Urteil des FG Düsseldorf vom 19.01.2006

FG Düsseldorf: steuerfestsetzung, elektronische datenverarbeitung, unrichtigkeit, einkünfte, verlustabzug, erlass, verwaltungsakt, dienstanweisung, adv, datum

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 4210/03 E,F
Datum:
19.01.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 4210/03 E,F
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Verfahrenskosten.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob das Finanzamt bestimmte Steuerfestsetzungen noch ändern durfte.
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Die Kläger erzielten bis zur Aufgabe ihrer Betriebe am 31. Mai 1995 Einkünfte aus Land-
und Forstwirtschaft, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. Seit
dem 1. Juni 1995 erzielen sie Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und
Verpachtung sowie (der Kläger seit 1996) noch sonstige Einkünfte.
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Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärungen hatte der Beklagte zunächst die
Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 1994 und 1995 geschätzt und die Einkommen-
steuer jeweils mit Bescheiden, welche nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen, festgesetzt. Daneben ergingen die
Bescheide vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater
Schuldzinsen.
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In Folge nachgereichter Einkommensteuererklärungen wurden diese
Steuerfestsetzungen sodann geändert.
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Für 1994 wurde die Einkommensteuer auf 16.320,00 DM und für 1995 auf 0,00 DM
festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO sowie die vorläufige
Steuerfestsetzung blieben bestehen.
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Das Finanzamt erließ außerdem einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1995, mit dem
der verbleibende Verlustabzug nach § 10 d Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) auf
20.866,00 DM (für den Kläger) bzw. 68.249,00 DM (für die Klägerin) festgestellt wurde.
Der Bescheid erging ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1
AO.
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Außerdem erließ der Beklagte einen auf § 10 d Abs. 1 Satz 2 EStG und § 164 Abs. 2 AO
gestützten Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 1994, mit dem die
Einkommensteuer auf 0,00 DM herabgesetzt wurde, wobei antragsgemäß ein
Verlustrücktrag aus 1995 berücksichtigt wurde. Der Vorbehalt der Nachprüfung nach §
164 Abs. 1 AO blieb in dem Einkommensteueränderungsbescheid 1994 bestehen,
ebenfalls die vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO.
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Ferner erging für 1996 ein Einkommensteueränderungsbescheid, nämlich unter
Berücksichtigung eines Verlustabzugs aus dem Jahr 1995, welcher zu einer
Steuerfestsetzung von 0,00 DM führte. Der Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 AO unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung sowie nach § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufig
hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen.
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Außerdem stellte der Beklagte den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer
zum 31. Dezember 1996 auf 1.537,00 DM (für den Kläger) bzw. 5.027,00 DM (für die
Klägerin) fest. Auch dieser Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 AO unter
Nachprüfungsvorbehalt.
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Für das Jahr 1997 hatte der Beklagte die Einkommensteuer auf 3.020,00 DM
festgesetzt. Der Bescheid vom 24. August 1999 erging nach § 164 Abs. 1 AO unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung sowie nach § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufig hinsichtlich
der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen.
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Eine im Jahr 2000 bei den Klägern durchgeführte steuerliche Außenprüfung für die
Jahre 1993 bis 1995 kam zu dem Ergebnis, dass für die Kläger an Stelle der bisher
erklärten Verluste jeweils Gewinne aus der Aufgabe ihrer land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe für das Jahr 1995 anzusetzen seien. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den
Prüfungsbericht vom 29. März 2001 verwiesen. Eine Schlussbesprechung hatte am 4.
Dezember 2000 stattgefunden. Am Ende eines Schriftwechsels zwischen dem
damaligen steuerlichen Berater der Kläger und dem Finanzamt teilte die Behörde dem
Vertreter mit einem Schreiben vom 11. Dezember 2001 mit, dass für den Kläger ein
Aufgabegewinn von rd. 434.000,00 DM und für die Klägerin ein Aufgabegewinn von rd.
