Urteil des FG Düsseldorf vom 06.04.2006

FG Düsseldorf: freizügigkeit der arbeitnehmer, nahestehende person, expatriates, europarechtskonforme auslegung, arbeitslohn, holding, versicherungsträger, steuerbefreiung, prüfer, untätigkeitsklage

Finanzgericht Düsseldorf, 15 K 3630/04 H(L)
Datum:
06.04.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 3630/04 H(L)
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Einordnungen von Zahlungen der Klägerin zur
Zukunftssicherung und Altersversorgung für bei ihr tätige ausländische Arbeitnehmer als
geldwerten Vorteil.
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Die Klägerin ist eine Tochtergesellschaft der "B Holding GmbH" mit Sitz in "F-Stadt".
"...". Die Klägerin beschäftigte rd. 100 Arbeitnehmer. Darunter waren ausländische
Mitarbeiter der (schwedischen) "B"-Gruppe (sog. Expatriates). Die Beschäftigungsdauer
der Expatriates im Inland war unterschiedlich. Sie beschränkte sich teilweise auf zwei
bis drei Jahre, teilweise dauerte sie unbegrenzt an. Im Streitzeitraum waren bei der
Klägerin drei Personen mit schwedischer und niederländischer Staatsangehörigkeit
beschäftigt. Diese unterlagen auch der inländischen Sozialversicherungspflicht. Die
Klägerin führte für diese Arbeitnehmer Arbeitgeberanteile an die Sozialversicherung ab.
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Zur Organisation der Angelegenheiten der international tätigen Expatriates wurde
seitens der "B"-Gruppe 1984 die "Q" Ltd. mit Sitz in "M-Stadt (Großbritanien)" gegründet.
Die "Q" Ltd. unterstützte die Unternehmen der "B"-Gruppe in allen Fragen, die im
Zusammenhang mit der Beschäftigung von Expatriates auftraten. Zu dem
Aufgabenbereich der "Q" Ltd. zählte u. a. auch die Sicherstellung der Altersversorgung
und Zukunftssicherung für die international tätigen Mitarbeiter. Die "Q" Ltd. übernahm
die Zahlungen zur Zukunftssicherung und Altersversorgung der außerhalb ihres
Heimatlandes eingesetzten Arbeitnehmer, d. h. auch für ausländische Arbeitnehmer, die
bei deutschen "B"-Gesellschaften tätig waren sowie für deutsche Arbeitnehmer, die bei
"B"-Gesellschaften im Ausland beschäftigt waren. Die bei der "Q" Ltd. angefallenen
Kosten wurden an die Unternehmen der "B"-Gruppe weiterbelastet. Dazu gehörte auch
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die Klägerin. Den Zahlungen der Klägerin an die "Q" Ltd. lagen tarifvertraglich
ausgehandelte Pensionspläne für Angestellte und Arbeiter zugrunde, die von der "B"-
Gruppe zwingend eingerichtet werden mussten. Nach diesen tarifvertraglichen
Regelungen hatte die "B"-Gruppe die ins Ausland entsandten Arbeitnehmer
sozialversicherungsrechtlich so zu stellen, als ob diese ununterbrochen in Schweden
tätig gewesen seien. Für die in Deutschland tätigen Expatriates leistete die "Q" Ltd.
daher neben Zahlungen zur internationalen Kranken- und Gruppenunfallversicherung
auch Zahlungen zu internationalen Pensionsversicherungen. Im Streitfall handelte es
sich dabei um Zahlungen an niederländische und schwedische
Versicherungsunternehmen. Ziel dieser Zahlungen war, die Ruhegehaltszahlungen der
betreffenden Expatriates an die Zahlungen anzugleichen, die der Expatriate bei
ununterbrochener Versicherung in seinem Heimatland bei einem bestimmten
Jahresgehalt erhalten hätte. Damit sollten Rentenausfälle während der Abwesenheit im
Heimatland verhindert werden. Die "Q" Ltd. leistete dabei die Versicherungsbeiträge
direkt an das Versicherungsunternehmen. Der betroffene Arbeitnehmer hatte unmittelbar
gegenüber dem Versicherungsunternehmen einen Anspruch auf die
Versicherungsleistung. Hinsichtlich der Einzelheiten der geleisteten
Zukunftssicherungsleistungen ("...") wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom
22.06.2004 (Blatt 1 ff. der FG-Akte) verwiesen.
