Urteil des FG Düsseldorf vom 26.04.2004

FG Düsseldorf: anzeige, festsetzungsverjährung, mitwirkungspflicht, rückforderung, steuervergütung, fahrlässigkeit, erfüllung, haushalt, auszahlung, steuerberater

Finanzgericht Düsseldorf, 15 K 5245/03 Kg
Datum:
26.04.2004
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 5245/03 Kg
Tenor:
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 25.07.2003 wird in
Höhe von 3.926,64 EUR aufgehoben. Im übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 47% und der Beklagte
zu 53%.
Tatbestand:
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Streitig ist die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von
Kindergeld.
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Der verstorbene Vater bzw. Ehemann der Kläger bezog für seinen Sohn S1 (geboren
am 11.04.1991) bis einschließlich Februar 2001 Kindergeld in Höhe von zuletzt 138,00
EUR monatlich. Nachdem der Beklagte - das Arbeitsamt (Familienkasse) - Kenntnis
davon erlangte, dass der Kindesvater sich bereits im September 1995 von der
Kindesmutter getrennt hatte und das Kind seither bei der Kindesmutter lebte, hob er mit
an die Kläger als (Gesamt-) Rechtsnachfolger gerichteten Bescheid vom 25.07.2003 die
Kindergeldfestsetzung rückwirkend für die Zeit von Januar 1996 bis Februar 2001 auf
und forderte das in diesem Zeitraum gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt
7.393,18 EUR zurück. Zur Begründung führte er aus, dass dem Kindesvater das
Kindergeld wegen der Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Mutter nicht
zugestanden habe. Auch habe der Kindesvater das Kindergeld laut einer schriftlichen
Erklärung der Kindesmutter (vgl. Bl. 88 der Kg-Akte) nicht an diese weitergeleitet.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage gegen den Bescheid
vom 25.07.2003 erhoben. Sie sind der Auffassung, der Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheid vom 25.07.2003 sei rechtswidrig. Der Kindesvater habe das
an ihn ausgezahlte Kindergeld an die Kindesmutter weitergeleitet. Der Kindesvater
habe 1.350,00 DM monatlich an Unterhalt geleistet, obwohl er nach der Düsseldorfer
Tabelle nur 880,00 DM habe zahlen müssen. Damit stehe fest, dass in den monatlichen
Zahlungen auch das volle Kindergeld enthalten gewesen sei.
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Mit Beschluss vom 07.01.2004 hat der Senat die Kindesmutter, Frau A, nach § 174 Abs.
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5 Satz 2 AO - Abgabenordnung - zu dem Verfahren beigeladen.
Die Kläger beantragen,
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den Bescheid vom 25.07.2003 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Der Beklagte weist darauf hin, dass die Vorschrift des § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommen-
steuergesetz - EStG - nicht durch zivilrechtliche Vereinbarungen außer Kraft gesetzt
werden könne. Soweit die Kläger daher vortragen, das Kindergeld sei in den vom
Verstorbenen geleisteten Unterhaltszahlungen mit enthalten, könnten derartige
zivilrechtliche Unterhaltsvereinbarungen den Anspruch auf Kindergeld nicht berühren.
Auch stehe die Festsetzungsverjährung einer Rückforderung des Kindergelds ab
Januar 1996 nicht entgegen. Zum einen greife die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO ein. Zum anderen liege aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflicht
des § 68 Einkommensteuergesetz - EStG - seitens des Kindesvaters zumindest eine
leichtfertige Steuerverkürzung vor.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie die Kindergeldakte des Beklagten verwiesen. Die Beteiligten haben im
Erörterungstermin vom 13.02.2004 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht entscheidet nach § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
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Die Klage ist teilweise begründet.
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1. Der Beklagte war nicht berechtigt, die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von
Januar 1996 bis Dezember 1998 in Höhe von 3.926,64 EUR aufzuheben. Denn
insoweit ist nach § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO Festsetzungsverjährung
eingetreten und der Beklagte an einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gehindert.
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a. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Aufhebung einer Steuerfestsetzung nicht mehr
zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Nach § 170 Abs. 1 Satz 1 AO
beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. die
Steuervergütung entstanden ist. Das Kindergeld ist gemäß § 31 Satz 3 EStG eine
Steuervergütung. Da das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG monatlich gezahlt wird,
beginnt die Festsetzungsverjährung für die hier streitigen Zahlungszeiträume mit Ablauf
des jeweiligen Kalenderjahres.