1.366.000,00 DM ermittelt worden sei. Es wurde nochmals Gelegenheit zur
Stellungnahme bis Anfang Januar 2002 gegeben.
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Am 29. Januar 2002 leisteten die Kläger auf die auf Grund der Prüfungsfeststellungen
noch festzusetzende Einkommensteuer eine Vorabzahlung in Höhe von 260.000,00
EUR. Der Beklagte wertete den Prüfungsbericht zunächst nicht aus und wartete den
Ausgang eines finanzgerichtlichen Verfahrens wegen Einkommensteuer 1984 bis 1986
im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf die Steuerfestsetzungen der jetzigen
Streitjahre ab.
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Nach personeller Neubesetzung des für die Kläger zuständigen Veranlagungsbezirks
wies der nunmehr zuständige Sachbearbeiter - lt. Einspruchsentscheidung "in
Unkenntnis dieser Vorgänge" - bei der Bearbeitung der Listen über Fälle mit "Vorbehalt
der Nachprüfung" für die Fälle, für die nach §§ 170 Abs. 2 Nr. 1, 169 Abs. 2 Nr. 2 AO die
"normale" Festsetzungsfrist abgelaufen war, die Kennziffer 28 an. Dies geschah auch
für die Bescheide der Jahre 1994 bis 1996. Die Anweisung der Kennziffer 28 beinhaltet
die Feststellung: "Der Vorbehalt der Nachprüfung ist gemäß § 164 Abs. 4 AO entfallen."
Auf Grund dieser Anweisung wird eine Mitteilung gedruckt, die nicht versandt wird (Fach
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5 Teil 84.2 der Dienstanweisung - ADV).
Da die Einkommensteuerbescheide 1994 bis 1996 jedoch auch hinsichtlich der
Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen teilweise vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO
ergangen waren und der Grund für diese Vorläufigkeit zwischenzeitlich entfallen war,
erzeugte der Rechner jeweils Einkommensteuerbescheide mit der Festsetzung:
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"Der Bescheid vom ... wird, soweit er bisher vorläufig war, gemäß § 165 Abs. 2 AO für
endgültig erklärt. Der Vorbehalt der Nachprüfung ist gemäß § 164 Abs. 4 AO entfallen."
Die entsprechenden Einkommensteueränderungsbescheide 1994 bis 1996, jeweils vom
27. Januar 2003, wurden dem Steuerberater der Kläger als ihr
Empfangsbevollmächtigter übersandt. Sie wurden vom Rechenzentrum zentral
versandt, ohne dass der Bearbeiter des Veranlagungsbezirks hiervon zunächst
Kenntnis erlangte.
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Mit Schreiben vom 5. Februar 2003 teilte der steuerliche Berater sodann dem Beklagten
mit, "dass gemäß § 354 AO auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Einkommen-
steuerbescheid ... 1994, 1995 und 1996, jeweils datiert vom 27.01.2003, verzichtet wird."
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Am 10. März 2003 erließ der Beklagte die nun streitbefangenen
Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1994 und 1995, gestützt auf § 164
Abs. 2 AO. Dabei wurden die Feststellungen der Außenprüfung berücksichtigt.
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Für das Jahr 1995 wurde beim Kläger ein Veräußerungsgewinn aus Land- und
Forstwirtschaft in Höhe von 434.041,00 DM und bei der Klägerin in Höhe von
1.366.386,00 DM berücksichtigt. Dies führte zu einer Steuerfestsetzung von 238.397,51
EUR für 1995. Entgegen seinen Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2003 - so
das Finanzamt - sei der Nachprüfungsvorbehalt noch nicht nach § 164 Abs. 4 AO
entfallen. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO verhindere den Ablauf der
Festsetzungsfrist und damit den Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung.
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Mit Bescheid vom 10. März 2003 wurde mangels verbleibenden Verlustabzuges nach §
10 d Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG zum 31. Dezember 1995 keine entsprechende
gesonderte Feststellung mehr durchgeführt.
