Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, ablauf der frist, einspruch, die post, gesetzliche frist, klagefrist, schriftstück, verschulden, gerichtsakte, fristversäumnis

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
1999
Aktenzeichen:
5 K 5213/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 56 Abs 1 FGO
Keine Wiedereinsetzung bei Verschulden des Bevollmächtigten
durch Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Nutzung
eines elektronischen Dokumentenmanagementsystems
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1999.
Die Kläger erwarben im Jahre 1997 ein Anwesen in der M-Straße in N. Nachdem sie das
aufstehende Gebäude entkernt und neu hergerichtet hatten, veräußerten sie das
Grundstück im Juni 1999 und gaben in ihrer Steuererklärung für das Veranlagungsjahr
1999 Einkünfte aus diesem Veräußerungsgeschäft in Höhe von 930.374 DM an.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 setzte der Beklagte die Einkommensteuer unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung und teilweise vorläufig fest. Mit ihrem Einspruch vom 28.
Februar 2001 machten die Kläger u.a. geltend, dass die Verlängerung der
Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 EStG gegen die Verfassung verstoße. Von daher dürfe
der beim Verkauf des Anwesens M-Straße erzielte Gewinn nicht berücksichtigt werden.
Unter dem 24. April 2001 sowie dem 7. Februar 2005 erließ der Beklagte jeweils neue,
ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende und teilweise vorläufige
Bescheide, mit denen er dem Einspruch hinsichtlich der Berücksichtigung des
Veräußerungsgewinns nicht abhalf.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2007 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass mit Blick auf die
zeitlichen Zusammenhänge des Grundstücksverkaufs ein Ruhen des Verfahrens nicht
mehr in Betracht komme und das Einspruchsverfahren nunmehr fortgesetzt werde.
Nachdem die Kläger im Juli 2007 ergänzend vorgetragen hatten, teilte der Beklagte mit
Schreiben vom 5. September 2007 mit, dass das neue Vorbringen nicht geeignet sei,
dem Einspruch zum Erfolg zu verhelfen. Er gab den Klägern auf, sich hierzu innerhalb
von vier Wochen nach Erhalt des Schreibens zu äußern. Trotz Erinnerung vom 24.
Oktober 2007 gaben die Kläger eine weitere Stellungnahme nicht ab.
In der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 wies der Beklagte den Einspruch
zurück und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Mit ihrer am 1. September 2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger
ihr Begehren weiter. Zugleich begehren sie wegen der Versäumung der Klagefrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und tragen zur Begründung vor, dass die
Einspruchsentscheidung am 2. Mai 2008 in der Kanzlei ihres Bevollmächtigten
eingegangen sei. Sie sei von der mit der Bearbeitung des Posteingangs beauftragten
Mitarbeiterin mit einem Eingangsstempel versehen und lediglich elektronisch verarbeitet
worden. Zu diesem Zweck habe die Mitarbeiterin das Schriftstück eingescannt und in
dem elektronischen Dokumentenmanagementsystem abgelegt. Dabei habe sie in der
dafür vorgesehenen Indexmaske in der Betreffzeile den Tenor der Entscheidung
(„Entscheidung Einspruch ESt 1999“) notiert und diesem das Kürzel „BvF“ vorangestellt,
der das Schreiben als Brief vom Finanzamt gekennzeichnet habe. Sodann habe sie den
Vorgang zur Weiterbearbeitung elektronisch dem Bevollmächtigten zugeordnet.
