Urteil des FG Düsseldorf vom 19.04.2006

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Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 4755/03 VSt
Datum:
19.04.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 4755/03 VSt
Tenor:
Das beklagte Hauptzollamt wird unter Aufhebung seines ablehnenden
Bescheids vom 8. Januar 2003 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2003 verpflichtet, der Klägerin
eine Erlaubnis zur Entnahme von nach § 9 Abs. 3 des
Stromsteuergesetzes ermäßigt besteuertem Strom zu erteilen.
Das beklagte Hauptzollamt trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
1
Die Klägerin - eine GmbH - wurde mit Vertrag vom 17. Dezember 2001 gegründet und
nahm ihre Geschäftstätigkeit zum 1. April 2002 auf. Der Gegenstand ihres
Unternehmens besteht nach dem Gesellschaftsvertrag in der Anarbeitung, dem
Großhandel sowie dem Im- und Export von Stahl- und Metallerzeugnissen, Stahl- und
Metallhalbzeug sowie Stahl- und Metallfertigerzeugnissen.
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Im Rumpfgeschäftsjahr 2002 entfielen 1,7 v.H. der von der Klägerin erzielten
Umsatzerlöse und 0,5 % der Wertschöpfung auf die reine Handelstätigkeit. 98,3 v.H.
ihrer Umsatzerlöse und 99,5 v.H. der Wertschöpfung entfielen auf das Spalten von
Warm- und Kaltbandstählen, das die Klägerin überwiegend - zu 69,8 v.H. ihrer
insgesamt erzielten Umsatzerlöse - in Lohnarbeit ausführte. Das Spalten der
angelieferten Warmbandringe (Stahlcoils) im Betrieb der Klägerin wird dergestalt
durchgeführt, dass die Ringe zunächst auf einer Längsteilanlage
(Warmbreitbandschere) in drei Teile gespalten werden. Die entstehenden Ringe werden
daraufhin unter Einsatz einer Walze dünner gewalzt und anschließend geglüht. Alsdann
werden die Ringe nochmals längsgeteilt und auf Paletten verpackt.
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Die Klägerin beantragte am 13. November 2002, ihr eine Erlaubnis zur Entnahme von
Strom zum nach § 9 Abs. 3 des Stromsteuergesetzes (StromStG) ermäßigten Steuersatz
zu erteilen. Dies lehnte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 8. Januar 2003
unter Hinweis darauf ab, dass es sich bei dem Unternehmen der Klägerin nicht um ein
solches des Produzierenden Gewerbes handele. Der Gegenstand des Unternehmens
der Klägerin sei der Stahlhandel, so dass es dem Abschnitt G und der Unterklasse
51.52 der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (WZ 93)
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zuzuordnen sei.
Den von der Klägerin gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies das beklagte
Hauptzollamt mit Entscheidung vom 21. Juli 2003 zurück und führte aus: Das im
Gesellschaftsvertrag der Klägerin genannte Anarbeiten von Stahl reiche nicht aus, ihr
Unternehmen dem Verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen. Hierbei handele es sich um
handelsübliche Manipulationen, was sich auch aus der Empfehlung der Kommission
vom 16. November 1994 (Empfehlung 94/780/EGKS) über die Statistiken des
Stahlhandels (ABl EG Nr. L 315/21) ergebe.
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Die Klägerin hat am 22. August 2003 Klage erhoben, mit der sie vorträgt: Sie erzeuge
durch das Spalten, das oftmals mehrere Vorgänge erfordere, um die von den Kunden
gewünschte Dimensionierung zu erreichen, kaltgewalzte Flacherzeugnisse in Rollen.