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Infolgedessen wurde für das Jahr 1994 kein Verlustrücktrag aus 1995 mehr
durchgeführt, was für 1994 zu einer geänderten Steuerfestsetzung von 8.012,97 EUR
führte. Das Finanzamt berief sich in dem Änderungsbescheid vom 10. März 2003
ebenfalls auf § 164 Abs. 2 AO und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Entgegen
seinen Ausführungen im Bescheid vom 27. Januar 2003 sei der Nachprüfungsvorbehalt
noch nicht nach § 164 Abs. 4 AO entfallen. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO
verhindere den Ablauf der Festsetzungsfrist und damit den Wegfall des Vorbehalts der
Nachprüfung.
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Der für das Jahr 1996 ergangene Einkommensteueränderungsbescheid vom 10. März
2003 mit einer Steuerfestsetzung von 8.134,65 EUR wurde auf § 10 d Abs. 1 Satz 2
EStG gestützt und enthielt nicht mehr den bisherigen Verlustabzug aus dem Jahre 1995.
Mit Änderungsbescheid ebenfalls vom 10. März 2003 wurde nach § 10 d Abs. 3 Sätze 4
und 5 EStG mangels verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1996 keine
gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges mehr durchgeführt.
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Ferner erging mit gleichem Datum ein auf § 164 Abs. 2 AO gestützter
Einkommensteueränderungsbescheid 1997, in dem der bislang berücksichtigte Verlust
aus dem Jahre 1996 in Höhe von 6.564,00 DM nicht mehr abgezogen wurde und in dem
der Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 Abs. 1 AO bestehen blieb.
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Die Kläger halten diese Änderungsbescheide für rechtswidrig.
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Die Voraussetzungen einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO hätten nicht vorgelegen.
Die abgeänderten Bescheide hätten nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
nach § 164 Abs. 1 AO gestanden. Durch den Passus in den Vorgängerbescheiden vom
27. Januar 2003, nach dem der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 4 AO
entfallen sei, sei der Nachprüfungsvorbehalt für die Einkommensteuerfestsetzung 1994
bis 1997 i. S. von § 164 Abs. 3 Satz 1 AO aufgehoben worden, wodurch die Festsetzung
endgültig geworden sei. Für die Frage des Vorbehalts komme es nicht darauf an, was
das Finanzamt gewollt habe. Entscheidend sei, was es zum Ausdruck gebracht hat und
was bei objektiver Betrachtung als sein Wille anzusehen sei und demgemäß auch vom
Steuerpflichtigen als Wille des Finanzamts angenommen werden könne.
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Gehe man zu Gunsten des Beklagten von einer objektiven Unklarheit des
Regelungsgehaltes der Bescheide aus, müsse die Bedeutung einer Nebenbestimmung
durch Auslegung ermittelt werden. Maßgeblich sei hier der objektive
Verständnishorizont des Empfängers. Auch bei Anwendung dieser Grundsätze hätten
die Änderungsbescheide vom 27. Januar 2003 nicht mehr unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung gestanden. Die Formulierung "entfallen" in den Bescheiden vom 27.
Januar 2003 sei jedoch aus der maßgeblichen Sicht des objektiven Empfängers
gleichzusetzen mit der Formulierung einer Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung
nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO. Bestärkt würde dieses Verständnis des
Erklärungsempfängers durch die parallelen Endgültigkeitserklärungen nach § 165 Abs.
2 AO in den Bescheiden. Dadurch vermittelten diese Bescheide insgesamt die
eindeutige Botschaft, dass das Festsetzungsverfahren von behördlicher Seite
abgeschlossen sei.
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Diese Auslegung aus Sicht des Empfängerhorizontes werde durch das
Prüfungsverhalten des Beklagten bestätigt. Die der Steuerfestsetzung zu Grunde
liegenden Sachverhalte seien vom Beklagten vor Ergehen der Bescheide vom 27.
