Urteil des FG Düsseldorf vom 02.01.2008

FG Düsseldorf: verordnung, europäisches recht, gewöhnlicher aufenthalt, stadt, ewr, staat, sozialversicherung, versicherungspflicht, freizügigkeit, auskunft

Finanzgericht Düsseldorf, 14 K 2546/07 Kg
Datum:
02.01.2008
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 2546/07 Kg
Tenor:
Der Bescheid vom 15. August 2006 und die Einspruchsentscheidung
vom 5. Juni 2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf
Gewährung von Kindergeld für seine Söhne Niklas, Petr und Bogdan
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger.
2
Er ist der Vater des am 16. Oktober 1995 geborenen Niklas, des am 19. September
1997 geborenen Petr und des am 17. September 1999 geborenen Bogdan. Alle drei
Kinder leben bei der Kindesmutter in Polen.
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Der Kläger ist in der Bundesrepublik Deutschland als Trockenbauer selbstständig tätig.
Wohnsitz und Betriebsstätte gab der Kläger zunächst mit "A-Straße. 1" in B-Stadt an.
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Am 1. März 2006 meldete sich der Kläger zur C-Straße. 2 in B-Stadt um. Dazu
überreichte er die erste Seite eines Mietvertrages über eine 20 qm große Wohnung an
der vorgenannten Adresse.
5
Unter dem 15. August 2005 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für
seine drei Kinder.
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Ausweislich des auszugsweise übersetzten Formulars "E 411" hatte die Kindesmutter
im Zeitraum 1. April 2005 bis 10. Oktober 2005 wegen des hohen Einkommens des
Klägers keinen Anspruch auf Familienleistungen. Desweiteren enthält das Formular
folgende "Informationen betreffend der Familienleistungen für die einzelnen
Familienmitglieder: Niklas – 43 Zl., Petr – 43 Zl., Bogdan – 53 Zl."
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Auf die Bitte des Beklagten, den Beginn des Mietverhältnisses in der A-Straße
nachzuweisen, legte der Kläger einen Mietvertrag vor, in dem jegliche Wohnanschrift
fehlt und die insgesamt sechs Personen als Mieter ausweist, wobei der Kläger als "Nr.
5" zwischen den mit Nummer 4 und 5 bezeichneten Mietern erwähnt ist. Der Mietvertrag
trägt das Datum: 15. Oktober 2004.
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Ausweislich einer Gewerbeummeldung hat der Kläger am 19. Oktober 2004 bei der
Handwerkskammer eine sog. Handwerkskarte beantragt.
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Mit Bescheid vom 15. August 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von
Kindergeld ab. Zur Begründung machte sie geltend, die Voraussetzungen des § 62
EStG seien nicht erfüllt.
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Am gleichen Tag ging bei der Beklagten eine Kopie der Gewerbeanmeldung des
Klägers vom 5. August 2004 ein. Dazu überreichte der Kläger nunmehr die Kopie eines
Mietvertrages über Dachgeschossräume in der A-Straße 1, ausweislich der das
Mietverhältnis ab dem 1. Juni 2005 bestand.
11
Mit Schreiben vom 27. August 2006 legte der Kläger sodann Einspruch ein. Zur
Begründung machte er geltend, sein gewöhnlicher Aufenthalt sei in Deutschland und
außerdem sei er unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
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Auf Nachfrage der Beklagten, ob er in einer Versicherung der selbständig
Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig sei, gab der
Kläger an, er sei weder versicherungs- noch beitragspflichtig in irgendwelchen sozialen
Versicherungen.
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Aufgrund einer weiteren Nachfrage der Beklagten zu einer Versicherungspflicht in Polen
überreichte der Kläger die Übersetzung einer polnischen Bescheinigung derzufolge er
der Sozialversicherung für Landwirte unterlag im Zeitraum vom "1.1.2006 – bis
weiterhin".
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Mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2007 lehnte die Beklagte den Einspruch des
Klägers als unbegründet ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger erfülle die
Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG für einen steuerrechtlichen
Kindergeldanspruch in Deutschland. Für das genannte Kind bestehe jedoch zugleich in
einem anderen Staat der Europäischen Union (EU) bzw. des Europäischen
Wirtschaftsraumes (EWR) oder der Schweiz ein Anspruch auf Kindergeld, nämlich in
Polen.
