Urteil des FG Düsseldorf vom 04.06.2002
FG Düsseldorf (Verpachtung, Vermietung, Einkünfte, Sittliche Pflicht, Erwerb, Darlehen, Empfehlung, Entziehen, Anleger, Subjektiv)
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 10 K 6943/95 E
04.06.2002
Finanzgericht Düsseldorf
10. Senat
Urteil
10 K 6943/95 E
Der Einkommensteuerbescheid für 1994 vom 29. August 1995 in der
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. November 1995 wird dahin
geändert, dass die Einkommensteuer auf 10.521,36 Euro festgesetzt
wird. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 91 v. H. und der
Beklagte zu 9 v. H.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Abzug von Darlehenszinsen als vorweggenommene
Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und vom Kläger
beglichener Steuerschulden seiner Mutter und seines Bruders " R " als außergewöhnliche
Belastung.
Der Kläger verkaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 17. März 1994 ein bis dahin
zu eigenen Wohnzwecken genutztes Einfamilienhaus in " X ". Der Kaufpreis betrug
333.000 DM. Zur Finanzierung des Kaufpreises, den er 1982 beim Erwerb dieses Objekts
aufzubringen hatte, hatte der Kläger ein durch ein Grundpfandrecht gesichertes
Bauspardarlehen (sog. Zuteilungsdarlehen) aufgenommen, das am 12. April 1994 noch mit
einem Betrag von 36.754,22 DM valutierte. Die Zinsen und der Versicherungsbeitrag für
das erste Quartal 1994 beliefen sich auf zusammen 658,31 DM. Um das Objekt lastenfrei
übertragen zu können, wandte sich der Kläger im März 1994 zwecks Pfandfreigabe an die
Bausparkasse, die ihm anbot, einen Betrag in Höhe des offenen Darlehensbetrages nebst
Zinsen und Versicherungsbeitrag auf ein neu zu eröffnendes, mit 3 % p. a. zu verzinsendes
Einlagekonto einzuzahlen. Die Zahlungsverpflichtung für das Zuteilungsdarlehen sollte
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unverändert fortbestehen. Das Guthaben auf dem Einlagekonto sollte nach Erteilung der
Löschungsbewilligung der Sicherung des Zuteilungsdarlehens in Höhe des
Restschuldbetrags dienen. Es sollte zur Auszahlung zur Verfügung stehen, sobald das
Zuteilungsdarlehen an einem vom Kläger noch zu erwerbenden neuen Objekt
grundbuchlich gesichert sein würde (sog. Pfandwechsel). Dem Kläger sollte dadurch eine
erneute Verwendung des Darlehens - statt der sonst erforderlichen Tilgung - ermöglicht
werden, um die Konditionen für das Darlehen aufgrund des Bausparvertrags
aufrechtzuerhalten. Der Kläger nahm dieses Angebot an. Vom Anderkonto des
beurkundenden Notars wurde daraufhin am 11. Mai 1994 ein Teilbetrag des
Verkaufserlöses in Höhe von 37.412,53 DM auf das Darlehenskonto überwiesen und von
dort am selben Tag auf das Einlagekonto umgebucht. Der Kläger erwarb durch notariell
beurkundeten Kaufvertrag vom 19. April 1996 für 530.000 DM ein Einfamilienhaus in " B ",
das seit dem 1. Juli 1996 vermietet ist. Nach Sicherung des Zuteilungsdarlehens durch ein
Grundpfandrecht an diesem Objekt wurde das Guthaben auf dem Einlagekonto am 6. Juni
1996 an den Kläger ausgezahlt. Den Restkaufpreis aus der Veräußerung des
Einfamilienhauses in " X " hatte der Kläger bis dahin nie länger als maximal 90 Tage als
Termingeld angelegt.
