Urteil des FG Düsseldorf vom 16.04.2009

FG Düsseldorf: treu und glauben, rücknahme, aufschiebende bedingung, einspruch, vorverfahren, festsetzungsverjährung, minderung, willenserklärung, zusage, gerichtsakte

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 4347/08 G
Datum:
16.04.2009
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 4347/08 G
Tenor:
Die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2000 bis 2002 vom 28.
Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober
2008 werden dahingehend abgeändert, dass Gewinne aus
Gewerbebetrieb i.H.v. 486.680 DM (2000), 432.531 DM (2001) bzw.
171.445 EUR (2003) berücksichtigt werden.
Die Berechnung des jeweiligen Messbetrags wird dem Beklagten
übertragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Der Beklagte trägt die Verfahrenskosten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Wirksamkeit einer Einspruchsrücknahme im Zusammenhang mit einem
Änderungsvorschlag seitens des beklagten Finanzamts.
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Der Kläger betrieb bis zum 31. Dezember 2002 ein "McDonald’s"-Restaurant in A-Stadt
und erzielte gewerbliche Einkünfte.
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Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung setzte der Beklagte mit
Änderungsbescheiden vom 14. Dezember 2005 Umsatzsteuernachforderungen für die
Jahre 1999 bis 2002 gegen den Kläger fest. Zugleich wurden mit Bescheiden vom 28.
Dezember 2005 die Nachprüfungsvorbehalte in den Gewerbesteuermessbescheiden für
die Jahre 2000 bis 2002 aufgehoben. Gegen diese Bescheide legte der Kläger
fristgemäß Einspruch ein und bat um ertragsteuerliche Berücksichtigung der
Umsatzsteuernachzahlungen.
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Am 4. Juli 2008 traf der Kläger mit dem Beklagten eine tatsächliche Verständigung
hinsichtlich des Anteils des Außer-Haus-Verkaufs von Speisen und Getränken an den
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vom Kläger erzielten Umsatzerlösen der Jahre 1999 bis 2002. Daraus resultierte eine
Erhöhung der Umsätze zum vollen Steuersatz und einer Minderung der Umsätze zum
ermäßigten Steuersatz. Am 29. Juli 2008 ergingen entsprechend geänderte
Umsatzsteuerbescheide.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2008 schlug der Beklagte der Prozessbevollmächtigten des
Klägers "zwecks Erledigung der Einspruchsverfahren" vor, die aus den
Umsatzsteuernachforderungen resultierende Minderung der Umsatzerlöse sowie die
damit korrespondierenden Gewinnerhöhungen durch Minderung der
Gewerbesteuerrückstellungen dergestalt zu berücksichtigen, dass die Gewinne aus
Gewerbebetrieb auf 486.680 (2000), 432.531 DM (2001) bzw. 171.445 EUR (2002)
reduziert werden. Der Beklagte bat um Überprüfung, "ob die Einsprüche gegen die
Gewerbesteuermessbescheide durch diese Gewinnänderungen erledigt werden
können". Auf Blatt 13 f. der Gerichtsakte wird Bezug genommen.
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Daraufhin äußerte sich die Prozessvertreterin des Klägers mit Schreiben vom 15. Juli
2008 (siehe Gewerbesteuerakte des Beklagten) gegenüber dem Beklagten wie folgt:
"Unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben in o.g. Angelegenheit vom 08.07.2008 teilen wir
Ihnen mit, dass wir die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 2000 –
2002 zurücknehmen."
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Im Anschluss daran war zwischen den Beteiligten streitig, ob (wirksame)
Einspruchsrücknahmen vorlagen. Der Beklagte behandelte die Einsprüche als
zurückgenommen und lehnte eine Änderung der Gewerbesteuermessbescheide im
Einspruchsverfahren bzw. auf der Grundlage sonstiger Korrekturvorschriften ab. Der
Kläger gab geänderte Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre ab.