Januar 2003 intensiv geprüft worden. Dem Außenprüfungsbericht vom 29. März 2001
sei ein Schriftwechsel zwischen Außenprüfung, Veranlagung und steuerlichem Berater
über die streitigen Bewertungsfragen vorausgegangen und nachgefolgt. Den Erlass der
Bescheide vom 27. Januar 2003 - nach mehr als einjähriger Pause - hätten die Kläger
daher nur so auffassen können, dass das Finanzamt nach gründlicher Prüfung der
vorgetragenen Argumente den Einwendungen des Beraters gefolgt sei und von einer
Auswertung der Feststellungen der Außenprüfung Abstand genommen habe.
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Dass die Kläger seinerzeit fachkundig vertreten worden seien, ändere an dem Ergebnis
nichts. Bei der Auslegung des Regelungsgehalts eines Bescheides komme es nicht auf
das Verständnis des Bevollmächtigten an, denn dies würde zu einer unzulässigen
Ungleichbehandlung des steuerlich beratenen Steuerpflichtigen gegenüber dem nicht
beratenen führen.
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Zum anderen würde gerade der fachkundige Berater dem Hinweis auf den Wegfall des
Vorbehalts der Nachprüfung zweifellos konstitutive Bedeutung beimessen, da er ja den
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Nichteintritt der Festsetzungsverjährung erkenne und demnach für einen
deklaratorischen Charakter i. S. d. § 164 Abs. 4 AO kein Raum bleibe.
Nach dem Schreiben des Finanzamts vom 11. Dezember 2001 sei über ein Jahr bis
zum Erlass der Bescheide vom 27. Januar 2003 vergangen, die den Hinweis auf den
Wegfall des Nachprüfungsvorbehaltes enthielten. Gerade dieser lange Zeitraum eröffne
sehr wohl der Deutung einer Meinungsänderung des Beklagten den Weg. Wäre die
Auffassung des Beklagten unumstößlich gewesen, hätte er die entsprechenden
Bescheide bedeutend früher erlassen können. Es sei nicht das erste Mal, dass das
Finanzamt nach einer Zeit des Schweigens ohne Vorankündigung abhelfe.
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Entgegen der in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung sei die Aufhebung
des Vorbehaltes auch nicht über § 129 AO korrigierbar. Es liege keine offenbare
Unrichtigkeit i. S. dieser Bestimmung vor. Die bloße Möglichkeit eines Rechts- oder
Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung sei für die Unanwendbarkeit
des § 129 AO ausreichend. Dass der Feststellung des Wegfalls des
Nachprüfungsvorbehaltes in den Bescheiden vom 27. Januar 2003 keine rein
mechanischen Vorgänge zu Grunde lägen, sei nicht nur möglich, sondern liege auf der
Hand. Ausweislich der Einspruchsentscheidung Seite 3 habe der zuständige
Sachbearbeiter "in Unkenntnis" der die Kläger betreffenden Vorgänge für deren
Bescheide die Kennziffer 28 angewiesen. Diese beinhalte die Feststellung des
Entfallens des Vorbehalts der Nachprüfung. Der Maßnahme des Sachbearbeiters habe
demnach die fehlerhafte Bewertung tatsächlicher Umstände zu Grunde gelegen, so
dass eine Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO nicht vorliege. Selbst wenn man unzutreffend
von einer Unrichtigkeit ausginge, sei diese jedenfalls nicht "offenbar". Eine derartige
Erkennbarkeit sei im vorliegenden Fall keinesfalls für einen objektiven Dritten und
insbesondere nicht für die Steuerpflichtigen gegeben.
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Die Kläger beantragen,
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die Einkommensteueränderungsbescheide 1994 bis 1997 und die Bescheide über
die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer zum 31.