Diese Tätigkeit sei der Unterklasse 27.10 WZ 93 zuzuordnen. Die Bearbeitung der
Stahlcoils stelle keine handelsübliche Manipulation dar, weil es sich nicht nur um
geringfügige Bearbeitungsvorgänge handele und der Charakter der verarbeiteten Waren
grundlegend verändert werde. Es entstehe ein Endprodukt, das nach genauen Angaben
des Kunden hergestellt werde und von diesem weiterverwendet werde. Sie beschäftige
25 Arbeitnehmer und setze für das Spalten der Stahlcoils 21 gewerbliche Arbeitnehmer
ein. Die Bearbeitungsleistung beanspruche eine erhebliche Logistik, je nach Größe der
Coils seien mehrere Bearbeitungsvorgänge erforderlich. Der Unterschiedsbetrag
zwischen dem Einkaufspreis der ungespaltenen Stahlcoils und dem Verkaufspreis der
gespaltenen Coils betrage durchschnittlich 150 EUR je Tonne. Sie trage zudem allein
das Produktionsrisiko für die verarbeiteten Waren. Sie sei Eigentümerin der Waren,
soweit sie diese erwerbe, spalte und weiterveräußere. Ferner trage sie das Risko,
soweit Stahlcoils im Rahmen der Verarbeitung unbrauchbar würden. Da sie erheblichen
Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung der Produkte nehme und das
Produktionsrisiko trage, könne nach der Vorbemerkung 3.4 WZ 93 keine handelsübliche
Manipulation angenommen werden. Das beim Spalten oder Tafeln im Lohnauftrag
entstehende Spaltband oder Blech stelle ein Werkstück dar, so dass ihr Unternehmen
der Unterklasse 28.52.1 WZ 93 zuzuordnen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung seines ablehnenden Bescheids vom
8. Januar 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2003 zu
verpflichten, ihr eine Erlaubnis zur Entnahme von nach § 9 Abs. 3 StromStG
ermäßigt besteuertem Strom zu erteilen.
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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt es vor: Das Unternehmen der Klägerin könne nicht als solches
des Produzierenden Gewerbes angesehen werden. Bei dem Spalten von Stahlcoils
handele es sich um eine handelsübliche Manipulation i.S. der Vorbemerkung 3.5 WZ
93. Der wesentliche Charakter der Stahlcoils werde nicht beeinträchtigt. Die Klägerin
könne sich nicht auf die Vorbemerkung 3.4 WZ 93 berufen, weil sie keinen erheblichen
Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung der von ihr erworbenen bzw. zur Verfügung
gestellten Stahlcoils nehme und kein Produktionsrisiko trage. Der Umstand, dass die
Klägerin überwiegend Stahlcoils spalte, die ihr im Rahmen von Lohnaufträgen von den
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Kunden bereitgestellt würden, bedeute nach der Vorbemerkung 3.4 Satz 1 WZ 93 nur,
dass ihr Unternehmen so zu klassifizieren sei, als ob sie die handelsüblichen
Manipulationen auf eigene Rechnung durchführe. Das Unternehmen der Klägerin könne
auch nicht der Unterklasse 28.52.1 WZ 93 zugeordnet werden. Bei den Stahlcoils
handele es sich nicht um Werkstücke, sondern um Halbzeug. Ein Werkstück sei
demgegenüber ein Gegenstand, der in Herstellungsprozessen bearbeitet und bei
Montagen gehandhabt werde.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist begründet. Der ablehnende Bescheid des beklagten Hauptzollamts vom 8.
Januar 2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2003 ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klägerin hat nach § 9 Abs. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz
1 StromStG einen Anspruch auf die Erteilung der von ihr begehrten Erlaubnis. Der
Strom, den sie für betriebliche Zwecke entnehmen will, unterliegt nach § 9 Abs. 3
StromStG einem ermäßigten Steuersatz. Bei dem Unternehmen der Klägerin handelt es
sich um ein solches des Produzierenden Gewerbes.