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Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-/EWR-
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Staaten und der Schweiz nach den Regelungen der Verordnung (EWG) 1408/71 (VO)
bzw. der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72 (DVO). Diese
Verordnungen gingen als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vor
und seien in Deutschland unmittelbar geltendes Recht (vgl. Art. 249 Abs. 2 des
Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft).
Unterliege der Antragsteller nach Art. 13-17 VO ausschließlich ausländischen
Rechtsvorschriften, so bestehe kein Anspruch auf deutsches Kindergeld. Dies sei der
Fall, wenn eine Pflichtversicherung im Heimatland bestehe.
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Der Kläger sei zwar als Selbständiger in Deutschland erwerbstätig, jedoch nicht in dem
gesonderten Alterssicherungssystem der Selbständigen oder in der gesetzlichen
Rentenversicherung versicherungspflichtig (s. Anhang I Teil I Buchstabe C VO).
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Vielmehr unterliege er kraft Gesetzes im Bereich Pensionen-Renten,
Krankenversicherung und Mutterschaftsversicherung der Sozialversicherung für
Landwirte in Polen. Dies schließe einen Anspruch auf deutsches Kindergeld aus.
19
Mit der am 6. Juli 2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
20
Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 15.
August 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2007 ab August
2005 für seine Kinder Niklas, Petr und Bogdan Kindergeld in der gesetzlichen
Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Einspruchsentscheidung.
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Auf Nachfrage des Gerichts hat die Handwerkskammer D-Stadt unter dem 12. Oktober
2007 mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 5. November 2004 mit dem Fliesen-, Platten-
und Mosaikleger- und Estrichlegerhandwerk in dem Verzeichnis der zulassungsfreien
Handwerke geführt wird.
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Am 29. November 2007 hat ein Erörterungstermin stattgefunden; auf das zugehörige
Protokoll wird Bezug genommen. Im Rahmen des Erörterungstermins haben sich die
Beteiligten mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf die Berichterstatterin als
Einzelrichterin und mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
28
Entscheidungsgründe
29
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten
damit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung –FGO).
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Die Klage ist begründet, soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass die Beklagte die
Festsetzung von Kindergeld für seine Söhne mit der Begründung verweigert hat, er
gehöre nicht zum Kreis der Personen, die nach § 62 EStG Anspruch auf Kindergeld hät-
ten. Insoweit ist der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
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Die Beklagte hat den Antrag auf Gewährung von Kindergeld für die Söhne Niklas, Petr
und Bogdan zuletzt mit der Begründung abgelehnt, man gehe davon aus, dass sich die
Frage der Anwendbarkeit deutschen Kindergeldrechts nach den Regelungen der
Verordnung (EWG) 1408/71 VO bzw. der dazu ergangenen Durchführungsverordnung
(EWG) 574/72 DVO bestimme. Da der Kläger nicht von dem persönlichen
Geltungsbereich der VO erfasst werde, sei deutsches Kindergeldrecht mithin nicht
anwendbar.
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Das Gericht ist der Auffassung, dass die Beklagte die Frage der Gewährung von deut-
schem Kindergeld ausgehend von den Regelungen des Einkommensteuergesetzes zu
prüfen hat und lediglich in diesem Zusammenhang die Frage zu klären ist, ob die Aus-
schlussklausel des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von speziellem europäischen Recht
(hier der EG-VO Nr. 1408/71 i.V.m. VO (EWG) Nr. 574/72) verdrängt wird, was im Er-
gebnis auszuschließen ist, weil der Kläger – was auch die Beklagte zuletzt eingeräumt
hat überhaupt nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der vorgenannten
Verordnung fällt.
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Das Gericht ist nicht verpflichtet, bis zur Spruchreife aufzuklären, ob der Kläger für den
Streitzeitraum nach inländischem Recht einen Anspruch auf Kindergeld für seine Söhne
hat. Es darf sich vielmehr darauf beschränken, die von der Beklagten für die Ablehnung
der Kindergeldfestsetzung angeführten Gründe auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (BFH-
Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, Bundessteuerblatt –BStBl II 2006, 184). Das Gericht
macht von dieser Befugnis Gebrauch, weil es weiterer Aufklärung bedarf, ob der Kläger
sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Danach war lediglich der angefochtene
Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Beklagte hat gemäß § 101
Satz 2 FGO über den Antrag des Klägers nach Maßgabe der nachfolgen-den
Ausführungen erneut zu entscheiden.
