Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 31.03.2017

FG Berlin: wirtschaftliche verfügungsmacht, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, rückgabe, lieferung, eugh, ware, eigentümer, rückvergütung, unternehmer, sammlung

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
FG Berlin 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1999, 1998, 1997,
1996, 1995
Aktenzeichen:
2 K 5450/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 17 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG 1999,
§ 17 Abs 2 Nr 3 UStG 1999, § 3
Abs 1 UStG 1999, Art 5 Abs 1
EWGRL 388/77, Abschn 149 Abs
8 S 6 UStR 1996
Vergütungen eines Umzugsunternehmens für zurückgegebene
Umzugskarton als Entgeltminderungen oder Entgelte für
eigenständige Lieferungen
Tatbestand
Die Klägerin ist als Umzugsunternehmen tätig. Dabei führt sie sowohl Transporte
innerhalb Berlins als auch darüber hinaus durch. Ferner unterhält sie einen so genannten
Umzugsshop, in dem sie Zubehör für Umzüge verkauft und vermietet.
Sowohl im Zusammenhang mit den von der Klägerin selbst durchgeführten Umzügen
als auch im Rahmen des Umzugsshops vertrieb die Klägerin in den Streitjahren
Faltkartons und Bücherkartons. Dabei berechnete die Klägerin für neuwertige Kartons
gegen Ende des Streitzeitraums 4,00 DM und für gebrauchte Kartons 3,50 DM. Die von
ihr erteilten Angebote und von ihr vertriebene Werbung enthielten Zusätze wie:
"Rückgabe gegen Entgelt", "Wir erstatten unsere gebrauchten Kartons im
wiederverwertbaren Zustand mit 2,00 DM" oder "Bei Rückgabe der Kartons erstatten wir
2,00 DM/Stück". Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Bl. 39 bis 51 der
Streitakte sowie die im Arbeitsbogen des Außenprüfers enthaltenen Kopien sowie
Originale der "Umzugshelfer" Bezug. Entsprechend verfuhr die Klägerin, wobei sie nur bei
Kartons mit dem firmeneigenen Logo den ausgelobten Betrag von 2,00 DM erstattete.
Dies geschah in geringem Umfang auch bei Kartons, die bei Schwestergesellschaften
der Klägerin außerhalb Berlins erworben worden waren. Die Klägerin zahlte die Vergütung
an jeden, der einen Karton mit dem firmeneigenen Logo an sie zurückgab. Nur bei
größeren Mengen prüfte sie, ob die Umzugsrechnung bereits bezahlt war. Für fabrikneue
Kartons musste die Klägerin in den Streitjahren zwischen XXX DM und XXX DM bezahlen,
wobei Bücherkartons jeweils ca. 0,10 DM preiswerter waren.
Die Erstattungen für Kartons behandelte die Klägerin in ihren Buchführungswerken als
Erlösschmälerungen, zog sie also von den von ihr erklärten und ansonsten
erwirtschafteten Umsätzen ab. Dabei handelt es sich um Beträge zwischen XXX DM
netto und XXX DM netto. Bis auf einen relativ geringen Anteil erfolgten die Erstattungen
an Privatpersonen. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf Tz. 20 des
Außenprüfungsberichts Bezug.
Die Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre gingen ab dem Jahr 1997 beim
Beklagten ein. Sofern sie nicht als Umsatzsteuerfestsetzungen wirkten, wurde die
Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Vom 20. November
2001 bis 7. November 2002 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung für
die Streitjahre durch. Dabei gelangte der Prüfer zu der Feststellung, dass die
Erstattungen für Kartonrückgaben keine Erlösschmälerungen darstellten, sondern
Entgelte für eigenständige Umsätze, für die jedoch mit Ausnahme geringer Beträge für
Gutschriften an Unternehmer, keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen
oder Gutschriften vorlägen. Dementsprechend ermittelte er ausgehend von den
gebuchten Erlösschmälerungen abzüglich der Gutschriften an Unternehmer in den
Streitjahren erhöhte Umsätze von XXX DM bis XXX DM. Wegen der weiteren Einzelheiten
nimmt das Gericht auf Tz. 20 des Außenprüfungsberichts Bezug.
