Urteil des FG Düsseldorf vom 21.09.2004

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Finanzgericht Düsseldorf, 9 K 6676/03 Kg
Datum:
21.09.2004
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 6676/03 Kg
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Die Klägerin erbachte an den volljährigen und voll erwerbsgeminderten Hilfeempfänger,
der im Haushalt seiner Eltern lebt, bis Dezember 2002 Sozialhilfeleistungen und seit
dem 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26. Juni 2001 (BGBl I, S. 1310,
1335 - GSiG). Grundsicherungsleistungen wurden in Höhe von monatlich 568,40 EUR
bzw. - ab Juli 2003 - 571,85 EUR erbracht; ein Unterkunftsbedarf wurde in Höhe von
monatlich 176,21 EUR berücksichtigt.
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Am 29. Oktober 2003 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf
Erstattung des Kindergeldes gem. § 104 Sozialgesetzbuch X. Buch (SGB X) für den
Zeitraum von März 1999 bis Dezember 2003 geltend. Nachdem die Beklagte zunächst
einen Antrag auf Kindergeld der Beigeladenen abgelehnt hatte, bewilligte sie mit
Bescheid vom 12. November 2003 rückwirkend ab März 1999 Kindergeld. Den geltend
gemachten Erstattungsanspruch der Klägerin erkannte die Beklagte für den Zeitraum
des Sozialhilfebezugs vom März 1999 bis einschließlich Dezember 2002 an. Einen
darüber hinausgehenden Erstattungsanspruch für den Zeitraum des Bezugs von
Leistungen nach dem GSiG ab dem 01. Januar 2003 lehnte sie mit Schreiben vom 12.
November 2003 ab und führte aus, weder aus dem GSiG noch aus dem
Einkommensteuergesetz sei eine rechtliche Ableitung hinsichtlich der Anmeldung eines
Erstattungsanspruchs möglich; insbesondere sehe das GSiG keinen Verweis auf § 103
ff. SGB X vor. Darüber hinaus fehle es auch an der rechtlich erforderlichen
Nachrangigkeit. Nachrangige Sozialleistungen seien immer einkommensabhängige
Ansprüche, die wegen vorrangig zu gewährender und insbesondere als Einkommen
anzusehender Sozialleistungen anzurechnen seien. Bei der Prüfung der Ansprüche
nach dem GSiG werde das Einkommen der Eltern gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG
grundsätzlich nicht berücksichtigt. Angerechnet werde nur Einkommen des
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Anspruchsinhabers selbst und dessen Partners/Ehegatten. Nach der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sei das Kindergeld nicht als Einkommen des
Kindes, sondern als Einkommen dessen Eltern anzusehen.
Die Klägerin hat am 10. Dezember 2003 Klage erhoben. Sie trägt vor, bei den
Leistungen der Grundsicherung handle es sich nach § 28a SGB I i.V.m. § 12 SGB I um
Sozialleistungen. Damit sei über § 104 SGB X eine rechtliche Ableitung hinsichtlich der
Anmeldung eines Erstattungsanspruchs gegeben. Auch fehle es nicht an der rechtlich
erforderlichen Nachrangigkeit. Leistungen nach dem GSiG seien gemäß § 2 GSiG
einkommensabhängig zu gewähren, wobei gemäß § 3 Abs. 2 GSiG die Vorschriften der
§§ 76 - 88 BSHG anzuwenden seien. Danach sei Kindergeld als Einkommen
anzurechnen. Grundsätzlich sei es zwar als Einkommen des Kindergeldberechtigten
anzusehen. Wenn jedoch Eltern Kindergeld für ihr volljähriges, in
Haushaltsgemeinschaft lebendes Kind erhielten, könne erwartet werden, dass sie das
Kindergeld dem Kind zu Gute kommen ließen. Das OVG NW habe mit Beschluss 02.
April 2004 - Az.: 12 B 1577/03 - entschieden, dass bei der Gewährung von
Grundsicherungsleistungen an volljährige Kinder das Kindergeld - wenn auch nicht als
Einkommen - doch bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei und somit letztlich zu einer
Reduzierung der GSiG-Aufwendungen in Höhe des gewährten Kindergeldes führe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld in gesetzlicher Höhe für
die Zeit ab Januar 2003 bis November 2003 im Wege eines
Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X an die Klägerin zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe in ihrem Ablehnungsschreiben vom