Dezember 1995 und 1996, alle Bescheide vom 10. März 2003, in Ge-stalt der
Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2003 aufzuheben, hilfsweise die Revision
zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Begriffe "entfallen" und "Aufhebung" des Vorbehalts seien aus der maßgeblichen
Sicht des objektiven Empfängers keine synonymen Bekundungen einer behördlichen
Endgültigkeitserklärung. Aus der Formulierung der Aufhebung des Vorbehalts ergebe
sich die konstitutive Bedeutung, aus der Formulierung des Entfallens des Vorbehalts
eine deklaratorische Bedeutung. Dies dürfte auch jedem objektiven Empfänger klar
sein, wobei Empfänger der angefochtenen Steuerbescheide der steuerliche Berater der
Kläger gewesen sei, dem als Fachmann der Unterschied zwischen Aufhebung des
Nachprüfungsvorbehalts und Wegfall des Nachprüfungsvorbehalts bekannt sein dürfte.
Im Übrigen setze eine Berichtigung eines Bescheides wegen offenbarer Unrichtigkeit
nach § 129 AO nicht voraus, dass die Unrichtigkeit für den Steuerpflichtigen erkennbar
sei. Maßgebend sei vielmehr, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden
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unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als objektive Unrichtigkeit erkennbar ist.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2006 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist insgesamt unbegründet.
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Alle angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren
Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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1. Der Einkommensteuerbescheid 1995 vom 10. März 2003 ist rechtmäßig. Das
Finanzamt hat die Festsetzung nämlich zu Recht nach § 164 Abs. 2 AO geändert.
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Nach § 164 Abs. 2 AO kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden,
solange der Vorbehalt (§ 164 Abs. 1 AO) wirksam ist.
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a) Dies ist im Streitfall der Fall, denn der Vorbehalt der Nachprüfung ist durch den
vorhergehenden Bescheid vom 27. Januar 2003 nicht aufgehoben worden.
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Die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehaltes steht einer Steuerfestsetzung ohne
Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 164 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz AO). Diese
Steuerfestsetzung ist nur dann ein Verwaltungsakt im Sinne von § 155 AO i. V. m. § 118
ff. AO, wenn diese Maßnahme von einer Behörde z u r Regelung eines Einzelfalles auf
dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen worden ist (§ 118 Abs. 1 Satz 1 AO).
Maßnahme ist dabei nur das
willentliche Verhalten
Amtsträgers (Tipke in Tipke-Kruse, AO und FGO-Kommentar, § 118 AO, Rz. 10). Die
Maßnahme muss von dem Willen des Finanzamtes getragen sein, eine entsprechende
verbindliche Entscheidung mit Rechtswirkung nach außen zu erlassen
(Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 28. September 1984 III R 58/83, Sammlung der
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE - 142, 204, Bundessteuerblatt - BStBl -
II, 1985, 42 ).
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An einem solchen willentlichen Verhalten (Regelungswillen) des Sachbearbeiters
dergestalt, dass er durch entsprechende Kennziffereingabe in die elektronische
Datenverarbeitung den Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO aufheben
wollte, fehlt es im Streitfall.
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Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der vom Klägervertreter mit Nichtwissen
bestrittenen Sachdarstellung des Beklagten, wonach die Eingabe in Unkenntnis der
noch auszuwertenden Feststellungen der Außenprüfung erfolgte. Nach dem Willen des
Bearbeiters sollte nur verwaltungsintern zwecks Bereinigung der zu überprüfenden
Listen der Wegfall des Vorbehaltes der Nachprüfung wegen Verjährung kraft Gesetzes
nach § 164 Abs. 4 AO festgehalten werden. Einen Willen, den Nachprüfungsvorbehalt
nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO aufzuheben, hatte der Bedienstete nicht. Hierzu hätte er
ausweislich Teil 84.2 der Dienstanweisung ADV, befindlich in der
Einkommensteuerakte unter "1997", die Kennziffer 26 in die Datenverarbeitung
eingeben müssen. Dies hat er nicht getan sondern die Kennziffer 28 eingegeben (vgl.