Die Klägerin behandelte die Aufwendungen, die ihr von der "Q" Ltd. für die
Altersversorgung weiterbelastet wurden, in den Jahren 1995 bis 1999 als nicht
steuerpflichtigen Arbeitslohn. Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten
Lohnsteueraußenprüfung durch die Zentrale Außenprüfungsstelle für Lohnsteuer -
ZALSt - des Finanzamts "F-Stadt" für den Zeitraum 01.07.1991 bis 31.12.1995 wurde
diese Vorgehensweise nicht beanstandet (vgl. den Bericht über die Lohnsteuer-
Außenprüfung vom 14.03.1996).
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Vom 01.12.1999 bis zum 26.06.2000 fand bei der Klägerin eine erneute
Lohnsteueraußenprüfung für den Zeitraum 01.01.1996 bis 31.12.1999 durch die ZALSt
statt. Der Prüfer behandelte die von der "Q" Ltd. gezahlten Beiträge zur Altersvorsorge
für die ausländischen Arbeitnehmer nunmehr als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Denn in
dieser Höhe waren sie nach Auffassung des Prüfers den deutschen gesetzlichen
Sozialversicherungsbeiträgen gleichzustellen. Der Prüfer und die Klägerin
verständigten sich dahingehend, dass die gesamten Beiträge zur Altersversorgung für
alle "B"-Konzerngesellschaften bei der Muttergesellschaft "B" Holding GmbH erfasst
werden. Demzufolge erfolgte auf der Ebene der "B" Holding GmbH die lohnsteuerliche
Erfassung der Beiträge zur Altersversorgung. Zudem hatten sich die "B" Holding GmbH
und der Prüfer dahin verständigt, eine hälftige Lohnversteuerung dieser
Zukunftssicherungsbeiträge durchzuführen. Die zuständige Aufsichtsbehörde
(Oberfinanzdirektion "S") stimmte dieser Verständigung jedoch nicht zu. Daraufhin
wurde der Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 20.11.2000 bei der "B" Holding
GmbH aufgehoben und eine Lohnsteuernachforderung bei den einzelnen betroffenen
Tochtergesellschaften, darunter die Klägerin mit Nachforderungsbescheid vom
04.07.2002, durchgeführt. Diese Lohnsteuernachforderungsbescheide wurden jedoch in
der Folgezeit aufgehoben und durch Einkommensteuerveranlagungen gegenüber den
betroffenen Expatriates in Deutschland ersetzt. Lediglich bei den Arbeitnehmern, die
infolge Versetzung ins Ausland im Inland nicht mehr zu ermitteln waren, wurde die
Lohnsteuer im Rahmen von Haftungsbescheiden erneut gegenüber den einzelnen
Konzerngesellschaften erhoben. Dies erfolgte zuletzt bei der Klägerin mit
Haftungsbescheid vom 12.08.2003. Dabei wurden die Zukunftssicherungsleistungen in
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vollständiger Höhe der Besteuerung unterworfen. Die nachgeforderte Lohnsteuer belief
sich auf 54.716,00 EUR.
Die Klägerin legte gegen diesen Haftungsbescheid vom 12.08.2003 Einspruch ein. Eine
Einspruchsentscheidung erging bislang nicht. Die Klägerin erhob daher am 23.06.2004
die nunmehr anhängige Klage.
