Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: wirtschaftliche identität, geschäftsbetrieb, kapitalgesellschaft, körperschaft, anlagevermögen, form, bankkonto, vorverfahren, zusammensetzung, wechsel

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2001
Aktenzeichen:
12 K 8489/05 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 4 KStG 1999
(Kein Verlust der wirtschaftlichen Identität i.S. des § 8 Abs. 4
KStG bei bloßer Veränderung der Finanzierungsstruktur ohne
Branchenwechsel)
Leitsatz
Kein Verlust der wirtschaftlichen Identität i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG bei Veränderung des
Umlaufvermögens ohne Branchenwechsel
Eine GmbH verliert ihre wirtschaftliche Identität i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG nicht dadurch, dass sie
nach einem Anteilseignerwechsel ihren Geschäftsbetrieb innerhalb derselben Branche
wiederaufnimmt und ihr von außen Geld zufließt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von zum 31. Dezember 2000
festgestellten Verlustvorträgen.
Die Geschäftsanteile der Klägerin wurden zunächst von Herrn H gehalten. Mit Vertrag
vom 27. November 2000 veräußerte dieser sie an seine Tochter NH.
In den Bilanzen der Klägerin wurden folgende Positionen ausgewiesen:
Ausweislich von Konteninformationen über ein Konto der Klägerin bei der Y... Bank hat
sie im Jahr 2001 „Einlagen“ bzw. „Einzahlungen“ in Höhe von rund DM ... erhalten.
Zudem sind auf das Konto zwei Auszahlungen von Lebensversicherungen des H in Höhe
von DM ... und rund DM ... sowie der Erlös von Möbelverkäufen des H in Höhe von DM ...
geflossen. Die Klägerin hat von dem Konto sowohl ihre betrieblichen Aufwendungen als
auch private Aufwendungen des H beglichen.
Die Umsätze der Klägerin im Jahr 2001 betrugen DM ....
Der Beklagte ging wegen der Anteilsveräußerung Ende 2000 und der Erhöhung des
Aktivvermögens im Laufe des Jahres 2001 um DM ... (Aktivvermögen 2001 in Höhe von
DM ... abzüglich Aktivvermögen 2000 in Höhe von DM ... zuzüglich Verlust 2001 in Höhe
von DM ...) davon aus, dass die Klägerin im Laufe des Jahres 2001 ihre wirtschaftliche
Identität verloren hatte, und setzte mit Bescheiden vom … die vortragsfähigen Verluste
zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer mit DM 0 fest. Dagegen legte die
Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober
2005 zurückwies.
Die Klägerin trägt vor, dass das Bankkonto von ihr, der Klägerin, bei der Y... Bank ...
durch eine Einlage des H in Höhe von DM ... eröffnet worden sei. Auf dieses Konto seien
auch die Leistungen aus den Lebensversicherungen des H geflossen, weil H selbst über
kein eigenes Konto verfügt habe. Sie, die Klägerin, habe ein Verrechnungskonto für H
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kein eigenes Konto verfügt habe. Sie, die Klägerin, habe ein Verrechnungskonto für H
geführt, zu dessen Lasten sie private Kosten des H getragen habe, die im Laufe des
Jahres 2002 die Versicherungsleistungen kompensiert hätten. Das Verrechnungskonto
sei das „Sparkonto“ des H gewesen; über das dort eingehende Geld habe sie, die
Klägerin, nicht frei verfügen können.
Weiter trägt die Klägerin vor, dass ein Kunde der D... GmbH, eine E... GmbH, DM ... auf
ihr Konto gezahlt habe, die nicht ihr, der Klägerin, sondern der F... GmbH zugestanden
hätten. Sie, die Klägerin, habe DM ... an die F... GmbH überwiesen und DM ... für
Gehaltszahlungen eines Mitarbeiters dieses Unternehmens zurückbehalten. Die D...
GmbH sei im Jahre 2001 insolvent geworden, die F... GmbH im Laufe des Jahres 2002.
Die Forderung sei somit wertlos geworden. Sie, die Klägerin, habe über die Forderung nie
frei verfügen können.