Die am 12. März 1994 verstorbene Mutter des Klägers und sein Bruder " R " hatten auf den
Rat des Klägers hin der " A " als Anleger Kapital zur Verfügung gestellt, das sie infolge der
Insolvenz der " A " nicht zurückerhielten. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs - BFH - (u. a. Urteile vom 22. Juli 1997 VIII R 57/95, BFHE 184, 21,
BStBl II 1997, 755, und VIII R 12/96, BFHE 184, 34, BStBl II 1997, 761), wonach die den
Kapitalanlegern von der " A " gutgeschriebenen und von ihnen wieder angelegten (Schein-
)Renditen für Zeiträume bis zum 30. September 1990 zu Kapitaleinkünften i. S. von § 20
Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führen, kam es zu Steuerfestsetzungen
gegenüber der Mutter des Klägers und seinem Bruder. Der Kläger glich diese
Verbindlichkeiten im Streitjahr (1994) in Höhe eines Betrags von insgesamt 15.980,97 DM
aus.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten der Kläger und seine mit ihm
zusammen veranlagte Ehefrau Fahrtkosten im Zusammenhang mit dem beabsichtigten
Kauf eines Hauses als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus
Vermietung und Verpachtung und die zum Ausgleich der Steuerschulden geleisteten
Zahlungen als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte veranlagte den Kläger
und seine Ehefrau durch Einkommensteuerbescheid vom 26. April 1995 bis auf den Ansatz
einer außergewöhnlichen Belastung erklärungsgemäß. Den Abzug der vom Kläger
ausgeglichenen Steuerschulden gemäß § 33 Abs. 1 EStG lehnte er aus den in der Anlage
zum Bescheid dargelegten Gründen ab. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung.
Der Kläger legte dagegen Einspruch ein, mit dem er sich gegen die Versagung des Abzugs
einer außergewöhnlichen Belastung wandte. Er begehrte ferner die Berücksichtigung von
Zinsen für das Zuteilungsdarlehen für die Zeit vom 11. Mai bis zum 31. Dezember 1994 in
Höhe von 1.034,50 DM. Der Beklagte wies den Einspruch nach Änderung des
angefochtenen Bescheides zwecks Anrechnung nachträglich belegter Kapitalertragsteuer
durch Einspruchsentscheidung vom 7. November 1995 als unbegründet zurück.
Mit der daraufhin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein auf Abzug der Zinsen als
Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie
Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung gerichtetes Begehren weiter. Er ist
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der Auffassung, dass er sich der Entrichtung der gegenüber seiner Mutter und seinem
Bruder " R " festgesetzten Steuern aus sittlichen Gründen nicht habe entziehen können.
Seine Mutter habe auf seinen Rat hin ihre Ersparnisse bei der " A " angelegt. Diese
Ersparnisse hätten nach ihrem Tod auf ihre sechs Kinder verteilt werden sollen. Er habe
beabsichtigt, die Steuerschulden seiner Mutter zu tilgen, ohne dass der Erbe - sein Bruder "
J " - davon erfahre. Dies sei durch Bekanntgabe der Steuerbescheide an den Erben
vereitelt worden, so dass der sittliche Zwang, die Schulden zu tilgen, noch größer
geworden sei. Er habe befürchten müssen, seinen guten Ruf in der Familie und seine
gesellschaftliche Stellung zu verlieren, wenn er die Schulden nicht übernommen hätte.
Die sittliche Verpflichtung gegenüber seinem Bruder " R ", auch dessen Steuerschulden zu
tilgen, ergebe sich daraus, dass dieser auf seinen - des Klägers - Rat hin ebenfalls Kapital
bei der " A " angelegt habe. Weitere für seinen Bruder angelegte Mittel stammten aus dem
Vermögen seiner Mutter. Diese Mittel seien für seinen Bruder bestimmt gewesen. Sein
Bruder habe jedoch von dieser Anlage nichts gewusst. Seine Mutter habe ihm - dem Kläger
- diese Mittel anvertraut, weil sein Bruder " R " bei einem schweren Autounfall bleibende
Schäden davongetragen habe, seinen erlernten Beruf nicht mehr habe ausüben können
und weitere Folgeschäden zu befürchten gewesen seien. Ihm - dem Kläger - sei
gewissermaßen die Fürsorgepflicht für seinen Bruder übertragen worden. Sein Bruder sei
zudem aufgrund einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der geschiedenen Ehefrau nicht
zur Entrichtung der Steuern in der Lage gewesen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung Belege über die Zahlung von Zinsen i. S.
von § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG im Streitjahr in Höhe von 1.206 DM vorgelegt.