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Mit ihrer Klage ist die Klägerin der Auffassung, der Lohnsteuerhaftungsbescheid vom
12.08.2003 sei rechtswidrig. Denn in Deutschland werde eine Lohnsteuerpflicht der
Zuwendungen zur Altersversorgung vorgelagert im Zeitpunkt der Beitragsleistung
angenommen, während in nahezu allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union mit Ausnahme Deutschlands und Luxemburgs das Konzept der nachgelagerten
Besteuerung verfolgt werde. Durch die Lohnversteuerung der
Zukunftssicherungsleistungen komme es zu einer Doppelbesteuerung, da das
Finanzamt unter Berufung auf das deutsche Einkommensteuerrecht einen Abzug der
Beiträge als Werbungskosten oder Sonderausgaben und damit die steuerfreie
Auszahlung durch den Arbeitnehmer ablehne. Im Ergebnis versteuerten daher die
betroffenen schwedischen oder niederländischen Arbeitnehmer die Beiträge im
Zeitpunkt der Beitragsleistung in Deutschland sowie bei Rückkehr in ihr jeweiliges
Heimatland ein zweites Mal in Schweden bzw. in den Niederlanden bei Bezug der
Altersversorgungsleistungen. Dies führe zu einer Benachteiligung der Arbeitnehmer, die
ihren Lebensabend nicht in Deutschland verbrächten und damit nicht den deutschen
steuerlichen Regelungen unterlägen. Darin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des
freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union. Außerdem bedeute
für die bei ihr tätigen Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die regelmäßig nur
für eine vorübergehende Zeit nach Deutschland entsandt würden, die vorgelagerte
Besteuerung der für die Alterssicherung gezahlten Beiträge eine erhebliche finanzielle
Beeinträchtigung, die die Aufnahme einer Tätigkeit in Deutschland im Vergleich zu den
inländischen Arbeitnehmern als deutlich unattraktiver erscheinen lasse. Die
Regelungen des deutschen Einkommen- und Lohnsteuerrechts, die zu einer vollen
Besteuerung der von der Klägerin abgeführten Vorsorgeaufwendungen führten,
begründeten daher einen Verstoß gegen die in Artikel 39 des EG-Vertrages garantierte
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der Beklagte könne sich ferner nicht unter Hinweis auf
die Rechtsprechung des BFH darauf berufen, dass Beitragszahlungen sowohl an
ausländische Pensionskassen als auch an inländische Pensionskassen nur dann
steuerlich anerkannt werden könnten, wenn sie aufgrund einer gesetzlichen
Verpflichtung geleistet würden. Denn es sei zu berücksichtigen, dass die ausländischen
Mitgliedstaaten kein der Bundesrepublik vergleichbares gesetzliches
Rentenversicherungssystem hätten. Daher müsse auch in Deutschland anerkannt
werden, dass die anderen EU-Mitgliedstaaten die Rentenversicherungssysteme
gegenüber dem deutschen System vollständig unterschiedlich eingerichtet hätten.
Letztlich schreibe auch Artikel 7 der Verordnung 1612/68 (EWG) vor, dass eine
Gleichbehandlung bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Wanderarbeiter
sicherzustellen sei. Dies gelte sowohl für sämtliche Beschäftigungs- und
Arbeitsbedingungen, als auch für soziale und steuerliche Vergünstigungen. Inländische
Arbeitnehmer verblieben nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben regelmäßig im
Inland und kämen in den Genuss der Steuerfreiheit der Vorsorgeleistungen. Die nur für
kurze Zeit im Inland tätigen sowie die nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben in
ihrer Heimatländer zurückkehrenden Wanderarbeiter würden jedoch regelmäßig einer
zusätzlichen Besteuerung der Vorsorgeleistungen ausgesetzt. Für das Jahr 1995 sei
zudem Festsetzungsverjährung eingetreten. Eine Änderungsmöglichkeit nach den §§
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172 ff. Abgabenordnung - AO - bestehe nicht. Außerdem seien die Voraussetzungen
einer Untätigkeitsklage in dem vorliegenden Fall erfüllt. Die Klage sei nicht vor Ablauf
von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben
worden. Zudem sei die erhebliche Verfahrensdauer eines vorangegangenen
Rechtsstreits bei dem Finanzgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen 15 K 7720/00 L
zu berücksichtigen. Klägerin sei zwar die "B" Holding GmbH gewesen. Dieser
Rechtsstreit habe aber materiell-rechtlich die identische Rechtsfrage zum
Streitgegenstand gehabt. In diesem Klageverfahren habe der Beklagte mit Schriftsatz
vom 26.04.2001 angekündigt, die Einleitung eines Konsultationsverfahrens gegenüber
dem Finanzministerium NRW vorzuschlagen. Das Ergebnis des
Konsultationsverfahrens werde dann zu einer Erledigung des Rechtsstreits führen.
Auskünfte über den Stand des Konsultationsverfahrens seien aber nicht gegeben
worden. Mündliche Anfragen bei der Oberfinanzdirektion seien ohne Ergebnis
geblieben.
