Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 12.10.2005
FG Brandenburg: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, mitgliedstaat, kommission der europäischen gemeinschaft, eugh, ablauf der frist, irrtum, spanien, behörde, verordnung, stempel
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Gericht:
Finanzgericht des
Landes Brandenburg
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1805/98 Z
Dokumenttyp:
EuGH-Vorlage
Quelle:
Normen:
Art 11a Abs 2 EWGV 1062/87,
EWGV 1429/90
(Buchmäßige Erfassung der Abgaben vor Gewährung der Frist
des Art. 11a Abs. 2 VO (EWG) 1062/87 i.d.F. der VO (EWG)
1429/90 zum Ort der Zuwiderhandlung)
Tatbestand
Die Klägerin wird als Hauptverpflichtete im gemeinschaftlichen Versandverfahren für
entstandene Eingangsabgaben in Anspruch genommen.
Sie ließ am 06. und am 13. Juli 1990 zwei Sendungen mit lebenden Kälbern (insgesamt
448 Stück) aus Polen am Zollamt L... - Autobahn mit der Bestimmungszollstelle
Barcelona zum Versandverfahren mit Versandschein T 1 (T 1 VAB II Nr. 1170 und
T 1 VAB I Nr. 2737) abfertigen. Zu beiden Versandscheinen gingen nachfolgend
Rückscheine ein, die augenscheinlich vom Zollamt La Jonquera abgestempelt und vom
Zollamt Barcelona als gestellt bestätigt waren. Vom 03. bis 07. Dezember 1990 führte
die Kommission der Europäischen Gemeinschaft beim Beklagten eine Prüfung über die
Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft durch. Bezüglich der Einfuhr von lebenden
Rindern stellte die Kommission für den Zeitraum vom 01. Juli 1990 bis 05. Dezember
1990 insgesamt 899 Sendungen mit insgesamt 143.630 Tieren fest (bei ca. 70.000
Abfertigungen zum gemeinschaftlichen Versandverfahren), wovon 61.407 Rinder im
Monat Juli 1990 abgefertigt worden waren. Die Kommission äußerte als Ergebnis ihrer
Prüfung die Vermutung, dass in 200 Versandverfahren, bei denen die Waren über
Spanien in die Maghreb-Staaten gehen sollten, Betrügereien begangen worden seien,
und begründete dies mit den nachfolgenden Anhaltspunkten. Sämtliche Rückscheine
seien auf der Rückseite mit dem Stempel „Barcelona“ versehen und mit derselben
Unterschrift abgezeichnet. Auch das Vorhandensein des seit 01. Juli 1990
gemeinschaftsrechtlich nicht mehr vorgeschriebenen Stempels der
Grenzübergangsstelle La Jonquera spreche für Unregelmäßigkeiten beim Transport.
Dieser Stempel weise überdies in einigen Fällen ein Datum aus, das nur einen Tag nach
der Abfertigung in L... liege; diese Zeitspanne erschien der Kommission zu kurz für den
Transportweg von L... nach La Jonquera. Sie bat daher die Bundesrepublik Deutschland,
Untersuchungen vorzunehmen und sie - die Kommission - über die Ergebnisse zu
unterrichten. Ferner forderte die Kommission die Bundesrepublik auf, alle notwendigen
Maßnahmen zu treffen, damit die Einziehung der umgangenen Eingangsabgaben
innerhalb kürzester Zeit sichergestellt werden könne, und zwar in Bezug auf alle
Vorgänge des Verkehrs mit lebenden Tieren, deren Erledigung betrügerisch erfolgt sei.
Am 17. April 1991 unterrichtete das Zollfahndungsamt M... den Beklagten darüber, dass
u.a. die streitgegenständlichen Versandverfahren aufgrund gefälschter Zollstempel
unzutreffenderweise als erledigt anerkannt worden seien, und bat den Beklagten, die
Sicherungsgeber entsprechend zu unterrichten. Das Zollfahndungsamt N.... übersandte
mit Schreiben vom 23. Januar 1992 die Kopien der Rückscheine mit den gefälschten
spanischen Stempeln. Der Beklagte erhob daraufhin mit Steuerbescheiden vom 30.
Januar und 04. Februar 1992 die Eingangsabgaben für beide Sendungen in einer
Gesamthöhe von 106.321,20 DM (54.361,20 €) nach. Dagegen legte die Klägerin
Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung der
Steuerbescheide.
Der Beklagte unterrichtete die Klägerin mit Schreiben vom 02. April 1992 darüber, dass
bei beiden Lieferungen das Versandgut bei der Bestimmungszollstelle nicht gestellt
worden sei, und teilte ihr mit, dass sie den Nachweis der ordnungsgemäßen Erledigung
der Versandverfahren bzw. des Ortes der Zuwiderhandlungen bis zum 07. Juli 1992
erbringen könne. Zugleich wurde die Vollziehung des Steuerbescheids für diesen
Zeitraum ausgesetzt. Mit Beschluss des Bezirksgerichts M... vom 14. September 1992,
Az. V 18/92 Fi, wurde die weitere Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung
bewilligt. Die Drei-Monatsfrist verstrich in der Folge, ohne dass sich die Klägerin zum
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bewilligt. Die Drei-Monatsfrist verstrich in der Folge, ohne dass sich die Klägerin zum
Abschluss der Versandverfahren oder zum Ort der Zuwiderhandlungen äußerte.
Die Klägerin begründete ihren Einspruch nachfolgend damit, dass sie aufgrund fehlender
Einsichtsmöglichkeit in die Ermittlungsakten die Feststellungen der Zollfahndungsdienste
nicht nachvollziehen könne. Soweit ihr bekannt sei, seien die Tiere nach Spanien
verbracht und die Rückscheine der Versanddokumente – wahrscheinlich mit Hilfe von
spanischen Amtsträgern – in den offiziellen Dienstweg eingeschleust worden. Das Vieh
sei vermutlich von der Firma X.. in Andorra gekauft worden, die liquide und in der Lage
sei, die Eingangsabgaben zu bezahlen. Dies sei den deutschen und spanischen Zoll- und
Ermittlungsbehörden auch bekannt. Grundsätzlich solle zunächst der Warenempfänger
vor dem Hauptverpflichteten im Versandverfahren für die Eingangsabgaben in Anspruch
genommen werden. Die fraglichen Versandverfahren seien Gegenstand krimineller
Machenschaften geworden; daher müssten auch andere Personen als Gesamtschuldner
zur Zahlung der Eingangsabgaben aufgefordert werden. Da das lebende Vieh
Deutschland verlassen habe, sei der Beklagte für die Abgabenerhebung nicht zuständig.
Ferner habe der Beklagte die Klägerin erst nach Ablauf der in Art. 11a der Verordnung
(EWG) Nr. 1062/87 der Kommission zur Durchführung und Vereinfachung des
gemeinschaftlichen Versandverfahrens in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG)
Nr. 1429/90 (nachfolgend nur VersandDVO) vorgesehenen Frist von elf Monaten über die
Nichtgestellung der Versandgüter informiert.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens übersandte das Zollfahndungsamt N.... den
Schlussbericht zu den durchgeführten Ermittlungen vom 12.04.1995 an den Beklagten.
Danach sei unter Beteiligung der spanischen und niederländischen Zollbehörden
festgestellt worden, dass der Ort der Zuwiderhandlungen für die fraglichen
Versandscheine unbekannt geblieben sei und die Rückscheine mit gefälschten Stempeln
versehen worden seien. Auf fernmündliche Nachfrage teilte das Zollfahndungsamt N....
mit, dass nur die Tiere nach Spanien gelangt seien, bei denen im Schlussbericht als Ort
der Zuwiderhandlung Spanien ausdrücklich genannt sei (Heft II der beigezogenen
Verwaltungsakte, Bl. 74). Bei 521 Versandverfahren, die betrügerisch erledigt worden
seien, habe in 119 Fällen - darunter die beiden streitbefangenen Verfahren - der Ort der
Zuwiderhandlung nicht festgestellt werden können, in den übrigen Fällen sei der jeweilige
Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung begangen worden sei, ermittelt worden. Es
handele sich dabei um Spanien, Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Belgien.
Mit Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 1998, auf die Bezug genommen wird (Heft II, Bl.
