Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin: eltern, rechtskräftiges urteil, kostenbeitrag, unterhaltspflicht, behinderung, familie, aufwand, verpflegung, pflege, unterbringung

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Gericht:
FG Berlin 10. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
2000, 2001, 2002,
2003, 2004, 2005
Aktenzeichen:
10 K 10081/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 74 Abs 1 S 1 EStG 1997, § 94
Abs 2 S 1 SGB 12, § 91 Abs 2 S
3 BSHG, § 74 Abs 1 S 4 EStG
1997, § 1610 Abs 2 BGB
Kindergeldabzweigung bei vollstationärer Unterbringung eines
behinderten Kindes auf Kosten des Sozialhilfeträgers
Tatbestand
Der Kläger stellt seit mehreren Jahren als Träger der Sozialhilfe den Unterhalt des im
Jahre 1971 geborenen und wegen Behinderung vollstationär untergebrachten Kindes A....
durch Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch –SGB- XII
(vormals §§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz –BSHG-) sicher. Dessen Vater, der
Beigeladene, wurde seit dem 1. Januar 2002 zu einem Kostenbeitrag in Höhe von
26,00 € herangezogen, der sich seit dem 1. Januar 2005 auf 46,00 € erhöht hat. Der
Kostenbeitrag wurde regelmäßig gezahlt. Das Kind hält sich im Rahmen von
sogenannten Urlauben jeweils im Winter, im Frühjahr und zur Sommerzeit an
durchschnittlich 42 bis 48 Tagen jährlich im elterlichen Haushalt oder auswärts mit der
Familie in Ferienquartieren auf. Zuhause hält der Beigeladene hierfür ein eigenes
Zimmer vor. Außerdem besuchen die Eltern ihr Kind in der Behinderteneinrichtung
zweimal jährlich für die Dauer von jeweils vier Tagen ( einschließlich des An- und
Abreisetages) aus Anlass von Elterntagungen. Zu Weihnachten und zum Geburtstag
erhält das Kind Geschenkpakete und unabhängig hiervon nach Bedarf Zuwendungen in
Form von zumeist Bekleidung und Schuhwerk.
Für das Kind wurde dem Beigeladenen laufend Kindergeld bewilligt, das jedoch bis Juni
2000 zunächst abgezweigt wurde. Den vom Kläger gestellten Antrag vom 14. August
2000 auf Abzweigung des Kindergeldes ab Juli 2000 lehnte die Beklagte zunächst mit
Bescheid vom 19. September 2000, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 28.
Oktober 2003 mit der Begründung ab, eine zur Abzweigung führende
Unterhaltspflichtverletzung liege nicht vor, zumal die Eltern ihrer Unterhaltsverpflichtung
auch in Form von Sach- und Betreuungsleistungen nachkämen. Im hiergegen
gerichteten Klageverfahren 10 K 10510/03 hat das Finanzgericht Berlin die Beklagte
durch rechtskräftiges Urteil vom 30. August 2005 unter Aufhebung der vorgenannten
Bescheide wegen des Vorliegens einer Ermessensunterschreitung verpflichtet, über den
Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden. Eine Ermessensreduzierung sah es noch nicht als
ausreichend bewiesen an.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes erneut – mit
Bescheid vom 25. November 2005, korrigiert durch Bescheid vom 6. Dezember 2005,
und diesmal mit der Begründung ab, die Interessenabwägung hinsichtlich der Belastung
der Eltern für ihr behindertes Kind und demgegenüber mit dem Entlastungsbedürfnis für
die Sozialkasse falle vollständig zugunsten des Beigeladenen aus. Die durch die
Behinderung des Kindes zusätzlichen Belastungen der Eltern, die sich zusammensetzten
aus dem regelmäßig geleisteten Unterhaltsbeitrag, dem monetär zu bewertenden
Betreuungsaufwand an mindestens 42 Urlaubstagen jährlich, den Fahrt- und
Aufenthaltskosten der Eltern anlässlich von Besuchen in der Behinderteneinrichtung
sowie weiteren Kosten für die Urlaubsgestaltung und Sachzuwendungen an das Kind
würden den Jahresbetrag des Kindergeldes bei weitem übersteigen. Der
behinderungsbedingte Mehrbedarf werde nicht dadurch verringert, dass das Kind die
Leistungen des Sozialleistungsträgers teilweise wegen der zeitweiligen Hilfeleistungen
seiner Eltern nicht in Anspruch nähme. Vielmehr würden die Eltern eine zusätzliche
Unterhaltsleistung zum nicht gedeckten Lebensbedarf des behinderten Kindes
erbringen.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte durch Einspruchsentscheidung
vom 12. Januar 2006 aus den Gründen ihres Erstbescheides zurück. Zur Begründung der
hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Beklagte habe erneut ihr