Der Beklagte hat am 20.01.2005 einen geänderten Lohnsteuerhaftungsbescheid
erlassen und dem Klagebegehren hinsichtlich des Zeitraums bis zum 31.12.1998
abgeholfen und die Haftungssumme auf 7.244,35 EUR beschränkt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Haftungsbescheid vom 20.01.2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hält die Untätigkeitsklage für nicht zulässig. Die lange Verfahrensdauer im
außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren sei durch mehrere Gründe gerechtfertigt
gewesen. So sei am 03.11.2003 ein Informationsaustausch mit der für das Vorverfahren
zuständigen Sachbearbeiterin erfolgt. Am 25.03.2004 sei eine Vorlage an die
vorgesetzte Dienststelle (Oberfinanzdirektion "S") erfolgt. Die Vertreterin der Klägerin
sei am 24.05.2004 über diesen Sachverhalt informiert worden. Mit Schreiben der
vorgesetzten Behörde vom 28.06.2004 habe der Beklagte weitere Anweisungen zur
Erledigung des Einspruchs erhalten. Daraufhin seien weitere Ermittlungen durchgeführt
und entsprechendes Kontrollmaterial zur Post gegeben worden. In der Sache selbst sei
zudem eine Ungleichbehandlung der Expatriates gegenüber Inländern nicht gegeben. §
3 Nr. 62 EStG stelle Zukunftssicherungsleistungen unabhängig davon steuerfrei, ob
diese an einen inländischen oder ausländischen Versicherungsträger gezahlt würden.
Dies ergebe sich auch aus R 24 Abs. 1 Lohnsteuerrichtlinien - LStR -. Voraussetzung
sei jedoch in beiden Fällen, dass die Beitragszahlungen auf Grund einer dem
Arbeitgeber nach inländischem oder ausländischem Recht obliegenden gesetzlichen
Verpflichtungen geleistet würden. Bestehe eine derartige Verpflichtung nicht, stellten
auch Beiträge an einen inländischen Versicherungsträger steuerpflichtigen Arbeitslohn
dar. Nach dem bisherigen Sachvortrag der Klägerin sei eine gesetzliche Verpflichtung
zur Leistung der Beiträge durch den Arbeitgeber nicht gegeben. Vielmehr resultierten
die Zahlungsverpflichtungen allein aus tarifvertraglichen Vereinbarungen zwischen den
Arbeitgebern und den Gewerkschaften.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie die beigezogenen Steuerakten des Beklagten verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Untätigkeitsklage ist zulässig. Da seit der Einspruchsentscheidung mehr als sechs
Monate verstrichen sind, ist die Klage in die Zulässigkeit hineingewachsen.
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Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene (geänderte)
Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 20.01.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten. Die von der Klägerin für den Arbeitnehmer gezahlten Beiträge an
ausländische (private) Versicherungen stellen steuerpflichtigen Arbeitslohn dar und sind
vom Beklagten zu Recht der Lohnsteuer unterworfen worden.
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1. Es handelt sich um lohnsteuerpflichtige Einnahmen. Einnahmen sind nach § 8 Abs. 1
EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im
Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen.
Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und
sonstige Sachbezüge) sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen
Endpreisen am Abgabeort anzusetzen, § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG. Bei den von der
Klägerin gezahlten Versicherungsbeiträgen an die "Q" Ltd. handelt es sich um einen
derartigen geldwerten Vorteil. Denn der Anspruch aus der Versicherung steht
unmittelbar dem jeweiligen Arbeitnehmer zu.