75-85) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung
verwies er auf die genannten Feststellungen des Zollfahndungsdienstes sowie darauf,
dass ein Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlungen durch die Klägerin nicht erbracht
worden sei. Die Angaben zu Transporten nach Spanien und der benannten Firma X..
stellten bloße Hinweise dar, die im Ermittlungsverfahren nicht hätten bestätigt werden
können. Dafür, dass die Tiere nicht nach Spanien gelangt seien, spreche insbesondere
der gefälschte Stempel der Grenzübergangsstelle La Jonquera. Die Rückscheine mit den
gefälschten Erledigungsbestätigungen seien der Bundesrepublik Deutschland
überwiegend auf dem Dienstweg zugeleitet worden. Bei der von der Klägerin
vorgetragenen Behauptung über die Beteiligung von spanischen Amtsträgern handele
es sich um Spekulationen, für die keine Anhaltspunkte, geschweige denn Beweise
vorliegen würden. Hätten die Viehtransporte die Grenze tatsächlich passiert, so hätten
die Frachtführer ohne weiteres einen echten Stempel der Zollstelle La Jonquera
bekommen können. Die elfmonatige Frist zur Benachrichtigung des Hauptverpflichteten
sei eine Ordnungs-, aber keine Ausschlussfrist. Die verspätete Benachrichtigung der
Klägerin sei demnach unerheblich.
Dagegen hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Sie vertieft ihre Begründung aus
dem Einspruchsverfahren und beruft sich zum einen darauf, dass bei einer Beteiligung
spanischer Amtsträger an der betrügerischen Beendigung der Versandverfahren das
Nacherhebungsverbot des Art. 5 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom
24. Juli 1979 (nachfolgend nur NacherhebungsVO) Anwendung finden müsse. Wenn das
Nacherhebungsverbot schon bei einem fahrlässig begangenen Irrtum der
Bestimmungszollstelle greife, müsse dies um so mehr für das im Streitfall offensichtlich
vorliegende vorsätzliche Handeln der Bestimmungszollstelle gelten. Sie - die Klägerin -
habe auch gutgläubig gehandelt und den Irrtum der Zollbehörden nicht erkennen
können.
Sie bezieht sich zum anderen auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften -EuGH- vom 21. Oktober 1999 (Az.: C-233/98, Zeitschrift für Zölle und
Verbrauchsteuern -ZfZ- 2000, 18) und meint, dass es dem Beklagten bereits im April
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Verbrauchsteuern -ZfZ- 2000, 18) und meint, dass es dem Beklagten bereits im April
1991 möglich gewesen wäre, der Klägerin eine Frist von drei Monaten zum Nachweis des
Ortes der Zuwiderhandlung zu setzen. Da er dies nicht getan habe, müssten unter
Berücksichtigung des genannten EuGH-Urteils die Eingangsabgaben erlassen werden.
Die Klägerin ist ferner der Ansicht, dass der EuGH in seinem Urteil vom 20. Januar 2005
(Az.: C-300/03, ZfZ 2005, 84) ihre Meinung bestätigt habe, da nach den dortigen
Ausführungen der Abgangsmitgliedstaat bei nicht erledigten Versandverfahren nur dann
zur Abgabenerhebung beim Hauptverpflichteten berechtigt sei, wenn er diesen zuvor
darauf hingewiesen habe, dass er innerhalb einer dreimonatigen Frist den tatsächlichen
Ort der Zuwiderhandlung nachweisen könne. Insbesondere fühlt sich die Klägerin in ihrer
Auffassung bestätigt, wonach ein Verstoß gegen diese Voraussetzung auch später nicht
mehr geheilt werden könne. Die entgegenstehende Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs -BFH- sei damit überholt.