Er beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 1994 vom 29. August 1995 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 7. November 1995 dahin zu ändern, dass bei den Einkünften
aus Vermietung und Verpachtung weitere Werbungskosten in Höhe von 1.035 DM, die für
seine Mutter und seinen Bruder entrichteten Steuernachzahlungen in Höhe von 15.981 DM,
soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen, als außergewöhnliche Belastung und die
im Jahr 1994 entrichteten Steuernachzahlungszinsen in Höhe von 1.206 DM als
Sonderausgaben abgezogen werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass der Kläger sich lediglich subjektiv für verpflichtet halten durfte, die
Steuerschulden zu begleichen, nicht jedoch eine einer Rechtspflicht gleichkommende
sittliche Verpflichtung vorgelegen habe. Die Investitionsberatung als auslösendes Ereignis
sei nicht zwangsläufig gewesen, weil sie auf einem freien Willensentschluss des Klägers
beruhe. Auch seine Mutter und sein Bruder hätten ihre Anlageentscheidungen freiwillig
getroffen.
Die Darlehenszinsen seien keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und
Verpachtung, weil kein wirtschaftlicher Zusammenhang zum beabsichtigten Erwerb eines
Vermietungsobjekts feststellbar sei. Vielmehr habe der wirtschaftliche Zusammenhang
zwischen dem Erwerb des Einfamilienhauses in " X " und der Darlehensaufnahme auch
nach der Veräußerung dieses Objekts fortbestanden, weil der Kläger den
Veräußerungserlös nicht zur Tilgung des Zuteilungsdarlehens verwendet habe. Sollte sich
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die Umbuchung des auf das Darlehenskonto überwiesenen Betrags als Tilgung des
Zuteilungsdarlehens und Aufnahme eines neuen Darlehens darstellen, so stehe dieses
neue Darlehen nur mit den Zinsen aus dem Guthaben des Einlagekontos im
Zusammenhang. Insoweit seien aber keine positiven Einkünfte zu erzielen gewesen, was
dem Werbungskostenabzug auch unter dem Gesichtspunkt von Einkünften aus
Kapitalvermögen entgegenstehe. Zum Erwerb des Objekts in " B " habe im Streitjahr noch
kein konkreter Bezug bestanden, was sich auch aus dem vom Kläger vorgelegten
Schreiben der Bausparkasse vom 17. Januar 1997 ergebe. Danach habe das
Zuteilungsdarlehen in der Zeit vom 10. Mai 1994 bis zum 6. Juni 1996 "ohne konkreten
Objektbezug" bestanden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat die den Streitfall betreffende Einkommensteuerakte des Beklagten
beigezogen.
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Die strittigen Schuldzinsen für das Zuteilungsdarlehen sind vorweg genommene
Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung hinsichtlich des
1996 erworbenen Objekts in " B ". Ebenfalls zu berücksichtigen sind die als
Sonderausgaben geltend gemachten Nachzahlungszinsen. Die Tilgung der
Steuerschulden der Mutter des Klägers und seines Bruders " R " stellt sich dagegen nicht
als außergewöhnliche Belastung im steuerrechtlichen Sinne dar.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG gehören zu den Werbungskosten auch Schuldzinsen,
soweit sie mit einer Einkunftsart in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dies ist bei
Einkunftsarten, deren Gegenstand eine Nutzungsüberlassung ist, der Fall, wenn ein
objektiver Zusammenhang der Aufwendungen mit der Vermögensnutzung besteht und die
Aufwendungen subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden. Um
dies zu beurteilen, ist auf den Zweck der Schuldaufnahme abzustellen. Mit der erstmaligen
Verwendung der Darlehensvaluta wird die Darlehensverbindlichkeit einem bestimmten
Zweck unterstellt. Dieser Zweck besteht, falls das Darlehen nicht vorher abgelöst wird,
solange fort, bis die Tätigkeit oder das Rechtsverhältnis im Sinne der angesprochenen
Einkunftsart endet.