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a. § 3 Nr. 62 EStG greift im Streitfall nicht zu Gunsten der Klägerin ein. § 3 Nr. 62
Satz 1 EStG regelt die Steuerfreiheit von Ausgaben des Arbeitgebers für die
Zukunftssicherung des Arbeitnehmers. Dies sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung solche Ausgaben, die ein Arbeitgeber
leistet, um einen Arbeitnehmer oder eine diesem nahestehende Person für den
Fall der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes
abzusichern. Dabei unterscheidet § 3 Nr. 62 EStG zwischen diesbezüglichen
Arbeitgeberpflichtausgaben (Satz 1) und freiwilligen Arbeitgeberleistungen (Sätze
2 bis 4). Weil nach Satz 1 Steuerfreiheit insoweit besteht, als der Arbeitgeber zu
den Ausgaben für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers nach
sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach
einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung (Rechtsverordnung)
verpflichtet ist, fallen darunter sämtliche Arbeitgeberpflichtbeiträge zu allen
Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung, d. h. zur Kranken-, Unfall-, Renten-,
Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Da der Arbeitgeber diese Pflichtbeiträge in
Folge einer eigenen, ihm unmittelbar selbst auferlegten öffentlich-rechtlichen
Verpflichtung zu erbringen hat, stellen sie keinen Arbeitslohn, sondern allgemeine
Kosten eines Arbeitsplatzes dar, sodass die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 62 Satz 1
EStG letztlich nur deklaratorisch wirkt. Der Wortlaut der Vorschrift stellt dabei allein
auf eine gesetzliche Arbeitgeberverpflichtung ab. Hiervon geht auch Abschnitt 24
Abs. 1 Satz 2 LStR aus. Dabei ist die Steuerfreiheit nicht auf inländische
Arbeitgeberpflichtbeiträge zu inländischen Sozialversicherungsträgern beschränkt,
sondern erfasst auch Arbeitgeberpflichtleistungen auf Grund ausländischer
Gesetze. Voraussetzung ist jedoch in beiden Fällen, dass die Beitragszahlungen
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aufgrund einer dem Arbeitgeber nach inländischem oder ausländischem Recht
obliegenden gesetzlichen Verpflichtung geleistet werden. Besteht eine solche
Verpflichtung nicht, stellen auch Beiträge an einen inländischen
Versicherungsträger steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
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b. Im vorliegenden Fall beruhen die Zahlungsverpflichtungen der Klägerin jedoch nicht
auf einer gesetzlichen Verpflichtung. Für die hier streitigen Zahlungen ist weder eine in-
noch eine ausländische Gesetzesgrundlage ersichtlich. Vielmehr leistet die Klägerin die
Zahlungen an die "Q" Ltd., um die ihren Arbeitnehmern entstehenden Nachteile auf
Grund des Wohnortwechsels zwischen den verschiedenen Ländern abzufedern. Soweit
die Klägerin vorträgt, aufgrund einer in Schweden bestehenden tarifvertraglichen
Regelung zu diesen Zahlungen verpflichtet zu sein, ändert dies daran nichts. Die
Vorschrift des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG findet keine Anwendung bei Verpflichtungen
aufgrund eines Tarifvertrags (Schmidt-Heinicke, EStG, 24. Auflage 2005, § 3 Stichwort
"Zukunftssicherungsleistungen). Wenn der Gesetzgeber der Auffassung gewesen wäre,
dass auch tarifvertragliche Verpflichtungen steuerbefreit sein sollen, hätte es angesichts
der großen praktischen Bedeutung tarifvertraglicher Verpflichtungen zur
Zukunftssicherung nahegelegen, hierauf ausdrücklich im Wortlaut der Vorschrift
hinzuweisen. Der Gesetzgeber hat dies aber unterlassen und die Steuerbefreiung nach
§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG damit bewusst auf einseitig vom Staat gesetztes Recht
beschränkt.
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c. Auch eine Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 62 Sätze 2 bis 4 EStG greift im Streitfall nicht
ein. Durch diese Vorschrift werden freiwillige Zuschüsse, die der Arbeitgeber zu den
Aufwendungen eines von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung befreiten Arbeitnehmers u.a. für eine Lebensversicherung leistet,
den nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG steuerfreien gesetzlichen Pflichtbeiträgen des
Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers gleichgestellt. Es ist hier
weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der betroffene Arbeitnehmer von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war. Außerdem
werden die Zahlungen von der Klägerin nicht an eine Versicherungsgesellschaft,
sondern an eine konzerneigene Gesellschaft geleistet.
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1. Die Klägerin kann auch keine Steuerfreiheit aus dem maßgeblichen deutsch-
schwedischen Doppelbesteuerungsabkommen herleiten. Weder das DBA
Schweden noch ein Zusatzabkommen dazu unterstellen
Zukunftssicherungsleistungen eines inländischen Arbeitgebers für einen bei ihm
beschäftigten Arbeitnehmer an eine ausländische Versicherung der
Steuerbefreiung des § 3 Nr. 62 Satz 1 oder 2 EStG.
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1. Auch auf einen Verstoß gegen EU-Recht kann die Klägerin sich nicht berufen.