Die Klägerin beantragt,
dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist eine nationale Zollverwaltung berechtigt, die Abgaben vor Gewährung der
dreimonatigen Nachweisfrist des Art. 11a der VO (EWG) 1062/87 i.d.F. der VO (EWG)
1429/90 zum Ort der Zuwiderhandlung zu erheben und die Nachweisfrist rechtswirksam
erst im Rechtsbehelfsverfahren nachzuholen? ,
bzw. die Steuerbescheide vom 30. Januar und 04. Februar 1992 sowie die
Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 1998 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und erwidert, dass der Klägerin die Drei-
Monatsfrist im Rahmen des Einspruchsverfahrens gewährt worden sei. Damit sei ein
etwaiger Verfahrensfehler hinsichtlich der Fristsetzung geheilt worden. Die den EuGH-
Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte enthielten hingegen überhaupt keine
Mitteilung an den Hauptverpflichteten und seien daher mit der im Streitfall vorliegenden
Konstellation einer verspäteten Information nicht vergleichbar.
Mit Beschluss vom 19. Juli 1999 ist das Ruhen des Verfahrens bis einen Monat nach
Abschluss des beim Landgericht O.... geführten Strafverfahrens 2 KLs 19/96 (W)
angeordnet worden. In diesem Strafverfahren ist ein Teilkomplex des
Lebendviehschmuggels (48 Fälle) behandelt worden, der die streitgegenständlichen
Versandverfahren jedoch nicht beinhaltet hat. Nachdem das Strafverfahren mit einem
rechtskräftigen Freispruch der Angeklagten beendet worden ist, ist das hiesige Verfahren
im Januar 2004 wieder aufgenommen worden.
Entscheidungsgründe
Der Senat setzt das Klageverfahren in analoger Anwendung des § 74 der
Finanzgerichtsordnung -FGO- aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften die im Orientierungssatz genannte Frage zur Entscheidung vor. Denn
die Entscheidung über die von der Klägerin erhobene Klage hängt von der Beantwortung
von Zweifelsfragen ab, die sich bei der Auslegung der Durchführungsvorschrift zur
Verordnung über das gemeinschaftliche Versandverfahren und der dazu ergangenen
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ergeben.
Soweit sich die Klägerin auf das in Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO geregelte
Nacherhebungsverbot beruft, hat sie mit ihrem Vorbringen keinen Erfolg. Denn diese
Vorschrift setzt voraus, dass die unterlassene Abgabenerhebung auf einen Irrtum der
zuständigen Behörde zurückzuführen ist und dass dieser Irrtum vom Abgabenschuldner
nicht erkannt werden konnte. Letzterer muss überdies gutgläubig gehandelt und alle
geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet haben. Als Irrtum der
zuständigen Behörde gilt die unrichtige Feststellung des nach den gesetzlichen
Vorschriften geschuldeten Betrages infolge eines aktiven Verhaltens der Behörde. Ein
Irrtum im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn ihn die zuständige Behörde
hervorruft, nicht jedoch, wenn sie ihm lediglich unterliegt. Ein aktiver Irrtum der Behörde
ist nicht gegeben, wenn sie Angaben usw., die sich später als unrichtig erweisen,
zunächst als richtig angenommen hat (Worms in: Bail/Schädel/Hutter, Kommentar
Zollrecht, F IX 5/5 Rz. 12). So liegt es im vorliegenden Fall. Der Beklagte hat die bei ihm
eingegangenen, abgestempelten Rückscheine ohne weitere Nachprüfung als
authentisch angenommen und die Versandverfahren dementsprechend ohne
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authentisch angenommen und die Versandverfahren dementsprechend ohne
Abgabenerhebung erledigt. Damit beging die Abgangszollstelle keinen aktiven Irrtum.
Das Nacherhebungsverbot kann ohnehin auch deshalb nicht eingreifen, da die Klägerin
nach ihrem eigenen Vortrag zwar gutgläubig war, jedoch dadurch, dass sie ihrer
Gestellungspflicht nicht nachkam, jedenfalls nicht alle geltenden Bestimmungen
betreffend die Zollerklärung (i.e. vorliegend das Versandverfahren) beachtet hat.
Überdies ist die Beteiligung spanischer Amtsträger zwar durchaus wahrscheinlich, aber
bis heute nicht nachgewiesen worden, woraus folgt, dass dieser Aspekt zum Zeitpunkt
der Nacherhebung erst recht unklar war und nicht zum Absehen von der Nacherhebung
führen konnte.
