Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: stille reserven, gemälde, rücklage, abnutzung, begriff, einkünfte, vorverfahren, einspruch, abgrenzung, unterliegen

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
1996
Aktenzeichen:
1 K 7418/04 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6b Abs 1 S 2 EStG 1990, § 6b
Abs 3 EStG 1990, § 6b Abs 4
EStG 1990, § 6 Abs 1 Nr 1 EStG
1990, § 7 EStG 1990
Wertvolle Gemälde anerkannter Meister sind im steuerlichen
Sinne weder wirtschaftlich noch technisch abnutzbar
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bildung einer Rücklage aus der Veräußerung zweier
Gemälde.
Die Klägerin betrieb im Streitjahr neben einem gewerblichen Grundstückshandel einen
Kunsthandel. Sie veräußerte in diesem Jahr zwei zu ihrem Anlagevermögen gehörende,
1977 bzw. 1987 angeschaffte Gemälde von S. und M. mit einem Gewinn in Höhe von
insgesamt 1.205.499,07 DM.
Die Klägerin erklärte im April 1999 in ihrer Feststellungserklärung 1996 einen Verlust in
Höhe von 7.928.099 DM. Dabei berücksichtigte sie eine Rücklage nach § 6 b
Einkommensteuergesetz -EStG- in Höhe des gesamten Gewinns aus der Veräußerung
der Gemälde. Der Beklagte stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung ergangenem Bescheid vom 20. Mai 1999 antragsgemäß
fest.
Der Beklagte führte für die Jahre 1994 bis 1996 eine Betriebsprüfung bei der Klägerin
durch. Der Betriebsprüfer gelangte zu der Überzeugung, die Rücklage könne für
Kunstwerke nicht gebildet werden. Die Bildung einer Rücklage setze voraus, dass das
veräußerte Wirtschaftsgut abnutzbar gewesen sei. Gemälde unterlägen weder einer
technischen noch einer wirtschaftlichen Abnutzung.
Der Beklagte schloss sich den Feststellungen des Betriebsprüfers an und stellte unter
Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung mit Änderungsbescheid vom 14. März 2002
die Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1996 auf -8.403.097,91 DM fest. Die Rücklage aus
dem Gemäldeverkauf fand keine Berücksichtigung mehr. Die Klägerin legte hiergegen
am 22. März 2002 Einspruch ein, mit dem sie die Berücksichtigung einer Rücklage in
Höhe von 603.000 DM begehrte. Sie machte geltend, auch Gemälde unterlägen einer
technischen Abnutzung, selbst wenn diese fachmännisch behandelt würden.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25. August 2004
zurück. Die Rücklage dürfe nicht gebildet werden. Gemälde unterlägen keiner
wirtschaftlichen oder technischen Abnutzung. Abnutzbar seien nur solche Gegenstände,
die einem wirtschaftlichen oder technischen Wertverzehr ausgesetzt seien. Allerdings
komme eine technische Abnutzung auch ohne eine wirtschaftliche Abnutzung in
Betracht. Das sei der Fall, wenn ein körperlicher Verschleiß durch Gebrauch eintrete. Ein
solcher Fall sei nicht gegeben. Die Zeiträume, in denen ein Gemälde technisch abnutze,
seien so lang, dass dies aus steuerlicher Sicht vernachlässigt werden könne und ein Fall
der §§ 6, 7 EStG nicht gegeben sei.
Die Klägerin hat am 20. September 2004 Klage erhoben. Sie macht geltend, bei den
veräußerten Gemälden handele sich um abnutzbare Wirtschaftsgüter im Sinne des § 6b
EStG. Die Gemälde unterlägen einer langsamen technischen Abnutzung. Nichts anderes
ergebe sich aus der vom Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs. Dort werde bereits festgestellt, dass eine technische Abnutzung auch
bei Kunstwerken vorhanden sei. Diese sei lediglich so geringfügig, dass sie im Rahmen
der AfA steuerlich vernachlässigt werden dürfe. Die Rechtsprechung betreffe mithin nur
die Frage, ob Abschreibungen geltend gemacht werden können. Sie sage nichts darüber
aus, ob eine Rücklage gebildet werden dürfe. Es liege auf der Hand, dass die Auslegung
des Begriffs des abnutzbaren Wirtschaftsguts in § 6b EStG zu einem anderen Ergebnis
führen müsse. § 6b EStG verfolge das Ziel, aus betriebswirtschaftlicher oder
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führen müsse. § 6b EStG verfolge das Ziel, aus betriebswirtschaftlicher oder
volkswirtschaftlicher Sicht sinnvolle Veräußerungen von langlebigen Wirtschaftsgütern
des Anlagevermögens, die erhebliche stille Reserven bergen könnten, nicht dadurch zu
verhindern, dass aufgedeckte stille Reserven sofort und in voller Höhe nach dem