Ausgehend von diesen Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 30. Juli 2003
geänderte Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1999, gegen die die Klägerin am 14. August
2003 Einspruch einlegte, den der Beklagte am 14. Oktober 2003 zurückwies.
Daraufhin hat die Klägerin am 11. November 2003 Klage erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, im Streitfall seien hinsichtlich der zurückgegebenen
Kartons keine Lieferungen, sondern sonstige Leistungen erfolgt. Zwar seien die Kunden
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Kartons keine Lieferungen, sondern sonstige Leistungen erfolgt. Zwar seien die Kunden
der Klägerin zivilrechtliche und wirtschaftliche Eigentümer der Kartons geworden, jedoch
stehe der Annahme eines Liefervorgangs entgegen, dass nach dem Willen der
Beteiligten und dem wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs Leistungen nicht auf die
wirtschaftliche Substanz der Sache selbst bezogen gewesen seien. Vielmehr sei insoweit
von vornherein vereinbart worden, dass die Lieferung durch Rückgabe und
Pfandrückerstattung rückgängig gemacht werde. Sie schätze, dass etwa jeder zweite
Karton wieder an sie zurückgelangt sei.
An anderer Stelle trägt die Klägerin vor, dass der Kunde den Karton nur zur Nutzung
entgegennehme und ein Kauf gerade nicht bezweckt sei, da die Kartongestellung der
Abwicklung des Umzuges diene und es dem Kunden damit an einer dokumentierten
Kaufabsicht mangele.
Ferner sei die Kartongestellung Teil der angebotenen Umzugsleistungen. Daher definiere
sich im vorliegenden Fall der wirtschaftliche Gehalt der Kartonüberlassung eindeutig
nach der sonstigen Leistung des Umzugs.
Die streitbefangenen Vorgänge müssten entsprechend Abschn. 149 Abs. 8 der
Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR- (betreffend das Pfand auf Warenumschließungen)
behandelt werden, weil der Umstand, dass die Kartons ohne Wareninhalt zur Verfügung
gestellt wurden, unerheblich sei.
Die Klägerin räumt ein, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 25 a
Umsatzsteuergesetz -UStG- in den Streitjahren nicht vorlägen.
Die Klägerin beantragt, abweichend von den Umsatzsteuerbescheiden 1995 bis 1999
vom 30. Juli 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2003 die
Umsatzsteuer auf XXX € für 1995, XXX € für 1996, XXX € für 1997, XXX € für 1998 und
XXX € für 1999 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligten beantragen hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest. Entgegen der Darstellung der Klägerin seien
die Kartons an ihre Kunden geliefert worden. Die Rückgabe stelle demgegenüber eine
eigenständige Rücklieferung dar. Denn die Kunden hätten eine eigenständige
wirtschaftliche Entscheidung über die Rückgabe der Kartons getroffen. Sie hätten sich
weder in einer tatsächlichen noch einer rechtlichen Zwangslage befunden, weil sie als
Eigentümer über die Kartons ohne Einschränkung hätten verfügen können. Das von der
Klägerin in Aussicht gestellte Entgelt stelle zweifelsfrei einen Anreiz zur Rückgabe dar, sei
andererseits aber nicht so hoch, dass von einer faktischen Zwangslage gesprochen
werden könne, nach der es für einen Abnehmer solcher Kartons in höchstem Maße
wirtschaftlich unsinnig wäre, das Angebot der Klägerin nicht anzunehmen. Die Vorschrift
des Abschn. 149 Abs. 8 UStR sei auf den Streitfall nicht anzuwenden, weil es sich nicht
um Warenumschließungen handele. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin die
Kartons nicht nur im Zusammenhang mit den von ihr selbst durchgeführten Umzügen
zur Verfügung stelle, sondern auch in ihrem Umzugsshop veräußere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens
nimmt das Gericht auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der beigezogenen
Akten Bezug. Dem Gericht haben zwei Umsatzsteuer-, drei Bilanz- und eine
Betriebsprüfungsakte sowie der Arbeitsbogen des Außenprüfers vorgelegen, die vom
Beklagten für die Klägerin unter der Steuernummer XXX geführt werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 100 Abs. 1
FGO in ihren Rechten verletzt. Die von der Klägerin ausgezahlten Vergütungen für
zurückgegebene Umzugskartons mindern nicht die von der Klägerin verwirklichten
steuerpflichtigen Umsätze. Insbesondere handelt es sich nicht um Entgeltminderungen
im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 UStG oder um eine Rückgängigmachung
steuerpflichtiger Lieferungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG.
Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass die Abnehmer der Kartons die
wirtschaftliche Verfügungsmacht im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG erlangt und diese im
Falle der Rückgabe gegen Erstattung von 2,00 DM/Stück im Wege der Rücklieferung an
20
21
22
23
24
Falle der Rückgabe gegen Erstattung von 2,00 DM/Stück im Wege der Rücklieferung an
die Klägerin zurückübertragen haben. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat diese
die Kartons den Abnehmern nicht im Wege sonstiger Leistungen zur Verfügung gestellt.
Vielmehr hat sie damit Lieferungen an die Abnehmer ausgeführt.
Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG sind Leistungen, durch die der Unternehmer
den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen, ihm
also die Verfügungsmacht verschafft. Diese Regelung setzt Art. 5 Abs. 1 der 6. Richtlinie
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -6. Richtlinie- um. Danach gilt als
Lieferung eines Gegenstandes die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über
einen körperlichen Gegen-stand zu verfügen. Die Verschaffung der Verfügungsmacht
setzt die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus. Sie ist in der Regel, aber
nicht notwendig, mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden (Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften -EuGH-, Urteile vom 14. Juli 2005 C-435/03 - British
American Tobacco International, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2005, 491, Rz 35; vom
15. Dezember 2005 C-63/04 - Centralan, UR 2006, 418, Rz 62; Bundesfinanzhof -BFH-,
Urteil vom 9. Februar 2006 V R 22/03, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 727).
Ausgehend von diesen Kriterien haben die Abnehmer der Kartons im Streitfall die
wirtschaftliche Verfügungsmacht an den Kartons erlangt. Sie waren zur Rückgabe der
Kartons gegen teilweise Rückvergütung des von ihnen gezahlten Kaufpreises lediglich
berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Die Klägerin hatte weder die Absicht noch die
Möglichkeit, nach Aushändigung der Kartons auf deren Schicksal Einfluss zu nehmen.
Selbst wenn die Kunden bereits beim Erwerb der Kartons deren Rückgabe mit der
Klägerin vereinbart und bei dieser angekündigt haben, waren sie doch völlig frei, insoweit
ihre Meinung zu ändern. Die Klägerin hat die Rückvergütung auch nicht bereits bei
Aushändigung der Kartons abgezogen. Dementsprechend hat der BFH auch in Fällen
des Getränkepfandes, bei denen Warenumschließungen (dem Wortlaut nach) unter
Eigentumsvorbehalt mit der Ware vertrieben wurden, die wirtschaftliche
Verfügungsmacht des Getränkelieferanten an den Warenumschließungen mangels
faktischer Kontrollmöglichkeiten verneint (BFH, Urteil vom 7. Mai 1987 V R 56/79,
Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 150, 85, BStBl II 1987, 582). In gleicher
Weise wird auch für Pfandsysteme, die erst über mehrere Handelsstufen hinweg zur
Rückführung so genannter Mehrwegsteigen für Obst und Gemüse führen, die
Übertragung der Verfügungsmacht vom Erzeuger an den Großhändler usw. bejaht
(Oberfinanzdirektion -OFD- Erfurt, Verfügung vom 20. Februar 2004, sis-Datenbank; OFD
Düsseldorf, Verfügung vom 27. Juli 2005, Steuer-Erlass-Kartei -StEK-, UStG 1980, § 10
Abs. 1, 2/254; anderer Auffassung Weber, Zeitschrift für Umsatz- und Verkehrsteuern -
UVR- 2003, 47). Auch die von der Klägerin zitierten UStR (Abschn. 149 Abs. 8) gehen
grundsätzlich von der Übertragung der Verfügungsmacht, jedoch von anschließenden
Rückgängigmachungen der Lieferungen aus. Nur unter den besonderen in Abschn. 149
Abs. 8 Satz 6 UStR vorliegenden Voraussetzungen, die im Streitfall nicht vorliegen, wird
die Übertragung der Verfügungsmacht verneint.