12. November 2003. Ergänzend führt sie aus, dem Beschluss des OVG Münster vom 2.
April 2004 läge lediglich eine summarische Prüfung zu Grunde. In materiellrechtlicher
Hinsicht sei die Rechtsauffassung, die das OVG Münster vertrete, nicht mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Anrechenbarkeit des Kindergeldes
im Rahmen der Sozialhilfe in Einklang zu bringen. Das Bundesverwaltungsgericht habe
in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Kindergeld grundsätzlich Einkommen
des jeweiligen Kindergeldberechtigten sei. Es könne nur dann zu anrechenbarem
Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten,
zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben würde. Es genüge dabei nicht, wenn
es dem Kind im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhalts in
irgendeiner Form zugute komme. Erforderlich sei vielmehr, dass der Lebensunterhalt
des Kindes gerade mittels zweckorientierten und mit Rücksicht auf das Kindergeld
gewährten Kindergeldes, d.h. gerade aus dem Kindergeld bestritten werde.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat lediglich mitgeteilt, dass das
Kindergeld auf ihr bzw. auf das Konto ihres Mannes überwiesen werde. Von dem
Kindergeld und dem Einkommen ihres Mannes würden sie gemeinsam leben. Es sei
nicht so, dass sie dem Hilfeempfänger das Kindergeld extra gebe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung von
Kindergeld für den Zeitraum von Januar bis November 2003 nicht zu. Ein derartiger
Anspruch ergibt sich nicht aus § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 SGB X, da die
Beklagte nicht vorrangig verpflichtet war.
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Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger,
wenn er Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs.
1 SGB X vorliegen, einen Erstattungsanspruch gegen den Leistungsträger, gegen den
der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, bevor er von der Leistung des
anderen Rechtsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein
Leistungsträger gem. § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung
der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträger selbst nicht zur Leistung
verpflichtet gewesen wäre. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil die Klägerin auch
bei rechtzeitiger Zahlung zur Leistung nach dem GSiG ohne Anrechnung des gezahlten
Kindergeldes verpflichtet gewesen wäre. Das an die Beigeladene gezahlte Kindergeld
ist weder als Einkommen des Kindes, noch bedarfsdeckend zu berücksichtigen.
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Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GSiG ist bei der Ermittlung der Bedürftigkeit das Einkommen und
Vermögen des Grundsicherungsberechtigten zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 1 Satz
2 sind darüber hinaus auch das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden
Ehegatten und des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen,
soweit sie den eigenen Bedarf übersteigen. Unterhaltsansprüche des
Grundsicherungsbedürftigen gegenüber den Eltern bleiben nach Satz 3 derselben
Vorschrift unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen unter einem
Betrag von 100.000 EUR liegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG ist
Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird, in der
Regel also des Kindergeldberechtigten im Sinn von § 62, 64 EStG (vgl. Urteil vom 17.
Dezember 2003, BVerwG 5 C 25.02, NJW 2004, 2541-2542 m.w.N.). Nichts anderes gilt
für die Leistungen nach dem GSiG (vgl. BayVGH Urteil vom 5. Februar 2004, 12 BV
03.3282, RdLH 2004, 63; VG Ansbach, Urteil vom 10. Juli 2003, AN 4 K 03.00575,
RdLH 2003, 124; VG Düsseldorf, Urteil vom 22. Januar 2004, 21 K 5823/03, n.v.).
Demnach ist das Kindergeld grundsätzlich nicht Einkommen des
grundsicherungsbedürftigen Kindes, sondern dessen Mutter, der Beigeladenen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene Kindergeld ihrem Sohn ausdrücklich
zuwenden würde, mit der Konsequenz, dass das Kindergeld auf Grund dieses
familieninternen Aktes Einkommen des Kindes würde (vgl. BVerwG Urteil vom 17.
Dezember 2003, BVerwG 5 C 25.02, a.a.O.), liegen nicht vor.
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Das Kindergeld ist auch nicht bedarfsdeckend auf den Unterkunftsbedarf anzurechnen.
Der Senat folgt nicht der Auffassung des OVG NRW in dessen Beschluss vom 2. April
2004, 12 B 1577/03, n.v., wonach auf Grund einer lebensnahen Betrachtung durch die
tatsächliche Unterhaltsgewährung unmittelbar der Unterkunftskostenbedarf eines
Grundsicherungsberechtigten gedeckt werde mit der Folge, dass das Kindergeld
entsprechend bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei. Ob durch eine tatsächliche
Unterkunftsgewährung ein entsprechender Bedarf des Berechtigten gedeckt wird, mit
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der Folge, dass Unterkunftsaufwendungen nicht mehr zu berücksichtigen sind, hat
nichts mit der Gewährung von Kindergeld zu tun. Es fehlt mithin an einer Ursächlichkeit
dafür, dass die Zahlung von Kindergeld unmittelbar zu einer entsprechenden
Bedarfsdeckung führt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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