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Durch Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2008 verwarf der Beklagte die
Einsprüche als unzulässig. Zur Begründung führte er aus, die Einsprüche seien wirksam
zurückgenommen worden. Die Rücknahmen könnten angesichts des klaren Wortlauts
des Schreibens vom 15. Juli 2008 nicht ausgelegt oder umgedeutet werden, zumal sie
von einer rechtskundigen Person erklärt worden seien. Ein Widerruf, eine Rücknahme
oder eine Anfechtung der Einspruchsrücknahmen komme nicht in Betracht. Ein der
Wirksamkeit der Einspruchsrücknahmen entgegenstehender krasser Fall unzulässiger
Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen sei nicht gegeben.
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Das Finanzamt sei auch nicht nach Treu und Glauben oder aufgrund sonstiger Zusagen
zu einer Änderung verpflichtet gewesen. Insbesondere beziehe sich die getroffene
tatsächliche Verständigung nicht auf die Gewerbesteuer. Des weiteren sei aber auch
eine Änderung der Gewerbesteuermessbescheide auf der Grundlage sonstiger
Änderungsvorschriften nicht mehr möglich, da Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a der Abgabenordnung – AO – sei mit
Rücknahme der Einsprüche am 16. Juli 2008 entfallen.
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Der Kläger hat am 17. November 2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er
Folgendes vor:
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Die Einspruchsrücknahmen seien ausschließlich auf der Grundlage des
Änderungsvorschlags bzw. der Abhilfeerklärung des Beklagten, d.h. der in Aussicht
gestellten Berücksichtigung der fraglichen Gewinnminderungen, erfolgt. Dies sei im
Schreiben vom 15. Juli 2008 klar und unmissverständlich dargelegt worden. Die
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Zusage, die fraglichen Gewinnminderungen vorzunehmen, sei Voraussetzung bzw.
Bedingung für die Einspruchsrücknahmen gewesen. Diese Verknüpfung habe der
Beklagte erkennen müssen, zumindest hätte eine Nachfrage erfolgen müssen. Auch die
Erklärungen rechtskundiger Personen müssten ausgelegt werden. Es stelle sich als
nahezu böswillig bzw. als Täuschungshandlung dar, dass das Finanzamt die
Rücknahmeerklärungen dazu genutzt habe, von seiner Zusage abzurücken. Der
Beklagte habe gegen seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Steuerbürger verstoßen.
Im Übrigen habe die Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten, Frau C.,
der Prozessvertreterin des Klägers mitgeteilt, dass mit einer Erstattung alsbald zu
rechnen sei.
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Das beklagte Finanzamt sei verpflichtet gewesen, die fraglichen Bescheide nach § 173
Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Nach Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen
müsse zwingend ein Berichtigungsbescheid erlassen werden, § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
stelle eine Mussbestimmung dar (Hinweis auf den Beschluss des Niedersächsischen
FG vom 30. Januar 1978 XII 330/77, EFG 1978, 360). Der Mitwirkung oder Zustimmung
des Steuerpflichtigen bedürfe es nicht. Dem stehe ein anhängiger Einspruch – Gleiches
gelte aber auch für dessen Rücknahme – nicht entgegen.
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Das Schreiben des Beklagten vom 8. Juli 2008 sei überflüssig gewesen und habe für
Verwirrung gesorgt. Es sei alleinige Aufgabe des Finanzamts gewesen, den
Änderungsrahmen der Bescheide zu berechnen. Es habe sich hierbei um eine einfache
Rechenaufgabe gehandelt. Einer Überprüfung seitens des Steuerpflichtigen habe es
nicht bedurft. Die Einspruchsrücknahmen seien daher unwirksam.
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Selbst wenn man von dem Grunde nach wirksamen Rücknahmen ausginge, könne sich
der Beklagte auf sie nicht berufen, da ihm habe klar sein müssen, dass die
Einspruchsrücknahmen erkennbar im Widerspruch zum wirklichen Willen des Klägers
standen und auf einem Irrtum seiner Verfahrensbevollmächtigten beruhten. Er dürfe sich
daher nach Treu und Glauben nicht auf die Rücknahmen berufen (Hinweis auf das
BGH-Urteil vom 21. März 1977 II ZB 5/77, VersR 1975, 574).
