Urteil des FG Düsseldorf vom 08.12.2010

FG Düsseldorf (mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, treu und glauben, höhe, grundstück, gegenleistung, bemessungsgrundlage, muttergesellschaft, kenntnis, leistung, zuschlag)

Finanzgericht Düsseldorf, 7 K 3228/09 GE
Datum:
08.12.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 3228/09 GE
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist eine nachträgliche Erhöhung der Grunderwerbsteuer um f EUR (= a EUR x
3,5%).
2
Die Klägerin (A Immobilien GmbH, Y-Stadt) blieb im Versteigerungstermin am .2007
(Amtsgericht Z-Stadt Az.) Meistbietende mit einem zu zahlenden Betrag in Höhe von x
EUR (vgl. Blatt 374 der ZV-Akte). Die versteigerten Grundstücke Z-Straße (insgesamt
301qm) in Z-Stadt wurden ihr mit Beschluss des Amtsgerichts vom .2007 zugeschlagen
(Blatt 384 der ZV-Akte).
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Aufgrund dieses Erwerbsvorgangs setzt der Beklagte mit Bescheid vom 27.08.2007
gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von y EUR (Bemessungsgrundlage x
EUR) fest.
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Im Jahr 2009 informierte das Finanzamt X-Stadt den Beklagten in einer
Kontrollmitteilung für Zwecke der Grunderwerbsteuer darüber, dass die A LLC mit Sitz in
USA, die hundertprozentige Muttergesellschaft der Klägerin, mehrere Darlehen von der
W AG für z Mio. EUR erworben habe. Die W AG werde bei den Grundstücken, die
betroffen seien, im Grundbuch weiterhin als Grundpfandrechtsgläubigerin geführt, da
das Grundbuch nicht bereinigt worden sei. Die entsprechend belasteten Grundstücke
würden häufig versteigert werden. Die Tochtergesellschaften der A LLC erhielten häufig
den Zuschlag. Die Amtsgerichte würden in den Zuschlagbeschlüssen auch regelmäßig
darauf hinweisen, dass die Meistbietende keine Ersteherin im Sinne des
Zwangsversteigerungsgesetzes sei. Dem sei aber nicht so. Es sei anfänglich in
mehreren Fällen die Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert worden
5
mehreren Fällen die Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert worden
und die Differenz zu 7/10 des Verkehrswertes als zusätzliche Bemessungsgrundlage
erfasst worden. Nachdem man gegen diese Änderungen keine Klagen erhoben habe,
seien alle weiteren Fälle korrigiert worden.
Der Beklagte errechnete – nachdem die Sachbearbeiterin telefonisch die Höhe des
festgestellten Verkehrswertes der Grundstücke Z-Straße beim Amtsgericht erfragt hatte
(vgl. Vermerk vom .2009, Blatt 13 der Grunderwerbsteuerakte)-, dass das Meistgebot (x
EUR) um a EUR unter 7/10 des festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c
EUR) gelegen habe.
6
Außerdem druckte die Sachbearbeiterin am 11.05.2009 ein Grundbuchauszug aus (vgl.
Blatt 10 der Grunderwerbsteuerakte), aus dem ersichtlich war, dass für die W AG zu
Lasten der versteigerten Grundstücke eine Grundschuld eingetragen war.
7
Wie sich aus der beigezogenen Zwangsversteigerungsakte ergibt, war der Verkehrswert
der Grundstücke Z-Straße nach § 74a ZVG mit Beschluss des Amtsgerichts (Az.) vom
24.01.2004 auf b EUR festgesetzt worden (vgl. Blatt 100 der ZV-Akte). Zu Lasten des
von der Klägerin ersteigerten Grundstücks war in Abteilung 3 des Grundbuchs unter der
laufenden Nummer 11 eine Grundschuld in Höhe von d DM (e EUR) für die W AG)
brieflos eingetragen. Auf Antrag der W AG wurde wegen dinglicher Ansprüche aus der
Grundschuld III/11 (in Höhe von e EUR) der Beitritt der W AG zur Zwangsversteigerung
zugelassen (vgl. Beschluss des AG vom 09.07.2004, Blatt 140 der ZV Akte). Nach
Versteigerung der Grundstücke erklärte sich die W AG in Höhe ihrer Ansprüche aus
dem Steigpreis für befriedigt (vgl. Erklärung vom .2007; Blatt 408 der ZV-Akte). Auf
Ersuch des Zwangsversteigerungsgerichts an das Grundbuchamt (vgl. Blatt 423 der ZV-
Akte) wurde die Grundschuld in Abt. III laufende Nr. 11 gelöscht. In dem Ersuch heißt es:
"§ 114a ZVG ist nicht anwendbar."
8
Nach unbestrittenem Vortrag der Klägerin (vgl. Schreiben vom 27. August 2009, Blatt 5 ff
der GA) hatte ihre Muttergesellschaft, die A LLC, die mit der Grundschuld besicherte
Darlehensforderung von der W AG erworben. Die Grundschulden seien allerdings
weiterhin treuhänderisch von der W AG für die A LLC verwaltet worden. Die W AG sei
mittelbar zu 33% an der A LLC beteiligt und damit mittelbar auch an der Klägerin.
9
Am 15.05.2009 erließ der Beklagte einen nach §173 Abs.1 S.1 Nr.1 AO geänderten
Bescheid und erhöhte die Grunderwerbsteuer um f EUR auf g EUR. Die
Bemessungsgrundlage wurde um a EUR (nach § 114a des ZVG ausgefallene Rechte)
erhöht. In den Erläuterungen heißt es:
10
"Zur Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG) gehören neben dem Meistgebot auch die
Beträge, hinsichtlich derer der Erwerber gemäß § 114 a ZVG als aus dem
Grundstück befriedigt gilt (Verkehrswert b EUR, davon 7/10 = c EUR)."
11
Hiergegen legte die Klägerin am 18.06.2010 Einspruch ein, den sie zunächst nicht
weiter begründete.
12
Mit Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück.
13
Mit ihrer Klage vom 02.09.2010 (Eingang beim Finanzamt) trägt die Klägerin vor:
14
Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO lägen im Streitfall nicht vor, da
diese Vorschrift voraussetze, dass die nachträglich bekanntgewordene Tatsache
rechtserheblich sei. Der Erstbescheid dürfe nur geändert werden, wenn das Finanzamt
bei ursprünglicher Kenntnis dieser Tatsache mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte, denn § 173 AO diene nicht zur Korrektur
von Rechtsfehlern. Hierfür trage der Beklagte die Feststellungslast.
15
Im Jahr 2007 hätte der Beklagte die Grunderwerbsteuer in Kenntnis der Tatsache, dass
die A LLC als hundertprozentige Mutter der Klägerin das Darlehen erworben habe, nicht
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders festgesetzt. Der Beklagte habe
nämlich bei erstmaliger Festsetzung der Grunderwerbsteuer keinerlei Ermittlungen
hinsichtlich etwaiger ausgefallener Rechte (§ 114a ZVG) unternommen. Der Beklagte
habe allein aufgrund des Zuschlagbeschlusses die Steuer festgesetzt. Er habe das
Grundbuch nicht eingesehen. Erst aufgrund der Kontrollmitteilung habe der Beklagte die
Festsetzung korrigiert.
16
Sie, die Klägerin, habe als Meistbietende im eigenen Namen und auf eigene Rechnung
das Grundstück erworben. Sie habe somit den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG
verwirklicht. Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer sei das Meistgebot (§ 9
Abs. 1 Nr. 4 GrEStG). Die Klägerin sei aber nicht die berechtigte Grundpfandgläubigerin.
Insoweit sei eine zusätzliche Gegenleistung nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 114a
ZVG nicht zu berücksichtigen. Befriedigungsberechtigte sei allein die A LLC und nicht
die Klägerin.
17
Der Beklagte verkenne die zivilrechtliche Lage. Zivilrechtlich müssten Meistbietender
und Grundpfandgläubiger zwar nicht identisch sein. Die Befriedigungsfiktion trete
zivilrechtlich aber nur beim Grundpfandgläubiger und nicht beim Meistbietenden ein.
Der Beklagte differenziere nicht – wie zivilrechtlich geboten – zwischen
Forderungsinhaber, Grundpfandgläubiger und Ersteher.
18
Die A LLC, nicht die Klägerin, sei Forderungsinhaberin bzw. (treugeberische)
Grundpfandrechtsgläubigerin. Die Befriedigungsfiktion könne allenfalls bei der A LLC,
nicht jedoch bei der Klägerin eintreten. Dies sei keine zusätzliche Gegenleistung für den
durch den Meistbietenden realisierten Erwerbsvorgang (vgl. koordinierter Ländererlass
vom 24.07.1987 FM Bayern). Der Forderungsverlust aufgrund der Befriedigungsfiktion
führe auch nach Ansicht der Literatur (Hinweis auf Hofmann, 9. Auflage, § 9 GrEStG
Rdnr. 45; Boruttau/Sack, 16. Auflage, § 9 GrEStG Rdnr. 448) nicht zur Erhöhung der
Gegenleistung, wenn der Forderungsverlust nicht den Meistbietenden treffe, denn die
tatbestandlichen Voraussetzungen von § 9 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 GrEStG seien nicht
erfüllt. Es liege keine Leistung im Verhältnis des Meistbietenden zum Schuldner
(Grundstückseigentümer) vor.
19
Die Klägerin beantragt,
20
den Änderungsbescheid über die Grunderwerbsteuer vom 15.05.2009 und die
Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 aufzuheben;
21
hilfsweise die Revision zuzulassen.
22
Der Beklagte beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Der Beklagte trägt vor:
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Grundpfandrechtsgläubigerin des bis zu 7/10 als befriedigt geltenden Darlehens sei die
A LLC. Die Befriedigungsfiktion des § 114 a ZVG trete bis zur Höhe von 7/10 des
Verkehrswertes des Grundstücks auch für die Klägerin als hundertprozentiges
Tochterunternehmen ein, da das Grundstück unter 7/10 des eigentlichen
Verkehrswertes ersteigert worden sei. Die Befriedigungsfiktion könne auch dann
eintreten, wenn nicht der Meistbietende selbst die Voraussetzung dafür erfülle. Der
Grundpfandrechtsgläubiger, der eine von ihm abhängige Gesellschaft das Grundstück
unter der 7/10 Grenze ersteigern lasse, um sich dessen Wert zuzuführen, müsse sich
zivilrechtlich nach § 114 a ZVG so behandeln lassen, als hätte er selbst das Meistgebot
abgegeben (Hinweis auf BGH-Urteil vom 09.01.1992 IX ZR 165/91).
26
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist unbegründet.
28
Der angefochtene Änderungsbescheid vom 15.05.2009 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht
in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-).
29
Für den nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG (Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren)
steuerbaren und auch steuerpflichtigen Grundstückserwerb der Klägerin war der Betrag,
hinsichtlich derer die Muttergesellschaft der Klägerin (A LLC) nach § 114a ZVG als
befriedigt gilt (a EUR), bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer neben dem
Meistgebot in Höhe von x EUR als zusätzliche Bemessungsgrundlage zu
berücksichtigen (§ 8 Abs. 1 GrEStG i. V. m. § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG).
30
Gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach dem Wert der
Gegenleistung. Als Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinn gilt jede Leistung,
die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt o d e r die der
Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt. Der Erwerb des
Grundstücks und die Gegenleistung für den Erwerb müssen kausal verknüpft sein (vgl.
nur BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162;
Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 5).
31
Zur Gegenleistung gehören nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG auch diejenigen Leistungen,
die ein anderer als der Erwerber des Grundstücks, d.h. ein "Dritter", dem
"Grundstücksveräußerer" dafür gewährt, dass dieser dem "Erwerber" das Grundstück
überlässt. Die Grundstücksüberlassung muss der unmittelbare Hauptzweck der Leistung
des Dritten sein (vgl. Sack in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., § 9 Rdnr. 612).
32
Nach diesen Grundsätzen ist auch der Betrag, hinsichtlich derer die A LLC nach § 114a
ZVG als befriedigt gilt (a EUR), in die Bemessungsgrundlage miteinzubeziehen.
33
"Dritter" im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG ist hier die Muttergesellschaft der
Klägerin (A LLC). Der "Grundstücksveräußerer" ist der Zwangsvollstreckungsschuldner.
34
Der "Grundstücksveräußerer" (Zwangsvollstreckungsschuldner) empfing eine
35
"Leistung" für die "Veräußerung" des Grundstücks an die Klägerin in Höhe von a EUR.
Denn der Erwerb der Klägerin führte dazu, dass bei der A LLC nach § 114 a ZVG die mit
der Grundschuld gesicherte Darlehensforderung in Höhe von 7/10 des
Grundstückswerts zum Erlöschen gebracht wurde.
Die Voraussetzungen des § 114a ZVG liegen hier vor.
36
Danach gilt der "Ersteher" auch insoweit als aus dem Grundstück befriedigt, als sein
Anspruch durch das abgegebene Meistgebot nicht gedeckt ist, aber bei einem Gebot
zum Betrage der Sieben-Zehnteile-Grenze gedeckt sein würde, wenn der Zuschlag
einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten zu einem Gebot erteilt ist, das
einschließlich des Kapitalwertes der nach den Versteigerungsbedingungen
bestehenbleibenden Rechte hinter sieben Zehnteilen des Grundstückswertes
zurückbleibt.
37
Die Klägerin ist Ersteherin des Grundstücks. Denn sie war nicht nur Meistbietende im
Versteigerungstermin, sondern ihr ist auch der Zuschlag erteilt worden (§§ 81 Abs. 1, 82,
90 Abs. 1 ZVG).
38
Das Meistgebot in Höhe von x EUR lag a EUR unter 7/10 des nach § 74 a ZVG
festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c EUR).
39
Anzeichen dafür, dass der vom Amtsgericht festgesetzte Grundstückswert der Höhe
nach unzutreffend festgesetzt wurde bzw. zum Zeitpunkt des Meistgebots und
Zuschlags wertmäßig überholt war, bestehen nicht. Die Klägerin hat hierzu auch nichts
vorgetragen.
40
Obwohl die Klägerin selbst nicht zur Befriedigung aus dem Grundstück berechtigt war,
ist die Befriedigungsfiktion im Streitfall auch eingetreten. Denn die Wirkung des § 114 a
ZVG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Berechtigte einen uneigennützigen
Treuhänder oder – wie hier - eine von ihm abhängige Gesellschaft bieten lässt, um das
Grundstück zu ersteigern (vgl. BGH-Urteil vom 9. Januar 1992 IX ZR 165/91, BGHZ 117,
8). Die A LLC war aus den von der Klägerin erstandenen Grundstücken berechtigt,
nachdem ihr von der W AG die Darlehensforderung gegen den Grundstückseigentümer
übertragen worden war und sie zudem (treugeberisch) die der Forderung
zugrundeliegende Grundschuld hielt. Die A LLC muss sich so behandeln lassen, als
hätte sie selbst das Gebot abgegeben.
41
Sowohl die Klägerin als auch die A LLC erstrebten als Hauptzweck– wie auch zwischen
den Beteiligten unstreitig ist – den Grundstückserwerb der Grundstücke Z-Straße im
Zwangsversteigerungsverfahren.
42
Ob der Schuldner oder das Amtsgericht tatsächlich Kenntnis von der Anwendbarkeit des
§ 114 a ZVG hatte, kann hier dahinstehen. Denn zum einen erlischt die Forderung (auch
ohne Kenntnis des Schuldners) kraft Gesetzes. Zum anderen ist ein Austausch der
Gegenleistung für die Bemessung der Grunderwerbsteuer nicht erforderlich. Der
Gegenleistungsbegriff der §§ 8 Abs. 1, 9 GrEStG ist vielmehr – abweichend von der
bürgerlich-rechtlichen Betrachtungsweise – sachbezogen auf das Grundstück zu werten
(BFH-Urteile vom 25. Januar 1989 II R 28/86, BFHE 156, 251, BStBl II 1989, 466; Sack
in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., § 9 Rdnr. 18; Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 5).