Hinsichtlich der Einlagen bzw. Einzahlungen auf ihr Bankkonto erläutert die Klägerin, dass
es sich dabei nicht um Erlöse, also nicht um Einzahlungen von Kunden gehandelt habe.
Die Klägerin macht zudem geltend, dass nach den – für den Beklagten bindenden -
Feststellungen des Finanzamtes … H auch über den Zeitpunkt der Anteilsübertragung
hinaus als Treugeber an ihr beteiligt gewesen sei.
die Bescheide über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.
Dezember 2001 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen
Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001, sämtlich vom 20. Januar
2005, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005
dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustabzug zur
Körperschaftsteuer auf DM ... und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf
DM ... festgesetzt werden
für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig
und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung
(FGO). Der Beklagte hat die Berücksichtigung der zum 31. Dezember 2001 bestehenden
Verluste zu Unrecht versagt.
a) Gemäß § 8 Abs. 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) ist Voraussetzung für den Abzug
von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer Körperschaft,
dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch
ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG definiert die "wirtschaftliche Identität"
einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann es an
der wirtschaftlichen Identität fehlt, nämlich dann, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an
der Körperschaft übertragen wird und sie danach ihren Geschäftsbetrieb mit
überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wiederaufnimmt. Die Vorschrift
setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu
fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2
genannten wirtschaftlich vergleichbar sind. Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 KStG
fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn bezogen auf das
gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen wird,
überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem
neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.
b) Danach hat die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität nicht im Laufe des Jahres 2001
verloren.
Der Senat kann offen lassen, ob die Anteilsübertragung von H auf seine Tochter für
steuerliche Zwecke zu berücksichtigen ist oder ob eine allfällige Treugeberstellung des H
zu einer anderen Beurteilung nötigt. Es fehlt jedenfalls an der Zuführung neuen
Betriebsvermögens i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH ist unter Betriebsvermögen i.S.d. § 8
Abs. 4 Satz 2 KStG ausschließlich das Aktivvermögen zu verstehen. Überwiegend neues
Betriebsvermögen liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des
vorher vorhandenen Restaktivvermögens übersteigt. Dies ist anhand einer
gegenständlichen Betrachtungsweise zu ermitteln; eine Verrechnung von Zu- und
Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen. Danach führen
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Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen. Danach führen
insbesondere fremdfinanzierte Anschaffungen zu neuem Betriebsvermögen (zum
Ganzen BFH-Urteil vom 29. April 2008 – I R 91/05, BFH/NV 2008, 1965, unter II.2.a)aa)
der Gründe). Demnach könnte auch das Zuführen von Geld in Form eines
Gesellschafterdarlehens, das zum Bestreiten laufenden Aufwands genutzt wird, als
Zuführung neuen Betriebsvermögens anzusehen sein.
Das ist jedoch jedenfalls dann nicht der Fall, wenn kein Branchenwechsel zu verzeichnen
ist. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Nach der Rechtsprechung des BFH zielt
das Tatbestandsmerkmal des neuen Betriebsvermögens darauf ab, jegliche Änderungen
der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des
Betriebsvermögens zu erfassen. Diese Änderungen sind für den Verlust der
wirtschaftlichen Identität heranzuziehen, weil sie typischerweise darauf schließen lassen,
dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen
Form erworben werden sollte. Aus diesem Grund ist dem BFH zufolge entscheidend die
Nämlichkeit des Betriebsvermögens bzw. der einzelnen im Betrieb verwendeten
Wirtschaftsgüter (BFH in BFH/NV 2008, 1965, unter II.2.a)bb) der Gründe).
Hier hat sich das Anlagevermögen der Klägerin jedoch nicht vermehrt, sondern – auf
einem bereits niedrigen Niveau – im Laufe des Jahres 2001 noch vermindert. Erhöht
haben sich lediglich diverse Verrechnungskonten, und zwar sowohl auf der Aktiv- als
auch auf der Passivseite der Bilanz. Darin liegt eine Veränderung der
Finanzierungsstruktur der Klägerin. Zwar gehören auch Forderungen und
Verbindlichkeiten zum Betriebsvermögen, jedoch ist das Erlangen neuer oder das
Umschichten vorhandener Finanzmittel nicht geeignet, die Struktur, Zusammensetzung
und wirtschaftliche Bedeutung des Betriebsvermögens maßgeblich zu ändern. Es
handelt sich vielmehr um den nicht ungewöhnlichen Fall, dass eine Kapitalgesellschaft
unter Fortführung ihres Geschäftsbetriebes dessen Finanzierung neu ordnet. Dieser
Vorgang allein lässt nicht darauf schließen, dass der Geschäftsbetrieb irgendwie
verändert werden sollte. Das Hinzutreten eines Anteilseignerwechsels ändert an diesem
Befund nichts. Das Abstellen des § 8 Abs. 4 KStG auf einen Anteilseignerwechsel hat den
Sinn, die vom Gesetz als missbräuchlich zu qualifizierenden Fälle des sogenannten
„Mantelkaufs“ zu erfassen. Der Anteilseignerwechsel muss also zu einer Änderung des
Geschäftsbetriebes der Kapitalgesellschaft hinzutreten; er ist nicht ein
Tatbestandsmerkmal, das die Feststellung der Änderung des Geschäftsbetriebes
hinfällig werden lässt oder es gestattete, daran verminderte Anforderungen zu stellen.
Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, wie auch der BFH es versteht, kann eine
Kapitalgesellschaft ihre wirtschaftliche Identität nur dann verlieren, wenn durch das
Zuführen des neuen Betriebsvermögens der Geschäftsbetrieb in maßgeblicher Weise
verändert wird, sei es durch das Anschaffen neuen Anlagevermögens, das den Schluss
nahelegt, dass der Unternehmenszweck in grundlegend anderer Weise als bisher
verfolgt werden soll, sei es durch das Anschaffen neuen Umlaufvermögens bei
gleichzeitigem Wechsel des Unternehmensgegenstandes, denn der Wechsel des
Unternehmensgegenstandes macht dann deutlich, dass ein anderes Unternehmen als
zuvor betrieben werden soll.
Dementsprechend hat der BFH bislang lediglich das Zuführen von Anlagevermögen
einerseits (BFH-Urteil vom 05. Juni 2007 – I R 106/05, BFH/NV 2007, 2200) und das
Zuführen von Umlaufvermögen im Falle eines Branchenwechsels, andererseits (BFH-
Urteil vom 05. Juni 2007 – I R 9/06, BFH/NV 2008, 166,unter II.2.b)bb)bbb) der Gründe)
als schädliche Zuführung i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG erachtet. Auch in der Literatur wird die
Auffassung vertreten, dass der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer
Kapitalgesellschaft, die nach der Anteilsveräußerung in ihrer angestammten Branche
tätig ist, voraussetzt, dass neues Anlagevermögen zugeführt wird (Prokscha, Betriebs-
Berater – BB – 2008, 310, 312). Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht
grundsätzlich an. Um so weniger ist das Zuführen oder Umschichten von Geld geeignet,
den Verlust der wirtschaftlichen Identität eintreten zu lassen, wenn dieses Geld, wie im
vorliegenden Fall, für die Fortführung des bestehenden Geschäftsbetriebes verwendet
wird, denn dann besteht gerade kein Raum für die vom BFH für maßgeblich gehaltene
Annahme, dass der bestehende Geschäftsbetrieb nicht in seiner bisherigen Form
erworben werden sollte.
2. Die Revision zum BFH war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Frage, ob
die Änderung der Finanzierung der Geschäftstätigkeit einer Kapitalgesellschaft ohne
Branchenwechsel zum Verlust der wirtschaftlichen Identität führen kann, von
grundsätzlicher Bedeutung ist und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, soweit
ersichtlich, noch nicht vorliegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der
Zivilprozessordnung (ZPO).
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu
erklären, weil die Sach- und Rechtslage nicht so einfach war, dass die Klägerin sich selbst
hätte vertreten können.
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