Urteil des FG Düsseldorf vom 16.10.2006
FG Düsseldorf: elterliche sorge, steuerfestsetzung, gefahr, haushalt, einspruch, steuervergütung, anschrift, wohnung, abgabenordnung, erlass
Finanzgericht Düsseldorf, 10 K 5832/04 Kg
Datum:
16.10.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 K 5832/04 Kg
Tenor:
Der Antrag, Herrn "A", "B-Str.", in "C", zu dem Verfahren beizuladen,
wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Strittig ist, ob das am 19. April 2002 geborene Kind "D" der Klägerin in der Zeit von
Januar bis November 2003 in den Haushalt der Klägerin oder den des Vaters des
Kindes aufgenommen war.
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Das Kind lebte bis Dezember 2002 in der gemeinsamen Wohnung des Vaters des
Kindes und der Klägerin. Die Klägerin meldete sich nach dem Auszug aus dieser
Wohnung am 15. Januar 2003 beim Einwohnermeldeamt mit anderer Anschrift um. Das
Kindergeld wurde entsprechend der Berechtigtenbestimmung im Kindergeldantrag vom
2. Mai 2002 weiterhin bis einschließlich November 2003 der Klägerin gezahlt. Nachdem
der Vater des Kindes am 6. November 2003 die Zahlung des Kindergeldes an sich
beantragt hatte, stellte die Beklagte die Zahlung des Kindergeldes an die Klägerin ein
und hob dessen Festsetzung - nach vorheriger Anhörung der Klägerin - durch Bescheid
vom 14. Juli 2004, der mangels erfolgreicher Bekanntgabe am 4. August 2004 unter
zutreffender Anschrift erneut bekannt gegeben wurde, ab Januar 2003 auf und forderte
das für die Zeit von Januar bis November 2003 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.694
Euro zurück.
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Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein, mit dem sie geltend machte, dass der Vater
des Kindes die Tochter keinesfalls voll bei sich aufgenommen habe. In der Zeit von
Januar bis November 2003 hätten er und sie sich die elterliche Sorge je Woche genau
geteilt. Erst seit Mai 2004 habe er das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhalten.
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Die Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 2. September
2004 als unbegründet zurück.
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Mit ihrer dagegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass ihre Tochter von Januar
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bis November 2003 vier Tage je Woche in ihrem Haushalt gelebt habe. Sie habe sich in
dieser Zeit ausschließlich allein um die Erziehung ihrer Tochter gekümmert und diese
persönlich versorgt und betreut.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Bescheid vom 14. Juli 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 2. September
2004 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie weist darauf hin, dass der Vater des Kindes eine Haushaltsbescheinigung für die
Tochter vorgelegt habe. Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes sei sie dort
ununterbrochen gemeldet gewesen. Letztlich sei die tatsächliche Zugehörigkeit des
Kindes zum Haushalt der Klägerin oder des Vaters des Kindes nicht zweifelsfrei zu
ermitteln. Allerdings widerspreche sich die Klägerin bei ihrem Vorbringen. So habe sie
noch im Einspruchsverfahren angegeben, dass beide Elternteile sich die Betreuung und
Versorgung des Kindes aufgeteilt hätten. Nunmehr behaupte sie, dass sie den
überwiegenden Anteil übernommen habe. Eine Festsetzung von Kindergeld für Januar
bis November 2003 gegenüber dem Vater des Kindes sei noch nicht erfolgt. Angesichts
der gleichwohl weiterhin bestehenden Gefahr einer Doppelzahlung sei dieser nach §
174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) beizuladen.
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II.
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Herr "A" ist nicht gemäß § 174 Abs. 5 AO 1977 zum Verfahren der Klägerin beizuladen.
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1. Nach § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO 1977 können, wenn aufgrund irriger Beurteilung
eines Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs
durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird, nachträglich durch Erlass oder
Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen
werden. Dritten gegenüber gilt diese Regelung nach § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 nur,
wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften
Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Ihre Beiladung zu diesem Verfahren ist
zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Die für die Steuerfestsetzung geltenden
Vorschriften sind auf die Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden (§
155 Abs. 4 AO 1977). Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) im laufenden Kalenderjahr monatlich als
Steuervergütung gezahlt.
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2. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO 1977 liegen nicht vor. Für
den Fall, dass die Beklagte die Haushaltszugehörigkeit des Kindes für den
Streitzeitraum irrig beurteilt haben sollte und deshalb der angefochtene Bescheid
aufzuheben wäre, wären aus diesem Sachverhalt gegenüber dem Vater des Kindes
keine steuerlichen Folgerungen zu ziehen. Vielmehr bliebe es dann bei der Festsetzung
des Kindergeldes gegenüber der Klägerin. Der Antrag des Vaters des Kindes, ihm für
den Streitzeitraum Kindergeld zu gewähren, wäre abzulehnen. Erst in einem sich daran
anschließenden, von ihm angestrengten Rechtsbehelfsverfahren wäre die Klägerin
hinzuziehen bzw. beizuladen, weil es dann zu widerstreitenden Festsetzungen kommen
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könnte, wenn der Rechtsbehelf des Vaters des Kindes Erfolg hätte. Der Ausgang des
vorliegenden Verfahrens hat aber für den Vater des Kindes keine Bedeutung, weil ihm
gegenüber für den Streitzeitraum noch keine Kindergeldfestsetzung erfolgt ist. Nur für
den Fall einer dem Dritten gegenüber bereits erfolgten Festsetzung besteht aber die
Gefahr einer "widerstreitenden Steuerfestsetzung", weshalb die Rechtsprechung
bislang auch nur für diesen Fall die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977
bejaht hat (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 16. April 2002 VIII B 171/01,
Bundessteuerblatt II 2002, 578, und vom 31. Januar 2006 III B 18/05, Sammlung der
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs 2006, 1046).
Die von der Beklagten angeführte Gefahr einer Doppelzahlung besteht
rein rechtlich
nicht. Hat die Klage der Klägerin Erfolg, so ist der Antrag des Vaters des Kindes
abzulehnen; erst in einem sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren wäre - wie
ausgeführt - die Klägerin zu seinem Verfahren hinzuziehen bzw. beizuladen, wodurch
die Grundlage dafür geschaffen würde, widerstreitende Steuerfestsetzungen zu
vermeiden. Hat die Klage keinen Erfolg, so kann das Kindergeld gegenüber dem Vater
des Kindes auch für den Streitzeitraum festgesetzt werden. Widerstreitende
Steuerfestsetzungen liegen auch dann nicht vor. Falls die Beklagte befürchtet, in diesem
Fall
rein tatsächlich
müssen, weil die Klägerin nicht in der Lage sein könnte, das an sie gezahlte Kindergeld
zurückzuzahlen, ist dem entgegenzuhalten, dass die Vermeidung derartiger
Rechtsnachteile nicht dem Sinn und Zweck des § 174 Abs. 5 AO 1977 entspricht. Die
Vorschrift soll lediglich die
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Änderung einer Steuerfestsetzung ermöglichen; sie soll dagegen nicht vor dem Ausfall
von Erstattungsansprüchen i. S. von § 37 Abs. 2 AO 1977 schützen.
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