Die vorstehenden Ausführungen gelten auch, soweit die Umzugskartons im
Zusammenhang mit von der Klägerin selbst durchgeführten Umzügen zur Verfügung
gestellt werden. Insoweit handelt es sich nicht um einheitliche sonstige Leistungen, in
der die Lieferungen der Umzugskartons untergingen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist grundsätzlich jede
Dienstleistung als eigene selbständige Leistung zu betrachten. Jedoch darf andererseits
eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden
Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Es ist aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher
mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt (EuGH,
Urteil vom 25. Februar 1999 C-149/96 - Card Protection Ltd., UR 1999, 254; BFH, Urteile
vom 31. Mai 2001 V R 97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658 [660]; vom 9. Juni 2005 V
R 50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98; vom 18. August 2005 V R 42/03, BFHE 211,
537, BStBl II 2006, 44 [47]). Dementsprechend wird eine Leistung als Nebenleistung zu
einer Hauptleistung angesehen, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das
Mittel darstellt, um die Hauptdienstleistung des Erbringers unter optimalen Bedingungen
in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2005 C-394/04, C-395/04 -
Ygeia, UR 2006, 171, Rz 19).
Davon ausgehend gilt im Streitfall, dass die Überlassung der Umzugskartons sich nicht
darin erschöpft, im Rahmen der von der Klägerin erbrachten Umzugsdienstleistungen
Hilfe zu leisten. Das ist zwar ihr Hauptzweck, jedoch bleibt ein Umzugskarton auch über
den konkreten Umzug, aus dessen Anlass er angeschafft wurde, von wirtschaftlichem
25
26
27
28
29
30
den konkreten Umzug, aus dessen Anlass er angeschafft wurde, von wirtschaftlichem
Wert, weil er beispielsweise weiterhin als Aufbewahrungsbehältnis dienen, für weitere
Umzüge verwendet oder Dritten, ggf. gegen Entgelt, zur Verfügung gestellt werden
kann.
Der Beklagte sieht in der Rückgabe der Kartons auch zu Recht eine eigenständige
Rücklieferung und nicht die Rückgängigmachung der zuvor von der Klägerin an ihre
Kunden erfolgten Lieferungen.
Die Rückgängigmachung einer Lieferung im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG ist
anzunehmen, wenn der Lieferungsempfänger das der Hinlieferung zugrunde liegende
Umsatzgeschäft beseitigt oder sich auf dessen Unwirksamkeit beruft, die zuvor
begründete Erwartung des Lieferers auf ein Entgelt dadurch entfällt und der
Lieferungsempfänger den empfangenen Gegenstand in Rückabwicklung des
Umsatzgeschäfts zurückgibt. Dagegen ist eine Rücklieferung gegeben, wenn die
Beteiligten ein neues Umsatzgeschäft eingehen und der Empfänger der Hinlieferung
dieses dadurch erfüllt, dass er dem ursprünglichen Lieferer die Verfügungsmacht an
dem hingelieferten Gegenstand in Erwartung einer Gegenleistung überträgt (BFH, Urteile
vom 27. Juni 1995 V R 27/94, BFHE 178, 277, BStBl II 1995, 756; Beschluss vom 19. Juni
2002 V B 113/01, Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV-
2002, 1353; Urteil vom 28. November 2002 V R 51/01, UR 2003, 197 a. E.). Dabei ist
nicht die Sicht des ursprünglichen Lieferers, sondern die Sichtweise der ursprünglichen
Lieferungsempfänger, hier also der Kunden der Klägerin, maßgebend (BFH-Urteile vom
17. Dezember 1981 V R 75/77, BFHE 135, 115, BStBl II 1982, 233; in BFHE 178, 277,
BStBl II 1995, 756).
Für die Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung sprechen insbesondere
folgende Umstände: Der ursprüngliche Lieferungsempfänger hat keine andere
Wahlmöglichkeit (BFH, Urteil in BFHE 135, 115, BStBl II 1982, 233). Das ursprüngliche
Rechtsgeschäft ist noch nicht vollständig abgewickelt (Finanzgericht -FG- Köln, Urteil vom
27. Januar 2005 10 K 1139/04, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2005, 822,
Leitsatz, Volltext in Juris). Dagegen spricht für eine Rücklieferung, wenn der ursprüngliche
Lieferungsempfänger aus freien Stücken die Ware an den ursprünglichen Lieferanten
zurückgibt (BFH, Urteil vom 21. Mai 1992 V R 66/86, BFH/NV 1995, 343; vgl. Hessisches
FG, Urteil vom 23. Mai 2001 6 K 3717/98, EFG 2001, 1244).
Im Streitfall hatten die Kunden der Klägerin die freie Entscheidung, wie sie mit den
Kartons verfahren wollten, also auch ob sie sie an die Klägerin zurückgeben wollten. Es
gab insoweit keinerlei rechtliche Bindungen. Auch die tatsächlichen Verhältnisse sind im
Regelfall nicht so, dass nur die Rückgabe an die Klägerin als einzig vernunftsgemäße
Verhaltensweise erscheinen könnte. Denn wie bereits erläutert, ergeben sich auch über
den Umzug hinaus, aus dessen Anlass die Kartons angeschafft wurden,
Nutzungsmöglichkeiten für die Kartons. Sie mögen zwar im Einzelfall je nach
Größenordnung der bezogenen Kartons fern liegen, jedoch erscheint es nicht
sachgerecht, bei Massengeschäften für geringwertige Waren insoweit differenzierte
Einzelbetrachtungen nach den persönlichen Verhältnissen bei den Kunden anzustellen.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass in einer Reihe von Fällen eine Rückgabe ohnehin
ausscheidet, insbesondere dann, wenn das Ziel des Umzugs außerhalb Berlins liegt.
Denn die außerhalb Berlins liegenden Standorte sind umsatzsteuerlich und
gesellschaftsrechtlich selbständige Gesellschaften. Im Ergebnis sind auch nach der
Schätzung der Klägerin nur etwa die Hälfte der Kartons an sie zurückgelangt. Schließlich
spricht gegen die Annahme einer Rückgängigmachung des ursprünglichen Kaufvertrages
auch, dass nicht das gesamte ursprünglich gezahlte Entgelt, sondern nur ein Teilbetrag
erstattet wurde und dass die Klägerin im Regelfall nicht prüfte, ob derjenige, der ihr die
Verfügungsmacht an den gebrauchten Kartons verschaffte, dieselbe Person war, die
zuvor bei ihr die Kartons erworben hatte, oder von dieser zur Rückgabe legitimiert
worden war.
