Urteil des FG Düsseldorf vom 19.10.2006

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Finanzgericht Düsseldorf, 14 K 4922/05 Kg
Datum:
19.10.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 4922/05 Kg
Tenor:
Der Bescheid vom 16. September 2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 15. November 2005 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist, ob der Kläger für das Kind Claudia (geboren am 12. Dezember 1993) als
Pflegekind einen Kindergeldanspruch hat.
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Der Kläger bezog für seine vier leiblichen Kinder fortlaufend Kindergeld. Im Juli 2002
nahmen er und seine Ehefrau Claudia in ihren Haushalt auf. Nach einer
Betriebserlaubnis des Landschaftsverbandes Rheinland gemäß § 45 des 8.
Sozialgesetzbuches (SGB VIII) für den Erziehungsverein N-Beratung e. V. (N. e.V.) zum
Betrieb einer sonstigen betreuten Wohnform sind der Kläger und seine Ehefrau als so
genannte sozialpädagogische Fachfamilie zur Unterbringung eines Kindes tätig.
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Am 16. Juli 2002 schloss die Ehefrau des Klägers mit dem N. e.V. einen
Betreuungsvertrag, in dem sich die Ehefrau u. a. verpflichtete, eigenverantwortlich als
erziehender Elternteil für den Verein tätig zu sein und in eigener Verantwortung und auf
eigene Gefahr die ihr übertragenen Betreuungsaufgaben wahrzunehmen und
auszuführen, wie dies bei eigenen Kinder geschieht. Für das Vertragsverhältnis gelten
keine arbeitsrechtlichen Vorschriften und eine feste Betreuungszeit wird nicht vereinbart.
Der Verein verpflichtete sich zur Zahlung eines Erziehungs-/Betreuungsgeldes in Höhe
von monatlich 1.176,30 Euro sowie eines Aufwandentgeltes für den Unterhalt Claudias
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von monatlich 687,87 Euro. Auf den weiteren Inhalt des Vertrages (Bl. 9 bis 11 der
Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Des Weiteren schlossen der Kläger und seine
Ehefrau am 16. Juli 2002 eine Vereinbarung über die Ausübung der Personensorge mit
den leiblichen Eltern Claudias.
Am 26. April 2005 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von
Kindergeld für Claudia und legte eine Erklärung des Jugendamtes der Stadt V. vor,
wonach für Claudia seit dem 16. Juli 2002 Hilfe zur Erziehung gemäß § 33 SGB VIII
(sog. Vollzeitpflege) gewährt werde. Zugleich teilte der Kläger mit, dass Claudia auf
unbestimmte Dauer in seinem Haushalt lebe. Zum 1. Mai 2005 nahm der Beklagte
rückwirkend ab 1. August 2002 die Kindergeldzahlung für Claudia auf.
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Mit Schreiben vom 17. Juni 2005 beantragte das Jugendamt der Stadt V. bei der
zuständigen Familienkasse die Auszahlung von Kindergeld für Claudia und wies darauf
hin, dass es sich bei der Unterbringung in der Familie des Klägers nicht um ein
Pflegeverhältnis sondern um eine Unterbringung in einer betreuten Wohnform nach § 34
SGB VIII handele.
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Im Bescheid vom 16. September 2005 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für
Claudia gegenüber dem Kläger ab dem 1. Oktober 2005 gemäß § 70 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung verwies er darauf, dass die
Kindergeldfestsetzung auf Grund fehlerhafter Rechtsanwendung erfolgt sei, weil es sich
bei der Aufnahme Claudias in den Haushalt des Klägers nicht um eine Vollzeitpflege,
sondern um eine betreute Wohnform handele.
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Gegen den Bescheid legte der Kläger am 22. September 2005 Einspruch ein und führte
aus: Zwischen seiner Familie und Claudia bestehe ein familienähnliches Band. Claudia
werde voraussichtlich mindestens bis zu ihrem 18. Geburtstag in seinem Haushalt
leben. Da nur ein Kind in seinem Haushalt aufgenommen sei, komme eine Aufnahme zu
Erwerbszwecken nicht in Betracht. Das Kindergeldgesetz rechtfertige keine
Unterscheidung zwischen Vollzeitpflege und betreuter Wohnform.
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Mit der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2005 wies der Beklagte den
Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Betreuung
Claudias im Rahmen einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII erfülle
nicht die Voraussetzungen für ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 32 Abs. 1
Nr. 2 EStG. Die Betreuung obliege dem Trägerverein und seiner weisungsgebundenen
Fachfamilie. Hieraus folge die fehlende Eigenständigkeit hinsichtlich der
Erziehungsentscheidungen. Des Weiteren stehe die Familie in der Regel direkt in
einem Arbeitsverhältnis zum Trägerverein und würde für die Erziehungsarbeit entlohnt.
Kindergeldrechtlich handele es sich deshalb nicht um die Unterbringung in einer
Familie, sondern in einer betreuten Wohnform gegen Entgelt.
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Mit seiner am 29. November 2005 erhobenen Klage macht der Kläger ergänzend
geltend: Die Arbeit in einer Fachfamilie sei der Arbeit einer Erziehungsstelle gleich zu
stellen. Alle einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zum Kindergeld seien auch auf
Fachfamilien anzuwenden. Wie der Verein letztlich abrechne, ob nach § 33 oder § 34
SGB VIII, sei ohne Bedeutung. Seine Frau habe mit dem Verein einen
Betreuungsvertrag abgeschlossen. Dieser stelle keinen Arbeitsvertrag dar, da seine
Frau die Betreuung nach pflichtgemäßem Ermessen selbst gestalte. Im Krankheitsfalle
müsse seine Frau selbst für die Vertretung sorgen. Es bestehe auch kein
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Urlaubsanspruch oder eine Regelung über Arbeitszeiten. Ähnlich wie eine
Erziehungsstelle erhalte seine Frau ein Erziehungsgeld und ein Pflegegeld
(Aufwandsentgelt). Der Vorteil der betreuten Wohnform "Fachfamilie" bestehe in der
garantierten Bereitstellung von pädagogischen Beratungen und Supervisionen.
Fachfamilien verfügten über eine besondere pädagogische Qualifikation, die bei seiner
Ehefrau auf einer Ausbildung als Sozial-Diplomarbeiterin beruhe. Die Fachaufsicht des
Landesjugendamtes werde auf den Verein delegiert. Bei Claudia handele es sich nicht
um ein so genanntes Kostkind. Nach der Dienstanweisung des Bundesamtes der
Finanzen sei bei einer Aufnahme von bis zu sechs Kindern durch eine Pflegeperson
nicht von einer Haushaltaufnahme zu Erwerbszwecken auszugehen.
Zwischenzeitlich habe seine Familie den Träger gewechselt und ab 1. Oktober 2005 mit
dem Verein O. e.V. (O. e.V.) einen Betreuungsvertrag abschlossen. Nach diesem
Vertrag (Bl. 28 bis 31 der Gerichtsakte), auf dessen Inhalt verwiesen wird, nimmt der
Verein an die Ehefrau des Klägers monatlich folgende Zahlungen vor:
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Beitrag zur Erziehung 1.200 EUR
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Sachkosten 700 EUR
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Altersversorgung 125 EUR
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Versicherung Vollkasko KFZ 40 EUR
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Beitrag zur Haushaltskraft 125 EUR
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a. 2.190 EUR
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 16. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 15. November 2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er nimmt Bezug auf die Gründe in der Einspruchsentscheidung und verweist im Übrigen
darauf, an die Beurteilung der Unterbringungsform durch das Jugendamt gebunden zu
sein.
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Auf eine Anfrage des Gerichts hat das Jugendamt der Stadt V. mit Schreiben vom 19.
April 2006 mitgeteilt, für Claudia werde kein Pflegegeld gemäß § 33 SGB VIII gezahlt.
Es werde vielmehr eine Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII gewährt. Der jetzige
Träger der Fachfamilie erhalte ein tägliches Entgelt in Höhe von 110 Euro.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers zu Unrecht ab
Oktober 2005 aufgehoben, wodurch der Kläger in seinen Rechten verletzt ist (§ 100
Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Claudia ist beim Kläger gemäß § 63
Abs. 1 Nr. 1 EStG für Zwecke des Kindergeldes als Pflegekind im Sinne des § 32 Abs. 1
Nr. 2 EStG zu berücksichtigen.
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Ein Pflegekind ist nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG (in der Fassung
des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15. Dezember 2003, die gemäß § 52 Abs. 40
EStG in allen nicht bestandskräftigen Fällen anzuwenden ist) eine Person, mit der der
Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band
verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen
hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.