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b. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend kein Fall der Anlaufhemmung
nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gegeben. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt
die Festsetzungsfrist, wenn eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs,
in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten
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Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die
besondere Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG stellt jedoch keine Anzeige i.S.d. §
170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO dar. Gegen diese Annahme des Beklagten spricht nach
Auffassung des Senats eindeutig der Wortlaut des § 68 EStG, der insoweit von
"mitteilen" und nicht von "anzeigen" spricht. Darüber hinaus ist das Wort "Anzeige" in
Zusammenhang mit den anderen, vom Gesetzgeber verwendeten Begriffen in § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu sehen. Unter den Begriffen "Steuererklärung" und
"Steueranzeige" versteht der Gesetzgeber förmliche Erklärungen z.T. auf amtlichen
Formularen, deren Abgabe einzelgesetzlich geregelt ist ( z.B. nach § 30 Abs. 1
Erbschaftsteuergesetz, § 18 Grunderwerbsteuergesetz und § 29 Einkommensteuer-
Durchführungsverordnung). Die allgemeinen und besonderen Mitwirkungspflichten im
Besteuerungsverfahren nach den §§ 90 Abs. 1 und 2 AO und § 68 EStG werden davon
nicht erfasst.
c. Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Es sind
zur Überzeugung des Senats keine Anhaltspunkte für eine (vorsätzliche)
Steuerhinterziehung nach § 370 AO ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Beklagten
ist vorliegend in der Verletzung der besonderen Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1
EStG auch nicht eine leichtfertige Steuerverkürzung des verstorbenen Kindesvaters
nach § 378 Abs. 1 AO zu sehen.
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aa. Nach § 378 Abs. 1 Satz 1 AO begeht derjenige eine leichtfertige Steuerverkürzung,
der als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines
Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht.
Leichtfertigkeit im Sinne von § 378 Abs. 1 Satz 1 AO bedeutet nach gefestigter
Rechtsprechung (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.03.2000 VII B
39/99, BFH/NV 2000, 1180 m.w.N.) einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa
der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu
auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen abstellt. Ein derartiges
Verschulden liegt vor, wenn der Betreffende nach den Gegebenheiten des Einzelfalls
und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den
einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden
Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtwertung seines Verhaltens
erforderlich.
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bb. Dem Verstorbenen war vorliegend aufgrund seiner beruflichen Ausbildung und
Tätigkeit als Steuerberater bekannt, dass die Zahlung des Kindergelds an ihn zu
Unrecht erfolgte. Allerdings ging er - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - davon
aus, aufgrund der Weiterleitung des Kindergeldes an die Kindesmutter seinen
(gesetzlichen) Pflichten genüge getan zu haben, zumal sich für ihn aufgrund der
Vorschrift des § 1612b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Ergebnis keine
finanziellen Auswirkungen ergaben. Die Beigeladene und Kindergeldberechtigte hatte
zudem im Streitzeitraum auch keine Einwände gegen den Kindergeldbezug seitens des
Kindesvaters erhoben. Der Senat ist daher bei einer Gesamtwertung des Verhaltens des
Kindesvaters der Auffassung, dass die bloße Verletzung der Mitwirkungspflicht des § 68
EStG bei erfolgter Weiterleitung des Kindergelds keinen derart erheblichen Grad an
Fahrlässigkeit zu begründen vermag, dass von einem leichtfertigen Verhalten
gesprochen werden kann.
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d. Nach § 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch endet die
Festsetzungsfrist für das Jahr 1996 mithin am 31.12.2000, für das Jahr 1997 am
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31.12.2001 und für das Jahr 1998 am 31.12.2002. Eine Ablaufhemmung nach § 171 AO
greift nicht ein. Für die Jahre bis Ende 1998 ist damit Festsetzungsverjährung
eingetreten.
2. Hinsichtlich des Zeitraums von Januar 1999 bis Februar 2001 ist die Klage
unbegründet. Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum zu Recht
nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben und die Kläger verpflichtet, das an den
Kindesvater in diesem Zeitraum gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO in Höhe von
3.466,54 EUR zu erstatten.