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Der Kläger beantragt,
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die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2000 bis 2002 vom 28. Dezember
2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2008 dahingehend
abzuändern, dass Gewinne aus Gewerbebetrieb i.H.v. 486.680 DM (2000),
432.531 DM (2001) bzw. 171.445 EUR (2002) berücksichtigt werden sowie
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die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu
erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Zur Begründung nimmt er auf seine Einspruchsentscheidung Bezug. Ergänzend macht
er geltend, ihm sei es angesichts der Höhe der Gewinnänderungen sinnvoll erschienen,
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die beabsichtigten Änderungen vor Erlass von Abhilfebescheiden mit dem Kläger
abzustimmen, um die Einspruchsverfahren einvernehmlich abschließen zu können.
Diese Vorgehensweise sei durchaus üblich und werde insbesondere in den Fällen
angewandt, in denen seitens des Einspruchsführers noch kein bezifferter
Änderungsantrag vorliegt.
Eine frühere Änderung der Gewerbesteuermessbescheide sei nicht möglich gewesen,
da die tatsächliche Verständigung zur Umsatzsteuer erst im Juli 2008 getroffen worden
sei. Mit Rücknahme der Einsprüche sei sodann Festsetzungsverjährung eingetreten, so
dass eine Änderung der Bescheide nicht mehr möglich gewesen sei.
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Die zuständige Sachbearbeiterin habe im Zusammenhang mit den Einspruchsverfahren
gegen die Gewerbesteuermessbescheide keine Erstattung zugesagt. Die
anderslautende Behauptung des Klägers sei nicht schlüssig, da die Erstattung von
Gewerbesteuern durch die hebeberechtigte Gemeinde erfolge und nicht durch das
Finanzamt.
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Im Hinblick auf die Problematik der Einspruchsrücknahme unter einer Bedingung sei zu
beachten, dass die Prozessvertreterin des Klägers im Schreiben vom 15. Juli 2008
keine "unechte" Bedingung geäußert habe, die Einsprüche seien vielmehr ausdrücklich
und "ohne wenn und aber" zurückgenommen worden. Eine Auslegung komme im
Hinblick darauf, dass die Einspruchsrücknahmen von einer rechtskundigen Person
erklärt worden seien, nicht in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs – BFH – müssten Steuerberater und Rechtsanwälte mit ihren
Verfahrenserklärungen "beim Wort genommen" werden (Hinweis auf das BFH-Urteil
vom 26. April 2006 II R 35/06, BFH/NV 2006, 1800 m.w.N.).
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Selbst wenn eine Auslegung des Schreibens vom 15. Juli 2008 für erforderlich erachtet
würde, sei entscheidend darauf abzustellen, wie das Finanzamt als
Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Rücknahmeschreibens
verstehen musste (BFH-Urteil vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6). Unter
Berücksichtigung der Gesamtumstände, dass nämlich nach Versand eines
Erledigungsvorschlags umgehend die Rücknahme der Einsprüche ohne jede
Einschränkung oder sonstigen Hinweis erklärt wurde, habe das Finanzamt das
Schreiben nur als unbedingte Rücknahme verstehen können, wobei es unbeachtlich
sei, ob aus Sicht des Finanzamts nachvollziehbare Gründe für die
Verfahrensbeendigung vorlagen.
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Weiterhin dürfe die Auslegung einer Verfahrenserklärung nicht zur Annahme eines
Erklärungsinhalts führen, für den sich in der verkörperten Erklärung selbst keine
Anhaltspunkte mehr finden lassen (BFH-Urteil vom 26. April 2006 II R 35/06, BFH/NV
2006, 1800; BFH-Beschluss vom 2. November 2004 X B 59/04, BFH/NV 2005, 209). Die
Auslegung der Einspruchsrücknahmen als bedingte Rücknahmen finde im Schreiben
vom 8. Juli 2008 keine Stütze.
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Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – BGH – nicht unter einer sog.
innerprozessualen Bedingung erfolgen dürfe (BGH-Urteil vom 26. September 2007 XII
ZB 80/07).
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte sowie der beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2000 bis 2002 vom 28. Dezember
2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2008 sind rechtswidrig
und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat die Änderung der durch Einspruch
angefochtenen Bescheide zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hatte die Einsprüche nicht
durch Rücknahme (§ 362 AO) verloren.