hierzu auch das in der Einkommensteuerakte unter "1997" abgeheftete Protokoll vom
13. Februar 2003 "WinGF - Stapel knacken" für den Zeitraum 1995 ). Zu der
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Formulierung in dem Bescheid vom 27. Januar 2003 "Der Vorbehalt der Nachprüfung ist
gemäß § 164 Abs. 4 AO entfallen" kam es nur deshalb, weil der Grund für die
Vorläufigkeit im Sinne von § 165 AO entfallen war. Damit ist der einen Verwaltungsakt
erst begründende Regelungswille in dem Bescheid vom Januar (allenfalls) nur in Bezug
auf die hier nicht strittige Vorschrift des § 165 AO gegeben nicht aber in Bezug auf die
Aufhebung eines Nachprüfungsvorbehalts nach § 164 Abs. 3 AO.
b) Da der für einen Verwaltungsakt im Sinne von § 164 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO
zwingend nötige Regelungswille objektiv vorhanden sein muss und hier aber fehlt,
kommt es nicht (mehr) auf die zwischen den Beteiligten diskutierte Frage an, wie die
Erklärung zu § 164 AO im Bescheid vom 27. Januar 2003 auszulegen ist. Aus diesem
Grunde ist es auch unschädlich, dass der den Nachprüfungsvorbehalt betreffende Teil
in dem Bescheid vom Januar 2003 unter "Festsetzung" und nicht unter "Erläuterungen"
steht, wie es im Interesse der Rechtsklarheit geboten gewesen wäre.
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c) Weil die Erklärung zu § 164 Abs. 4 AO im Bescheid vom 27. Januar 2003 lediglich
einen Scheinverwaltungsakt dargestellt und die Berichtigungsvorschrift des § 129 Satz
1 AO (offenbare Unrichtigkeit) auf Scheinverwaltungsakte nicht anwendbar ist (BFH -
Urteil vom 28. September 1984, BFHE 142, 204, BStBl II 1985, 42) ist es unerheblich,
ob der angefochtene Steuerbescheid eine Korrektur wegen "offenbarer" Unrichtigkeit
darstellt.
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d) Die Kläger sind auch aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht so zu behandeln,
als sei der Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO aufgehoben worden.
Dabei kann offen bleiben, ob ein Scheinverwaltungsakt überhaupt ein schutzwürdiges
Vertrauen des Empfängers begründen kann. Im Streitfall fehlt es jedenfalls an einer im
Vertrauen auf das Verhalten der Verwaltung nicht mehr rückgängig zu machenden
Vermögensdisposition der Kläger (vgl. für diese Fallgestaltung ebenso BFH vom 28.
September 1984, BFHE 142, 204, BStBl II 1985, 42 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 5.
Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90). Diese haben im Gegenteil sogar eine
Vorauszahlung auf die Mehrsteuer
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e) Der Änderungsbescheid vom 10. März 2003 ist schließlich auch nicht nach Ablauf der
Verjährungsfrist ergangen. Die durch die Außenprüfung in ihrem Ablauf gehemmte
Festsetzungsfrist war nicht verstrichen. Wegen der fehlenden Verwaltungsaktsqualität
des Bescheides vom 27. Januar 2003 in Bezug auf das zu § 164 AO Erklärte hatte der
Einspruchsverzicht des steuerlichen Beraters in seinem Schreiben vom 5. Februar 2003
nicht zur Folge, dass ein aufgrund der Außenprüfung zu erlassender Bescheid
unanfechtbar im Sinne von § 174 Abs. 1 Satz 1 AO geworden ist, womit dann die Frist
abgelaufen gewesen wäre.
50
2. Die Klage hat keinen Erfolg, soweit sie sich gegen den Änderungsbescheid vom 10.
März 2003 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur
Einkommensteuer zum 31. Dezember 1995 wendet.
51
Die hier getroffene Regelung, es sei mangels verbleibenden Verlustabzuges keine
gesonderte Feststellung nach § 10 d Abs. 3 Einkommensteuergesetz - EStG -
durchzuführen, ist lediglich eine Folgeregelung des zu Grunde liegenden
Einkommensteueränderungsbescheides 1995 vom 10. März 2003 im Sinne von § 10 d
Abs. 3 Satz 4 EStG in der für den Streitzeitraum maßgebenden Fassung. Der
Einkommensteuerbescheid ist in diesem Zusammenhang ein Grundlagenbescheid im
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Sinne von § 171 Abs. 10 AO ( für Grundlagenbescheid wohl auch BFH-Urteil vom 9.