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Nach § 2 Nr. 3 StromStG sind Unternehmen des Produzierenden Gewerbes unter
anderem Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, die einem entsprechenden
Wirtschaftszweig der WZ 93 zuzuordnen sind. Hierfür sind grundsätzlich die
Abgrenzungsmerkmale maßgebend, die in der WZ 93 und in deren Vorbemerkungen
genannt sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des
Stromsteuergesetzes - StromStV -). Die Zuordnung hat in enger Anlehnung an die
statistischen Zuordnungsmethoden nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen
Tätigkeit des betreffenden Unternehmens - bei der Klägerin im Kalenderjahr der
Antragstellung 2002 (§ 15 Abs. 6 Satz 1 StromStV) - zu erfolgen (Bundesfinanzhof -
BFH -. Beschluss vom 2. März 2005 VII B 173/04, BFH/NV 2005, 1390). Anders als das
beklagte Hauptzollamt meint, kann die Klassifikation der Wirtschaftszweige des
Statistischen Bundesamtes, Ausgabe 1979, auch nicht mehr für Auslegungszwecke
herangezogen werden. Denn § 2 Nr. 3 StromStG in der Fassung des am 1. Januar 2003
in Kraft getretenen Art. 2 des Gesetzes vom 23. Dezember 2002 (BGBl I, 4602) verweist
ausdrücklich nur noch auf die WZ 93. Für die Entscheidung über die vorliegende
Verpflichtungsklage ist diese Gesetzesfassung maßgeblich, weil im Streitfall der Erlass
eines gebundenen Verwaltungsaktes begehrt wird (BFH-Urteile vom 17. Mai 1977 VII R
101/76, BFHE 122, 376, BStBl II 1977, 706; vom 21. Juli 1992 VII R 28/91, BFH/NV
1993, 440).
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Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin lag im Kalenderjahr 2002
nach dem Anteil der Wertschöpfung und den von ihr erzielten Umsatzerlösen (§ 15 Abs.
2 Satz 3 Nr. 2 und 4 StromStV) in dem Spalten von Stahlringen (Stahlcoils). Dieses
Spalten der angelieferten Stahlbandringe auf einer Längsteilanlage, das sich hieran
anschließende Walzen und Glühen sowie das nochmalige Längsteilen der Ringe
werden von der Unterklasse 28.52.1 WZ 93 erfasst, so dass ihr Unternehmen dem
Verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen ist. Die Unterklasse 28.52.1 WZ 93 umfasst unter
anderem das Richten und Sägen von metallischen Werkstücken sowie ähnliche
Tätigkeiten ("usw."). Das Spalten, Glühen und Walzen der Stahlringe sind als derartige
ähnliche Tätigkeiten anzusehen. Entgegen der vom beklagten Hauptzollamt vertretenen
Auffassung sind die im Betrieb der Klägerin verarbeiteten Stahlringe nicht nur Halbzeug,
sondern Werkstücke i.S. der Unterklasse 28.52.1 WZ 93. Ein Werkstück ist bereits nach
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allgemeinem Sprachgebrauch ein Gegenstand, der noch weiter handwerklich oder
maschinell verarbeitet werden muss bzw. sich noch in der Herstellung oder Montage
befindet (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 6, S. 2869;
Brockhaus Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 6, S. 720; Brockhaus Enzyklopädie,
19. Aufl., 24. Band, S. 75). Die Stahlringe werden im Betrieb der Klägerin maschinell
weiter verarbeitet, befinden sich noch in der Herstellung zu späteren Fertigprodukten
und sind daher schon nach allgemeinem Sprachgebrauch Werkstücke. Der Begriff des
Werkstücks i.S. der Unterklasse 28.52.1 WZ 93 kann nicht einengend ausgelegt
werden. Gegen eine einengende Auslegung dieses Begriffs sprechen bereits die
Vorbemerkungen 2.3 Satz 1 und 2 WZ 93. Hiernach lassen sich alle Ebenen einer
Wirtschaftsklassifikation zwar durch die für sie charakteristischen Waren und
Dienstleistungen beschreiben. Allerdings ist hierbei immer auch die Beschreibung der
Tätigkeit zu berücksichtigen. Maßgebend für die Zuordnung zur Unterklasse 28.52.1 WZ
93 ist daher das Vorliegen einer der dort beschriebenen Tätigkeit in Bezug auf ein
metallisches Werkstück, d.h. einen metallischen Gegenstand, der handwerklich oder
maschinell verarbeitet wird. Für dieses Verständnis der Unterklasse 28.52.1 WZ 93
spricht zudem die Verordnung (EWG) Nr. 3696/93 (VO Nr. 3696/93) des Rates vom 29.