allgemeinen Tarif versteuert werden müssten. Insofern müsse § 6b EStG bei einem
Wirtschaftsgut wie dem vorliegenden erst recht angewendet werden, weil hierin
besonders hohe stille Reserven lägen. Zudem gehe auch der Bundesfinanzhof davon
aus, dass Gemälde abnutzbare Wirtschaftsgüter seien, die lediglich nicht abzuschreiben
seien. Gemälde unterschieden sich demnach von anderen Wirtschaftsgütern nur
dadurch, dass sich die Abnutzung über einen vergleichsweise langen Zeitraum weit
jenseits des Mindestzeitraums von 25 Jahren vollziehe. Im Übrigen sei die Ansicht des
Bundesfinanzhofs, dass ein Gemälde im Rahmen der Abschreibungen nicht zu
berücksichtigen sei, ohnehin nicht unbestritten. Schließlich müsse berücksichtigt werden,
dass die begrenzte Nutzbarkeit eines Gemäldes allgemein auch durch äußere
Umstände und Einflüsse entstehen könne. Es komme nicht darauf an, auf welcher
Ursache die zeitliche Nutzungsbeschränkung beruhe.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 14. März 2002 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2004 dahin abzuändern, dass
eine Rücklage nach § 6b EStG in Höhe von 603.000 DM berücksichtigt wird, hilfsweise die
Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten
im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, § 6b EStG knüpfe mit der Verwendung des Begriffs des
abnutzbaren Wirtschaftsgutes an die Regelungen in §§ 6, 7 EStG an und setze voraus,
dass die Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts bestimmbar sei. Das sei vorliegend nicht
der Fall. Im Übrigen bestehe auch kein Grund, den Begriff des abnutzbaren
Wirtschaftsgutes in § 6b EStG anders und weiter auszulegen als in §§ 6, 7 EStG.
Anderenfalls sei die Beschränkung des § 6b EStG auf abnutzbare Wirtschaftsgüter
überflüssig. Es dürfe im Rahmen des § 6b EStG auch nicht maßgeblich darauf abgestellt
werden, dass das Wirtschaftsgut jedenfalls langlebiger als 25 Jahre sei.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten
wird Bezug auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten
genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 14. März 2002 ist nicht unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 25. August 2004 abzuändern, denn die Klägerin hat keinen
Anspruch auf die Bildung der begehrten Rücklage, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -
FGO -.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bildung der Rücklage nach § 6 b Abs. 3
EStG lagen nicht vor. Nach § 6 b Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen
Fassung (a. F.) können Steuerpflichtige unter den weiteren Voraussetzungen des § 6 b
Abs. 4 EStG im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eines abnutzbaren beweglichen
Wirtschaftsgutes mit einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von mindestens 25
Jahren eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden. Die von der Klägerin
veräußerten Gemälde sind keine abnutzbaren Wirtschaftsgüter, denn sie sind im
steuerlichen Sinne weder wirtschaftlich noch technisch abnutzbar.
Der in § 6 b EStG a. F. verwendete Begriff des abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgutes
entspricht in seinem rechtlichen Gehalt den in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 7 EStG
verwendeten identischen Begriffen (so auch Heuer in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG-
KStG, § 6b EStG, Rn. 130; Thiel, Übertragung stiller Reserven, 1965, S. 42; Heger in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG-Kommentar, § 6b Anm. B 45). Dafür spricht zunächst die
Entstehungsgeschichte der 1964 erstmals ins Einkommensteuergesetz
aufgenommenen Vorschrift, die sich terminologisch an die damals bereits bestehenden
Vorschriften in §§ 6, 7 EStG anlehnt. Aus systematischer Sicht deutet das bereits darauf
hin, dass die in benachbarten Vorschriften enthaltenen übereinstimmenden Begriffe
auch in gleicher Weise zu verstehen sind. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass
bereits der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs zu entnehmen ist, dass neben
Grundstücken vor allem „abschreibungsfähige Anlagegüter“ in den Genuss der
Begünstigungsregelung kommen sollten (vgl. BT-Drucks. IV/2400 S. 46 Ziff. III.1.).