43
Dass der Grundstückserwerb der Klägerin durch staatlichen Hoheitsakt (Zuschlag)
erfolgte und auch die Befriedigungsfiktion gemäß § 114a ZVG kraft Gesetzes eintrat, ist
für die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG ohne Bedeutung. Denn auch eine
solche Leistung ist Gegenleistung i.S. der §§ 8, 9 GrEStG, die der Veräußerer des
Grundstücks aufgrund der Verpflichtung eines Dritten zu fordern berechtigt ist. Ein streng
synallagmatisches Austauschverhältnis ist nicht vorausgesetzt (vgl. Viskorf in Boruttau,
GrEStG, 16. Aufl., § 8 Rdnr. 16). Nichts anderes kann gelten, wenn die Leistung des
Dritten nicht aufgrund dessen schuldrechtlicher Verpflichtung gegenüber dem
Grundstücksveräußerer, sondern – wie in den Fällen des § 114a ZVG – aufgrund
gesetzlicher Fiktion erfolgt (vgl. auch Urteil des FG-Münster vom 29. April 2008 8 K
1363/06 GrE, EFG 2008, 1577 ).
44
Soweit in dem Grunderwerbsteuerkommentar Hofmann, 9. Auflage, § 9 Rdnr. 45 die
Ansicht vertreten wird, dass die tatbestandlichen Vorausaussetzungen von § 9 Abs. 2
Nr. 3 bzw. 4 GrEStG nicht erfüllt seien, wenn der Forderungsverlust infolge der
Befriedigungsfiktion des § 114a ZVG nicht den Meistbietenden trifft, so vermag der
Senat dieser Auffassung nicht zu folgen.
45
Gründe für diese Ansicht, werden in dem Kommentar auch nicht angeführt, sondern es
wird nur auf den Grunderwerbsteuerkommentar Boruttau (Sack in Boruttau, 16. Auflage,
§ 9 Rdnr. 448) verwiesen.
46
In Rdnr. 448 des Kommentars Boruttau werden zunächst Ausführungen gemacht zu
dem Fall, dass der Meistbietende, die Rechte aus dem Meistgebot an einen
Grundpfandgläubiger abtritt und der Zuschlag dann dem Grundpfandgläubiger erteilt
wird. In einem derartigen Fall sei die Befriedigungsfiktion nicht (zusätzliche)
Gegenleistung für den durch den Meistbietenden erfüllten Erwerbsvorgang, weil eine
Leistung im Verhältnis zum Schuldner nicht vorliege.
47
Diese dort dargestellte Sachlage (zwei Erwerbe, Zuschlag wird dem
Grundpfandgläubiger erteilt) entspricht aber nicht dem hier zu entscheidenden
Sachverhalt. Im Streitfall wurde der Zuschlag, mit dem die Befriedigungsfiktion nach
§ 114 a ZVG eintritt, der meistbietenden Klägerin erteilt.
48
Zur Begründung, warum für den Fall, dass sich der Grundpfandgläubiger zur
Ersteigerung eines von ihm abhängigen Unternehmens bedient, das Gleiche gelten soll,
wird im Kommentar Boruttau (Sack in Boruttau, 16. Auflage, § 9 Rdnr. 448) auf die
Kommentierung Hofmann (siehe oben) und Pahlke/Franz § 9 Rdnr. 127 GrEStG
verwiesen. Die Kommentierung in Rdnr. 127 ff des Kommentars Pahlke/Franz behandelt
aber § 9 Abs. 2 Nr.
1
Muttergesellschaft eintretende Befriedigungsfiktion nicht nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG
als Bemessungsgrundlage für den Erwerbsvorgang der Klägerin zu berücksichtigen ist
(sondern nach § 9 Abs. 2 Nr.
4
49
Der Beklagte war auch befugt, den bestandskräftigen Grunderwerbsteuerbescheid vom
27.08.2007 durch den angefochtenen Bescheid zu ändern, denn die Voraussetzungen
für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO liegen im Streitfall vor.
50
Gemäß § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern,
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren
Steuer führen.
51
Tatsache in diesem Sinne ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den
gesetzlichen Tatbestand oder einzelne Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt (vgl. BFH
vom 11. Juni 1997, X R 242/93, BFHE 183, 427, BStBl II 1997, 612). Dabei kann es sich
um einzelne Tatsachen, aber auch um eine Summe von Tatsachen handeln, die
ihrerseits den Sachverhalt ausmachen, der unter das Gesetz subsumiert wird (Loose in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 173 AO Tz. 2 m.w.N.).