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Das EU-Recht gebietet nicht eine erweiternde europarechtskonforme Auslegung
der Vorschrift des § 3 Nr. 62 EStG.
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a. Die in Artikel 43 EGV festgelegte Niederlassungsfreiheit sowie der Grundsatz der
Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EG nach Artikel 39 EGV fordern lediglich, dass
Angehörige fremder EG-Mitgliedstaaten bei gleichgelagerten Sachverhalten in
steuerlicher und sonstiger rechtlicher Hinsicht den gleichen nationalen Vorschriften wie
die Angehörigen des jeweils besteuernden EG-Mitgliedstaates unterworfen werden
müssen. Damit führt nur eine Ungleichbehandlung gegenüber inländischen
Staatsangehörigen zu einer rechtswidrigen Diskriminierung. Sie setzt voraus, dass im
Inland steuerpflichtige EG-ausländische Arbeitnehmer anderen steuer- und
sozialgesetzlichen Bestimmungen unterworfen werden, als deutsche Arbeitnehmer in
vergleichbaren inländischen Arbeitsverhältnissen.
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b. Eine derartige unterschiedliche Behandlung besteht im Streitfall ersichtlich nicht. Auf
die Nationalität des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers kommt es für die
Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 EStG gerade nicht an. Unerheblich ist auch, ob der
Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge aufgrund in- oder ausländischer Gesetze
entrichten muss. Fehlt es wie hier an einer auf gesetzlicher Grundlage beruhenden
Verpflichtung des inländischen Arbeitgebers, weil er ausländischem
Sozialversicherungsrecht nicht unterliegt, ist der Tatbestand des § 3 Nr. 62 EStG nicht
erfüllt (BFH-Urteil vom 18.05.2004 VI R 11/01, BFHE 206, 158, BStBl II 2004, 1014). Da
der Beklagte die entsprechenden Leistungen auch bei inländischen Staatsangehörigen
der Besteuerung unterwerfen würde, hat sich der Beklagte an das europarechtliche
Gleichbehandlungsgebot aller EG-Arbeitnehmer gehalten. Denn entsprechende
vertragliche Zahlungen zugunsten eines inländischen Arbeitnehmers an die "Q" Ltd.
wären ebenfalls als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu behandeln gewesen. Zudem trifft
den Steuerpflichtigen während seiner Arbeitnehmerzeit kein steuerlicher Nachteil.
Dieser tritt erst ein, wenn er nach seiner Zurruhesetzung in Schweden die Einnahmen
nochmals versteuern muss. Diese Besteuerung ist aber dann eine Frage des frei
gewählten Wohnsitzes als Rentner und steht mit der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers
in keinem sachlichen Zusammenhang.
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c. Ein Verstoß gegen EU-Recht wäre allenfalls gegeben, wenn die Lohnsteuerfreiheit
der Zuwendungen ausschließlich deshalb verneint würde, weil an ausländische
Versicherungen gezahlt wird oder ausländische Arbeitnehmer betroffen wären. § 3 Nr.
62 EStG stellt Versicherungsleistungen jedoch unabhängig davon frei, ob diese an
einen in- oder ausländischen Versicherungsträger geleistet werden und ob in- oder
ausländische Arbeitnehmer betroffen sind. Zudem sind auch entsprechende Zahlungen
an inländische Versicherer bei inländischen versicherungspflichtigen Arbeitnehmern
nicht nach § 3 Nr. 62 EStG freigestellt. Der Gesetzgeber ermöglicht für diese
Fallgestaltung, von der die Klägerin keinen Gebrauch gemacht hat, eine Steuerfreiheit
bzw. Pauschalversteuerung bei Beiträgen für eine Direktversicherung nach § 3 Nr. 63
und des § 40b EStG. Auch diese Vorschriften unterscheiden aber weder danach, ob in-
oder ausländische Arbeitnehmer betroffen sind noch ob an in- oder ausländische
Versicherungen gezahlt wird.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Es fehlt bislang an
einer höchstrichterlichen Entscheidung zur lohnsteuerlichen Behandlung von
Beiträgen an ausländische Lebensversicherungen, mit denen
sozialversicherungsrechtliche Nachteile aufgrund des Wohnortwechsels innerhalb
der Europäischen Union ausgeglichen werden sollen.
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