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1. Der Kläger ist seiner Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide für die
Jahre 2000 bis 2002 nicht durch Einspruchsrücknahme im Sinne von § 362 AO verlustig
geworden. Die durch Schreiben vom 15. Juli 2008 abgegebene Willenserklärung der
Prozessvertreterin des Klägers hat nicht zu wirksamen Einspruchsrücknahmen geführt,
da sie unter der "unechten" Bedingung des Erlasses von Abhilfebescheiden stand.
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a) Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Rücknahmeerklärungen seiner
Prozessvertreterin nicht bereits aufgrund einer Täuschungshandlung des beklagten
Finanzamts unwirksam. Die Rücknahmeerklärungen sind nicht auf irgendwie geartete
Täuschungshandlungen oder sonstige unlautere Mittel des beklagten Finanzamts
zurückzuführen. Insbesondere das Schreiben des Finanzamts vom 8. Juli 2008 enthält
keine derartigen Täuschungen. Bei dem Satz "Bitte überprüfen Sie, ob die Einsprüche
[auf der Basis der vorgeschlagenen Änderung] erledigt werden können" handelt es sich
um eine inhaltlich nicht zu beanstandende, allgemein verwendete Formulierung. Sie
war darauf gerichtet, die Einsprüche ohne Einspruchsentscheidung auf der Basis von
Abhilfebescheiden zu erledigen, was voraussetzte, dass der Kläger mit den
vorgeschlagenen Änderungen einverstanden war und mit seinen unbezifferten
Einsprüchen keine weitergehenden Gewinnminderungen verfolgte.
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b) Weiterhin können die Rücknahmeerklärungen, die als prozessuale
Willenserklärungen im Grundsatz der Auslegung zugänglich sind, auch nicht als bloße
Zustimmung zu dem Änderungsvorschlag des Finanzamts – und somit nicht als
Rücknahmen im Sinne des § 362 AO – ausgelegt werden. Die Prozessvertreterin des
Klägers hat ausdrücklich die Rücknahme der Einsprüche erklärt. Diese
Willenserklärung ist eindeutig und nicht auslegungsfähig. Des weiteren geht der
Beklagte zu Recht davon aus, dass die Erklärungen vor dem Hintergrund der
Erklärungsabgabe durch eine rechtskundige Person auch nicht in bloße
Zustimmungserklärungen umgedeutet werden können (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli
1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359).
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c) Die Rücknahmen standen aber unter der Bedingung einer Änderung der betroffenen
Gewerbesteuermessbescheide gemäß dem Vorschlag des beklagten Finanzamts vom
8. Juli 2008. Sie sind daher mangels Bedingungseintritts nicht wirksam geworden.
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aa) Die Erklärung der Einspruchsrücknahmen unter der Bedingung der Änderung der
betroffenen Bescheide war zulässig. Einspruchsrücknahmen sind zwar im Grundsatz
bedingungsfeindlich und dürfen daher nicht von einer "echten" – d.h.
"außerprozessualen" – Bedingung abhängig gemacht werden. Nach richtiger
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Auffassung sind jedoch "unechte" – d.h. "innerprozessuale" – Bedingungen zulässig
(Urteil des Reichsfinanzhofs – RFH – vom 11. Januar 1929 I AB 760/28, Mrozek-Kartei
RAO § 237 Rn. 9; Tipke, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 362 AO Rn. 6; Birkenfeld, in:
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 362 AO Rn. 98; zu Rechtsbehelfen allgemein
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 10. April 2002 4 BN 12/02,
HFR 2003, 190,). Eine zulässige unechte Bedingung in diesem Sinne liegt vor, wenn
die Rücknahme von einem Ereignis abhängig gemacht wird, über welches das
Finanzamt selbst entscheidet (Tipke, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 362 AO Rn. 6).