Die Entscheidung des Rechtsstreit ist demnach von der rechtlichen Bewertung der
Tatsache, dass der Beklagte die Drei-Monatsfrist erst nach der buchmäßigen Erfassung
und der Mitteilung der Abgaben an die Klägerin gewährt hat, abhängig.
Nach Auffassung des Senats sind dabei folgende Vorschriften streitentscheidend:
1.
Verordnung -VO- (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976 über das
gemeinschaftliche Versandverfahren in der Fassung der VO (EWG) Nr. 474/90 des Rates
vom 22. Februar 1990 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 222/77 über das
gemeinschaftliche Versandverfahren im Hinblick auf die Aufhebung der Abgabe des
Grenzübergangsscheins beim Überschreiten einer Binnengrenze der Gemeinschaft
(nachfolgend nur:
VersandVO)
Art. 36 VersandVO:
(1) Wird festgestellt, dass im Verlauf eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens in
einem bestimmten Mitgliedstaat Zuwiderhandlungen begangen worden sind, so werden
hierdurch fällig gewordene Zölle und andere Abgaben - unbeschadet der Strafverfolgung
- von diesem Mitgliedstaat nach dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben.
(2) Steht der Ort der Zuwiderhandlung nicht fest, so gilt sie als begangen,
a) wenn sie während des gemeinschaftlichen Versandverfahrens bei einer
Grenzübergangsstelle an einer Binnengrenze festgestellt wird: in dem Mitgliedstaat, den
das Beförderungsmittel oder die Waren zuletzt verlassen haben;
b) wenn sie während des gemeinschaftlichen Versandverfahrens bei einer
Grenzübergangsstelle im Sinne von Art. 11 Buchstabe d) zweiter Gedankenstrich
festgestellt wird: in dem Mitgliedstaat, zu dem diese Grenzübergangsstelle gehört;
c) wenn sie während des gemeinschaftlichen Versandverfahrens auf dem Gebiet eines
Mitgliedsstaats nicht bei der Grenzübergangsstelle, sondern an einer anderen Stelle
festgestellt wird: in dem Mitgliedstaat, in dem diese Feststellung getroffen worden ist;
e) wenn die Zuwiderhandlung nach Durchführung des gemeinschaftlichen
Versandverfahrens festgestellt wird: in dem Mitgliedstaat, in dem diese Feststellung
getroffen worden ist.
(3) Wenn die Sendung nicht der Bestimmungszollstelle gestellt worden ist und der Ort
der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann, gilt diese Zuwiderhandlung
- als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangszollstelle gehört, oder
- als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Eingangszollstelle in der Gemeinschaft
gehört und bei der ein Grenzübergangsschein abgegeben wurde,
es sei denn, den zuständigen Behörden wird innerhalb einer noch festzulegenden Frist
glaubhaft nachgewiesen, daß das Versandverfahren ordnungsgemäß verlaufen ist, bzw.
der Nachweis geliefert, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.
Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht und gilt diese Zuwiderhandlung weiterhin als in
dem Abgangsmitgliedstaat oder in dem Eingangsmitgliedstaat im Sinne von
Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich begangen, so werden die für die betreffenden
Waren geltenden Zölle und anderen Abgaben von diesem Mitgliedstaat entsprechend
dessen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben.
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Wird vor Ablauf der Dreijahresfrist, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Registrierung des
Versandpapiers T 1, der Mitgliedstaat ermittelt, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich
begangen wurde, so erhebt dieser Mitgliedstaat entsprechend seinen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften die für die betreffenden Waren geltenden Zölle und anderen
Abgaben (mit Ausnahme derjenigen, die gemäß Unterabsatz 2 als eigene Einnahmen
der Gemeinschaft erhoben wurden). Sobald diese Erhebung nachweislich erfolgt ist,
werden die ursprünglich erhobenen Zölle und anderen Abgaben (mit Ausnahme
derjenigen, die als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhoben wurden) erstattet.
Die Sicherheit, die für das Versandverfahren geleistet wurde, wird erst nach Ablauf der
vorgenannten Dreijahresfrist oder gegebenenfalls nach Entrichtung der Zölle und
anderen Abgaben freigegeben, die in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die
Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde.