Entgegen der sonstigen Praxis und ihrer Arbeitsanweisung habe sie es versäumt, den
fristgebundenen Posteingang in der elektronischen Fristenliste zu vermerken. Auch habe
sie das Originaldokument nicht in das Posteingangsfach des betreffenden
Steuerberaters gelegt. Vielmehr sei das Dokument wohl anschließend vernichtet
worden. Der Bevollmächtigte habe das ihm auf elektronischem Wege zugeleitete
Schriftstück nicht beachtet, weil es unter dem Register „Korrespondenz“ abgelegt
worden sei. Dies sei nur so zu erklären, dass mit einer Entscheidung des Finanzamts in
der Sache nicht habe gerechnet werden müssen. Erst am 19. August 2008 habe der
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der Sache nicht habe gerechnet werden müssen. Erst am 19. August 2008 habe der
Bevollmächtigte der Kläger erstmalig von einer Mitarbeiterin des Beklagten erfahren,
dass der Einspruch mit Bescheid vom 30. April 2008 zurückgewiesen worden sei.
unter Änderung des Bescheides vom 07. Februar 2005
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 die
Einkommensteuer 1999 auf 60.521,62 € festzusetzen.
die Klage zu verwerfen.
Er meint, dass den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden
könne. Das Büroversehen der Mitarbeiterin des Bevollmächtigten sei unbeachtlich, da
der Bevollmächtigte die Fristversäumnis selbst habe verhindern können. Nach Lage der
Dinge habe er die Einspruchsentscheidung zur Kenntnis nehmen müssen. Dabei hätte
ihm auffallen müssen, dass entgegen der üblichen Praxis weder der betreffende
Bearbeiter noch die Klagefrist auf dem Posteingangsstempel vermerkt worden sei.
Danach hätte sich eine Überprüfung aufgedrängt, ob in diesem Fall eine Abweichung von
der üblichen Vorgehensweise vorgelegen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn die
Kläger geltend machten, dass mit einer Entscheidung nicht habe gerechnet werden
können. Er, der Beklagte, habe den Klägern im September 2007 deutlich gemacht, dass
er dem Einspruch keine Aussicht auf Erfolg einräume.
Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung neben der Gerichtsakte ein Band
Einkommensteuerakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig, da sie verfristet ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist
nicht zu gewähren.
Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der
Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1
Satz 1 Halbs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Wird die Entscheidung durch die Post
übermittelt, gilt sie am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben,
außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Die Frist endet
mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist (§§ 188 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 54
Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO). Das ist im Falle des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO der Tag, der
seiner Datumszahl nach dem Tag der Bekanntgabe entspricht (vgl. § 188 Abs. 2 BGB
i.V.m. §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 Abs. 1 ZPO).
Die Klagefrist lief am 5. Juni 2008 ab. Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers mit
Entscheidung vom 30. April 2008 als unbegründet zurückgewiesen und den Bescheid am
selben Tag zur Post gegeben. Der Bescheid galt, da der dritte Tag nach Aufgabe zur
Post ein Samstag war, jedenfalls am 5. Juni 2008, einem Montag, als bekannt gegeben.
Zweifel am Zugang oder am Zeitpunkt des Zugangs bestehen nicht. Dass ihnen die
Entscheidung verspätet zugegangen wäre, haben die Kläger nicht vorgetragen. Die am
1. September 2008 erhobene Klage war damit verspätet.
Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm
auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Die
Klagefrist ist aufgrund des Verschuldens des Bevollmächtigten der Kläger, das dem
Verschulden der Kläger gleichsteht (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung), versäumt worden.
Die von den Klägern vorgebrachten Gründe sind nicht geeignet, die Fristversäumnis zu
entschuldigen. Insoweit kommt es auf ein etwaiges Fehlverhalten der Büromitarbeiterin
des Bevollmächtigten der Kläger nicht an. Denn der Bevollmächtigte hat durch sein
eigenes Verhalten die entscheidende Ursache dafür gesetzt, dass die Klagefrist nicht
eingehalten worden ist (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 30. Dezember
2002 – VIII R 66/00, BFH-NV 2003, 924 f.). Er hat in seiner eidesstattlichen Versicherung
vom 1. September 2008 (Bl. 18 der Gerichtsakte) und im Termin zur mündlichen
Verhandlung auf Befragen eingeräumt, dass ihm die Einspruchsentscheidung auf
elektronischem Wege zugeleitet worden ist, er diese aber nicht zur Kenntnis genommen
hat.