Dementsprechend enthält die Erklärung des Einspruchsführers, dass er seinen
Einspruch zurücknehme, wenn im Verfahren nach § 172 AO seinem Antrag auf
Herabsetzung der festgesetzten Steuer entsprochen werde, keine unzulässige
Bedingung, weil die Rücknahme nicht von – für die Finanzbehörde – ungewissen
Ereignissen abhängen soll (Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 362
AO Rn. 98).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an und folgt damit insbesondere
nicht der vom Beklagten zitierten gegenteiligen Rechtsprechung des BGH zur
Rücknahme von Rechtsmitteln (Beschlüsse vom 26. Oktober 1989 IVb ZB 135/88, NJW-
RR 1990, 67, sowie vom 26. September 2007 XII ZB 80/07, HFR 2008, 287). Im Fall der
Rücknahme eines Rechtsbehelfs unter einer unechten Bedingung besteht nämlich
gerade keine Ungewissheit über die verfahrensbeendigende Wirkung der Rücknahme,
die allein eine Bedingungsfeindlichkeit aus Gründen der Rechtssicherheit rechtfertigen
könnte. Daher steht einer Erklärung der Rücknahme unter einer unechten Bedingung
nichts entgegen.
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bb) Vorliegend ergab sich aus den Umständen der Einspruchsrücknahmen im
Schreiben der Prozessvertreterin des Klägers vom 15. Juli 2008, dass sie mit den
seitens des Finanzamts vorgeschlagenen Änderungen und einer Erledigung der
Einspruchsverfahren auf dieser Basis einverstanden war. Statt dem beklagten
Finanzamt – was nahe gelegen hätte – dieses Einverständnis mitzuteilen (und ihr
Einspruchsbegehren entsprechend zu spezifizieren bzw. einzuschränken), hat die
Prozessvertreterin des Klägers unter Bezugnahme auf den Änderungsvorschlag des
Finanzamts vom 8. Juli 2008 die Rücknahme der Einsprüche erklärt. Dies kann bei
verständiger Würdigung des Sachverhalts allerdings nur so ausgelegt werden, dass die
Rücknahmen nur für den Fall gelten sollten, dass entsprechende Abhilfebescheide
seitens des Finanzamts erlassen werden (aufschiebende Bedingung). Dafür finden sich
durch die Bezugnahme auf das Schreiben des Finanzamts vom 8. Juli 2008 genügende
Anhaltspunkte.
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Da das beklagte Finanzamt keine Abhilfebescheide erlassen hat, ist die aufschiebende
Bedingung nicht eingetreten. Die Einspruchsrücknahmen sind daher nicht wirksam
geworden. Der Beklagte hat die Einsprüche folglich zu Unrecht als unzulässig
verworfen. Er hätte auf der Grundlage des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AO
Abhilfebescheide erlassen müssen. Festsetzungsverjährung war aufgrund der
Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO noch nicht eingetreten.
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cc) Selbst unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beklagten, wonach die
Einspruchsrücknahme weder unter einer echten noch unter einer unechten Bedingung
erklärt werden darf, kann hier nicht von wirksamen Rücknahmeerklärungen des Klägers
ausgegangen werden. Die Annahme einer unzulässigen Bedingung hätte nämlich zur
Folge, dass die Rücknahme insgesamt – und nicht isoliert die Bedingung – als
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wirkungslos betrachtet werden müsste (Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,
AO/FGO, § 362 AO Rn. 97). Auf den Bedingungseintritt käme es dann schon nicht mehr
an.
2. In der Sache besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass den streitbefangenen
Gewerbesteuermessbescheiden ein Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 486.680 DM
(2002), 432.531 DM (2001) bzw. 171.445 EUR (2002) zugrunde zu legen ist. Der Senat
hat keinerlei Anhaltspunkte, die gegen die sachliche Richtigkeit dieser
Besteuerungsgrundlagen sprechen. Die Gewerbesteuermessbescheide sind
entsprechend zu ändern.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die Notwendigerklärung der Zuziehung eines Bevollmächtigten
für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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Die Übertragung der Berechnung des Messbetrags auf den Beklagte erfolgt aus § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Revisionsgründe des § 115 Abs. 2
FGO einschlägig ist. Zwar käme im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit der
Einspruchsrücknahme unter einer unechten Bedingung im Grundsatz eine
Revisionszulassung zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) in
Betracht. Hier kommt es jedoch auf diese Frage letztlich nicht an, da die
Einspruchsrücknahmen in keinem Fall – entweder mangels Eintritt der (zulässigen)
unechten Bedingung oder im Hinblick darauf, dass sie unter einer (unzulässigen)
unechten Bedingung erklärt wurden und damit wirkungslos sind – Wirksamkeit erlangt
haben.
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