Soweit die Verwaltungspraxis bei der Rücknahme von bepfandeten
Getränkeverpackungen die Rückgabe des Pfandgutes als Rückgängigmachung der
ursprünglichen Lieferung ansieht, lässt das Gericht dahingestellt, ob es dieser Sichtweise
folgen könnte. Die dahingehenden Verwaltungsanweisungen sind für das Gericht nicht
bindend. Im Übrigen sieht das Gericht die Sachverhalte auch nicht als vergleichbar an,
weil die Getränkeverpackungen ausschließlich zusammen mit der eigentlichen Ware
veräußert werden und nach dem Verbrauch der Ware kaum einen eigenständigen
Nutzungswert für den Käufer mehr haben. Ferner decken sich insoweit die bei Hingabe
und Rückgabe gezahlten Pfandbeträge.
Die Rückvergütungen für die gebrauchten Kartons stellen sich auch nicht als
30
31
32
33
34
Die Rückvergütungen für die gebrauchten Kartons stellen sich auch nicht als
Entgeltminderungen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG für die ursprünglichen
Kartonlieferungen dar, weil dies voraussetzen würde, dass die Rückvergütungen nicht
zugleich Entgelt für eine eigenständige Leistung der Kunden der Klägerin sind (vgl. BFH,
Urteil vom 11. Mai 2006 V R 33/03, BStBl II 2006, 699 mit weiteren Nachweisen). Im
Streitfall erhält die Klägerin jedoch als Gegenleistung für die Rückvergütungen die
gebrauchten Kartons, die sie ihrerseits mit einem Aufschlagsatz von 1,50 DM erneut
veräußerte. Darin unterscheidet sich der Streitfall von anderen Fällen der
Rückvergütung, in denen die Rechtsprechung von Entgeltminderungen ausgegangen ist
(vgl. BFH-Urteile vom 12. Januar 2006 V R 3/04, BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479; vom
13. Juli 2006 V R 46/05, veröffentlicht unter www.bundesfinanz-hof.de/Entscheidungen ).
Ferner hat die Klägerin im Regelfall nicht geprüft, ob derjenige, an den sie die Vergütung
für die Kartonrückgabe auszahlte, dieselbe Person war, die zuvor bei ihr die Kartons
erworben hatte, oder von dieser zur Rückgabe legitimiert worden war.
Schließlich gibt es auch keinen Anlass, die Veräußerung der gebrauchten Kartons von
der Besteuerung auszunehmen, selbst soweit die Klägerin bei Erwerb keinen
Vorsteuerabzug geltend machen konnte. Denn die Klägerin hat - schon mangels
Privatsphäre - den Verkauf der Kartons ihrem Unternehmen zugeordnet bzw. ist
aufgrund des Umfangs damit unternehmerisch tätig geworden und unterliegt damit der
Umsatzsteuer (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2005 C-280/04 - Jyske Finanz, UR
2006, 360; BFH, Urteil vom 2. März 2006 V R 35/04, BStBl II 2006, 675).
Dem Grunde nach wäre die Klägerin allerdings berechtigt gewesen, die Umsätze mit den
gebrauchten Kartons der Versteuerung nach § 25 a UStG zu unterwerfen. Dies hätte
jedoch vorausgesetzt, dass sie die nach § 25 a Abs. 6 Satz 2 UStG 1995 bis 1999
erforderlichen Aufzeichnungen geführt hätte. Das Gericht versteht die Äußerung der
Klägerin, dass die Voraussetzungen für die Besteuerung nach § 25 a UStG nicht
gegeben sind, dahingehend, dass diese Aufzeichnungen nicht vorliegen. Ferner dürfte
die Klägerin wohl in einer Vielzahl von Fällen die Umsatzsteuer auf das volle für den
gebrauchten Karton erhaltene Entgelt ausgewiesen haben, so dass sie nach § 14 Abs. 2
UStG a. F. haften würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen und den Streitwert
ausgehend von den Sachanträgen der Beteiligten bestimmt (§§ 13, 25
Gerichtskostengesetz -GKG- in der bis zum 30. 6. 2004 geltenden Fassung). Die Zinsen
bleiben nach § 22 Abs. 1 GKG a. F. außer Betracht.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum