Urteil des FG Düsseldorf vom 28.07.2003
FG Düsseldorf (Einkünfte, Bemessungsgrundlage, Arbeitslohn, Geschäftsführer, Vorsorge, Alter, Gesetzesänderung, Krankheit, Krankenversicherung, Unterliegen)
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 7 K 6232/00 E
28.07.2003
Finanzgericht Düsseldorf
7. Senat
Urteil
7 K 6232/00 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e st a n d:
Die Kläger wurden im Streitjahr gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt und bezogen
Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Die Klägerin war zum einen als
Geschäftsführerin einer GmbH tätig, insoweit betrugen ihre Einnahmen 97.500 DM, zum
anderen als Justizangestellte mit Einnahmen von 26.403 DM. Der Kläger bezog als GmbH-
Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 28.000 DM.
Der Beklagte berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1998 vom 01.02.2000 als
Bemessungsgrundlage zur Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a
EStG die Summe aller Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit, so dass ein
Vorwegabzug von 0 DM verblieb.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben.
Sie tragen vor:
Ziel der Kürzungsvorschrift sei es, die steuerfreie Zukunftssicherungsleistung
auszugleichen. Die Klägerin als beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführerin sei keine
rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmerin und finanziere ihre Altersversorgung aus
versteuerten Eigenmitteln selbst. Nur der Bruttoarbeitslohn aus dem Justizdienst unterliege
der Kürzungsvorschrift. Voraussetzung der Kürzung sei, dass der Arbeitgeber
Zukunftssicherungsleistungen i.S. von § 3 Nr. 62 EStG erbringe. Deshalb könne auch der
Arbeitslohn des Ehegatten nicht eingerechnet werden.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 vom 01.02.2000 in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.09.2000 die Einkommensteuer 1998 auf
35.728 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor:
Erziele der Arbeitnehmer sowohl Arbeitslohn, der zur Kürzung des Vorwegsabzugs führe,
als auch solchen Arbeitslohn, der für sich allein betrachtet nicht zu einer Kürzung führen
würde, seien beide Teile des Arbeitslohns in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung
einzubeziehen. Die Kürzung knüpfe nur an die Summe der Einnahmen. Die Bezugnahme
auf die Zukunftssicherungsleistungen beziehe sich nicht auf die Bemessungsgrundlage der
Kürzung, sondern umschreibe nur den betroffenen Personenkreis. Auf die Einnahmen des
Klägers komme es vorliegend nicht an, da bereits die Summe der Einnahmen der Klägerin
zu einer vollständigen Kürzung führe.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig
und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Zu Recht hat der Beklagte die Summe aller Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger
Tätigkeit als Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3
Nr. 2 Satz 2 a EStG berücksichtigt.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG ist der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen um
16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 EStG ohne
Versorgungsbezüge i.S. von § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung
des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. von § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der
Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Zu
letzterem Personenkreis gehört die Klägerin nicht; für ihre Zukunftssicherung werden aber
Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Die Tatsache, dass nur einer der beiden
Arbeitgeber Zukunftssicherungsleistungen erbringt, der andere - die GmbH - dagegen nicht,
führt nicht dazu, dass lediglich die aus der Beschäftigung bei der Justizvollzugsanstalt
resultierenden Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in die Bemessungsgrundlage für
die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen sind. Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofes (Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 71/00 BStBl II 2003,343) ist es für §
10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG unerheblich, ob der Arbeitgeber für sämtliche
Lohnaufwendungen Sozialversicherungsbeiträge zu leisten hat. Entscheidend für die
Kürzung ist, dass überhaupt Leistungen i.S. von § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden (vgl. auch
BFH vom 14. Juni 2000 XI R 57/99 BFH/NV 2000,1398). Der Vorwegabzug soll
insbesondere selbständig Tätigen einen Ausgleich dafür bieten, dass sie die Kosten ihrer
Zukunftssicherung allein aufbringen müssen (BFH vom 12. Oktober 1994 X R 260/93,
BFHE 175, 563, BStBl II 1995, 119; vom 27. Oktober 1998 X R 191/96, BFH/NV 1999, 608;
vom 19. Mai 1999 XI R 64/98, BFHE 189, 361, BStBl II 2001, 64; vom 16. Oktober 2002 XI
R 61/00 BStBl II 2003,183 und XI R 71/00 aaO.). Zu diesem Zweck wird der Vorwegabzug
zunächst allen Steuerpflichtigen gewährt, dann aber um 16 v.H. der Summe der
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gekürzt, wenn für die Zukunftssicherung des
Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind. Dabei
unterscheidet der Gesetzgeber nicht, ob die jeweiligen Einnahmen der
Sozialversicherungspflicht unterliegen oder sozialversicherungsfrei sind; vielmehr geht er
davon aus, dass ein Bedürfnis für den Vorwegabzug nicht besteht, wenn
Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteile vom 16. Oktober 2002 XI R 23/00
BFH/NV 2003,463; XI R 71/00 aaO.) handelt es sich dabei um
eine generalisierende gesetzliche Regelung, die aus dem Umstand, dass überhaupt
Zukunftssicherungsleistungen erbracht werden, darauf schließt, dass ein weiterer
Vorwegabzug nicht geboten ist; eine individuelle Berechnung, die auf die Höhe der in dem
jeweiligen Veranlagungszeitraum erbrachten Zukunftssicherungsleistungen oder auf die
Sozialversicherungspflicht der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abstellt, ist danach
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nicht geboten.