52
Der Umstand, dass die Klägerin eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der A LLC
ist und der Lebensvorgang, dass die A LLC von der W AG - vor Versteigerung der
Grundstücke Z-Straße - die mit der Grundschuld in Höhe von e EUR besicherte
Darlehensforderung von der W AG erworben hat und die W AG zudem als Treuhänderin
für die A LLC als Treugeberin die Grundschuld treuhänderisch verwaltet hat, sind solche
neuen Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
53
Diese Tatsachen - zusammen mit dem Umstand, dass das Meistgebot in Höhe von x
EUR in Höhe von a EUR unter 7/10 des vom Amtsgericht nach § 74 a ZVG
festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b = c EUR) lag - machen den Sachverhalt aus,
der die einzelnen Tatbestandsmerkmale von §§ 8, 9 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG und § 114 a
ZVG erfüllt.
54
Diese Summe von Tatsachen ist dem Beklagten nachträglich bekannt geworden.
55
Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen sind solche, die zu dem für eine Aufhebung
oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch
unbekannt waren. Dabei kommt es für die Frage, ob eine Tatsache nachträglich bekannt
geworden ist, auf den Kenntnisstand der Personen an, die innerhalb der Finanzbehörde
dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (ständige Rechtsprechung
des BFH vgl. 1. April 1998 X R 150/95, BFHE 186, 70, BStBl II 1998, 569 m.w.N.).
Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei in der Regel die abschließende Zeichnung des
Steuerfalls durch den zuständigen Bearbeiter.
56
Die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle ist bei Erlass des ursprünglichen
Grunderwerbsteuerbescheides vom 27.08.2007 von einem unvollständigen Sachverhalt
ausgegangen. Denn im August 2007 waren ihr die Beteiligungsverhältnisse und die
Vereinbarungen der Muttergesellschaft der Klägerin, der A LLC, mit der W AG noch
nicht bekannt. Diese Kenntnis erlangte sie erst durch die Kontrollmitteilung des
Finanzamtes X-Stadt im Jahr 2009 (Blatt 8 der Grunderwerbsteuerakte). Zudem wurde
die Höhe des nach § 74 a ZVG festgestellten Verkehrswertes der Sachbearbeiterin erst
in dem Telefonat vom 13.05.2009 (vgl. Blatt 13 der Grunderwerbsteuerakte) mitgeteilt.
Die Tatsache, dass für die W AG eine Grundschuld zu Lasten der versteigerten
Grundstücke (Z-Straße) eingetragen war, wusste die Sachbearbeiterin erst, nachdem
sie am 11.05.2009 das Grundbuch eingesehen hat (vgl. Blatt 10 der
Grunderwerbsteuerakte).
57
Diese neuen Tatsachen sind auch rechtserheblich.
58
Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache ist erfüllt, wenn
das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. April 2010
VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). Wie das Finanzamt bei Kenntnis
59
bestimmter Tatsachen einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt
hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen
Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die Finanzämter bindenden
Verwaltungsanweisungen zur beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen
Bescheiderlasses durch das Finanzamt gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteil vom 15 März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461 m.w.N.). Wenn - wie hier
- zu der hier unmittelbar umstrittenen Rechtsfrage weder eine Rechtsprechung des BFH
noch bindende Verwaltungsanweisungen vorliegen, so ist aufgrund anderer Umstände
abzuschätzen, wie das Finanzamt in Kenntnis des vollständigen Sachverhaltes
entschieden hätte. Hierzu rechnen beispielsweise das Vorgehen in Parallelverfahren
und interne Schreiben und Mitteilungen (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08,
BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen hätte der Beklagte im Streitfall bei rechtzeitiger Kenntnis der
oben genannten Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Steuer
um f EUR höher festgesetzt. Denn das Finanzamt hätte die Steuer für den steuerbaren
und steuerpflichtigen Grundstückserwerb der Klägerin nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG
(Meistgebot für ein inländisches Grundstück im Zwangsversteigerungsverfahren) nicht
nur nach dem Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG)
in Höhe von x EUR bemessen, sondern die Behörde hätte mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit auch den Betrag, hinsichtlich derer die Muttergesellschaft der
Klägerin gemäß § 114a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt (a EUR), in die
Bemessungsgrundlage miteinbezogen. Dies ergibt sich aus der Kontrollmitteilung des
Finanzamtes X-Stadt vom .2009 (Blatt 8 der Grunderwerbsteuerakte) aus der
hervorgeht, dass die Finanzbehörde bereits in einem längeren Zeitraum vor dem .2009
zunächst in wenigen Parallelverfahren und dann – nachdem über die Einsprüche in
diesen Fällen entschieden wurde und die Klagefrist verstrichen war - in weiteren Fällen
die Differenz zu 7/10 des Verkehrswertes als zusätzliche Bemessungsgrundlage bei der
Grunderwerbsteuer erfasst habe. Aufgrund dieser Umstände geht der Senat davon aus,
dass das Finanzamt auch Mitte des Jahres 2007 nicht anders entschieden hätte. Andere
Schreiben und Mitteilungen, die für ein anderes Verhalten sprechen würden, sind nicht
ersichtlich. Der Hinweis der Klägerin auf den koordinierten Ländererlass vom
24.07.1987 FM Bayern führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Erlass betrifft nicht
den hier zu entscheidenden Sachverhalt.
