Urteil des FG Düsseldorf vom 05.02.2008
FG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, versicherung, rücknahme, höchstbetrag, erlass, quote, bruchteil, vollstreckung, anfechtung, meinung
Finanzgericht Düsseldorf, 8 Ko 249/08 GK
Datum:
05.02.2008
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 Ko 249/08 GK
Tenor:
Die Kostenrechnung vom 10. Januar 2008 (Kassenzeichen) wird
aufgehoben. Die Sache wird an die Kostenbeamtin (Kostenstelle) des
Gerichts zurückgegeben, die eine neue Kostenrechnung unter Ansatz
eines Streitwerts von 500.000 Euro zu erstellen haben wird.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1
I.
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Der Erinnerungsführer war Kläger im Verfahren 8 K 3814/07 KV, in dem ein Anspruch
des Erinnerungsführers auf Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens streitig war. Diesen Anspruch machte er vor folgendem Hintergrund
geltend:
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Im September 2007 schuldete der Erinnerungsführer dem Land Nordrhein-Westfalen
(NRW) Abgaben i.H.v. 1.103.827 Euro, die nahezu vollständig aus
Einkommensteuernachforderungen sowie steuerlichen Nebenleistungen für die
Veranlagungszeiträume 1995 und 1996 herrührten. Da zahlreiche
Vollstreckungsversuche in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des
Erinnerungsführers ohne nennenswerten Erfolg geblieben waren, beantragte das
Finanzamt (FA) am 17. September 2007 beim Amtsgericht (AG) die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erinnerungsführers. Nachdem der
beschließende Senat am 23. Oktober 2007 einen Antrag des Erinnerungsführers auf
einstweiligen Rechtsschutz wegen des Insolvenzeröffnungsantrags als unbegründet
abgelehnt hatte (Az. 8 V 3815/07 AE(KV)), beglich der Erinnerungsführer die Forderung
des FA. Daraufhin nahm das FA den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
beim AG zurück, was den Erinnerungsführer zur Rücknahme seiner Klage veranlasste.
Das Klageverfahren wurde mit Beschluss vom 18. Dezember 2007 eingestellt.
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Mit Gerichtskostenrechnung vom 10. Januar 2008 setzte die Kostenbeamtin des
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Gerichts gegenüber dem Erinnerungsführer Gerichtsgebühren i.H.v. 9.812 Euro an.
Dabei ging die Kostenbeamtin von einem Streitwert in Höhe der im Zeitpunkt des
Insolvenzeröffnungsantrags offenen Abgabenverbindlichkeiten (1.103.827 Euro) aus.
Hiergegen wendet sich der Erinnerungsführer mit seiner Erinnerung vom 22. Januar
2008. Zur Begründung führt er aus, er habe sich mit seiner Klage nicht gegen die Höhe
der Abgabenverbindlichkeiten oder gegen die diesen zu Grunde liegenden
Steuerbescheide gewandt, sondern gegen das Handeln des FA bei Stellung des
Insolvenzeröffnungsantrags. Die Klage habe eine Rücknahme des Antrags durch das
FA bewirken sollen, da er als Druckantrag wirtschaftlich sinnlos und
existenzvernichtend gestellt worden sei. Sein Interesse habe in der Abwehr der aus
einem Insolvenzantrag resultierenden wirtschaftlichen Risiken für seine Tätigkeit als ......
und seiner wirtschaftlichen Existenz bestanden. Es sei bekannt, dass es ab
Antragstellung zu weiteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Kunden und Lieferanten
komme, da diese regelmäßig insolvente Unternehmen mieden. In der Regel führe ein
Insolvenzantrag auch zu weitergehenden Finanzierungskündigungen. Biete der Sach-
und Streitstand - wie hier - für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden
Anhaltspunkte, sei gem. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) ein Streitwert
von 5.000 Euro anzusetzen.
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Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,
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die Kostenrechnung vom 10. Januar 2008 aufzuheben und unter Ansatz eines
Streitwerts von 5.000 Euro eine neue Kostenrechnung zu erstellen sowie die
aufschiebende Wirkung der Erinnerung anzuordnen.
