Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

FG Berlin-Brandenburg: lieferung, fahrzeug, belgien, eugh, unternehmer, firma, sammlung, steuerbefreiung, versicherung, steuerverwaltung

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2001
Aktenzeichen:
5 K 5130/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6a Abs 3 UStG 1999, § 4 Nr 1
Buchst b UStG 1999, § 17a Abs
2 UStDV 1999, § 88 AO, § 76
FGO
Keine Zeugenvernehmung bei unterlassenem Belegnachweis zur
steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung
Leitsatz
Zum Nachweis einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung hat der Unternehmer
den Belegnachweis des § 17a UStDV zu führen. Dem steht die Rechtsprechung des EuGH
nicht entgegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn trotz des nicht geführten Belegnachweises
feststeht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferung vorliegen. Diesbezüglich müssen weder die
Finanzverwaltung noch das Finanzgericht Ermittlungen anstellen und folglich benannte
Zeugen nicht vernehmen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger veräußerte im Jahre 2001 einen zu seinem Betriebsvermögen gehörenden
Pkw Range Rover an die in Belgien ansässige Firma X zu einem Kaufpreis von 41.000,00
DM. In der Rechnung vom 2.8.2001, auf die verwiesen wird (Bl. 46 der beigezogenen
Akte "Berichte über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen"), wies er keine Umsatzsteuer aus
und behandelte den Verkauf auch in seiner Umsatzsteuererklärung als steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferung. Dies stellte das Finanzamt A anlässlich einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung fest. Im Bericht vom 14.8.2003 führte die Prüferin aus,
dass der Kläger keine Nachweise über die tatsächliche Lieferung des Fahrzeugs nach
Belgien habe vorlegen können. Der Umsatz sei daher als steuerpflichtig zu behandeln.
Das damals zuständig gewesene Finanzamt B folgte dem und setzte die Umsatzsteuer
2001 mit Bescheid vom 8.10.2004 geändert fest. Dagegen legte der Kläger Einspruch
ein. Während des Einspruchsverfahrens änderte das inzwischen zuständig gewordene
Finanzamt C den Umsatzsteuerbescheid 2001 erneut am 15.2.2007. Mit der
Einspruchsentscheidung vom 23.5.2008 wies der nunmehr zuständig gewordene
Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, der Umsatzsteuerbescheid 2001 sei
rechtswidrig. Er, der Kläger, habe das Fahrzeug im Jahr 2001 einem Autohändler zum
Zwecke des Verkaufs übergeben. Dieser habe das Fahrzeug nach Belgien verkauft und
nach Abzug der Provision den Restkaufpreis an ihn, den Kläger, ausgekehrt. Die Käuferin
habe das Fahrzeug selbst nach Belgien überführt, so dass er den Nachweis des Exports
nicht führen könne. Die Anforderungen des Beklagten seien nicht gerechtfertigt. Der
Verkauf an eine in Belgien ansässige Firma müsse als Nachweis des Exports ausreichen.
Dies folge auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom
8.5.2008 (C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Sammlung der Entscheidungen des EuGH -
Slg. - 2008, I-3457). Der Beklagte hätte durch eine Nachfrage beim Straßenverkehrsamt
feststellen können, dass das Fahrzeug in Deutschland nicht mehr zugelassen worden
sei. Zum Nachweis seines Vortrags beruft sich der Kläger auf ein Schreiben der Firma X
vom 1.8.2001, auf das verwiesen wird (Bl. 20 der Verfahrensakte), und auf die
Vernehmung eines Herrn D als Zeugen.
den Umsatzsteuerbescheid 2001 vom 15.2.2007 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2008 dahingehend zu
ändern, dass der Verkauf des PKW Range Rover an die Firma X als
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ändern, dass der Verkauf des PKW Range Rover an die Firma X als
steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt wird.
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich darauf, dass der Kläger die Ausfuhr des PKW nicht nachgewiesen habe.
