 KN, die im Streitfall in
der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1214/2007 der Kommission vom 20. September
2007 (ABl EU Nr. L 286/1) anzuwenden ist, eingereiht worden. Eine Einreihung der
Erzeugnisse in die Unterpos. 7325 10 KN kommt nicht in Betracht, weil sie aus
verformbarem Gusseisen bestehen.
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Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt und durch das von ihr übersandte Gutachten
des Prof. Dr. Ing. habil. A. vom 9. Juni 2008 (dort insbesondere Seite 3 und 7)
nachgewiesen, dass es sich bei den Rosten aus Gusseisen mit Kugelgraphit um Waren
aus verformbarem Gusseisen handelt. So hat Prof. Dr. Ing. habil. A. ausgeführt, bei
Gusseisen mit Kugelgraphit handele es sich eindeutig und zweifelsfrei um eine
Werkstoffgruppe, die zu den verformbaren ("malleable") Werkstoffen gehöre, während
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Gusseisen mit Lamellengraphit zu den nicht verformbaren Werkstoffen gehöre.
Die Bundesfinanzdirektion und das beklagte Hauptzollamt haben sich mit diesen
Erkenntnissen des Prof. Dr. Ing. habil. Klaus A. nicht auseinander gesetzt. Die OFD ist
im Gegenteil in ihren verbindlichen Zolltarifauskünften noch davon ausgegangen, dass
es sich bei den fraglichen Waren um Erzeugnisse aus verformbarem Gusseisen handelt.
Den Akten lässt sich überdies entnehmen, dass auch nach Auffassung der
wissenschaftlichen Abteilung der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt Gusseisen
mit Kugelgraphit aus technischer Sicht verformbar ist (Bl. 51 des Heftes 1a der
Bundesfinanzdirektion ). Nichts anderes ergibt sich aus den Erläuterungen zur
Kombinierten Nomenklatur zu Pos. 7307 Randnr. 06.1, die als Erkenntnismittel für die
Auslegung der einzelnen Tarifpositionen herangezogen werden können (Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteile vom 7. Februar 2002 Rs. C-276/00,
Slg. 2002, I-1389 Randnr. 22 sowie vom 4. März 2004 Rs. C-130/02, Slg. 2004, I-2121
Randnr. 28).
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Selbst wenn man den Erwägungsgründen zur VO Nr. 1212/2005 eine für die Tarifierung
erhebliche Bedeutung zusprechen würde, sprächen sie nicht gegen die Annahme, dass
Gusseisen mit Kugelgraphit verformbar ist. Im 21. Erwägungsgrund zur VO 1212/2005
ist nämlich ausgeführt worden, dass es sich bei duktilem Gusseisen um
Kugelgraphitgusseisen handele, weshalb es biegsamer sei und mehr ergonomische
Merkmale aufweise. Dass die Kommission im Rahmen ihrer Untersuchungen zur
Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls mit der VO Nr. 1212/2005 keine
Warentypen aus verformbarem Gusseisen festgestellt haben will, mag an dem
begrenzten Kreis der untersuchten Waren gelegen haben. Dies ändert indessen nichts
daran, dass aus den dargelegten Gründen nach Überzeugung des Senats das hier in
Rede stehende Gusseisen mit Kugelgraphit verformbar und daher in die Unterpos. 7325
99 10 KN einzureihen ist.
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Die von der Bundesfinanzdirektion in ihrer Einspruchsentscheidung genannten Euro-
Normen 1562 und 1563 sind für den Streitfall nicht von Bedeutung. Soweit es um die
Auslegung einer Zolltarifposition geht, darf grundsätzlich nicht auf allgemeingültige
technische Normen zurückgegriffen werden. Das gilt namentlich dann, wenn diese
Normen nicht in allen Mitgliedstaaten des Harmonisierten Systems, sondern nur auf
europäischer Ebene gelten, es sei denn, es wird in den Tarifvorschriften ausdrücklich
auf die technischen Normen verwiesen (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften,
Urteil vom 2. August 1993 Rs. C-248/92, Slg. 1993, I-4721 Randnr. 13; BFH-Urteil vom
21. Mai 1999 VII R 33/98, BFH/NV 1999, 1530). Letzteres ist hier jedoch nicht der Fall.
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Der Senat sieht keine Veranlassung, den EuGH gemäß Art. 234 Unterabs. 2 des
Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um eine Vorabentscheidung zu
der Frage zu ersuchen, ob Gusseisen mit Kugelgraphit unter Berücksichtigung der
Erwägungsgründe zur VO Nr. 1212/2005 als verformbares Gusseisen i.S. der Unterpos.
7325 99 10 KN anzusehen ist. Hierbei handelt es sich um eine tatsächliche Frage, die
der Senat auf der Grundlage der ihm vorliegenden Akten und des Vorbringens der
Beteiligten zu entscheiden hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht
zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs.
2 Nr. 1 FGO. Die Frage, ob Gusseisen mit Kugelgraphit in die Unterpos. 7325 99 10 KN
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einzureihen ist, ist - wie dargelegt - eine tatsächliche Frage und daher vom Senat zu
klären.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3,
155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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