Dezember 1998 XI R 62/97, BStBl II, 2000, 3; BFHE 187, 523; ebenfalls wohl auch FG
Niedersachsen, Urteil vom 25. April 1996 XII 82/95, EFG 1997, 276; Heinicke in
Schmidt, EStG Kommentar, 24. Auflage 2005, § 10 d Rz. 56 unter Bezugnahme auf BFH
XI R 4/96, BFH/NV 1997, 180;
a. A.:
680/99, Juris Dok. Nr. STRE200270784 unter Hinweis auf Schmieszek in
Bordewin/Brandt § 10 d EStG Rz. 336 und auf Meyer/Ball, Deutsche Steuer-Zeitung -
DStZ - 1997, 452). Die Verlustfeststellung kann daher entgegen der Ansicht der Kläger
nicht mit Einwendungen angefochten werden, welche die Rechtmäßigkeit des
Grundlagenbescheides selbst betreffen (§ 351 Abs. 2 AO).
Es trifft zwar zu, dass das Gesetz keine für den Grundlagenbescheid typische
gesetzliche Bindungswirkung dahingehend anordnet, dass der für den
Verlustfeststellungsbescheid maßgebende Gesamtbetrag der Einkünfte zwingend dem
Einkommensteuerbescheid zu entnehmen ist. Auch ist der Gesamtbetrag der Einkünfte
nach § 157 Abs. 2 AO grundsätzlich eine bloße nicht selbstständig anfechtbare
Besteuerungsgrundlage. Dies gilt allerdings nicht für den Sonderfall der
Verlustfeststellung nach § 10 d EStG. Nach § 10 d Abs. 3 Satz 4 EStG in der im
Streitzeitraum geltenden Fassung ist der Feststellungsbescheid nur dann zu erlassen,
aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die . . . zu berücksichtigenden Beträge ändern
und deshalb
ändern ist. Im Übrigen kommt ein Erlass
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oder eine Änderung des Verlustfeststellungsbescheides nur dann in Betracht, wenn der
Erlass, die Aufhebung oder die Änderung des Steuerbescheids mangels steuerlicher
Auswirkung unterbleibt (§ 10 d Abs. 3 Satz 5 EStG). Wegen dieser gesetzlichen
Verknüpfung des Verlustfeststellungsbescheides nach § 10 d EStG mit einer zu
ändernden Einkommensteuerfestsetzung besteht eine Bindungswirkung bei der
Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges an den Gesamtbetrag der Einkünfte im
Verlustentstehungsjahr. Insoweit ist daher der Einkommensteuerbescheid
Grundlagenbescheid (a.A.: Meyer/Ball, DStZ 1997, 452/453).
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3. Hinsichtlich des Streitjahres 1996 hat die Klage auch keinen Erfolg. Die
Einkommensteueränderungsfestsetzung beruht auf der geänderten Feststellung des
verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1995 vom 10. März 2005, nach
welcher eine gesonderte Feststellung nach § 10 d Abs. 3 EStG mangels verbleibendem
Verlustabzugs nicht mehr durchzuführen ist. Damit stellt sich der
Einkommensteuerbescheid 1996 als Folgebescheid des für ihn maßgebenden und
bindenden Grundlagenbescheides "Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 1995" dar
(vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 12. Oktober 1995 14 K 1092/93 E, EFG 1996, 129 und
Heinicke in Schmidt, EStG Kommentar, 24. Auflage 2005 § 10 d Rz. 56). Die
Änderungsbefugnis und Änderungspflicht des Finanzamts folgt aus § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO. Der Umstand, dass der Bescheid auf eine andere Änderungsvorschrift
hinweist, ist unschädlich. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist
nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es kommt allein
darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine
entsprechende Ermächtigungsnorm gedeckt war (BFH-Urteil vom 16. September 2004
X R 22/01, BFH/NV 2005, 322 m. w. N.).