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Die Vertreterin der Staatskasse des Landes NRW ist der Erinnerung
entgegengetreten.
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II.
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Die Erinnerung ist insoweit begründet, als der Kostenrechnung vom 10. Januar 2008 ein
höherer Streitwert als 500.000 Euro zu Grunde gelegt worden ist.
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1. Der Erinnerungsführer hat die erhobenen Einwendungen gegen den der
Kostenrechnung zu Grunde gelegten Streitwert zu Recht mit der Erinnerung geltend
gemacht, weil der Streitwert im vorliegenden Fall nicht durch das Gericht festgesetzt
worden ist (§ 63 Abs. 2 GKG), sondern durch die Kostenbeamtin im Rahmen des
Kostenansatzes (Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 26. September 2002
VII E 10/02, Juris, unter II. 1. der Gründe m.w.N.).
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2. Im Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist der Streitwert nach der
sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach
Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Nur wenn der bisherige Sach- und
Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist gem. § 52 Abs. 2 GKG ein
Streitwert von 5.000 Euro anzuwenden (sog. Auffangstreitwert).
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a) Im Verfahren wegen Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung gem. § 284 der Abgabenordnung (AO) hat der BFH
mehrfach ausgeführt, dass der Steuerrückstand, aus dem vollstreckt wird, einen
Anknüpfungspunkt für das finanzielle Interesse bildet, das der Kläger mit dem von ihm
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betriebenen Verfahren verfolgt. Wegen der Nichtvorhersehbarkeit, ob und in welchem
Ausmaß spätere Vollstreckungsmaßnahmen Erfolg haben werden, hat er den Streitwert
regelmäßig mit 50 % der rückständigen Steuerbeträge angenommen (BFH-Beschluss
vom 20. April 1993 VII E 8/92, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen
des BFH -BFH/NV 1994, 118 m.w.N.), den Streitwert bei hohen Rückständen jedoch auf
einen Höchstbetrag von 1 Mio. DM (BFH-Beschluss vom 29. Juli 1999 VII E 6/99,
Bundessteuerblatt -BStBl- II 1999, 756, unter 5. der Gründe) oder 500.000 Euro (BFH-
Beschluss vom 23. Oktober 2003 VII E 14/03, BFH/NV 2004, 351, unter II.1. der Gründe)
begrenzt.
b) Hinsichtlich der Streitwertbemessung für eine Klage wegen eines Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Finanzgericht (FG) des Saarlandes
entschieden, dass der sog. Auffangstreitwert (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F., jetzt § 52
Abs. 2 GKG) zu Grunde zu legen sei, wenn im Verfahrensstadium der Antragstellung
ungewiss sei, ob das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werde und zu welchem
Ergebnis das Insolvenzverfahren führen werde (FG des Saarlandes, Urteil vom 02. Juni
2004 1 K 437/02, Juris). Dieser Meinung hat sich ein Teil der Literatur - kommentarlos -
angeschlossen (Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 139 FGO
Anm. 298a; Gräber/Ruban, FGO, 6. Aufl., 2006, Vor § 135 Rz. 35 "Insolvenzverfahren";
wohl auch Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 135 FGO Tz. 214).
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c) Der Senat vermag der letztgenannten, auch vom Erinnerungsführer vertretenen
Auffassung jedoch nicht zu folgen. Denn auch im Klageverfahren wegen eines Antrags
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bietet der Rückstand der Abgaben einen
Anhaltspunkt für das finanzielle Interesse, das der Kläger mit dem von ihm betriebenen
Verfahren vor dem FG verfolgt. Mit dem Begehren, das FA zur Rücknahme des
Insolvenzeröffnungsverfahrens zu verurteilen, geht es dem Schuldner nicht - wie der
Erinnerungsführer meint - nur darum, Kunden und Lieferanten weiter an sich zu binden.
Vielmehr will er auch eine Befriedigung des Gläubigers (hier des FA) im Rahmen eines
Insolvenzverfahrens verhindern. Je höher die Rückstände sind, desto mehr wird der
Schuldner daran interessiert sein, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu vermeiden.