Der Kläger hat das Zuteilungsdarlehen ursprünglich dazu verwandt, den Kaufpreis für das
selbstgenutzte Einfamilienhaus in " X " zu finanzieren. Er hat dadurch Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG in der letztmals für den
Veranlagungszeitraum 1986 anzuwendenden Fassung erzielt. Ab dem 1. Januar 1987
entfiel das Erzielen von Einkünften durch das Nutzen des Einfamilienhauses zu eigenen
Wohnzwecken aufgrund der Neuregelung der Besteuerung selbstgenutzten
Wohneigentums. Bei einer Wohnung im eigenen Haus, für die der Nutzungswert nach §
21a EStG zu ermitteln war und bei der im Veranlagungszeitraum 1986 die
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen vorlagen, durften ab dem
Veranlagungszeitraum 1987 nur noch die den erhöhten Absetzungen entsprechenden
Beträge wie Sonderausgaben bis einschließlich des Veranlagungszeitraums abgezogen
werden, in dem der Steuerpflichtige die erhöhten Absetzungen letztmals hätte in Anspruch
nehmen können (vgl. § 51 Abs. 21 Satz 4 EStG in der im Veranlagungszeitraum 1987
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geltenden Fassung). Einkünfte i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG waren nicht mehr zu
ermitteln. Durch diese Änderung der Rechtslage entfiel die bis dahin gegebene
Verwendung des Darlehens für Zwecke der Einkünfteerzielung.
Es kann dahinstehen, ob der von da an maßgebende steuerrechtliche Zweck der
Verwendung des Darlehens für eine nicht steuerrelevante Vermögensnutzung mit der
Veräußerung des Einfamilienhauses in " X " entfiel oder ob dem - wie der Beklagte meint -
entgegensteht, dass der Kläger den Veräußerungserlös nicht zur Tilgung des Darlehens
eingesetzt, sondern den für den Pfandwechsel erforderlichen Betrag als (teilweises)
Surrogat des veräußerten Objekts bzw. der daran bestellten Sicherheit zur Fortführung des
Darlehens verwendet hat. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang von Schuldzinsen mit einer
Einkunftsart kann nämlich auch dann gegeben sein, wenn es zu einer Umwidmung des
Darlehens in der Weise kommt, dass es einem anderen als dem ursprünglichen, bei der
Valutierung maßgebenden Zweck dient. Dafür genügt allerdings nicht ein bloßer Willensakt
des Steuerpflichtigen im Sinne einer lediglich gedanklichen Zuweisung eines objektiv nicht
gegebenen wirtschaftlichen Zusammenhangs. Vielmehr müssen äußerlich erkennbare
Beweisanzeichen diesen Zusammenhang eindeutig und nachvollziehbar belegen, z. B.
dadurch, dass der Steuerpflichtige in Vollzug seiner Absicht, den Erlös aus der
Veräußerung des kreditfinanzierten Objekts zur Erzielung von Einkünften aus einem neuen
Objekt zu nutzen, den Erlös und damit den noch valutierenden Teil des Darlehens von
Anfang an dazu bestimmt, Einkünfte aus dem neuen Objekt zu erzielen. In diesem Fall sind
die zum Erwerb des neuen Objekts verwendeten Mittel als zu diesem Zweck
darlehensweise überlassen anzusehen (vgl. BFH-Urteile vom 23. Januar 1991 X R 37/86,
BFHE 163, 376, BStBl II 1991, 398; vom 7. März 1995 VIII R 9/94, BFHE 177, 392, BStBl II
1995, 697; vom 1. Oktober 1996 VIII R 68/94, BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454; vom 24.
April 1997 VIII R 53/95, BFHE 183, 155, BStBl II 1997, 682; vom 19. August 1998 X R
96/95, BFHE 1987, 21, BStBl II 1999, 353, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Im Streitfall hat der Kläger eine neue Zweckbestimmung bzgl. des Darlehens und der dafür
angefallenen Zinsen zu dem 1996 angeschafften Objekt getroffen und damit einen
wirtschaftlichen Zusammenhang zu diesem Objekt hergestellt, indem er mit der
Bausparkasse den Pfandwechsel vereinbart hat. Die Bausparkasse als Gläubiger des
Darlehens hat sich damit einverstanden erklärt, dass das Darlehen zwecks Erhaltung der
günstigen Konditionen eines Bauspardarlehens nicht getilgt, sondern erneut für
Bausparzwecke verwendet wird. Dies ist nicht lediglich ein gedanklicher Austausch der
Finanzierungsgrundlagen, d. h. eine willkürliche, nur in der Vorstellung des
Steuerpflichtigen bestehende Zuordnung des Darlehens zu einem anderen als dem
objektiv gegebenen Verwendungszweck, sondern dessen tatsächliche Änderung. Die
Zustimmung des Gläubigers ist zwar nicht Voraussetzung für die Zweckänderung; sie ist
jedoch ein gewichtiges dafür sprechendes Indiz (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 392, BStBl II
1995, 697).