Dem Gericht haben bei der Entscheidung neben der Gerichtsakte und der Akte zum
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (5 V 5228/08) folgende Akten des Beklagten
vorgelegen: Akte mit Berichten über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen (blattiert bis Blatt
56), Bilanzakte Bd. II (unblattiert), Umsatzsteuerakte Bd. II (blattiert bis Blatt 155).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der
Beklagte hat die Veräußerung des PKW zutreffend nicht als steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferung angesehen.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung
- UStG - unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die
ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen sind gemäß § 4 Nr. 1
Buchstabe b UStG die innergemeinschaftlichen Lieferungen steuerfrei. Eine
innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG unter anderem vor,
wenn der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige
Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat, der Abnehmer ein Unternehmer ist,
der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, und der Erwerb
des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den
Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Diese Voraussetzungen muss der
Unternehmer nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG nachweisen. Das Bundesministerium der
Finanzen kann nach § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG mit Zustimmung des Bundesrates durch
Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat.
Derartige Regelungen enthält § 17a UStG. In den Fällen, in denen der Unternehmer oder
der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
befördert, soll der Unternehmer den Nachweis gemäß § 17a Abs. 2
Umsatzsteuerdurchführungsverordnung - UStDV - führen durch das Doppel der
Rechnung (Nr. 1), einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort
ergibt, insbesondere einen Lieferschein (Nr. 2), eine Empfangsbestätigung des
Abnehmers oder seines Beauftragten (Nr. 3) sowie in den Fällen der Beförderung des
Gegenstandes durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder
seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
zu befördern (Nr. 4). Dieser von § 17a Abs. 2 UStDV vorgesehene Belegnachweis
entspricht den Vorgaben des Art. 131 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 - MwStSystRL - (vormals Art. 28c
Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388 EWG), der den
Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, die Gewährung der Steuerbefreiung an
Bedingungen zu knüpfen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen
Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung,
Steuerumgehung und Missbrauch festlegen (so auch Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a
Rz. 14).
Der Kläger hat den von § 17a Abs. 2 UStDV geforderten Belegnachweis nicht erbracht,
weil weder ein Lieferschein noch eine Empfangsbestätigung oder Versicherung des
Abnehmers über die Beförderung des PKW in das übrige Gemeinschaftsgebiet vorliegen.
Das von dem Kläger vorgelegte Schreiben der Firma X vom 1.8.2001 ist insoweit
unergiebig. Hieraus ergibt sich nicht, dass das Fahrzeug tatsächlich nach Belgien
ausgeführt worden ist.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs -
EuGH - vom 8.5.2008 (C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Sammlung der Entscheidungen
des EuGH - Slg. - 2008, I-3457). Der EuGH hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass
die Mitgliedstaaten zwar die Förmlichkeiten für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts
im Fall des Reverse-Charge-Verfahrens vorschreiben könnten, der Steuerpflichtige durch
die Nichtbefolgung dieser Förmlichkeiten sein Recht auf Vorsteuerabzug aber wegen des
Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer dann nicht verlieren dürfe, wenn die
materiellen Anforderungen erfüllt seien. Verfüge die Steuerverwaltung über die Angaben,
die für die Feststellung erforderlich seien, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der
fraglichen Dienstleistung die Mehrwertsteuer schulde, so dürfe sie hinsichtlich seines
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fraglichen Dienstleistung die Mehrwertsteuer schulde, so dürfe sie hinsichtlich seines
Rechts auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die
Ausübung dieses Rechts vereiteln könnten (EuGH am angegebenen Ort - aaO - Rz. 62
ff.). Bereits mit Urteil vom 27.9.2007 (C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, Rz. 29 ff.)
hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die das
Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von
der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen
zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind,
über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer
sicherzustellen.