Ermessen unterschritten, weil sie verkenne, dass nur Unterhaltszahlungen, nicht jedoch
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Ermessen unterschritten, weil sie verkenne, dass nur Unterhaltszahlungen, nicht jedoch
Sach- und Betreuungsleistungen zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Abzweigung
heranzuziehen seien. Dies ergebe sich aus dem Kontext einschlägiger Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs –BFH- und des Bundesgerichtshofs –BGH- in Zivilsachen. Die
Gewährung von Unterhalt durch Betreuung im Rahmen der Personensorge bzw. ein
Naturalunterhalt komme grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht. Bei
einem volljährigen, auswärts lebenden Kind sei der Unterhalt gemäß § 1612 Abs. 1
Bürgerliches Gesetzbuch –BGB- regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Einem
volljährigen Kind gewährte Unterkunft und Verpflegung sowie Betreuung habe ebenso
wie Geschenke, Telefonate, gemeinsam verbrachter Urlaub und Besuche in der
Einrichtung freiwilligen Charakter.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember
2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 2006 zu verpflichten, das
Kindergeld für das Kind A.... für den Zeitraum vom Juli 2000 bis Dezember 2001 in Höhe
von monatlich 138,05 €, für den Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004 in Höhe von
monatlich 128,00 € und für die Zeit ab Januar 2005 in Höhe von monatlich 108,00 € an
den Kläger abzuzweigen.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Klage abzuweisen.
Nach ihrer beider Auffassung sind allein die Betreuungsleistungen bei Urlauben und
Besuchen in den Jahren 2000 bis 2005 mit ca. 3.400,00 € bis 4.000,00 € jährlich zu
bewerten, womit der Jahresbetrag des Kindergeldes deutlich überschritten werde.
Aufgrund seiner Behinderung habe der Sohn des Beigeladenen ungeachtet der
Volljährigkeit zeitlebens einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt. Zweck des
Kindergeldes sei es, Eltern wegen der Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder zu
entlasten, wovon jeder kindbedingte Aufwand erfasst werde. Der dargelegte
Gesamtumfang an Aufwendungen für Betreuung, Fahrtkosten, zusätzliche Bekleidung,
Kosten einer Urlaubsreise und Besuche in der Einrichtung rechtfertige es in Ausübung
des Ermessens, von einer Abzweigung des Kindergeldes abzusehen.
Dem Gericht hat ein Band Kindergeldakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide, mit denen die Beklagte die
Abzweigung des Kindergeldes zugunsten des Klägers abgelehnt hat, sind rechtmäßig
und ermessensfehlerfrei (§ 102 FGO). Sie verletzen den Kläger deshalb nicht in seinen
Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes –EStG- in der für den
streitigen Zeitraum geltenden Fassung kann das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG
festgesetzte Kindergeld u. a. an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt
gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht
nachkommt. Vorliegend ist der Beigeladene seinem Sohn zur Gewährung von Unterhalt
verpflichtet, da dieser sich nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch
umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf, zu dem auch der
gesamte behinderungs- und pflegebedingte Mehrbedarf gehört (vgl. Palandt,
Diederichsen, 65. Aufl., 2006, Rz. 6 zu § 1610 ). Die dem Kind gewährte
Eingliederungshilfe mindert nicht dessen Bedürftigkeit, da sie subsidiär ist und den
Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Verpflichtung befreien soll. Die Verpflichtung zur
Unterhaltsgewährung wird auch nicht dadurch berührt, dass der Gesetzgeber gemäß
§ 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (nunmehr § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) bei Kindern nach
Vollendung des 18. Lebensjahres, die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in
vollstationären Einrichtungen erhalten, den gesetzlichen Übergang des vollen
Unterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger ausschließt und ohne eine Einkommens-
und Vermögensüberprüfung bei den Eltern lediglich den Übergang des bürgerlich-
rechtlichen Unterhaltsanspruchs in Höhe von monatlich 26,00 € (nunmehr zuzüglich
weiterer 20,00 €) auf den Träger der Sozialhilfe fingiert (vgl. Urteil des BFH vom
