Urteil des FG Düsseldorf vom 07.11.2002
FG Düsseldorf (Bauwerk, Aufenthalt, Gebäude, Zusammenwirken, Internet, Bayern, Abgrenzung, Vollstreckung, Zivilprozessordnung, Wahrscheinlichkeit)
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 4981/99 BG
07.11.2002
Finanzgericht Düsseldorf
11. Senat
Urteil
11 K 4981/99 BG
Der Einheitswertbescheid auf den 01.01.1982 vom 22.08.1985, der
Einheitswertbescheid auf den 01.01.1984 vom 23.10.1985 und der
Einheitswertbescheid auf den 01.01.1985 vom 19.12.1985 in der Gestalt
der Einspruchsentscheidungen vom 02.07.1999 werden insoweit
geändert, als das Gebäude der Steinmahlanlage als Betriebsvorrichtung
qualifiziert wird und somit nicht mehr in die Einheitsbewertung
aufgenommen wird.
Die Berechnungen der Einheitswerte werden dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die auf dem Betriebsgelände der Klägerin befindliche Steinmahlanlage ein
Gebäude oder eine Betriebsvorrichtung im Sinne des Bewertungsgesetzes (BewG) ist.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Klage ist begründet.
Die Einheitswertbescheide auf den 01.01.1982, den 01.01.1984 und den 01.01.1985 in der
Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 02.07.1999 sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten. Denn das Bauwerk der Steinmahlanlage ist kein Gebäude im
Sinne des § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewG, sondern eine Betriebsvorrichtung im Sinne des § 68
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG, und ist deshalb nicht bei der Einheitsbewertung des
Grundvermögens zu berücksichtigen.
Nach § 68 Abs.1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch
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die Gebäude. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr.
2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage
gehören (Betriebsvorrichtungen), und zwar auch dann, wenn sie wesentliche Bestandteile
sind. Zur Abgrenzung zwischen Gebäuden und Betriebsvorrichtungen ist vom
Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören
und demgemäß ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung
sein kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25.März 1977 III R 5/75, BFHE
122, 150, BStBl II 1977, 594, mit weiteren Nachweisen). Ein Bauwerk ist als Gebäude
anzusehen, wenn es nicht nur fest mit dem Grund und Boden verbunden, von einiger
Beständigkeit und ausreichend standfest ist, sondern es muß auch Menschen oder Sachen
durch räumliche Umschließung Schutz gegen Witterungseinflüsse gewähren und den nicht
nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestatten (vgl. die Urteile des BFH vom
13.Juni 1969 III 17/65, BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, und in BFHE 122, 150, BStBl II
1977, 594). Nicht erforderlich ist, daß ein Bauwerk überhaupt zum Aufenthalt von
Menschen bestimmt ist. Der Gebäudeeigenschaft steht nach der Auffassung des
Bundesfinanzhofs auch nicht entgegen, wenn sich Menschen beispielsweise nur in
entsprechender Schutzkleidung darin aufhalten können, um sich gegen gesundheitliche
Schäden zu schützen (vgl. BFH-Urteil vom 14.November 1975 III R 150/74, BFHE 117,
492, BStBl II 1976, 198). Sofern aber wegen extremer Bedingungen während des
automatisch gesteuerten stetig laufenden Betriebsvorgangs der Aufenthalt von Menschen
in einem Bauwerk auch in Schutzkleidung nur vorübergehend während weniger Minuten
möglich ist, entfällt die Gebäudeeigenschaft. Denn das Bauwerk gestattet dann nicht
einmal mehr den nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen (vgl. BFH-Urteil vom
30.01.1991 II R 48/88, BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618; FG des Landes Brandenburg-
Urteil vom 15.03.2001 2 K 355/99 BG, EFG 2001, 671; Finanzgericht München vom
10.07.2002 4 K 4567/97 nicht veröffentlicht). Diese Grundsätze gelten nach dem Urteil des
Bundesfinanzhofs vom 30.01.1991 (a.a.O.) auch, wenn während des stetigen
Betriebsablaufs wegen des Lärmpegels der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk
höchstens während weniger Minuten möglich ist. Das ist der Fall, wenn der Schallpegel
den arbeitsschutzrechtlich zulässigen Beurteilungspegel für Arbeitsplätze in Arbeitsräumen
(vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über Arbeitsstätten vom 20.März 1975, BGBl I 1975,
729 - ArbStättV) übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 30.01.1991 a.a.O.; FG des Landes
Brandenburg-Urteil vom 15.03.2001 a.a.O).
Im Streitfall liegt der Lärmpegel im Bauwerk der Steinmahlanlage unstreitig während des
stetig laufenden Betriebes der Steinmahlanlage über den arbeitsschutzrechtlich zulässigen
Beurteilungspegeln im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 3
ArbStättV darf der Beurteilungspegel in Arbeitsräumen bei allen sonstigen Tätigkeiten 85
dB (A) nicht überschreiten. Dieser Regelwert darf, wenn er nach der betrieblich möglichen
Lärmminderung nicht einzuhalten ist - also nur in besonderen Ausnahmefällen -, um bis zu
5 dB (A) überschritten werden. Der Lärmpegel in dem Bauwerk der Steinmahlanlage
beträgt während des Betriebes der Steinmahlanlage nach dem Sachverständigengutachten
des Ingenieurbüros "T" auf zwei Bühnenebenen 90 dB (A) und ansonsten über 90dB (A)
bis zu 101 dB (A). Nach der Lärmmessung der "Berufsgenossenschaft" liegt der Lärmpegel
im geschlossenen Aufzug sowie an einem Messpunkt in der . Etage unter 85 dB (A), an
einem anderen Messpunkt in der . Etage wurde ein Lärmpegel von 88 dB (A) und in der .