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Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat für Kinder i.S. des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld,
wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dass der
Kläger diese Voraussetzung erfüllt, ist nicht streitig. Der Kläger ist nach § 1 Abs. 1 EStG
in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Die
Meldebescheinigung der Stadt B-Stadt und die Gewerbe-Anmeldung lassen insoweit
auch keinen Zweifel zu.
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Nach § 62 Abs. 2 EStG ergibt sich für den Kindergeldanspruch des Klägers ebenfalls
keine Einschränkung. Der Kläger genießt seit dem Beitritt Polens zur EU am 1. Mai
2004 gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2
des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern
(FreizügigkeitsG/EU) Freizügigkeit (vgl. DA 62.4.3 der Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes DA-FamEStG vom 5. August 2004, BStBl I 2004, 742, i.d.F.
vom 13. Juni 2007).
36
Da die in Polen bei der Ehefrau des Klägers lebenden Söhne seit dem Beitritt Polens
zur EU am 1. Mai 2004 in einem EU-Mitgliedsstaat leben, scheitert der Anspruch auch
nicht an § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG.
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Ausgeschlossen sein könnte der Anspruch jedoch durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG,
wenn der Kläger oder seine Ehefrau während des Streitzeitraumes in Polen (teilweise)
Anspruch auf Leistungen für die Söhne hatten, die dem Kindergeld oder einer der in
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind.
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Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen, die
dem Kindergeld vergleichbar sind, im Ausland gewährt werden oder bei entsprechender
Antragstellung zu zahlen wären.
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Dabei regelt § 65 EStG die Anspruchskonkurrenz zwischen kindbezogenen innerstaatli-
chen Leistungen und vergleichbaren kindbezogenen ausländischen Leistungen, sofern
für Letztere nicht spezielles europäisches Recht oder Abkommensrecht gilt. Dement-
sprechend gilt § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Regel nicht für Leistungen von EU-
Mitgliedstaaten und EWR-Staaten; der grundsätzliche Ausschluss nach § 65 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 EStG tritt in Fällen, in denen ein Kindergeldanspruch sowohl im Inland als
auch in einem anderen EU-Staat in Betracht kommt, gegenüber vorrangigen zwischen-
staatlichen Regelungen zurück. Für EU-Bürger, zu denen die polnischen Staatsangehö-
rigen seit dem 1. Mai 2004 gehören, richtet sich die Frage des Kindergeldanspruchs
folglich in erster Linie nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni
1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstän-
dige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwan-
dern –VO (EWG) 1408/81 (aktualisierte Gesamtfassung in der Verordnung (EG) Nr.
118/797 des Rates vom 2. Dezember 1996 –VO (EG) 1118/97, Amtsblatt der Europäi-
schen Gemeinschaften –ABIEG Nr. L 28 vom 30. Januar 1997) i.V.m. der Verordnung
(EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG)
Nr. 1478/71 –VO (EWG) 574/72 (aktualisierte Gesamtfassung in der VO (EG) Nr. 118/97,
ABIEG Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, zum Anwendungsvorrang der VO vor § 65 EStG
vgl. auch BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, Sammlung amtlich nicht
veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofes BFH/NV 2002, 1581; FG
Brandenburg, Urteil vom 19. Juni 2002 6 K 2219/01, Entscheidungen der Finanzgerichte
–EFG 2002, 1314; FG Köln, Urteil vom 23. Juni 2005, 10 K 5712/04, EFG 2005, 1704).
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Vorliegend wird die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG jedoch nicht durch die
Verordnung Nr. 1408/71 sowie die Verordnung Nr. 574/72 verdrängt, denn das deut-
sche Kindergeld fällt zwar in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr.