23. Februar 2006 III R 65/04).
Hiervon ausgehend ist der Beigeladene seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht im Sinne
des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen. Die Norm setzt nicht voraus, dass
der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht schuldhaft nicht erfüllt oder sogar
gemäß § 170 b des Strafgesetzbuchs –StGB- eine strafbare Unterhaltspflichtverletzung
verwirklicht. Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es nicht
an. Folglich ist es unerheblich, dass im vorliegenden Fall die Nichterfüllung der
Unterhaltspflicht in vollem Umfang allein schon darauf beruht, dass der Übergang des
Unterhaltsanspruchs kraft der gesetzlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (§ 94
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Unterhaltsanspruchs kraft der gesetzlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG (§ 94
Abs. 2 Satz 1 SGB XII) auf die Heranziehung zu dem geringen Kostenbeitrag in Höhe von
26,00 € bzw. 46,00 € beschränkt ist (vgl. BFH a. a. O.). Maßgeblich ist allein, dass der
Beigeladene nicht die zu dem Lebensbedarf seines Kindes gehörenden laufenden Kosten
für die Unterbringung in vollstationärer Pflege übernommen hat. Erbringt der
Kindergeldberechtigte ausschließlich den sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag,
also Unterhalt in einer geringeren Höhe als das für die Auszahlung in Betracht
kommende Kindergeld, liegt neben der Tatbestandsvoraussetzung des § 74 Abs. 1 Satz
1 EStG zugleich auch die Voraussetzung für die Abzweigung gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3
Zweite Alternative i.V.m. Satz 4 EStG vor.
Die Entscheidung der Beklagten, von einer Abzweigung des Kindergeldes vollständig
abzusehen, ist nicht ermessensfehlerhaft. Im Fall einer Ermessensentscheidung prüft
das Gericht, ob der Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung rechtswidrig ist, weil die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist
(§ 102 Satz 1 FGO). Eigenes Ermessen hat das Gericht nicht auszuüben. Bei der
Ausübung des ihr nach § 74 Abs. 1 EStG eingeräumten Ermessens hat die
Familienkasse den Zweck des Kindergeldes zu berücksichtigen (§ 5 Abgabenordnung –
AO- 1977 ). Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags
in Höhe des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich ist,
der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Da das Kindergeld die Eltern wegen
ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, sind bei der Prüfung, ob und in
welcher Höhe das Kindergeld abzuzweigen ist, auch geringe Unterhaltsleistungen des
Kindergeldberechtigten mit einzubeziehen (vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2006 a.a.O.;
Urteil vom 17. November 2004 VIII R 30/04, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter
Entscheidungen des BFH –BFH/NV- 2005, 692). Hieraus ergeben sich zunächst folgende
Ermessensbeschränkungen: Entstehen dem Kindergeldberechtigten mangels
Kontaktpflege zu seinem Kind keine Kosten und leistet er auch nicht den gesetzlich
geschuldeten Kostenbeitrag, ist allein die Abzweigung des Kindergeldes in voller Höhe
ermessensgerecht. Beschränkt sich die Unterhaltsleistung des zu seinem Kind
kontaktlosen Kindergeldberechtigten auf die regelmäßige Zahlung des Kostenbeitrages
von 26,00 € bzw. 46,00 €, ist die allein ermessensgerechte Entscheidung auf die
Abzweigung des Kindergeldes in Höhe des verbleibenden Differenzbetrages zur Höhe
des gesetzlichen Kindergeldes reduziert (vgl. Urteil des BFH vom 17. Februar 2004
VIII R 58/03, Entscheidungen des BFH –BFHE- 206, 1, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2006,
130). Leistet der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht entsprechend
Barunterhalt in Höhe des Kindergeldes oder darüber hinaus, ist jegliche
Abzweigung unzulässig (vgl. § 74 Abs. 1 Satz 3 Zweite Alternative EStG; BFH, Urteil vom
23. Februar 2006 a.a.O.).
Für die Ermessensausübung ist entgegen der Auffassung des Klägers auch von
Bedeutung, in welchem Umfang der Kindergeldberechtigte für sein behindertes Kind
„Betreuungsunterhalt“ leistet (vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2006 a.a.O.). Dem steht
nicht entgegen, dass unterhaltspflichtige Eltern einem volljährigen Kind keinen
Betreuungsunterhalt mehr schulden und sich gleichwohl erbrachte Betreuungsleistungen
als freiwillige Leistungen darstellen, die unterhaltsrechtlich unberücksichtigt bleiben (vgl.
Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH- vom 26. Oktober 2005, BGHZ 164, 375 ff.). Denn
dies gilt regelmäßig nur für volljährige gesunde Kinder, die anders als behinderte nicht
der Betreuung bedürfen und für die auch im Umfang des Unterhalts kein
behinderungsbedingter Mehrbedarf besteht (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 25. April 2006
VI ZR 114/05, Versicherungsrecht 2006, 1081 zum gesetzlich geschuldeten Unterhalt
aus § 844 Abs. 2 BGB, allerdings im Fall eines mit dem Kind lebenslang vereinbarten
Betreuungsunterhalts ). Aber selbst wenn auch ein volljähriger Behinderter nur Anspruch
auf einen seinen Betreuungsbedarf abdeckenden Barunterhalt hätte, muss folgendes
gelten: Trägt der Kindergeldberechtigte durch seine Betreuung außerhalb der
Einrichtung tatsächlich dazu bei, einen behinderungsbedingten Mehrbedarf zu
befriedigen oder entstehen dem Kindergeldberechtigten im Rahmen der natürlichen
Kontaktpflege zwischen Eltern und Kind Aufwendungen für Besuche, Freizeitaktivitäten
und spezielle Urlaubskosten, so entspricht es jedenfalls dem vorgenannten alternativen
Zweck des Kindergeldes, die Familie des – hier behinderten- Kindes zu fördern,
Leistungen solcher Art, die keinen Luxus darstellen, in die Ausübung des
Abzweigungsermessens einzubeziehen. Hierzu steht auch nicht im Widerspruch, dass
nach einem PKH-Beschluss des BFH vom 22. 12. 2005 III S 26/05, BFHNV 2006,736, ein
behindertes Kind im Fall des von der Mutter aufgrund ihres persönlichen
Betreuungsangebots nicht geleisteten Barunterhalts die Auszahlung des Kindergeldes
an sich nach pflichtgemäßem Ermessen der Familienkasse verlangen kann. Denn wird,
so die Entscheidung des BFH, der benötigte Barunterhalt tatsächlich nicht erbracht und
werden ( die mangels Akzeptanz beim Kind auch gar nicht realisierbaren )
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werden ( die mangels Akzeptanz beim Kind auch gar nicht realisierbaren )
Naturalleistungen lediglich angeboten, wird allein hierdurch das durch § 74 Abs. 1 Satz 1
EStG eröffnete Rechtsfolgeermessen nicht beschränkt.
