Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: joint venture, auflösung, abfindung, gemeinschaftsunternehmen, probezeit, sammlung, geschäftsleitung, betriebsrat, gesellschaft, herbst

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2004
Aktenzeichen:
6 K 1170/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 3 Nr 9 EStG 2002
Steuerfreiheit einer Abfindung in Zusammenhang mit der
Ausgliederung eines Tätigkeitsfeld auf konzernfremde
Gesellschaft: bloße Umsetzung, freier Entschluss zur Kündigung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine an den Kläger im Streitjahr 2004 seitens
der Fa. … AG ausgezahlte Abfindung im Zusammenhang mit der einvernehmlichen
Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes
teilweise einkommensteuerfrei ist oder nicht.
Der 1961 geborene Kläger ist verheiratet und wird zusammen mit seiner Ehefrau vom
Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Er war im Vorjahr des Streitjahres, also im
Jahr 2003 ganzjährig zu einem Bruttoarbeitslohn in Höhe von rund 50 000 EUR als
Fertigungsfachmann bei der Fa. … AG am Standort … beschäftigt. Dort war er im
Bereich der Zentralen Nockenwellenfertigung eingesetzt.
Im Herbst 2002 entschloss sich die Fa. … AG, die Zentrale Nockenwellenfertigung als
Eigengeschäft aufzugeben und dieses Geschäft der Fa. … GmbH (künftig: M-GmbH) zu
überlassen. Zu diesem Zweck gründete sie zusammen mit der M-GmbH eine Joint
Venture Gesellschaft namens „… GmbH & Co. KG“, deren Geschäftsleitung durch die M-
GmbH besetzt wurde.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2002 teilte die Fa. … AG dem Kläger u.a. Folgendes
mit:
Diesem Zusageschreiben war am 18. Dezember 2002 der Abschluss einer
Betriebsvereinbarung zwischen der Fa. … AG und der Fa. … GmbH & Co. oHG auf der
einen und dem Betriebsrat der Fa. … AG vorangegangen, in der die o.g.
Zusageelemente des bisherigen Arbeitgebers des Klägers im Hinblick auf die
bevorstehende Aufgabe der Zentralen Nockenwellenfertigung enthalten sind.
Der Kläger schloss am 17. Dezember 2003 einen Arbeitsvertrag mit der Fa. M- GmbH für
die Zeit ab 1. Februar 2004 ab. In der Folgezeit wurde er vertragsgemäß als
Fertigungsfachmann im Nockenwellenfertigungsbetrieb in … eingesetzt.
Am 2. Januar 2004 schlossen die Fa. … AG und der Kläger eine „Vereinbarung“ mit
folgendem Wortlaut ab:
„…. Sie haben sich auf unsere Veranlassung hin entschlossen, das Arbeitsverhältnis im
gegenseitigen Einvernehmen aus betrieblichen Gründen zu beenden.
Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten Sie in Anlehnung an die §§ 9 und 10 des
Kündigungsschutzgesetzes eine soziale Abfindung in Höhe von 30 000 EUR.
Dieser Betrag wird Ihnen zum 31. Januar 2004 auf Ihr Lohnkonto überwiesen und ist im
Rahmen der gesetzlichen Vorschriften steuer- und abgabenfrei.
Mit dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
und seiner Beendigung abgegolten. ……“
Der Beklagte wich bei der Durchführung der Einkommensteuerveranlagung des Klägers
und seiner Ehefrau für das Streitjahr 2004 insoweit von den Angaben in der
14
15
16
17
18
19
20
21
22
und seiner Ehefrau für das Streitjahr 2004 insoweit von den Angaben in der
Einkommensteuererklärung ab als er die Zahlung der 30 000 EUR seitens der Fa. … AG
nicht als nach § 3 Nr. 9 EStG teilweise einkommensteuerfrei behandelte (Bescheid vom
4. Juli 2005). Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos und wurde
vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 als unbegründet
zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die
Veranlassung für die Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der Fa. … AG im Wesentlichen
vom Kläger ausgegangen sei, denn er habe sich aus freien Stücken dazu entschlossen,
ein neues Arbeitsverhältnis mit der Fa. M-GmbH einzugehen. Im Übrigen handele es sich
- wirtschaftlich betrachtet - nur um eine Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines
Konzerns, da die Vertragsbedingungen bei der Fa. M-GmbH mit denen bei der Fa. … AG
vergleichbar seien und die Fa. … AG überdies eine Zusage dahin gehend gemacht habe,
dass der Kläger spätestens ab dem 1. Januar 2009 wieder bei der Fa. … AG selbst
weiterbeschäftigt werde.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger hauptsächlich geltend, dass
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - davon auszugehen sei, dass der
Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst habe, wenn er in diesem
Zusammenhang eine Abfindungszahlung leiste (Hinweis auf BFH-Urteile vom 10.
November 2004 XI R 64/03, BStBl II 2005, 181 und vom 6. März 2002 XI R 51/00, BStBl II
2002, 516). Es handele sich im Streitfall auch nicht um eine bloße
Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines Konzerns, denn die Fa. M-GmbH sein ein
eigenständiges Unternehmen außerhalb des …-Konzerns. Der neue Arbeitsvertrag
enthalte im Übrigen zum Teil andere Konditionen als der alte Arbeitsvertrag. Er, der
Kläger, habe auch kaum eine andere Wahl gehabt als die Aufhebungsvereinbarung zu
akzeptieren, wenn er sichergehen wollte, in seinem vertrauten Arbeitsbereich, der
Nockenwellenfertigung, weiterarbeiten zu können.
die Einkommensteuer 2004 unter Änderung des
Bescheids vom 4. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.
Juni 2006 dahin gehend festzusetzen, dass hinsichtlich der Sonderzahlung
der Fa. … AG in Höhe von 30 000 EUR § 3 Nr. 9 EStG zur Anwendung kommt.
die Klage abzuweisen
Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Dem erkennenden Gericht haben bei seiner Entscheidung 2 Heftungen mit
Verwaltungsvorgängen des Beklagten (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der
Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid vom 4. Juli 2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine teilweise Steuerfreiheit der Zahlung
der Fa. … AG in Höhe von 30 000 EUR sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts
erfüllt.
Nach § 3 Nr. 9 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder
gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses bis zu einer
bestimmten, nach dem Lebensalter des Steuerpflichtigen gestaffelten Höhe steuerfrei.
Nach Ansicht des BFH in mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist die Auflösung eines
Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst, wenn der Arbeitgeber die
entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat. Die entscheidende Ursache für
die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung
„betrieben hat“. Im Regelfall kann nach Ansicht des BFH davon ausgegangen werden,
dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung gewollt und damit auch
veranlasst hat; denn anderenfalls wäre er kaum bereit gewesen, eine Abfindung zu
zahlen (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 10. November 2004 XI R 64/03, BStBl II 2005, 181
m.w.N.). im Streitfall hat nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht der
Kläger, sondern im Herbst 2002 die Fa. … AG die entscheidende Ursache für die
Aufhebung des Arbeitsvertrages durch ihre autonome Entscheidung gesetzt, die
Zentrale Nockenwellenfertigung am Standort … als Eigengeschäft aufzugeben und mit
der Erledigung dieser Aufgabe ein neu zu gründendes Gemeinschaftsunternehmen zu
beauftragen, in dem die Fa. … AG nicht die Geschäftsleitung stellen würde, sondern dies
dem Joint-Venture-Partner, der Fa. M-GmbH, überlassen würde. Da der Kläger als
23
24
25
dem Joint-Venture-Partner, der Fa. M-GmbH, überlassen würde. Da der Kläger als
Fertigungsfachmann daran interessiert war, in seinem bisherigen Aufgabenbereich
weiterhin beruflich tätig zu sein, konnte er seine Interessen in diesem veränderten
Unternehmensumfeld am besten wahren, in dem er arbeitsrechtlich zu dem neuen
Betreiber der Nockenwellenfertigung, der Fa. M-GmbH überwechselte.
Sein neuer Arbeitgeber, die Fa. M-GmbH mit Sitz in …., war nicht in den …Konzern
eingegliedert, sondern ein völlig eigenständiges Unternehmen mit eigenständigen
Gesellschaftern. Es handelt sich bei der beruflichen Umorientierung des Klägers daher
nicht bloß um eine Umsetzungsmaßnahme innerhalb eines einheitlichen Konzerns,
sondern um einen kompletten Arbeitgeberwechsel. Dies führt u.a. dazu, dass nach den
Regelungen des auf das neue Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrags für die Metall-
und Elektroindustrie in … und … für den Kläger ab dem 1. Februar 2004 eine neue
arbeitsrechtliche Probezeit lief. Der Arbeitgeberwechsel unter Aufgabe des bisherigen
Dienstverhältnisses (vgl. zu diesem wichtigen Kriterium für die Anwendung des § 3 Nr. 9
EStG: BFH-Urteil vom 12. April 2000 XI R 1/99, Sammlung der amtlich nicht
veröffentlichten Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2000, 1195 m.w.N.) war somit für
den Kläger mit erheblichen finanziellen Risiken (z.B. Möglichkeit des Arbeitsplatzverlustes
währen der Probezeit) verbunden, was dafür spricht, dass der soziale Schutzzweck des §
3 Nr. 9 EStG auch im Streitfall tangiert ist. In dieselbe Richtung geht die Überlegung,
dass der Kläger durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrages mit der Fa. M-GmbH,
der zeitlich vor der Auflösung des alten Arbeitsvertrages liegt, seine Ansprüche auf
Weiterbeschäftigung durch die Fa. … AG für die Zeit nach dem 31. Dezember 2008
verloren hat (vgl. dazu die Regelung in Ziffer 6 des Zusageschreibens der Fa. … AG vom
20. Dezember 2002 sowie die Regelungen in der zwischen dem Betriebsrat und der
Geschäftsführung der Fa. … AG geschlossenen Betriebsvereinbarung vom 18.
Dezember 2002 aus Anlass der bevorstehenden Einstellung der Zentralen
Nockenwellenfertigung). Der BFH hat deshalb bereits entschieden, dass § 3 Nr. 9 EStG
auch dann anwendbar sein kann, wenn der Steuerpflichtige nach Auflösung seines alten
Arbeitsvertrages nicht arbeitslos ist, sondern ohne Zeiten der Arbeitslosigkeit im
Rahmen eines neuen Arbeitsverhältnisses weiterhin Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit erzielt (vgl. nur die Rechtsprechungsnachweise bei Kreft, in:
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3 Nr. 9 EStG Rz. 13).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
3. im Tenor des am 7. September 2007 verkündeten Urteils ist hinsichtlich des Datum
des Ausgangs-Steuerbescheids ein Schreibfehler enthalten („2004“ statt richtig „2005“)
der hiermit gemäß § 107 Abs. 1 FGO berichtigt wird.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum