Urteil des FG Düsseldorf vom 17.10.2005
FG Düsseldorf: olympische spiele, sportliche veranstaltung, einkünfte, finanzen, entstehungsgeschichte, begriff, behörde, konsum, veröffentlichung, lokal
Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 5617/04 E
Datum:
17.10.2005
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 5617/04 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreites einschließlich der
Kosten des Revisionsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Auszugsweise Veröffentlichung der Entscheidung:
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aus dem Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Beklagte gemäß § 50 Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) 1999
verpflichtet ist, einen Steuerabzugsbetrag im Sinne des § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG
in der Fassung des Artikel 1 Nr. 54 Buchstabe a des Gesetzes vom 24.03.1999 ganz
oder teilweise zu erlassen.
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aus den Entscheidungsgründen:
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Entscheidung des Beklagten, den Erlass der gemäß § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG
einzubehaltenden Einkommensteuer für die Auftritte der Kläger in Nordrhein-Westfalen
in der Zeit vom abzulehnen, ist rechtmäßig.
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Die Erlassentscheidung gemäß § 50 Abs. 7 EStG ist eine Ermessensentscheidung der
Finanzverwaltung, die gemäß § 102 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter
gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Die Erlassentscheidung darf vom Finanzgericht nur
daraufhin überprüft werden, ob sie rechtswidrig ist, weil die Behörde den
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entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer
dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Dabei darf das Finanzgericht nicht die allein maßgeblichen Verwaltungserwägungen
durch eigene Erwägungen ersetzen. Für die gerichtliche Prüfung sind diejenigen
tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten
Ermessensausübung bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. BFH-Urteil vom
11. Juni 1997 X R 14/95, BFHE 183, 21, BStBl II 1997, 642). Gleichwohl kann das
Gericht ausnahmsweise gemäß § 101 Satz 1 FGO eine Verpflichtung zum Erlass
aussprechen, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist,
dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog.
Ermessensreduktion auf Null BFH-Urteil vom 25. November 1997 IX R 28/96, BFHE
185, 94, BStBl II 1998, 550).
Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind die Einkünfte der Kläger aus den
Tanzveranstaltungen beschränkt steuerpflichtig. Steuerschuldner sind die Mitglieder des
Ensembles. Auch wenn - wie im Streitfall - die Vereinbarung über die künstlerischem
Auftritte im Inland mit einer Künstlergruppe abgeschlossen wurde, besteht die
Besonderheit, dass diese zivilrechtlich zwar Gläubiger der Vergütung im Sinne des § 50
a Abs. 5 Satz 2 EStG ist, nach der Systematik des EStG aber nicht beschränkt
steuerpflichtig sein kann (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 1995 I B 200/94, BFH/NV
1996, 311). Gemäß § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird die Einkommensteuer bei
beschränkt Steuerpflichtigen, die Einkünfte durch die Ausübung einer Tätigkeit als
Künstler erzielen, im Wege des Steuerabzuges erhoben. Für das Honorar der Mitglieder
des Schweizer Tanzensembles war somit grundsätzlich die Einkommensteuer durch
Steuerabzug zu erheben.
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Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Kläger steht gemäß Art. 17 DBA
Deutschland-Schweiz der Bundesrepublik Deutschland zu. Zwar wurden die
Veranstaltungen auch mit öffentlichen Mitteln des Ansässigkeitsstaates gefördert. Diese
Mittel erreichten jedoch keinen "erheblichen Umfang" im Sinne des Art. 17 Abs. 2 DBA
Deutschland-Schweiz, da sie weniger als 1/3 der Gesamtmittel ausmachten (vgl.
Kempermann in Flick-Wassermeyer-Wingert-Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz,
Art. 17 Tz. 16).
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Gemäß § 50 Abs. 7 EStG können die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von
ihnen beauftragen Finanzbehörden mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen
die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen ganz oder zum Teil erlassen
oder mit einem Pauschbetrag festsetzen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen
zweckmäßig ist oder eine gesonderte Berechnung der Einkünfte besonders schwierig
ist.
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Wann ein Erlass aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist, ergibt sich weder
aus § 50 Abs. 7 EStG noch aus § 34 c Abs. 5 EStG, der das gleiche
Tatbestandsmerkmal verwendet. Aus der Entstehungsgeschichte von § 50 Abs. 7 EStG
lässt sich ableiten, dass volkswirtschaftliche Gründe, die einen Erlass oder eine
Pauschalierung rechtfertigen, vorliegen, wenn die Allgemeinheit von der Tätigkeit des
Steuerpflichtigen durch die nachhaltige Förderung gesamtwirtschaftlicher Ziele im
Inland einen über das Normalmaß hinausgehenden Vorteil hat (vgl. Herkenroth in
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 50 EStG Rz. 483; Hessisches
Finanzgericht, Urteil vom 17. Dezember 1975 II 828/67, EFG 1976, 452 m. w. N.). Das
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Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 19. April 1978 2 BvL 2/75,
BverfGE 48, 210, BStBl II 1978, 548 zum Begriff "volkswirtschaftliche Gründe" in § 34 c
Abs. 3 EStG 1956, der dem heutigen § 34 c Abs. 5 EstG entsprach, entschieden, dass
dieser Begriff unter Berücksichtigung von Sinnzusammenhang, Zielsetzung und
Entstehungsgeschichte hinreichend konkretisiert sei. § 34 c Abs. 3 EStG 1956 sei auf
Ausnahmefälle beschränkt, nämlich auf die Regelung von besonderen Sachverhalten,
die im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von jeweiligen ausländischen handels- und
wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Schutz der eigenen Volkswirtschaft eine
schnelle, auf den Einzelfall bezogene entlastende Reaktion der Finanzbehörde
erforderten, Entscheidungen, die der Gesetzgeber selbst von der Natur der Sache her zu
treffen außerstande sei. Nach Ansicht des BMF im Schreiben vom 23. Januar 1996, IV B
4 - S 2303 - 14/96, BStBl I 1996, 89, Tz. 1.4 sind bei der Anwendung von § 50 Abs. 7
EStG auch wettbewerbs,- kultur- und sportpolitische Aspekte zu berücksichtigen, so
dass ein Erlass oder eine Steuermäßigung für im internationalen Wettbewerb stehende
Großveranstaltungen (z. B. Europa- und Weltmeisterschaften, Olympische Spiele) in
Betracht komme.