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Unstreitig hat der Kläger Claudia in seinen Haushalt aufgenommen und es bestand
auch kein Obhuts- und Pflegeverhältnis mehr zu den leiblichen Eltern Claudias. Ferner
liegen auch die Voraussetzungen für ein familienähnliches, auf längere Dauer
berechnetes Band zwischen Claudia, dem Kläger bzw. seiner Ehefrau vor. Ein
familienähnliches Band im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG bedeutet, dass das Kind
wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Dies wird - in Anschluss an die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Bundeskindergeldgesetz -
BKGG - (vgl. z. B. BSG-Urteil vom 22. September 1993 10 RKg 6/92, SozR 3-5870 § 2
BKGG Nr. 20) - allgemein dann angenommen, wenn zwischen der aufnehmenden
Familie und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie
zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 2005, 524 m. w. N.). Die Pflegeeltern
müssen für das Kind gleichsam an die Stelle der leiblichen Eltern treten, es wie ein
eigenes Kind betreuen, die wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und
dessen maßgebender Ansprechpartner sein (vgl. BFH-Urteile vom 20. Januar 1995 II R
14/04, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1995, 582, und vom 7. September 1995 III R 95/93,
BStBl II 1996, 63). Die Beziehungen zu den Pflegeeltern müssen "auf längere Dauer",
d.h. auf ein dauerhaftes familienähnliches Verhältnis angelegt und nicht bloß als
vorübergehende Überbrückung gedacht sein. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
gegeben, da Claudia nach dem Willen aller Beteiligten (Kläger und seine Ehefrau,
Jugendamt und Erziehungsverein, leibliche Eltern) auf Dauer - zumindest bis zur
Volljährigkeit - im Haushalt des Klägers leben soll und dem Kläger und seiner Ehefrau
auch die Ausübung der Personensorge, die insbesondere die Wahrnehmung aller
schulischen Belange betrifft, übertragen worden ist.
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Die hiergegen erhobenen Einwände des Beklagten greifen nicht durch. Die Tatsache,
dass der Kläger und seine Ehefrau auf der Grundlage der mit den Erziehungsvereinen
abgeschlossenen Verträge als so genannte sozialpädagogische Fachfamilie tätig sind,
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Diese Gestaltung führt nicht zu einer Betreuung
durch den jeweiligen Erziehungsverein. Denn nicht der Verein, sondern der Kläger und
seine Ehefrau erbringen die tägliche Versorgung und Erziehung Claudias. Sowohl bei
dem mit dem ersten Erziehungsverein abgeschlossenen Betreuungsvertrag als auch bei
dem mit dem zweiten Erziehungsverein geschlossenen "Erziehungsstellenvertrag nach
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§ 34 SGB VIII" handelt es sich entgegen der vom Beklagten geäußerten Auffassung
nicht um Arbeitsverträge. Nach dem Gesamtinhalt beider Verträge obliegt vielmehr der
Ehefrau des Klägers die eigenverantwortliche Erziehung und Betreuung Claudias. Es
besteht gerade keine Weisungsgebundenheit hinsichtlich der im einzelnen zu
erbringenden Leistungen und der Arbeitszeiten der Ehefrau des Klägers, wie sie aber
für die Annahme eines Arbeitsvertrages erforderlich wären. In § 3 des Vertrages mit dem
O. e.V. ist zwar geregelt, dass der Verein gegenüber der Ehefrau des Klägers ein
Weisungsrecht besitze. Dieses bezieht sich jedoch lediglich auf grundsätzliche
Fragestellungen des Betreuungsauftrages und steht im Zusammenhang mit der vom
Jugendamt auf die Vereine übertragenen Fachaufsicht, zu deren Zweck die Vereine u.
a. eine umfassende Qualitätssicherung durch verschiedenste Beratungsleistungen
gegenüber den Pflegefamilien erbringen.
Es liegt auch keine Aufnahme zu Erwerbszwecken vor. Der Ausschlussgrund der
Aufnahme zu Erwerbszwecken tritt an die Stelle der bisherigen gesetzlichen
Voraussetzung eines nicht unwesentlichen Beitrags zu den Unterhaltskosten, der bis
dahin für die Berücksichtigung eines Pflegekindes erforderlich war. Ausweislich der
Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1945, Seite 9) ist Ziel der gesetzlichen
Neuregelung, dass einerseits Pflegekinder ohne den Nachweis eines eigenen
Beitrages der Pflegeeltern zu den Unterhaltskosten berücksichtigt werden können,
andererseits aber z. B. die Berücksichtigung von Kostkindern wie bisher
ausgeschlossen bleibt (Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach
A, § 32 Rz. 17). Was Kostkinder sind, lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht
ableiten. Allgemein wird angenommen, dass eine Aufnahme zu Erwerbszwecken
erfolgt, wenn Aufnahme und Unterbringung nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten
erfolgen (Finanzgericht - FG - Düsseldorf Urteil vom 19. August 2005 18 K 3149/04,
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG -2006, 433; Jachmann in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 32 EStG Rdnr. B16 m.w.N.; Schmidt/Glanegger, EStG, 25.