Die Mitgliedstaaten treffen die nötigen Vorkehrungen zur Bekämpfung jeglicher
Zuwiderhandlungen und für deren wirksame Ahndung.
2.
VO (EWG) Nr. 1062/87 der Kommission vom 27. März 1987 zur Durchführung und
Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens in der Fassung der VO (EWG)
Nr. 1429/90 (nachfolgend nur: VersandDVO)
Art. 11a VersandDVO:
(1) Wird eine Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt und kann der Ort der
Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden, so teilt dies die Abgangszollstelle dem
Hauptverpflichteten so schnell wie möglich und spätestens vor Ablauf des elften Monats
gerechnet vom Zeitpunkt der Registrierung der Versandanmeldung mit.
(2) Die in Absatz 1 genannte Mitteilung muß insbesondere die Frist angeben, innerhalb
derer bei der Abgangszollstelle den zuständigen Behörden gegenüber der Nachweis der
ordnungsgemäßen Durchführung des Versandverfahrens oder der Nachweis glaubhaft
zu erbringen ist, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist.
Diese Frist beträgt 3 Monate vom Zeitpunkt der Mitteilung nach Absatz 1 an gerechnet.
Wird der genannte Nachweis nicht rechtzeitig erbracht, so erhebt der zuständige
Mitgliedstaat die betreffenden Zölle und sonstigen Abgaben.
Bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts stellen sich Zweifelsfragen bezüglich der
Auslegung des maßgeblichen Gemeinschaftsrechts. Die Entscheidung über die Klage
hängt davon ab, ob die Bundesrepublik Deutschland der für die Abgabenerhebung
zuständige Mitgliedstaat und als solcher berechtigt war, die Abgaben beim
Hauptverpflichteten zu erheben. Dies könnte zweifelhaft sein, da die deutsche
Zollverwaltung mit der Abgabenerhebung begonnen hatte, bevor sie der Klägerin die
Drei-Monatsfrist des Art. 11a Abs. 2 VersandDVO eingeräumt hatte.
Der EuGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zum Komplex der nichterledigten
Versandverfahren entschieden, dass die Elf-Monatsfrist des Art. 11a Abs. 1 VersandDVO
eine Ordnungsfrist darstelle, die für Zollbehörden der Mitgliedstaaten zwar verbindlich
sei, deren Nichteinhaltung jedoch keine weiteren Rechtsfolgen zugunsten des
Hauptverpflichteten nach sich ziehe (Urteil vom 14. November 2002, Az.: C-112/01, ZfZ
2003, 50 für die insoweit gleichlautende Nachfolgevorschrift des Art. 379 Abs. 1
Zollkodex-DurchführungsVO -ZK-DVO- a.F.). So habe die Nichteinhaltung dieser Frist
keinen Einfluss auf das Entstehen und die Modalitäten der Erhebung der Zollschuld. Die
Abgaben könnten auch dann vom Hauptverpflichteten angefordert werden, wenn die
Zollstelle ihm nicht sogleich nach Ablauf von elf Monaten die Drei-Monatsfrist für die
Nachweisführung gesetzt habe.