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4. Die Klage hat ebenfalls keinen Erfolg soweit sie sich gegen den geänderten
Bescheid betreffend die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur
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Einkommensteuer zum 31. Dezember 1996 richtet. Dieser Bescheid seinerseits ist
lediglich der Folgebescheid des Grundlagenbescheides in Gestalt der geänderten
Einkommensteuerfestsetzung 1996 vom 10. März 2003, in welchem der bisher in Höhe
von 82.555,00 DM berücksichtigte Verlustabzug nicht mehr berücksichtigt wurde mit der
Folge einer positiven Steuerfestsetzung. Dieser auf § 10 d Abs. 3 Satz 4 EStG
beruhende Folgebescheid ist entsprechend dem schon oben Gesagten nicht mit
Einwendungen angreifbar, die sich gegen den Grundlagenbescheid richten.
5. Ebenfalls keinen Erfolg hat die Klage gegen den
Einkommensteueränderungsbescheid 1997.
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Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass dieser Bescheid lt. Ausdruck nach § 164
Abs. 2 AO geändert worden ist und sich die Problematik zur
Verwaltungsaktsqualität/Auslegung für das Jahr 1997 mangels eines Bescheides vom
27. Januar 2003 für 1997 nicht stellt.
58
Es handelt sich bei dieser Änderungsfestsetzung auch hier um einen Folgebescheid
deswegen, weil durch den Änderungsbescheid vom 10. März 2003 mangels
verbleibenden Verlustabzuges zum 31. Dezember 1996 keine gesonderte Feststellung
eines solchen Verlustabzuges mehr durchgeführt worden ist und damit der bisher
berücksichtigte Verlustabzug in Höhe von 6.564,00 DM aus dem Bescheid vom 30.
Dezember 1998 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges
zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1996 rückgängig zu machen war.
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6. Ebenfalls unbegründet ist die Klage gegen die geänderte
Einkommensteuerfestsetzung des Jahres 1994. Der Bescheid ist auch hier eine bloße
Folgeänderung der geänderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.
Dezember 1995, welcher mit Bescheid vom 10. März 2003 nicht mehr festgestellt wurde.
Damit änderte sich in dem Einkommensteueränderungsbescheid vom 10. März 2003 in
Umsetzung dieses geänderten Grundlagenbescheides (Verlustabzugsfeststellung zum
31. Dezember 1995) vom 10. März 2003 der bisherige Verlustrücktrag aus dem Jahr
1995 in Höhe von 80.604,00 DM, der in dem geänderten Einkommensteuerbescheid
1994 nunmehr komplett wegfiel (lt. Bescheid Verlustrücktrag aus 1995 0,00 DM).
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7. Den per Telefax übersandten Schreiben der Klägerin vom 19., 21. und 23. Januar
2006 sind schließlich ebenfalls keine tatsächlichen und/oder rechtlichen Ausführungen
zu entnehmen, die - ggf. unter Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung - zu einer
gegenteiligen gerichtlichen Entscheidung als oben vertreten führen könnten. Ergänzend
wird noch auf Textziffer 11 des die Kläger betreffenden Außenprüfungsberichtes vom
29. März 2001 für die Jahre 1993 bis 1995 Bezug genommen, in dem auf eine frühere
finanzgerichtliche Feststellung verwiesen wurde, dass es sich bei dem Betrieb der
Klägerin vor Erklärung der Betriebsaufgabe zum 31. Mai 1995 um landwirtschaftliches
Betriebsvermögen gehandelt hat. Damit war der Beklagte auch dem Grunde nach
berechtigt und verpflichtet, den der Höhe nach nicht bestrittenen Aufgabegewinn zu
ermitteln und den angefochtenen Bescheiden zu Grunde zu legen.
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8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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9. Die Revision war nicht zuzulassen, da die hierfür nötigen Voraussetzungen nach §
115 FGO nicht vorliegen.
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