Aufl., § 32 Rz 25). Nach den Verwaltungsanweisungen des Beklagten spricht bei der
Aufnahme von mehr als sechs Kindern eine Vermutung dafür, dass es sich um
Kostkinder handelt. Ferner handelt es sich um Kostkinder bei einer Aufnahme in einem
erwerbsmäßig betriebenen Kinderheim (DA FamEStG Tz 63.2.2.3 Abs. 1 Sätze 7 und 8,
BStBl I 2004, 742, 759).
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Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt eine Aufnahme zu Erwerbszwecken nicht
bereits deshalb vor, weil das Jugendamt der Stadt V. die Auffassung vertritt, bei der
Unterbringung in sozialpädagogischen Fachfamilien über einen Träger, für den eine
Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII besteht, sei nach dem System der Pflegekonzepte
der Jugendhilfe eine Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII zu gewähren. Das folgt
bereits daraus, dass die Klassifizierung nach dem SGB VIII grundsätzlich nicht für die im
Rahmen der kindergeldrechtlichen Vorschriften zu beurteilende Frage einer Aufnahme
zu Erwerbszwecken maßgeblich sein kann. Hierfür sind grundsätzlich nur die
Verhältnisse bei den Pflegeeltern von Bedeutung. Nicht maßgeblich ist, ob zwischen
den Pflegeeltern und dem Jugendamt noch ein Trägerverein zwischengeschaltet ist.
Selbst wenn im Verhältnis zwischen Trägerverein und Jugendamt ein an
marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiertes Entgelt für die Unterbringung des
Pflegekindes fließen sollte, hat dies keine Auswirkungen auf den Kindergeldanspruch
solange die Person, die das Pflegekind in ihren Haushalt aufgenommen hat, nicht die
Voraussetzungen einer Aufnahme zu Erwerbszwecken erfüllt. Für eine den
Kindergeldanspruch einschränkende Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG, wie sie der
Beklagte auf der Grundlage der vom Jugendamt angewendeten Regelungen des SGB
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VIII vertritt, lassen sich der gesetzlichen Regelung weder von der Gesetzesbegründung
noch von der Gesetzessystematik her Gesichtspunkte entnehmen.
Die Höhe des an den Kläger bzw. seine Ehefrau für die Aufnahme Claudias geflossene
Entgelt rechtfertigt nicht den Schluss auf eine Entlohnung nach marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Das von dem ersten Trägerverein (N. e.V.) gezahlte Erziehungs-
/Betreuungsgeld betrug 1.176,30 Euro. Unberücksichtigt zu lassen ist das sog.
Aufwandsentgelt von 687,87 Euro, da dies zur Abdeckung der für Claudia anfallenden
Sachkosten dient. Es ergibt sich ein Tagessatz von 39,21 Euro. Der jetzige
Betreuungsverein (O. e.V.) zahlt monatlich insgesamt einen Betrag von 2.190 Euro.
Dieser Betrag ist um die Sachkosten von 700 Euro, Versicherung Vollkasko KFZ von 40
Euro und den Beitrag zur Haushaltskraft 125 Euro als Sachkosten zu mindern. Aus dem
verbleibenden Betrag von 1.325 Euro ergibt sich ein Tagessatz von 44,17 Euro. Beide
Sätze entsprechen nach der Wertung des Senats nicht den Marktpreisen für eine
vollzeitige Tagesbetreuung. Diese dürften sicherlich mindestens 100 Euro pro Tag
betragen (vgl. FG Düsseldorf, EFG 2006, 433).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3, 155
FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
zuzulassen, weil bei einer Unterbringung in sog. Fachfamilien über einen Trägerverein
die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "nicht zu Erwerbszwecken" i. S. des § 32 Abs.
1 Nr. 2 EStG nicht eindeutig ist und insoweit bislang keine höchstrichterliche
Entscheidung vorliegt.
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