Zur Drei-Monatsfrist des Art. 11a Abs. 2 VersandDVO und seiner Nachfolgevorschrift,
Art. 379 Abs. 2 ZK-DVO a.F., hat der EuGH bislang entschieden, dass der
Abgangsmitgliedstaat die Abgaben nur erheben könne, wenn er den Hauptverpflichteten
darauf hingewiesen habe, dass er über eine Frist von drei Monaten verfüge, um die
erforderlichen Nachweise über den ordnungsgemäßen Abschluss des Versandverfahrens
bzw. über den Ort der Zuwiderhandlung zu erbringen, und diese Nachweise nicht
innerhalb der Frist vorgelegt worden seien (Urteile vom 21. Oktober 1999, Az.: C-233/98,
ZfZ 2000, 18, und vom 20. Januar 2005, Az.: C-300/03, ZfZ 2005, 84). Bei den diesen
Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalten war den jeweiligen Hauptverpflichteten
allerdings überhaupt keine Frist zur Nachweisführung bezüglich des tatsächlichen Ortes
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allerdings überhaupt keine Frist zur Nachweisführung bezüglich des tatsächlichen Ortes
der Zuwiderhandlung gesetzt worden, während im Streitfall die Fristsetzung erst nach
Erlass des Steuerbescheides, aber noch vor dessen Bestandskraft erfolgte. Soweit der
EuGH im Urteil vom 20. Januar 2005, a.a.O., ausführt, dass die Angabe der Frist der
Steuererhebung vorausgehen müsse, handelt es sich zum einen um ein obiter dictum,
da in dem dort entschiedenen Fall dem Hauptverpflichteten überhaupt keine Frist zur
Nachweisführung eingeräumt worden und die Klage schon aus diesem Grund begründet
war; zum anderen war in diesem Fall der Art. 379 Abs. 2 ZK-DVO a.F. anzuwenden, in
dessen Wortlaut ausdrücklich geregelt war, dass der zuständige Mitgliedstaat nach
Ablauf dieser Frist die betreffenden Abgaben erhebt. Schon deshalb sieht sich der Senat
daran gehindert, diese Auslegung des EuGH zur Nachfolgevorschrift auch zur Auslegung
des Art. 11a Abs. 2 VersandDVO als entscheidungserhebliches Kriterium heranzuziehen.
Überdies hat der BFH - ungeachtet des Wortlauts der Vorschrift - in seinem Urteil vom
06. Dezember 2001, Az.: VII R 102/00 (ZfZ 2002, 1999), zu Art. 379 ZK-DVO a.F.
entschieden, dass der Steuerbescheid bereits vor Ablauf der Drei-Monatsfrist erteilt
werden darf. Ausweislich dieser Entscheidung bleibt die Zuständigkeitsfiktion des Art.
378 Abs. 2 ZK-DVO a.F. auch dann erhalten, wenn dem Hauptverpflichteten erst im
Verlauf des Einspruchsverfahrens eine Frist von drei Monaten zur Nachweisführung
gesetzt worden und diese Frist vor Ergehen der Rechtsbehelfsentscheidung ergebnislos
verstrichen ist. Im Übrigen stellen BFH und EuGH in ihren Entscheidungen maßgeblich
darauf ab, dass dem Hauptverpflichteten tatsächlich eine Frist von drei Monaten
eingeräumt worden und ihm damit die faktische Möglichkeit zur Nachweisführung
gewährt worden ist. Dies ist im Streitfall geschehen, ohne dass die Klägerin die
betreffenden Nachweise beibringen konnte. Damit ist eine entscheidende
Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten gegeben. Fraglich ist
allerdings die rechtliche Auswirkung der Tatsache, dass diese Frist erst im
Rechtsbehelfsverfahren gesetzt wurde. Aus den vorgenannten Gründen meint der
Senat, dass weder die Argumentation des EuGH-Urteils vom 20. Januar 2005, a.a.O.,
noch die des BFH-Urteils vom 06. Dezember 2001, a.a.O., als allein ausschlaggebendes
Entscheidungskriterium auf den hier vorliegenden Streitfall angewendet werden kann.
Jedenfalls dürfte es den Intentionen des gemeinschaftlichen Verordnungsgebers
entsprechen, dass grundsätzlich zunächst die Fristsetzung erfolgt und danach die
Erhebung der Abgaben stattfindet. Diese Abfolge ist in der Nachfolgevorschrift des hier
zu beurteilenden Art. 11a VersandDVO, nämlich in Art. 379 Abs. 2 ZKDVO a.F., explizit
festgeschrieben und entspricht überdies einem sinnvollen Geschehensablauf. So ist es
im Normalfall für die jeweilige nationale Zollverwaltung zweckmäßig, zunächst die Frist
abzuwarten und erst nach Ablauf der Frist, wenn die eigene Zuständigkeit sicher
feststeht, mit der Abgabenerhebung zu beginnen. Denn wenn der Hauptverpflichtete
innerhalb der Frist den ordnungsgemäßen Abschluss des Versandverfahrens oder den
tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat nachweist,
entfällt die Erhebung der Abgaben durch die Abgangszollstelle des Versandverfahrens,
da entweder die Zollschuld erst gar nicht entstanden ist oder die Abgaben gemäß Art.