Dies führt im vorliegenden Fall nicht zu einer steuerfreien innergemeinschaftlichen
Lieferung des PKW. Denn es steht gerade nicht fest, dass die materiellen
Voraussetzungen hierfür erfüllt sind; die Steuerverwaltung - und auch das Gericht -
verfügt insoweit nicht über die erforderlichen materiellen Angaben. Für die Ausfuhr nach
Belgien ergibt sich insbesondere kein Beweis des ersten Anscheins aus dem Umstand,
dass die Käuferin in Belgien ansässig war. Die Käuferin hätte das Fahrzeug nämlich
gleichwohl in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar weiterveräußern können, was
- wie das Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren weiß - nicht selten vorkommt. In
diesem Fall läge keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor. Der Beklagte
war auch nicht verpflichtet, festzustellen, ob das Fahrzeug in der Bundesrepublik
Deutschland erneut zugelassen worden ist. Selbst wenn das Fahrzeug in der
Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zugelassen worden ist, so belegt dies nicht,
dass das Fahrzeug nach Belgien ausgeführt worden ist. Denn das Fahrzeug wäre auch
dann nicht mehr im Inland zugelassen worden, wenn die Firma X dieses unmittelbar nach
dem Ankauf von dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland an einen Erwerber
verkauft hätte und dieser Erwerber das Fahrzeug dann zB in ein Drittland ausgeführt
hätte. Aus diesem Grunde wäre es zum Beleg der innergemeinschaftlichen Lieferung auf
den konkreten Belegnachweis durch den Kläger angekommen, und zwar so, wie § 17a
Abs. 2 UStDV ihn vorschreibt.
Das Gericht war nicht gehalten, den von dem Kläger benannten Herrn D als Zeugen zu
vernehmen. Abgesehen davon, dass der Kläger weder den Vornamen noch die
ladungsfähige Anschrift des Herrn D mitgeteilt hat, erfordert § 17a Abs. 2 UStDV für die
steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung einen Belegnachweis. Dieser soll eine
schnelle und unkomplizierte Überprüfung der innergemeinschaftlichen Lieferung
ermöglichen (Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a Rz. 61). Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Der Bundesfinanzhof hat zwar
bereits mehrfach entschieden, dass die Steuerbefreiung des § 6a Abs. 1 UStG auch
dann zu gewähren ist, wenn der Unternehmer zwar die erforderlichen Nachweise nicht
entsprechend §§ 17a, 17c UStDV erbringt, aufgrund der objektiven Beweislage aber
feststeht, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vorliegen (s. zB BFH, Urteil
vom 6.12.2007 - V R 59/03, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2009, 57; Urteil vom
12.5.2009 - V R 65/06, BStBl. II 2010, 511). Das bedeutet aber nicht, dass die
Finanzverwaltung und die Finanzgerichte nun eigene Ermittlungen anstellen und - wie im
vorliegenden Fall - Zeugen vernehmen müssen (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a
Rz. 54: keine Ermittlungspflicht von Finanzamt und Finanzgericht). Denn dies liefe sowohl
dem von § 17a Abs. 2 UStDV geforderten Belegnachweis als auch dem Zweck, eine
schnelle und unkomplizierte Überprüfung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu
gewährleisten, zuwider (s. auch Finanzgericht - FG - Rheinland-Pfalz, Urteil vom
26.8.2010 - 6 K 1130/09, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2011, 275, Rz. 22:
mündliche Versicherung reicht nicht aus). Das bedeutet, dass bei Verletzung der von §§
17a, 17c UStDV vorgesehenen Nachweispflichten die Steuerfreiheit nur dann zu
gewähren ist, wenn ohne weitere Ermittlungen feststeht, dass die (materiell-rechtlichen)
Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vorliegen. Dies meint der vom Bundesfinanzhof
verwendete Begriff „objektive Beweislage“. Das steht auch im Einklang mit der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der - wie oben ausgeführt - ebenfalls
darauf abstellt, ob die Finanzverwaltung über die erforderlichen Angaben, die zur
Steuerfreiheit führen, „verfügt“ (EuGH vom 8.5.2008 - C-95/07 und C-96/07, Ecotrade,
Sammlung der Entscheidungen des EuGH - Slg. - 2008, I-3457, Rz. 62 ff. und Urteil vom
27.9.2007 - C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, Rz. 29 ff.). Ermittlungen hat die
Finanzverwaltung danach nicht anzustellen. Für die Finanzgerichte kann nichts anderes
gelten.
Das Gericht ist nach den ihm bekannten Tatsachen nicht davon überzeugt, dass das
Fahrzeug nach Belgien ausgeführt worden ist. Insoweit kann auf die oben gemachten
Ausführungen verwiesen werden. Da keine Ermittlungspflicht besteht, kommt es nicht
darauf an, ob die Vernehmung des Herrn D zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
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