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a. Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum zu Recht nach § 173
Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben. Denn dem verstorbenen Kindsvater stand nach § 64 Abs. 1
EStG kein Anspruch auf Kindergeld zu, da nicht dieser, sondern die Kindesmutter den
Sohn in ihren Haushalt aufgenommen hatte. Die Tatsache der Haushaltsaufnahme ist
dem Beklagten erst am 08.03.2001 und damit nachträglich bekannt geworden.
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b. Die Kläger sind daher gemäß § 37 Abs. 2 AO in Verbindung mit §§ 44 Abs. 1, 45 Abs.
1 AO als Gesamtsrechtsnachfolger verpflichtet, das an den verstorbenen Kindesvater
ohne Rechtsgrund gezahlte Kindergeld zu erstatten.
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Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG) ohne rechtlichen Grund
gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung
bewirkt worden ist (hier: der Beklagte), nach § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem
Leistungsempfänger (hier: den Klägern als Rechtsnachfolgern des Kindesvaters) einen
Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten auch dann
ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 25.07.2003 ist der
rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kindesvater weggefallen. Die
Kläger sind daher als Gesamtrechtsnachfolger nach § 45 Abs. 1 AO verpflichtet, dem
Beklagten den ab Januar 1999 zurückgeforderten Betrag zu erstatten.
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c. Die Kläger können sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten
gemäß § 37 Abs. 2 AO nicht darauf berufen, der Verstorbene habe Unterhaltsleistungen
für seinen Sohn erbracht und damit das Kindergeld an die Beigeladene als vorrangig
Berechtigte weitergeleitet.
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Nach Tz. 64.4 Abs. 4 Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs - DA-FamEStG -, BStBl I 2002, 366 können der
Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Berechtigten und der
Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn
letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben und er
seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt. Der in
Tz. 64.4 Abs. 4 bis 8 DA-FamEStG vorgesehenen Form haben die Kläger jedoch nicht
Genüge getan und auch sonst keine Gründe vorgebracht, die eine Billigkeitsmaßnahme
der Verwaltung zu ihren Gunsten rechtfertigen könnten. Denn die Kläger haben weder
die erforderliche schriftliche Bestätigung der Beigeladenen als vorrangig Berechtigter
auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck vorgelegt, noch hat diese die
Weiterleitung des vollen Kindergeldes be-stätigt und dabei deutlich gemacht, sie sehe
ihren eigenen Anspruch auf Kindergeld als erfüllt an.
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Die Rückforderungsentscheidung des Beklagten ist daher im Ergebnis nicht zu
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beanstanden. Sie beruht darauf, dass die Weiterleitung die Rückforderung nicht von
Gesetzes wegen ausschließt, sondern lediglich aus Vereinfachungsgründen von der
Familienkasse als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungsweg
berücksichtigt werden kann (vgl. Urteil des BFH vom 09.12.2002 VIII R 80/01, BFH/NV
2003, 606). Im übrigen hat der Bundesfinanzhof mit Urteilen vom 14.05.2002 VIII R
64/00, BFH/NV 2002, 1425, vom 11.03.2003 VIII R 77/01, BFH/NV 2004, 14, VIII R
108/01, BFH/NV 2004, 16 und vom 01.07.2003 VIII R 80/00, BFH/NV 2004, 23 und VIII
R 94/01, BFH/NV 2004, 25 dargelegt, dass es nicht Aufgabe der Familienkasse sein
kann, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen zwischen verschiedenen
Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu
beurteilen. Ob der verstorbene Kindesvater - unterhaltsrechtlich gesehen - gemäß den in
der Düsseldorfer Tabelle getroffenen Regelungen einen Betrag in Höhe des vollen
Kindergeldes an die Beigeladene gezahlt hat, ist für die hier zu treffende Entscheidung
daher ohne Belang. Bei einem Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr
Sache der jeweiligen Kindergeldberechtigten, einen Haushaltswechsel in Erfüllung ihrer
besonderen Mitwirkungspflichten nach § 68 Abs. 1 EStG unverzüglich der
Familienkasse mitzuteilen und ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage
anzupassen bzw. bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf
privatrechtlichem Wege auszugleichen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
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