Oktober 1993 betreffend die statistische Güterklassifikation in Verbindung mit den
Wirtschaftszweigen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl EG Nr. L 342/1),
auf die in den Vorbemerkungen 2.3 Satz 4 WZ 93 Bezug genommen wird. Im Anhang
zur VO Nr. 3696/93 wird hinsichtlich der Kategorie 28.52.1 auf die "Mechanik, a.n.g." als
ein Verfahren der Behandlung von Metallen und nicht auf die Behandlung von
Werkstücken unter Ausschluss von Halbzeug abgestellt.
Demgegenüber kommt eine Zuordnung des Unternehmens der Klägerin zur Unterklasse
51.52.2 WZ 93 (Großhandel mit Eisen, Stahl, Eisen und Stahlhalbzeug) nicht in
Betracht. Bei dem Spalten, Glühen und Walzen der Stahlringe im Betrieb der Klägerin
handelt es sich nicht nur um eine handelsübliche Manipulation. Eine handelsübliche
Manipulation liegt vor, wenn die gekauften Waren vor ihrem Weiterverkauf nicht
wesentlich verändert werden, sondern lediglich der im Handel üblichen Behandlung
unterzogen werden (Vorbemerkungen 3.5 Abs. 1 Satz 2 WZ 93). Hierzu zählen z.B. das
Sortieren, Trennen, Zusammenstellen und Verpacken (Vorbemerkungen 3.5 Abs. 2 Satz
3 WZ 93). Die Bearbeitung der Warm- und Kaltbreitbänder im Betrieb der Klägerin kann
nicht als bloßes Trennen angesehen werden, das die Stahlcoils nicht wesentlich
verändert. Der umfangreiche Bearbeitungsvorgang, der im Spalten, Glühen und Walzen
der Breitbänder besteht, führt vielmehr dazu, dass aus diesen großflächigen
Erzeugnissen andere Waren, nämlich nach speziellen Kundenwünschen
dimensionierte und verarbeitete Erzeugnisse entstehen. Diese Waren sind nicht mehr
mit den angelieferten Stahlcoils zu vergleichen, die gänzlich andere Maße (Breite,
Dicke) aufweisen und so von den Kunden der Klägerin nicht bezogen werden.
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Das beklagte Hauptzollamt kann sich zur Begründung der von ihm vertretenen
abweichenden Ansicht nicht auf die Empfehlung der Kommission 94/780/EGKS
berufen. Unbeschadet dessen, dass es sich hierbei lediglich um eine nicht verbindliche
Empfehlung handelt, wird weder in den Vorbemerkungen noch in den Abschnitten der
WZ 93 hierauf Bezug genommen. Aus dieser Empfehlung können daher keine
Rückschlüsse für die Zuordnung eines Unternehmens zu einem Wirtschaftszweig der
WZ 93 gezogen werden. Dies ergibt sich überdies aus dem Anhang zur Empfehlung
94/780/EGKS betreffend die An- bzw. Umarbeitung von Eisen- und Stahlerzeugnissen
durch den Handel selbst (ABl EG vom 8. Dezember 1994 Nr. L 315/27). Dort wird zwar
das Längs- und Querteilen von Kalt- und Warmbreitband in einem Fragebogen als An-
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bzw. Umarbeitung von Eisen- und Stahlerzeugnissen durch den Handel erfasst. Dies
trifft jedoch auch für die dort unter B 4. beschriebene Oberflächenveredelung, wie das
Verzinken, das Kunststoffbeschichten und das Lackieren zu. Das sind indessen
Tätigkeiten, die von der Unterklasse 28.51.0 WZ 93 umfasst werden und daher der
Annahme eines Unternehmens des Verarbeitenden Gewerbes i.S. des § 2 Nr. 3
StromStG nicht entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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