Nach den Angaben des Bevollmächtigten soll die Verwendung des elektronischen
Dokumentenmanagementsystems sicherstellen, dass neu eingehende Post dem
zuständigen Bearbeiter unverzüglich zugeleitet wird. Bedient der Bevollmächtigte sich
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zuständigen Bearbeiter unverzüglich zugeleitet wird. Bedient der Bevollmächtigte sich
aber eines solchen Systems, so ist er auch gehalten, die ihm auf elektronischem Wege
zugeleiteten Dokumente zur Kenntnis zu nehmen und bei fristgebundenen
Schriftstücken sicherzustellen, dass diese innerhalb der Frist bearbeitet werden. Ein
etwaiges Vertrauen darauf, dass das Schriftstück in seiner ursprünglichen Form später
noch einmal vorgelegt werde, ist bei einer gleichsam zweigleisigen Büroorganisation, wie
sie der Bevollmächtigte des Klägers nutzt, nicht geschützt.
Der Umstand, dass der Bevollmächtigte nach seinen Angaben die Betreffzeile des
Dokumentes in der Bildschirmmaske nicht vollständig gelesen hat, weil diese lediglich
verkürzt auf dem Bildschirm dargestellt werde, stellt sich als schuldhafte Verletzung
seiner Berufspflichten dar. Dabei ist zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass er den
sog. Sachbearbeiter-Arbeitsplatz ausweislich des von ihm zur Akte gereichten
Bildschirmausdrucks (Bl. 44 der Gerichtsakte) lediglich verkleinert dargestellt hat, obwohl
dieser ohne weiteres auf die ganze Fensterbreite hätte vergrößert werden können. Hinzu
kommt, dass der Bevollmächtigte die Möglichkeit gehabt hätte, den
Bildschirmausschnitt innerhalb des Fensters so zu verschieben, dass auch die nicht
angezeigten Bestandteile der Betreffzeile hätten abgelesen werden können. Schließlich
hat der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die
Betreffzeile am oberen Rand des Fensters vollständig angezeigt werde, wenn die
entsprechende Dokumentzeile angeklickt wird.
Mit dem Argument, er habe mit einer Einspruchsentscheidung nicht rechnen müssen,
kann der Bevollmächtigte ebenfalls nicht gehört werden. Nachdem der Beklagte ihm
mitgeteilt hatte, dass er nunmehr das Einspruchsverfahren fortzuführen gedenke und
ihn aufgefordert hatte, ergänzend vorzutragen, musste er jederzeit mit einer
Entscheidung rechnen (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1981 – IV R 108/81, BStBl
II 1982, 165 ff.).
Nach alledem ist es als schuldhafte Pflichtverletzung anzusehen, dass der
Bevollmächtigte den Inhalt der Einspruchsentscheidung nicht zur Kenntnis genommen
und infolgedessen übersehen hat, dass die Klagefrist bereits zu laufen begonnen hatte.
Ist aber dem Bevollmächtigten dieses Nichtwissen schuldhaft anzulasten, so kann er
sein Fehlverhalten auch nicht damit exkulpieren, er habe sich angesichts der
Büroorganisation darauf verlassen können, dass seine Mitarbeiter die Klagefrist in einem
gesonderten elektronischen Fristenkalender notieren und sicherstellen, dass
fristgebundene Sachen rechtzeitig vor Ablauf der Frist wieder vorgelegt werden. Denn
der Berufsträger ist verpflichtet, den Fristenablauf eigenverantwortlich zu kontrollieren,
wenn und sobald ihm eine Fristsache zur Bearbeitung vorgelegt worden ist (BFH,
Beschluss vom 30. August 2002 – III B 62/01 –, BFH-NV 2003, 67). Er kann nicht darauf
vertrauen, dass sich ein fristgebundenes Schriftstück im allgemeinen
Organisationsablauf für die Behandlung von Fristensachen befinde (vgl. auch BFH,
Beschluss vom 28. Mai 1985 – II R 68/84, zit. nach Juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen,
weil einer der in § 115 Abs. 2 FGO bezeichneten Gründe nicht vorliegt.
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