Demnach knüpft der Gesetzgeber – jenseits der ausdrücklich geregelten Behandlung
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Demnach knüpft der Gesetzgeber – jenseits der ausdrücklich geregelten Behandlung
von Grund und Boden – für die durch § 6b EStG a. F. vorgesehene Steuerbegünstigung
gerade daran an, dass das bewegliche Wirtschaftsgut abgeschrieben werden kann. Das
belegt, dass der Begriff der abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter in § 6b EStG nicht
anders als in §§ 6, 7 EStG verstanden werden darf. Anderes ergibt sich nicht aus Sinn
und Zweck der Vorschrift. Allerdings verfolgt der Gesetzgeber mit § 6b EStG das Ziel, wie
die Klägerin zu Recht bemerkt, ökonomisch erwünschte Anpassungsprozesse im
Wirtschaftsleben nicht durch steuerliche Bestimmungen zu behindern. Insbesondere
sollte durch § 6 b EStG die Möglichkeit eröffnet werden, die bei der Veräußerung
langlebiger Güter des Anlagevermögens oftmals entstehenden hohen
Veräußerungsgewinne im Interesse der Modernisierung der Betriebe nicht sofort und in
voller Höhe den Ertragssteuern zu unterwerfen (vgl. BT-Drucks. IV/2400 S. 62). Das gibt
aber nichts für die hier inmitten stehende Frage her, in welcher Weise der Begriff
„abnutzbares bewegliches Wirtschaftsgut“ auszulegen ist. Zwar mögen gerade auch
Kunstgegenstände typischerweise – und so auch im vorliegenden Fall – über die Jahre
wesentliche Wertsteigerungen erfahren, die im Falle einer Veräußerung zu einer aus
steuerlichen Gründen unerwünschten Aufdeckung stiller Reserven führen kann. Dem
kann jedoch nicht in der Weise begegnet werden, dass dem gesetzlichen
Abgrenzungskriterium der Abnutzbarkeit jede Trennschärfe genommen wird, indem
jedweder langwierige natürliche Alterungsprozess, der nicht zu AfA berechtigen würde,
zur steuerlichen Begünstigung nach § 6b EStG führen würde. Dabei kann zunächst nicht
außer Acht gelassen werden, dass auch andere nicht abnutzbare bewegliche
Wirtschaftsgüter, wie etwa Edelmetalle oder Edelsteine, häufig besonders große stille
Reserven bergen, der Gesetzgeber sich aber dennoch dafür entschieden hat, bei einer
Veräußerung derartiger Wirtschaftsgüter die Ermäßigungsmöglichkeiten des § 6 b a. F.
EStG nicht zu gewähren. Zum anderen würde eine derart weit reichende Auslegung nicht
mit der Grundkonzeption der Vorschrift in Einklang stehen. Tatsächlich soll dem
Steuerpflichtigen durch § 6b EStG regelmäßig nur eine Steuerstundung gewährt werden,
die grundsätzlich über die (gekürzte) AfA der innerhalb eines bestimmten Zeitraums
anzuschaffenden beweglichen Wirtschaftsgüter abgebaut wird (vgl. § 6b Abs. 1 Satz 2
EStG a. F.). Würde die Vorschrift aber auch – außerhalb von Grund und Boden – im Sinne
der AfA-Vorschriften nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter erfassen, könnte der
Stundungseffekt nicht ratierlich abgebaut werden und käme es unter Umständen auf
Dauer zu einer grundsätzlich nicht beabsichtigten Steuerermäßigung. Anders läge es
nur dann, wenn der Begriff des abnutzbaren Wirtschaftsgutes in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG
a. F. anders – nämlich im Sinne des § 7 EStG – auszulegen wäre als derselbe Begriff in §
6b Abs. 1 Satz 1 EStG a. F.. Dafür spricht erkennbar nichts. Kann § 6b EStG a. F.
hinsichtlich des Begriffs „abnutzbares Wirtschaftsgut“ mithin nicht anders als §§ 6, 7
EStG ausgelegt werden, findet dies seine Bestätigung auch darin, dass der
Bundesfinanzhof das weitere Tatbestandsmerkmal der betriebsgewöhnlichen
Nutzungsdauer ebenfalls dahin ausgelegt hat, dass dieser Begriff den zu § 7 EStG
entwickelten Grundsätzen entspricht (vgl. Urteil vom 19. Mai 1976 I R 164/74, BStBl II
1977,60).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte die Bildung der Rücklage zu Recht
nicht zugelassen, denn bei den beiden veräußerten Gemälden handelt es sich nicht um
abnutzbare Wirtschaftsgüter im Sinne des § 6b EStG a. F.. Bei den Gemälden handelt es
sich um wertvolle Werke zweier anerkannter Meister der Gegenwartskunst, die – wie
zwischen den Beteiligten unstreitig ist – wirtschaftlicher Abnutzung nicht unterliegen,
handelt es sich doch nicht um schlichte Gebrauchskunst (vgl. zur Abgrenzung: BFH,
Urteile vom 23. April 1965 VI 327/64 U, BStBl III 1965, 382; vom 2. Dezember 1977 III R
58/75, BStBl II 1978, 164; Beschluss vom 2. September 1988 III B 31/88, BFH/NV 1989,
129). Aber auch eine technische Abnutzung im Sinne des § 6b EStG a. F. kommt nicht in
Betracht, denn die bei sachgerecht behandelten Gemälden im Wesentlichen durch
Umwelteinflüsse bedingte Abnutzung ist derart gering, dass sie steuerlich außer
Betracht bleiben muss (vgl. BFH Urteile vom 2. Dezember 1977 III R 58/75 a.a.O.; vom 9.
August 1989 X R 131-133/87, BStBl II 1990, 50). Dass das vorliegend anders sein könnte,
macht die Klägerin selbst nicht geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Eine Entscheidung über die
Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war entbehrlich, denn die Klägerin
trägt die Verfahrenskosten. Gründe, aus denen die Revision zuzulassen wäre, sind nicht
ersichtlich, § 115 Abs. 2 FGO. Der Rechtsstreit betrifft die Auslegung und Anwendung
einer bereits seit 1999 nicht mehr geltenden Vorschrift in einem Einzelfall.
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