Dies wird auch durch den Ablauf des Klageverfahrens 8 K 3814/07 KV deutlich. Der
Erinnerungsführer verfügte offenbar über die - dem Senat nicht näher bekannte -
Möglichkeit, seine Steuerschulden (vermutlich mit Hilfe Dritter) zu begleichen, wollte von
dieser Möglichkeit zunächst jedoch keinen Gebrauch machen. Nachdem das FA am 17.
September 2007 einen Insolvenzeröffnungsantrag gestellt und der Senat den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung am 23. Oktober 2007 abgelehnt hatte, hat der
Erinnerungsführer jedoch innerhalb kurzer Zeit rund 1,1 Mio. Euro an das FA gezahlt,
sodass dieses den Insolvenzeröffnungsantrag und der Erinnerungsführer am 12.
Dezember 2007 die Klage zurückgenommen hat. Vor diesem Hintergrund ist die
rückständige Abgabenschuld zumindest ein tragfähiger Anknüpfungspunkt für das zu
beziffernde finanzielle Interesse, sodass für den Ansatz eines Auffangstreitwerts von
5.000 Euro (§ 52 Abs. 2 GKG) kein Raum ist.
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d) Die Erinnerung ist jedoch insoweit begründet, als die Kostenbeamtin dem
Kostenansatz einen höheren Streitwert als 500.000 Euro zu Grunde gelegt hat.
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aa) Im Hinblick auf die Ungewissheit, dass im Zeitpunkt der Antragstellung durch das
FA nicht vorauszusehen ist, ob der Insolvenzantrag in dem für das FA günstigsten Fall
(wie hier) den Schuldner bewegt, die Abgabenschuld zu tilgen, oder ob die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird, oder mit welcher Quote das
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FA im Fall der Insolvenzeröffnung befriedigt werden wird, ist der Streitwert regelmäßig
auf einen Bruchteil von 50 % der Abgabenrückstände zu bemessen. Der Senat orientiert
sich hierbei an der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BFH zur Anfechtung
der Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses einschließlich der
Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren nach § 284 AO, wo -
vergleichbar - ungewiss ist, ob die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung überhaupt
zur Aufdeckung weiteren Vermögens des Vollstreckungsschuldners führen wird und
welches Ausmaß eine mögliche spätere Vollstreckung haben wird.
bb) Um zu verhindern, dass die Rechtsverfolgung durch einen Schuldner, der sich
gegen einen Antrag des FA auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Klage
wenden möchte, in unzumutbarer Weise erschwert wird oder ihn sogar von der
Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes abhält, hält es der Senat für
gerechtfertigt und angebracht, den Streitwert in einer solchen Angelegenheit auf
höchstens 500.000 Euro zu begrenzen. Auch insoweit schließt er sich den
Überlegungen des BFH zur Begrenzung des Streitwerts auf einen Höchstbetrag in
Angelegenheiten der Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung an (BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 1999 VII E
6/99, BStBl II 1999, 75, unter 5. der Gründe, und vom 23. Oktober 2003 VII E 14/03,
BFH/NV 2004, 351, unter II.1. der Gründe).
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3. Da die mit der Erinnerung beanstandete Kostenrechnung hinsichtlich des zu Grunde
gelegten Streitwerts den obigen Ausführungen nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die
Sache geht an die Kostenbeamtin (Kostenstelle) des Gerichts zurück, die eine neue
Kostenrechnung unter Ansatz eines Streitwerts von 500.000 Euro zu erstellen haben
wird.
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4. Über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Erinnerung anzuordnen (§ 66 Abs. 7
Satz 2 GKG), muss nicht mehr entschieden werden, da auf Grund der vorliegenden
endgültigen Entscheidung über die Erinnerung eine Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Erinnerung nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom
13. Juni 1997 VII E 3/97, BFH/NV 1998, 75, unter II. 5. der Gründe, und vom 13. Juni
2000 VIII E 4/00, BFH/NV 2000, 1238, unter 4. der Gründe).
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5. Die Gerichtsgebührenfreiheit sowie die Nichterstattung von Kosten ergibt sich aus
§ 66 Abs. 8 GKG.
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