Ermessensfehlerfrei hat die Beklagte ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt, dass das
Kind des Beigeladenen in der Zeit von 2000 bis 2005 an jährlich mindestens 42 und
höchstens 48 Beurlaubungstagen im Elternhaus bzw. bei gemeinsam auswärts
verbrachten Urlauben betreut worden ist und eine weitere Betreuung aus Anlass von
jeweils zwei Besuchen der Eltern in der Einrichtung pro Jahr stattfand. Diese
Betreuungszeiten sind der Beklagten durch den Träger der Einrichtung bestätigt
worden. Sie stehen zugleich im Zusammenhang mit von den Eltern getätigten
Aufwendungen für Unterkunft in Ferienwohnungen und Ferienhäusern, für Beköstigung,
Freizeitaktivitäten, die Bereithaltung eines Zimmers in der elterlichen Wohnung sowie die
Beschaffung zusätzlicher Kleidung, die der Beigeladene erläutert hat und die
sinnvollerweise nicht bestritten werden können. Es kann dahinstehen, inwieweit
solcher Betreuungsaufwand der Berechnung des Klägers folgend entsprechend der
Vorgabe in Nr. 63.3.6.3.2 Abs.3 der Dienstanweisung zur Durchführung des
Familienleistungsausgleichs – DA-FamEStG- mit einem Stundensatz von 8,00 € (vor
2002 mit 15,00 DM) bewertet werden könnte und in welchem Umfang insgesamt für
jeden Urlaubstag ein solcher Ansatz gerechtfertigt wäre. Denn auf eine diesbezüglich
exakte Berechnung kommt es für die Ermessensausübung nicht zwingend an. Vielmehr
läge es ebenso im Rahmen sachgerechter Abwägung, Betreuungsleistungen ohne
detaillierte Unterhaltsaufwendungen pauschal zu berücksichtigen und einen zeitlich
geringen bis mittleren Aufwand mit der von der Abzweigung zu verschonenden Hälfte
des Kindergeldes zu bewerten (vgl. BFH, Urteil vom 23. Februar 2006, a.a.O. im Fall einer
an etwa 10 Tagen erfolgten Betreuung). Da der Beigeladene zusätzlich zum
regelmäßigen Kostenbeitrag von 26,00 € bzw. 46,00 € einen erheblich höheren
Betreuungsunterhalt an jährlich mindestens 42 Tagen sowie weiteren
Besuchstagen leistet und die auswärtige Betreuung mit besonderen Kosten für
Unterkunft, Verpflegung und Freizeitaktivitäten verbunden ist, er überdies regelmäßig
Sachaufwendungen für ergänzende Kleidung etc. trägt, kann die hier getroffene
Abwägung der für und gegen die Abzweigung des Kindergeldes streitenden Belange, die
zum Ergebnis der vollständigen Ablehnung der Abzweigung geführt hat, nicht als
ermessensfehlerhaft beanstandet werden. Wäre der Auffassung des Klägers zu folgen,
dass die – widersprüchlichen - Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden noch
immer letztlich in dem Sinne zu verstehen sind, dass die Beklagte schon tatbestandlich
das Vorliegen einer Unterhaltspflichtverletzung verneint, läge gleichwohl kein
entscheidungserheblicher Ermessensausfall vor, weil das Gericht aus dem oben
dargelegten Gesamtumfang der Leistungen des Beigeladenen den Schluss auf eine
vollständige Ermessensreduzierung dahingehend zu ziehen hätte, dass allein die
vollständige Belassung des Kindergeldes zugunsten des Beigeladenen
ermessensgerecht wäre.
Die Ermessensentscheidung ist auch nicht vor dem Gleichbehandlungsgebot zu
beanstanden. Allerdings ist festzustellen, dass die für sämtliche Familienkassen
verbindliche Dienstanweisung DA-FamEStg 2004 unter Nr. 74.1.1. Abs. 3 bei Leistung
des gesetzlichen Unterhaltsbeitrags von 26,00 € noch immer eine Abzweigung verbietet,
sich hieraus unzulässige Ermessensunterschreitungen ergeben können, und es für die
Wahrung gleichmäßiger Ermessenspraxis aller Familienkassen weiterhin an Vorgaben
zur Höhe des Abzweigungsbetrages fehlt. Folglich könnte sich eine rechtswidrige
Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall nur aus einer willkürlichen Abzweigungspraxis
der Familienkasse der Beklagten innerhalb ihrer Zuständigkeit ergeben, für die es dem
Gericht jedoch an jeglichen Anhaltspunkten fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO, die der
Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 709 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, die Staatskasse an den Kosten des
Beigeladenen zu beteiligen, weil er sich mit seinem Antrag einem eigenen
Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat ( § 135 Abs. 3 FGO ).
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keiner der in § 115 Abs.2 Nr. 1 und 2 FGO
genannten Zulassungsgründe ( auch nicht abgeleitet aus divergierenden
Entscheidungen des BFH) vorliegt.
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