36 Abs.1 VersandVO durch einen anderen Mitgliedstaat erhoben werden müssen.
Allerdings ergibt sich aus diesen Überlegungen nach Ansicht des Gerichts nicht die
unerlässliche Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland die Befugnis für die
Abgabenerhebung beim Hauptverpflichteten in dem Fall verliert, wenn das
Erhebungsverfahren beginnt, bevor die Drei-Monatsfrist abgelaufen ist. Denn Art. 36
Abs. 3 VersandVO fingiert für die Fälle einer nicht wiedergestellten Ware zunächst
grundsätzlich die Zuständigkeit der Abgangszollstelle für die Erhebung der Abgaben.
Erst wenn unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen der Ort der Zuwiderhandlung
nachgewiesen wird, verliert die Abgangszollstelle ihre Zuständigkeit für die
Abgabenerhebung. Diese Sichtweise findet Unterstützung auch in der Rechtsprechung
des EuGH (Urteil vom 14. November 2002, a.a.O.), wonach die Elf-Monatsfrist des Art.
11a Abs. 1 VersandDVO keine Ausschlussfrist in dem Sinne ist, dass danach keine
Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten mehr möglich wäre. Vielmehr bleibt auch in
diesen Fällen die Zuständigkeit der Abgangszollstelle bis auf weiteres erhalten und die
Zollschuld erlischt nicht. Gegenüber dem Hauptverpflichteten kann bzw. muss die
Abgangszollstelle innerhalb von drei Jahren die Abgaben erheben, wenn sie ihm die
dreimonatige Nachweisfrist gewährt hat. Art. 36 Abs. 3 VersandVO ist im Regel-
Ausnahme-Verhältnis gestaltet; d.h. die Zuständigkeit des Abgangsstaates ist der
Grund- und Regelfall und bleibt als Auffangzuständigkeit auch dann bestehen, wenn die
Ausnahmefälle der nicht entstandenen Zollschuld bzw. der Zuständigkeit eines anderen
Staates für die Abgabenerhebung nicht innerhalb der Drei-Monatsfrist nachgewiesen
werden.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist es nach hiesiger Auffassung
nicht zwingend, dass die Abgangszollstelle erst nach Ablauf der Drei-Monatsfrist mit der
Abgabenerhebung beginnen darf, wobei sie bei einer verfrühten buchmäßigen Erfassung
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Abgabenerhebung beginnen darf, wobei sie bei einer verfrühten buchmäßigen Erfassung
und Mitteilung der Abgaben endgültig die Möglichkeit, den Hauptverpflichteten als
Zollschuldner in Anspruch zu nehmen, verlieren würde. Denn dies käme im Ergebnis
einem vom Verordnungsgeber nicht vorgesehenen, zusätzlichen
Zollschulderlöschenstatbestand gleich. Das Gericht hält es daher - ähnlich wie der BFH
in seinem Urteil vom 06. Dezember 2001, a.a.O., - für ebenfalls vertretbar, die Abgaben
vor Beginn und Ablauf der Drei-Monatsfrist buchmäßig zu erfassen und dem
Hauptverpflichteten mitzuteilen, sofern ihm noch im außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahren die Drei-Monatsfrist gewährt wird. Denn während dieses
Zeitraums ist das Erhebungsverfahren noch nicht abgeschlossen und dem
Hauptverpflichteten wird die in Art. 36 Abs. 3 VersandVO vorgeschriebene Gelegenheit
gegeben, sich um die fraglichen Nachweise zu bemühen und diese bei der Zollstelle
einzureichen. Diese Möglichkeit zur Wahrnehmung eigener Rechte wird durch die
verfrühte buchmäßige Erfassung nur unwesentlich eingeschränkt; denn der
Abgabenbescheid unterliegt im Einspruchsverfahren in vollem Umfang der behördlichen
und anschließend ggf. der gerichtlichen Überprüfung und wird in dem Fall, dass dem
Hauptverpflichteten die Nachweisführung innerhalb der Drei-Monatsfrist gelingt,
aufgehoben.
Nach alledem hält es der Senat für sinnvoll und geboten, dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften die im Orientierungssatz gestellte Frage zur
Vorabentscheidung vorzulegen.
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