Der Annahme eines geänderten Verwendungszwecks steht nicht entgegen, dass das
Darlehen nach der Mitteilung der Bausparkasse vom 10. Mai 1994 bis zum 6. Juni 1996
"ohne konkreten Objektbezug" geführt werde. Auch bei Schuldzinsen i. S. von § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 EStG kann es sich um vorweggenommene Werbungskosten handeln.
Wesensmerkmal vorweggenommener Werbungskosten ist gerade, dass sie noch keinen
Bezug zu einer bestimmten Kapitalanlage haben, weil diese erst noch erworben werden
muss. Erst nach dem Erwerb wird der Objektbezug im Sinne einer Besicherung eines
Kredits hergestellt. Für vorweggenommene Werbungskosten genügt deshalb ein
ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und
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der Einkunftsart, in deren Rahmen ihr Abzug begehrt wird. Ein solcher Zusammenhang
besteht bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von dem Zeitpunkt an, von dem
an sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass der Steuerpflichtige endgültig
den Entschluss gefasst hat, durch die Errichtung oder den Erwerb eines Gebäudes
Mieteinkünfte zu erzielen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1981 VIII R 107/79, BFHE
135, 431, BStBl II 1982, 495). Solche Umstände sind hier gegeben. Der Kläger hat sei Mai
1994 nachhaltig Grundstücke besichtigt, die für ihn als Vermietungsobjekte in Frage
kamen. Auch das vom Beklagten nicht bestrittene, stets nur kurzfristige Anlegen des
Veräußerungserlöses aus dem Verkauf des Einfamilienhauses in " X " spricht für die
Absicht, alsbald ein neues Objekt zu erwerben, das vermietet werden sollte. Schließlich hat
auch die weitere Entwicklung die Ernsthaftigkeit dieses Entschlusses des Klägers bestätigt.
2. Die Klage ist ferner hinsichtlich des als Sonderausgaben geltend gemachten Betrages
begründet. Aus den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen
ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die Voraussetzungen für einen
Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG in Höhe eines Betrages von 1.206
DM vorliegen.
Der Berücksichtigung dieses Betrages stehen auch keine verfahrensrechtlichen
Gesichtspunkte entgegen. Die Anfechtungsklage gegen einen Einkommensteuerbescheid
ist regelmäßig auch insoweit zulässig, als sie nach Ablauf der Klagefrist erweitert wird, es
sei denn, der Kläger hat eindeutig zu erkennen gegeben, dass er von einem weiter
gehenden Klagebegehren absieht (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87,
BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327). Dies ist nicht der Fall.
3. Der angefochtene Bescheid ist dagegen nicht zu beanstanden, soweit es um den Abzug
der vom Kläger für seine Mutter und seinen Bruder " R " gezahlten Steuern als
außergewöhnliche Belastung geht.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so
wird die Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag dadurch ermäßigt, dass der
Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt,
vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Aufwendungen erwachsen dem
Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder
sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen
nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz
1 EStG).
a) Eine rechtliche Verpflichtung des Klägers, für die Steuerbeträge aufzukommen, die sich
als Folge der Anlage von Geldern seiner Mutter und seines Bruders bei der " A " ergeben
haben, bestand nicht. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn der Kläger seiner Mutter und
seinem Bruder Schadensersatz hätte leisten müssen. Nach § 676 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) ist jedoch, wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt,
unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis oder einer unerlaubten Handlung
ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der
Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet. Anhaltspunkte dafür, dass der
Kläger seine Empfehlung, Gelder bei der " A " anzulegen, im Rahmen eines
Vertragsverhältnisses erteilt hat, bestehen nicht. Im Verhältnis zwischen nahen
Angehörigen ist dies auch nach der Lebenserfahrung eher ungewöhnlich, jedenfalls dann,
wenn der den Rat oder die Empfehlung Erteilende - wie der Kläger - nicht berufsmäßig
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handelt und auch kein Honorar verlangt. Eine deliktische Haftung des Klägers bestünde -
mangels erkennbarer Schutzgesetzverletzung (§ 823 Abs. 2 BGB) - nur, wenn er
vorsätzlich gehandelt hätte. Dies kann nicht angenommen werden. Der Kläger hat vielmehr
selbst in der Erwartung besonderer Renditen eigene Gelder bei der " A " angelegt und
verloren. Da nicht ersichtlich ist, dass er die schädigenden Praktiken der " A " kannte oder
hätte kennen müssen, kann ihm nicht einmal fahrlässiges Handeln zur Last gelegt werden.
b) Eine sittliche Verpflichtung i. S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG ist anzunehmen, wenn nach
dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Mitbürger ein Steuerpflichtiger sich
zu den Aufwendungen für verpflichtet halten kann. Dafür kommt es darauf an, ob das
billigenswerte Durchschnittsempfinden der jeweils in Betracht kommenden Kreise die
Aufwendungen fordern würde, ob also die sittliche Pflicht vergleichbar einer rechtlichen
Verpflichtung die Aufwendungen verlangt. Die Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen
setzt voraus, dass die Sittenordnung das Handeln "erfordert". Sie ist deshalb nicht schon
gegeben, wenn sich der Steuerpflichtige subjektiv verpflichtet fühlt; auch ist nicht jede aus
sittlichen Gründen verständliche Unterstützung Dritter zwangsläufig. Vorausgesetzt wird
vielmehr, dass der Steuerpflichtige keine Möglichkeit hat, den Aufwendungen
auszuweichen, sich ihnen zu entziehen. Die sittliche Verpflichtung muss so unabdingbar
auftreten, dass sie einer rechtlichen Verpflichtung gleichkommt oder zumindest ähnlich ist.
Das sittliche Gebot darf nicht nur als innerer Zwang des Gewissens an den Betreffenden
herantreten, sondern muss, ähnlich dem Rechtszwang, von außen her als eine Forderung
oder zumindest Erwartung der Gesellschaft in Erscheinung treten. Dabei muss die sittliche
Verpflichtung des Einzelnen von seiner Umgebung als so schwerwiegend betrachtet
werden, dass diese ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die
Missachtung dieser Erwartung den Ruf des Betreffenden empfindlich beeinträchtigen
würde, so dass er dadurch eine Einbuße in seiner gesellschaftlichen Stellung zu
befürchten hätte. Dabei sind vor allem die persönlichen Beziehungen zwischen den
Beteiligten und sämtliche Umstände des Einzelfalls von Bedeutung (vgl. BFH-Urteile vom
24. Juli 1987 III R 208/82, BFHE 150, 351, BStBl II 1987, 717, und vom 23. Mai 1990 III R
145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895).
Nach Ansicht des Senats bestand für den Kläger keine sittliche Verpflichtung, die
Steuerschulden seiner Mutter und seines Bruders zu übernehmen. Die Anerkennung einer
sittlichen Verpflichtung hätte entgegen der Wertung, die § 676 BGB zugrunde liegt, zur
Folge, dass eine Ersatzleistung steuerlich berücksichtigt würde, auch wenn den Leistenden
(hier: den Kläger) keine Verantwortlichkeit für das schädigende Ereignis trifft. Würde das
Einstehen für Schäden, die jemand lediglich verursacht hat, ohne dafür rechtlich
verantwortlich zu sein, als sittlich geboten angesehen, so würde das Merkmal der
rechtlichen Verpflichtung als Maßstab für eine sittliche Verpflichtung gegenstandslos.