Etage ein Pegel von 87 dB (A) gemessen. Im übrigen ergaben sich Messwerte von über 90
dB (A) bis zu 104 dB (A). Nach Ansicht des entscheidenden Senats ist es unerheblich,
dass die Lärmpegel in einigen Bereichen des Bauwerkes unter 85 dB (A) bzw. unter 90 dB
(A) liegen. Denn insoweit handelt es sich nur um geringfügige Teile des Bauwerkes, die
von untergeordneter Bedeutung sind und deshalb keinen Einfluss auf die Bewertung des
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Gesamtbauwerkes haben. In der . Etage ist darüber hinaus eine Abgrenzung des
Bauwerkteils, in dem die arbeitsschutzrechtlich zulässigen Beurteilungspegel eingehalten
werden, von dem Teil, in dem die Beurteilungspegel überschritten werden, nicht möglich.
Nach Ansicht des entscheidenden Senats führt allein ein Lärmpegel über den
arbeitsschutzrechtlich zulässigen Werten schon dazu, dass das Bauwerk nicht zum auch
nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet ist. In seinem Urteil vom
30.01.1991 (a.a.O.) hat auch der Bundesfinanzhof - wie bereits oben dargestellt -
ausgeführt, dass ein Aufenthalt von Menschen nur während weniger Minuten möglich sei,
wenn der Schallpegel den arbeitsrechtlich zulässigen Beurteilungspegel im Sinne des § 15
Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV überschreite, mit der Folge, dass das Bauwerk nicht zum nur
vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet sei (ebenso FG des Landes
Brandenburg-Urteil vom 15.03.2001 a.a.O.; Finanzgericht München vom 10.07.2002 4 K
4567/97 nicht veröffentlicht). Der Senat verkennt nicht, dass diese Aussage im Widerspruch
zu der Aussage des Bundesfinanzhofs steht, die Gebäudeeigenschaft entfalle nicht, wenn
sich Menschen nur in entsprechender Schutzkleidung in dem Bauwerk aufhalten könnten,
um sich gegen gesundheitliche Schäden zu schützen (so auch das BFH-Urteil vom
30.01.1991). Denn mit Gehörschutzstöpseln und Kapselgehörschützern kann abhängig von
der Güte der Schutzmittel und den Lärm-Frequenzen eine Schalldämmung im Mittelwert
von 18,0 bis 44,0 dB erreicht werden (siehe Internet-Seite
http://www.lfas.bayern.de/publ/schall/schall.htm), sodass bei Verwendung geeigneter
Schutzmittel Gesundheitsgefährdungen auch bei Lärmpegeln oberhalb des
arbeitsschutzrechtlich zulässigen Beurteilungspegels ausgeschlossen werden können.
Bleibende Hörminderungen als Vorstufe zu Gehörschäden können nämlich erst auftreten,
wenn das Gehör über längere Zeiträume (mehrere Stunden am Tag über mehrere Jahre)
einen Beurteilungspegel von geringfügig weniger als 85 dB (A) ausgesetzt wird .
Schallpegel zwischen 85 und 90 dB (A) über einen längeren Zeitraum führen mit
Wahrscheinlichkeit zu Gehörschäden und Schallpegel ab 90 dB (A) mit einiger Sicherheit
zu Lärmschwerhörigkeit (siehe Internet-Seite
http://www.lfas.bayern.de/publ/psa_3/earprot.htm; Weber, Sicherheitstechnik, Band II, Teil 2
(Arbeitsstätten), 4214, Erläuterungen zu § 15 ArbStättV 3.1). Der entscheidende Senat hält
den arbeitsschutzrechtlich zulässigen Lärmpegel für ein geeignetes, der notwendigen
Typisierung entsprechendes Abgrenzungsmerkmal zwischen einem Gebäude und einer
Betriebsvorrichtung, da dies ein objektiv messbarer und einfach anzuwendender Maßstab
dafür ist, ob ein Bauwerk den Aufenthalt von Menschen nicht nur vorübergehend gestattet.
Selbst für den Fall, dass der Senat der Meinung des Beklagten folgen würde und das BFH-
Urteil vom 30.01.1991 dahingehend interpretieren würde, dass die Gebäudeeigenschaft
nur beim Zusammenwirken eines extremen Lärmpegels und eines weiteren Faktors (im
Urteilsfall unter dem Gefrierpunkt liegende Kälte) abzulehnen sei, ist das Bauwerk der
Steinmahlanlage kein Gebäude. Denn die fehlende Eignung des Bauwerkes zum nur
vorübergehenden Aufenthalt von Menschen würde dann aus dem Zusammenwirken des
extremen Lärmpegels und der erheblichen Vibrationen, die während des Betriebs der
Steinmahlanlage auf die Körper der sich im Bauwerk aufhaltenden Menschen einwirkt
folgen. Die Vibrationen wurden während der Ortsbesichtigung am 31.10.2002 festgestellt.
Die Übertragung der Berechnungen der Einheitswerte auf den Beklagten beruht auf § 100
Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und der Ausspruch der vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711
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Zivilprozessordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
zugelassen.