Urteil des FG Düsseldorf vom 26.11.2008

FG Düsseldorf: treu und glauben, widerruf, verwaltungsakt, einspruch, auskunft, arbeitslohn, unterliegen, steuerfestsetzung, anfechtungsklage, zukunft

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 4895/07 AO
Datum:
26.11.2008
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 4895/07 AO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 2000 Mitglied der Zusatzversorgungskasse der
Stadt X (ZVK). Mit der Mitgliedschaft verfolgte sie den Zweck, ihren Arbeitnehmern, die
einen tarifvertraglichen Anspruch auf eine zusätzliche Alters- und
Hinterbliebenenversorgung hatten, einen zusätzlichen Versorgungsanspruch zu
verschaffen. Auf Grund einer am 10. Januar 2001 zwischen der ZVK und der Y-
Zusatzversorgungskasse Z (Y-ZVK) abgeschlossenen Vereinbarung übernahm diese
das Vermögen der ZVK. Die bisherigen Mitglieder der ZVK wurden mit Wirkung ab dem
1. Januar 2001 Mitglieder der Y-ZVK und hatten zum Ausgleich der mit der Übernahme
für die Y-ZVK verbundenen Nachteile eine Ausgleichszahlung zu leisten. Mit der
Klägerin wurde ein von ihr ab dem Jahr 2001 in 15 Raten zu zahlender
Ausgleichsbetrag von 49.000.000 DM vereinbart. Die Klägerin behandelte die
Zahlungen des Nachteilsausgleichs als geldwerten Vorteil ihrer Arbeitnehmer und
erhob hierauf Lohnsteuer nach dem Pauschalsteuersatz des § 40b des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Soweit der Höchstbetrag für eine Pauschalierung
der Lohnsteuer überschritten wurde, erhob sie die Lohnsteuer nach einem individuellen
Steuersatz.
2
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 14. September 2005 VI R 148/98
(BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532) entschieden hatte, dass einem Arbeitnehmer kein
Arbeitslohn zufließt, wenn dessen Arbeitgeber beim Wechsel zu einer anderen
umlagefinanzierten Zusatzversorgungskasse Sonderzahlungen leistet, beantragte die
Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 beim beklagten Finanzamt, ihr eine
Anrufungsauskunft über die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Rückabwicklung der
Versteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen zu erteilen. Sie bat um Bestätigung,
3
dass die Nachteilsausgleichszahlungen künftig nicht mehr der Lohnsteuer zu
unterwerfen seien. Ferner teilte sie unter Nr. 3 ihres Schreibens ihre Absicht mit, die
Versteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen im laufenden Kalenderjahr dergestalt
rückgängig zu machen, dass die zu stornierenden Beträge als negative Einnahmen vom
Arbeitslohn abgesetzt würden. Die in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2004 zu
Unrecht der Lohnsteuer unterworfenen Beträge sollten in den Veranlagungszeiträumen
2005 und 2006 als negative Einnahmen behandelt werden. Den nicht mehr bei ihr
beschäftigten Arbeitnehmern werde sie auf Wunsch eine Bescheinigung über die zu
Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen ausstellen. Der
Erstattungsanspruch, der für die in den Jahren 2002 bis 2005 fälschlicherweise
pauschal versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen entstanden sei, solle im
kommenden Abrechnungszeitraum mit entsprechenden Zahlungen verrechnet werden.
Das beklagte Finanzamt erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 29. Juni 2006 eine
Anrufungsauskunft, mit der es bestätigte, dass die bis zum 31. Dezember 2005 von der
Klägerin erbrachten Nachteilsausgleichszahlungen nicht der Lohnsteuer unterliegen
würden. Des weiteren stimmte das beklagte Finanzamt der von der Klägerin geplanten
und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 dargestellten Vorgehensweise
"grundsätzlich" zu.
4
Mit Schreiben vom 20. September 2006 widerrief das beklagte Finanzamt seine
Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6.
Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise. Es lägen keine negative Einnahmen i.S.
des § 11 Abs. 2 EStG vor, weil die bisher versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen
nicht zurückgezahlt würden. Die Zahlungen an die Y-ZVK würden auf Grund des BFH-
Urteils in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 lediglich nicht mehr als steuerpflichtiger
Arbeitslohn behandelt. Eine Erstattung der für die Zahlungen bis zum
Veranlagungszeitraum 2005 entrichteten Lohnsteuerbeträge komme nur dann in
Betracht, wenn die Lohnsteueranmeldungen nach den Vorschriften der
Abgabenordnung (AO) noch geändert werden könnten.