60
Ob die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle des Beklagten seinerzeit die
Rechtsfrage tatsächlich auch genauso beurteilt hätte, wie die übrige Finanzverwaltung
in den vielen Parallelverfahren, kann dahinstehen. Auf das mutmaßliche Verhalten der
Sachbearbeiterin und deren individuelle Rechtskenntnisse kommt es insoweit nicht an
(vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I 216/85, BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715).
61
Die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist auch nicht nach Treu und Glauben
ausgeschlossen.
62
Nach Treu und Glauben ist eine Änderung unrechtmäßig, wenn dem Finanzamt die
nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner ihm
nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre (vgl. BFH
vom 24. Januar 2002, XI R 2/01, BFH/NV 2002, 715 m. w. N.). Eine solche Sachlage
liegt im Streitfall nicht vor.
63
Zwar hat der Beklagte bei Erlass des ursprünglichen Bescheides nicht ermittelt, dass
64
das Meistgebot in Höhe von x EUR um a EUR unter 7/10 des nach § 74 a ZVG
festgestellten Verkehrswertes (7/10 vom b EUR = c EUR) lag. Dies wäre aber nur dann
vom Finanzamt zu ermitteln gewesen, wenn irgendwelche Anhaltspunkte dafür
vorgelegen hätten, dass hier der Tatbestand des § 114a ZVG verwirklicht sein könnte
(z.B. Ersteigerung durch eine Kreditbank). Darüber hinaus wären der Sachbearbeiterin -
selbst wenn sie die Zwangsversteigerungsakte vom Amtsgericht beigezogen und
dadurch festgestellt hätte, dass das Meistgebot unter 7/10 des festgestellten
Grundstückswertes gelegen hat - die Beteiligungsverhältnisse zwischen der A LLC und
der Klägerin ebenso verborgen geblieben, wie die Vereinbarungen zwischen der W AG
und der A LLC. Auch wenn die Sachbearbeiterin der Grunderwerbsteuerstelle zusätzlich
in 2007 noch das Grundbuch eingesehen hätte, hätte sie hieraus immer noch nicht
erkennen können, dass die W AG die Grundschuld für die Muttergesellschaft der
Klägerin treuhänderisch verwaltet hat.
Da die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen dem Finanzamt bei
ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflichten verborgen geblieben wären,
kann auch dahinstehen, ob die Klägerin über die Leistung in Höhe von a EUR, die ihre
Muttergesellschaft an den Zwangsvollstreckungsschuldner erbracht hat, eine Anzeige
nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG hätte erstatten müssen und ggf. Mitwirkungspflichten
verletzt hat.
65
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt.
FGO). Der BFH hat– soweit ersichtlich – noch nicht über die Frage zu entscheiden
gehabt, ob die beim zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten eintretende
Befriedigungsfiktion nach § 114a ZVG bei dem Grundstückserwerb des Meistbietenden
Bestandteil der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage ist, wenn der
Meistbietende ein vom Berechtigten abhängiges Unternehmen ist.
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