Nach Ansicht des Senats ist Mindestvoraussetzung für die Annahme eines
volkswirtschaftlichen Grundes als Voraussetzung für einen Steuererlass, dass die
Tätigkeit des beschränkt Steuerpflichtigen sich überhaupt auf die volkswirtschaftliche
Entwicklung auswirken kann, wie das z. B. bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 der
Fall ist. Eine entsprechende Prognose für eine kulturelle oder sportliche Veranstaltung
ist auf Grundlage der zu erwartenden Besucherzahlen und dem damit
korrespondierenden verstärkten privaten Konsum sowie der durch die Veranstaltung
ausgelösten privaten Investitionen zu machen. Außerdem muss es sich um eine
Veranstaltung handeln, deren wirtschaftliche Auswirkung nicht lediglich lokal begrenzt
ist (vgl. Balzerkiewicz/Voigt, BB 2005, 302).
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Anhaltspunkte dafür, dass der Auftritt des Tanzensemble derartige volkswirtschaftliche
Auswirkungen hatte bzw. haben konnte, wurden von den Beteiligten nicht vorgetragen
und sind für den Senat nicht ersichtlich.
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Zwar haben die obersten Finanzbehörden der Länder und der Bundesminister der
Finanzen von der Möglichkeit des Erlasses im Sinne des § 50 Abs. 7 EStG für Auftritte
ausländischer Kulturvereinigungen Gebrauch gemacht. Im BMF-Schreiben vom 20. Juli
1983 IV B 4 - S 2303 - 34/83, BStBl I 1983, 382 vertreten sie die Auffassung, dass
ausländische Kulturvereinigungen, soweit eine Freistellung im Inland nicht schon nach
den Vorschriften des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erfolgen
habe, von der inländischen Einkommensteuer gemäß § 50 Abs. 7 EStG freizustellen
seien.
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Die Regelung des BMF-Schreibens vom 20. Juli 1983 ist jedoch nicht vom Zweck des §
50 Abs. 7 EStG gedeckt. Es ist zum einen nicht erkennbar, ob das BMF-Schreiben am
Tatbestandsmerkmal "aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig" oder am
Tatbestandmerkmal "gesonderte Berechnung der Einkünfte besonders schwierig"
anknüpft. Weiterhin ist nicht erkennbar, um welche volkswirtschaftlichen Gründe es sich
handelt und warum diese Gründe bei Solisten und solistisch besetzten Ensemble sowie
bei nicht öffentlich geförderten Kulturvereinigungen nicht vorliegen. Wie oben bereits
dargelegt, haben die Beteiligten nicht zur Überzeugung des Senats darlegen können,
dass der Auftritt des Tanzensembles überhaupt volkswirtschaftliche Auswirkungen
hatte. Es ist auch nicht erkennbar, dass im Streitfall die Berechnung der Einkünfte
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besonders schwierig ist. Besonders schwierig muss die Berechnung der auf das Inland
entfallenden Einkünfte, d. h. die Aufteilung zwischen In- und Ausland und die
Zuordnung der den inländischen Einnahmeteilen zuzuordnenden Abzugsbeträge sein
(Herkenroth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 50 EStG Rz. 486). Im
Streitfall sind die einzelnen Ensemblemitglieder mit ihrem Anteil an den Einnahmen
bereits im Steuerbescheid anzugeben (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 1995 I B
200/94, BFH/NV 1996, 311).
Der Senat kann daher offen lassen, ob die Kläger Mitglieder einer Kulturvereinigung i. S.
d. BMF-Schreibens waren und ob der Ausschluss von Solisten und solistisch besetzten
Ensemblen mit dem aus Artikel 3 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Gebot
folgerichtiger Ausgestaltung steuerlicher Be- und Entlastungsgrundentscheidungen zu
vereinbaren ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. März 2002 II BvL 17/99, BStBl II 2002,
618; vom 30. September 1998 II BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88).
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Da schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50 Abs. 7 EStG für einen Erlass der
Einkommensteuer der Kläger im Streitfall nicht gegeben sind, hat der Beklagte den
Erlassantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat.
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