5
Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch verwarf das beklagte Finanzamt
mit Entscheidung vom 26. November 2007 als unzulässig und führte aus: Ein Einspruch
gegen den Widerruf der Anrufungsauskunft sei unzulässig, weil es sich bei dieser
Auskunft nicht um einen Verwaltungsakt handele.
6
Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die Anrufungsauskunft sei ein feststellender
Verwaltungsakt mit Drittwirkung, so dass der Widerruf gleichfalls ein Verwaltungsakt sei.
Die Voraussetzungen der §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO lägen nicht vor. Das beklagte
Finanzamt habe sie vor dem Erlass des Widerrufs nicht angehört. Sie habe zumindest
ein berechtigtes Interesse daran, dass die Rechtswidrigkeit des Widerrufs der
Anrufungsauskunft festgestellt werde. Bei der Ausübung des Ermessens sei zu
berücksichtigen gewesen, dass in der Anrufungsauskunft zu Recht von negativen
Einnahmen ausgegangen worden sei. Mit der in der Auskunft geregelten
Verfahrensweise sei nur die Rechtmäßigkeit der Besteuerung wiederhergestellt worden,
weil in der Vergangenheit auf die Nachteilsausgleichszahlungen zu Unrecht Lohnsteuer
erhoben worden sei. Die Besteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen habe auf
einer Fiktion beruht. Daher sei es unerheblich, wenn bei der als negative Einnahmen
behandelten Rückgängigmachung tatsächlich kein Abfluss festgestellt werden könne.
7
Die Klägerin beantragt,
8
1. den Widerruf vom 20. September 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 26. November 2007 aufzuheben;
2. hilfsweise festzustellen, dass der Widerruf der Anrufungsauskunft vom 29. Juni
2006 rechtswidrig ist.
9
10
Das beklagte Finanzamt beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung trägt es vor: Bei einer Anrufungsauskunft handele es sich nicht um
einen mit dem Einspruch anfechtbaren Verwaltungsakt. Im Übrigen sei der Widerruf der
Anrufungsauskunft aus den dargelegten Gründen zwingend geboten gewesen.
13
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
14
Die von der Klägerin in erster Linie erhobene Anfechtungsklage ist unzulässig. Nach §
40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann durch Anfechtungsklage die
Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Bei dem Widerruf
vom 20. September 2006 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt i.S. des § 118
AO, weil auch die Anrufungsauskunft selbst in Ermangelung der Regelung eines
Einzelfalls kein Verwaltungsakt ist.
15
Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei einer Anrufungsauskunft (§ 42e
EStG) nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine Wissenserklärung, die von der
Finanzbehörde jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann (BFH-
Urteil vom 9. März 1979 VI R 185/76, BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451; Finanzgericht -
FG - Düsseldorf, Urteil vom 8. Mai 2003 15 K 1455/00 H (L), EFG 2003, 1105;
Niedersächsisches FG, Urteil vom 14. Oktober 2005 11 K 626/02, juris). Anders als die
Klägerin meint, ist das BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451 nicht nur zur
Reichsabgabenordnung ergangen. Vielmehr hat der BFH seine in dem vorgenannten
Urteil vertretene Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90,
(BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166) aufrecht erhalten. Das von der Klägerin genannte
BFH-Urteil vom 16. November 2005 VI R 23/02 (BFHE 212, 59, BStBl II 2006, 210) ist
unergiebig, weil es sich nur zur Reichweite der aus dem Grundsatz von Treu und
Glauben abgeleiteten Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft verhält.
16
Der Widerruf vom 20. September 2006 und die Anrufungsauskunft selbst sind vom
beklagten Finanzamt auch nicht als Verwaltungsakte erlassen worden. Ob ein
Verwaltungsakt oder lediglich eine behördliche Mitteilung ohne Regelungscharakter
vorliegt, ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs danach zu beurteilen, wie der Adressat nach den ihm bekannten
Umständen den materiellen Gehalt der behördlichen Äußerung unter Berücksichtigung
von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 15. November 2005 VII R
55/04, BFHE 212, 297).
17
Mit seinem Schreiben vom 20. September 2006 hat das beklagte Finanzamt seine
Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6.
Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise widerrufen. Diese Zustimmung hatte das
beklagte Finanzamt in der Anrufungsauskunft lediglich "grundsätzlich" erklärt, ohne
mögliche Einschränkungen dieses Grundsatzes näher zu konkretisieren. Es konnte
daher für die Klägerin kein Zweifel daran bestehen, dass das beklagte Finanzamt keine
verbindliche Regelung getroffen hatte. Überdies ist weder der Anrufungsauskunft noch
dem Widerruf eine Rechtsbehelfsbelehrung hinzugefügt worden.
18
Das beklagte Finanzamt hat den von der Klägerin eingelegten Einspruch mithin zu
Recht gemäß § 358 Satz 2 AO als unzulässig verworfen. Der Einspruch gegen den
Widerruf der Anrufungsauskunft war mangels Vorliegens einer Verwaltungsakts nicht
statthaft (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO).
19
Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist zulässig. Nach § 41 Abs. 1 FGO kann
durch Klage unter anderem das Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses festgestellt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an
der baldigen Feststellung hat. Bei der Frage, ob der Widerruf der Anrufungsauskunft zu
Recht erfolgt ist, handelt es sich um ein Rechtsverhältnis. Die Klägerin hat auch ein
berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung. Sie wird von dem Widerruf
unmittelbar betroffen. Es besteht zudem Streit mit dem beklagten Finanzamt über die
Rechtmäßigkeit des Widerrufs.
20
Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Widerruf der Anrufungsauskunft
vom 29. Juni 2006 ist rechtmäßig.
21
Eine Anrufungsauskunft kann von der Finanzbehörde jederzeit mit Wirkung für die
Zukunft widerrufen werden (BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451). Die §§
130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO gelten insoweit nicht, weil es sich nicht um die Rücknahme
oder den Widerruf eines Verwaltungsakts handelt. Daher bedurfte es nach § 91 Abs. 1
Satz 1 AO auch nicht einer vorherigen Anhörung der Klägerin.
22
Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ist der Widerruf der
Anrufungsauskunft nicht deshalb rechtswidrig, weil mit der Auskunft die Rechtmäßigkeit
der Besteuerung wiederhergestellt worden ist. Der Widerruf bezieht sich lediglich auf die
vom beklagten Finanzamt erklärte Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und
unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise.
Soweit das beklagte Finanzamt der Klägerin in der Anrufungsauskunft bestätigt hat,
dass die bis zum 31. Dezember 2005 von ihr erbrachten Nachteilsausgleichszahlungen
nicht der Lohnsteuer unterliegen, hat es seine Auskunft nicht widerrufen. Das beklagte
Finanzamt ist bei dem Widerruf der Anrufungsauskunft zudem zu Recht davon
ausgegangen, dass keine negativen Einnahmen der Arbeitnehmer der Klägerin i.S. des
§ 11 Abs. 2 EStG vorliegen. Es ist nicht ersichtlich, dass auf Grund der in den
Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2004 zu Unrecht der Lohnsteuer unterworfenen
Nachteilsausgleichszahlungen in den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006
Ausgaben der Arbeitnehmer der Klägerin i.S. des § 11 Abs. 2 EStG vorliegen. Die
Klägerin räumt selbst ein, dass die Annahme von negativen Einnahmen ihrer
Arbeitnehmer auf einer Fiktion beruhe. Sie hat vielmehr in der Vergangenheit objektiv
unzutreffende Lohnsteueranmeldungen (§ 41a EStG) abgegeben, soweit sie die
Nachteilsausgleichszahlungen an die Y-ZVK als Arbeitslohn behandelt hat. Diese
Steueranmeldungen, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem
23
Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen, können nach den §§ 172 ff. AO geändert
werden, soweit die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO;
BFH-Urteil vom 15. Mai 1992 VI R 183/88, BFHE 168, 505, BStBl II 1993, 829). Im
Übrigen wirkt die Anmeldung der Lohnsteuer nur gegenüber dem Arbeitgeber als eine
Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, so dass der Arbeitnehmer die
Erstattung der zu Unrecht einbehaltenen Lohnsteuer verlangen kann, soweit die
Festsetzung der Einkommensteuer mit Erfolg angefochten wird (Boeker in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 37 Randnr. 38; Drüen in Tipke/Kruse, AO § 37
Randnr. 31).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VI
R 54/07 zugelassen.
24