Hinzu kommt, dass sowohl die Beratung durch den Kläger als auch die
Anlageentscheidungen seiner Mutter und seines Bruders freiwillig erfolgten, mithin nicht als
zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gewertet werden können (vgl. auch BFH-
Urteil vom 17. Oktober 1973 VI R 143/71, BFHE 111, 65, BStBl II 1974, 105). Nicht außer
Betracht bleiben darf schließlich, dass der Kläger selbst durch Anlagen bei der " A "
finanzielle Verluste erlitten hat. Als moralisch anstößig könnte das Verhalten des Klägers
allenfalls gewertet werden, wenn er seine Mittel anderweitig angelegt hätte, weil ihm die
Anlage bei der " A " zu unsicher erschien. Dies war jedoch nicht der Fall. Die
Steuerbelastung aller geschädigten Anleger ist letztlich nur ein Teil des Gesamtschadens,
der sich durch eine spekulative Investitionsentscheidung ergeben hat. Derartige Schäden
hat ein voll geschäftsfähiger Anleger selbst zu tragen, mag er auch durch einen Rat eines
Angehörigen zu der Anlage veranlasst worden sein. Eine auch nur sittliche Verpflichtung
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des den Rat erteilenden Angehörigen entsteht daraus nicht.
Da der Tatbestand des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht erfüllt ist, kann letztlich offen bleiben,
ob dem Abzug der Aufwendungen nicht auch § 12 Nr. 3 EStG entgegensteht. Diese
Vorschrift untersagt den Abzug von Personensteuern und damit der Einkommensteuer als
Erwerbs- oder Privataufwendung. § 12 Nr. 3 EStG differenziert nicht zwischen eigenen und
fremden Aufwendungen. Allerdings enthält § 12 EStG im Einleitungssatz einen Vorbehalt
u. a. zugunsten der Regelungen in § 33 EStG. Es ist jedoch - ohne dass sich den
Gesetzesmaterialien dazu etwas entnehmen lässt (vgl. BT-Drucks. 8/2118, 63, zu Art. 1 Nr.
4 des Regierungsentwurfs zum Steueränderungsgesetz 1979) - zweifelhaft, ob der
Vorbehalt zugunsten der im Einleitungssatz aufgeführten Bestimmungen auch auf die
Aufwendungen i. S. von § 12 Nr. 3 und 4 EStG zu beziehen ist. Dagegen spricht, dass
diese Aufwendungen durch einen Abzug nach § 33 EStG in ihrer Belastungswirkung
deutlich gemindert würden (vgl. auch BFH-Urteil vom 21. Juli 1955 IV 373/54 U, BFHE 61,
361, BStBl III 1955, 338). In diesem Sinne hat der BFH (Urteil vom 24. Januar 1952 IV
298/51 U, BFHE 56, 145, BStBl III 1952, 59) entschieden, dass § 26 des
Soforthilfegesetzes (SHG), der den Abzug der Soforthilfeabgabe vom Einkommen- und
Gewerbeertrag verbot, die Berücksichtigung des auf einen anderen abgewälzten
Soforthilfeabgabebetrags als außergewöhnliche Belastung ausschloss. Zur Begründung
hat er darauf verwiesen, dass es im Falle einer einkünfte- oder einkommensmindernden
Berücksichtigung dieses Betrags zu einer - wenn auch nur teilweisen - Abwälzung dieser
Abgabe auf den jeweiligen Steuergläubiger käme. Dies solle § 26 SHG ausschließen.
Dasselbe Anliegen liegt der Regelung in § 12 Nr. 3 EStG zugrunde.
Der Senat verkennt nicht, dass das Eintreten des Klägers für seine Mutter und seinen
Bruder in hohem Maße anerkennenswert und sozial vorbildlich ist. Die aufgezeigten
rechtlichen Erwägungen lassen indes eine Berücksichtigung der Aufwendungen mit
steuerlicher Wirkung nicht zu.
Die Einkommensteuer für 1994 war danach wie folgt neu festzusetzen:
Gesamtbetrag der Einkünfte bisher 107.193 DM
weitere Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung./. 1.035 DM
Gesamtbetrag der Einkünfte neu 106.158 DM
Sonderausgaben bisher ./. 10.041 DM
weitere Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG./. 1.206 DM
zu versteuerndes Einkommen neu 94.911 DM
Steuer lt. Splittingtabelle 20.578 DM
umgerechnet in Euro 10.521,36 EUR.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 137 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Kläger hätte die Unterlagen, die die Berücksichtigung
des Zinsbetrages in Höhe von 1.206 DM als Sonderausgaben gebieten, früher vorlegen
können und sollen; denn aufgrund seiner steuerrechtlichen Kenntnisse war ihm die
steuermindernde Wirkung dieser Zahlung bekannt.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i. V. m.
den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.