1408/71 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, Bundessteuerblatt
BStBl II 2002, 869; Bundesverfassungsgericht –BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2004, 2
BvL 5/00, Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG –BVerfGE 110, 412), da
die Verordnung gemäß ihres Art. 4 Abs. 1 lit h) Familienleistungen wie das deutsche
Kindergeld umfasst. Der Kläger wird aber nach im Übrigen unstreitiger Auffassung der
Beteiligten nicht vom persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst. Denn
die Verordnung ist auf Selbständige nur anwendbar, wenn sie in einer alle Erwerbstäti-
gen umfassenden Altersversicherung versicherungs- oder beitragspflichtig sind (vgl.
dazu BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 54/00, BStBl II 2002, 869; FG Münster, Ur-
teil vom 26. Mai 2004, 1 K 2067/01, EFG 2004, 1849; Hessisches FG, Urteile vom 10.
Oktober 2006 2 K 958/06, n.v. und vom 23. Mai 2007, 3 K 3143/06, n.v.).
41
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger ist im Streitzeitraum zwar in der Bundesre-
publik Deutschland selbständig tätig gewesen, er unterliegt aber unstreitig nicht der
Versicherungspflicht der deutschen Rentenversicherung.
42
Nach dem danach maßgeblichen § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wäre der Anspruch auf
Festsetzung von Kindergeld nach dem EStG hier ausgeschlossen, wenn und soweit
dem Kläger in Polen Leistungen gewährt wurden bzw. werden oder bei entsprechender
Antragstellung zu gewähren (gewesen) wären, die dem Kindergeld vergleichbar sind.
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Die Frage lässt sich zur Zeit nicht abschließend beantworten.
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Der Kläger selbst hat im Erörterungstermin vorgetragen, er habe in Polen zunächst kein
Kindergeld beantragt, weil er deutsches Kindergeld habe erhalten wollen. Der
auszugsweisen Übersetzung des Formulars "E 411" ist hingegen zu entnehmen, dass
jedenfalls für den Zeitraum von April 2005 bis Oktober 2005 kein Anspruch auf
Familienleistungen bestanden haben soll, weil das Einkommen des Klägers zu hoch
war. Gegebenenfalls wird bei der zuständigen polnischen Behörde eine ausführliche
Auskunft einzuholen sein, der die Gewährung der dem Kindergeld entsprechenden
Leistungen nach Zeiträumen gestaffelt (August 2005 bis August 2006, ab September
2006 etc.) zu entnehmen ist.
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Sollte sich dabei herausstellen, dass der Kläger und seine Ehefrau einen
Kindergeldanspruch in Polen – und sei es auch nur zeitweise nicht geltend gemacht
haben, wird die Beklagte durch Einholung einer Auskunft der zuständigen polnischen
Behörde zu klären haben, ob dem Kläger oder seine Ehefrau Kindergeld zugestanden
hätte, wenn sie es beantragt hätten und falls nicht, worauf die Verweigerung polnischen
Kindergeldes ggf. beruht (womöglich tatsächlich zu hohes Familieneinkommen etc.).
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Sollten dem Kläger oder seiner Ehefrau im Streitzeitraum – auch nur zeitweise
polnische Familienleistungen gezahlt worden sein, müsste die Beklagte folgendes
klären:
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Zunächst wäre zu ermitteln, wie hoch die ggf. gewährten polnischen Familienleistungen
in den unterschiedlichen Zeiträumen waren und sodann eine Entscheidung
dahingehend zu fällen, ob diese polnischen Leistungen und das deutsche Kindergeld
vergleichbar sind.
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Die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leistungen richtet sich nicht nach der
rechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs, sondern nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Zur Vermeidung von Doppelleistungen kommt es lediglich darauf an,
ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das
Kindergeld (BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 III B 9/05, BFH/NV 2005, 2007 m.w.N.).
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Im Anschluss daran wird in diesem Zusammenhang zu überlegen sein, ob die Aussage
des BVerfG, wonach es denkbar wäre, dass bei ganz geringfügigen ausländischen
Leistungen die funktionelle Vergleichbarkeit entfallen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 142 unter C.II 3.b)aa) (1)(a), letzter Satz), für
das vorliegende Verfahren Relevanz hat, d.h. ausnahmsweise womöglich trotz des
Bezuges polnischen Kindergeldes die Gewährung deutschen Kindergeldes nicht nach
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 2.
Juni 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184).
51
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3,
155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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