Im Streitfall muss die Klägerin Aufwendungen für ihre Zukunftssicherung nicht allein
aufbringen; vielmehr erbringt einer ihrer beiden Arbeitgeber für sie
Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG. Auf die Höhe dieser Leistungen
kommt es gerade nicht an (BFH vom 16. Oktober 2002 XI R 23/00 aaO.).
Soweit nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 14. April 2003 (XI B 226/02 DStR
2003,1020) die Einkünfte des Ehegatten, für dessen Zukunftssicherung keine Leistungen
nach § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung
des Vorwegabzugs einzubeziehen sind, liegt dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt
als der hier zu beurteilende zugrunde. Der BFH hatte über die Frage der Einbeziehung von
Einkünften des Ehegatten zu befinden, der über die gesetzliche Sozialversicherung des
anderen weder für den Fall der Krankheit noch für sein Alter versorgt war und dafür selbst
Vorsorge treffen musste, ohne dass sein Arbeitgeber Zukunftssicherungsleistungen für ihn
erbrachte. Um einen solchen Sachverhalt geht es vorliegend nicht. Die Einkünfte des
Ehegatten der Klägerin, der als GmbH-Geschäftsführer nichtselbständig tätig ist und keine
Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers erhält, sind hier unstreitig nicht zu
berücksichtigen. Dagegen ist bei der Klägerin, dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes
entsprechend, die Summe der Einkünfte aus ihren beiden nichtselbständigen Tätigkeiten
als Bemessungsgrundlage für den Vorwegabzug maßgebend. Denn die Klägerin muss die
Kosten ihrer Zukunftssicherung nicht allein aufbringen.
Zwar richtete sich nach dem früheren Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG - bis 1992
- die Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, mit der die
Alters- oder Krankenversicherung zusammenhing. Die Kürzung erfasste damit nicht alle
Einnahmen aus § 19 EStG. Die Gesetzesänderung ab 1993 durch das
Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I
2310; BStBl I 1994,50) sollte gerade die Kürzung des Vorwegabzugs durch eine
pauschalierende und typisierende Regelung grundlegend vereinfachen (so die
Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/5764,19). Soweit nach dem Beschluss des
Bundesfinanzhofes vom 14. April 2003 (aaO). Zweifel bestehen, ob der Gesetzgeber von
der früheren Regelung abrücken wollte, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen. Denn
der Gesetzgeber hat gerade durch die Neuregelung den früheren Wortlaut, der auf den
Zusammenhang zwischen jeweiligem Beschäftigungsverhältnis und Alters- bzw.
Krankenversorgung abstellte, geändert und eine pauschalierende und typisierende
Regelung zu Vereinfachungszwecken getroffen.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen aus Sicht des erkennenden Senates
nicht. Wie der XI. Senat des Bundesfinanzhofes mit Urteilen vom 16. Oktober 2002 (XI R
61/00 aaO.; XI R 71/00 aaO.; XI R 75/00 aaO.) ausgeführt hat, ist die pauschalierende
Kürzung des Vorwegabzugs nicht zu beanstanden. Es entspricht der gesetzgeberischen
Gestaltungsfreiheit, im Besteuerungsverfahren durch die Festlegung typisierender
Höchstgrenzen individuell gestaltbare Besonderheiten außer Acht zu lassen.
Dementsprechend war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, den Umfang der Kürzung des
Vorwegabzugs von der Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum zugeflossenen
Zukunftssicherungsleistungen abhängig zu machen (BFH vom 16. Oktober 2002 XI R
61/00 aaO.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen. Der Rechtsfrage, ob in
die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs alle Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit des Steuerpflichtigen auch dann einzubeziehen sind, wenn es
sich um zwei Beschäftigungsverhältnisse bei unterschiedlichen Arbeitgebern handelt, von
denen nur einer Zukunftssicherungsleistungen erbringt, ist bislang nicht höchstrichterlich
entschieden. Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 14. April 2003,
entschieden. Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 14. April 2003,
der von den Urteilen vom 16. Oktober 2002 abweicht, kommt der Frage darüber hinaus
grundsätzliche Bedeutung zu.