Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 26.08.2002

FG Berlin: wohnung, gesellschafter, miteigentümer, einspruch, besitz, vollziehung, miteigentumsanteil, beschränkung, kinderzulage, kaufvertrag

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Gericht:
FG Berlin 10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 B 10189/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 11 EigZulG, § 367 Abs 2 S 2
AO 1977, § 118 AO 1977, § 69
FGO
Rechtsnatur des Eigenheimzulagebescheids
Gründe
Die Antragstellerin hat sich zu 1/6 an der mit Gesellschaftsvertrag vom 26. August 2002
gegründeten "xxx" beteiligt. Die anderen Gesellschafter sind xxx und xxx mit
Beteiligungen von jeweils 1/3 und der Lebensgefährte und Verfahrensbevollmächtigte
der Antragstellerin, xxx , mit 1/6. Zweck der Gesellschaft ist der Erwerb, die
Modernisierung, Nutzung und Bewirtschaftung sowie Verwertung von Grundstücken.
Mit Kaufvertrag vom 9. Oktober 2002 erwarben die Gesellschafter das Wohn- und
Geschäftshaus in xxx mit Lastenwechsel zum 7. Dezember 2002 zu einem Kaufpreis von
197 489,00 Euro einschließlich Nebenkosten.
Nach Durchführung umfangreicher Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen
bewohnt die Antragstellerin seit Mitte April 2003 zusammen mit ihrem Lebensgefährten
und einem gemeinsamen Kind die aus der Zusammenlegung zweier kleinerer
Wohnungen hervorgegangene Wohnung im 2. Obergeschoss des Gebäudes.
Der Antragstellerin beantragte die Gewährung einer Eigenheimzulage ab dem
Kalenderjahr 2003, die ihr durch den Bescheid vom 12. Februar 2004 für die Jahre 2003
bis 2009 einschließlich in Höhe von 639,00 Euro (entsprechend 50 % von 1 278,00 Euro)
zuzüglich einer Kinderzulage in Höhe von 384,00 Euro gewährt wurde.
Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch verfolgte die Antragstellerin das Ziel einer
Erweiterung des Förderungszeitraums auf das Jahr 2010. Zur Begründung trug sie vor,
dass zwar der Besitz am streitbefangenen Grundstück am 7. Dezember 2002 auf die
GbR übergegangen sei, jedoch habe sie erst aufgrund eines Beschlusses aller
Gesellschafter den Besitz an der Wohnung im 2. Obergeschoss im Kalenderjahr 2003
erlangt.
Im Laufe des Einspruchsverfahrens wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf
hin, dass der Fördergrundbetrag nur in Höhe seines Miteigentumsanteils von 1/6 zu
gewähren sei und stellte eine entsprechende Verböserung in Aussicht. Da die
Antragsteller ihren Einspruch aufrechterhielt, erließ der Antragsgegner am 29. April 2005
eine Einspruchsentscheidung, mit der zum einen der Einspruch zurückgewiesen wurde,
was die begehrte Ausweitung des Förderungszeitraums anging und zum anderen die
Zulage für die Jahre 2003 bis 2009 gekürzt wurde, weil die Antragstellerin den
Fördergrundbetrag nur in Höhe ihres Miteigentumsanteils von 1/6 in Anspruch nehmen
könne, also in Höhe von 213,00 Euro (zusammen mit der Kinderzulage: 597,00 €).
Was den Förderzeitraum angehe, beginne dieser mit dem Jahr der Fertigstellung oder
Anschaffung der Wohnung. Der Anspruch auf Förderung bestehe nur für die
Kalenderjahre, in denen der Anspruchsberechtigte die Wohnung zu eigenen
Wohnzwecken nutze. Eine Wohnung sei angeschafft, wenn der Erwerber das
wirtschaftliche Eigentum an dem Objekt erlange, was regelmäßig der Zeitpunkt sei, zu
dem Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahr auf ihn übergingen. Die Gesellschafter der
GbR seien wirtschaftliche Eigentümer zum Zeitpunkt des im Kaufvertrag vereinbarten
Lastenwechsels geworden in Höhe ihres jeweiligen Anteils.
Einen Antrag auf Vollziehungsaussetzung hat der Antragsgegner abgelehnt.
Daraufhin hat die Antragstellerin Klage erhoben, bei der es um die Höhe des
Fördergrundbetrages und die Frage des Förderzeitraums geht. Zur Klagebegründung
führt sie an, dass die von ihr genutzte Wohnung infolge Zusammenlegung zweier
Wohnungen von je 80 und 60 m² entstanden sei, wobei die kleinere Wohnung nicht mehr
zu Wohnzwecken geeignet gewesen sei, weil sie nicht über Bad und WC verfügt habe.
Wegen der Vereinbarung einer Nutzungsregelung zwischen den Gesellschaftern sei sie,
die Antragstellerin , so zu stellen, als wäre sie hälftige wirtschaftliche Eigentümerin der
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die Antragstellerin , so zu stellen, als wäre sie hälftige wirtschaftliche Eigentümerin der
von ihr genutzten Wohnung. Aufgrund der Nutzungsvereinbarung ergebe sich eine auf
Dauer angelegte Beschränkung des bürgerlich-rechtlichen Eigentums der die jeweilige
Wohnung nicht bewohnenden Gesellschafter. Der Sachverhalt sei dem einer Teilung
nach dem Wohnungseigentumsgesetz vergleichbar, die aus Kostengründen unterblieben
sei.
Unter Bezugnahme auf die Klagebegründung hat die Antragstellerin den vorliegenden
Antrag auf Vollziehungsaussetzung gestellt.
Sie beantragt,
1. die Vollziehung des Bescheides über Eigenheimzulage vom 4. Februar 2004 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. April 2005 auszusetzen, soweit die für die
Jahre 2006 bis 2009 zu gewährende Eigenheimzulage von 1 023,00 Euro pro Jahr auf
597,00 Euro pro Jahr und eine Rückzahlung von insgesamt 1 278,00 Euro festgesetzt ist,
2. die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zur gerichtlichen Entscheidung
über den Aussetzungsantrag aufzuheben, ebenso bereits verwirkte Säumniszuschläge
aufzuheben,
3. die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen,
4. hilfsweise, gegen die Entscheidung des Finanzgerichts die Beschwerde zum
Bundesfinanzhof zuzulassen.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Aussetzungsantrag als unbegründet
zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist durch die vom Antragsgegner ausgesprochene
Ablehnung der Vollziehungsaussetzung eine der Zugangsvoraussetzungen des § 69
Abs. 4 Finanzgerichtsordnung -FGO- erfüllt.
Der Antrag ist aber nur zum Teil begründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der
Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind zu bejahen, wenn
bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen
gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der
Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des BFH vom 10. Februar 1967 III B
9/66, Bundessteuerblatt -BStBl- III 1967, 382; seitdem ständige Rechtsprechung), wobei
der Erfolg des Rechtsbehelfs nicht wahrscheinlicher sein muss als der Misserfolg.
In diesem Sinne bestehen im vorliegenden Fall bei der im Verfahren wegen vorläufigen
Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran,
dass der Antragsgegner den Streitfall hinsichtlich des materiellen Rechts zutreffend
beurteilt hat. Wegen des Erwerbs des Grundstücks in Gesellschaft bürgerlichen Rechts
hat die Antragstellerin am Gesamtgrundstück einen ideellen Miteigentumsanteil erlangt.
Wohnungen im Gesamthandsvermögen einer Gesellschaft werden nach § 39 Abs. 2 Nr. 2
Abgabenordnung -AO- den Gesellschaftern nach den für Bruchteilseigentum geltenden
Rechtsregeln als materielle Wirtschaftsgüter anteilig mit der Folge zugerechnet, dass die
Gesellschafter nach Maßgabe der für Miteigentümer geltenden Rechtsregeln die
Eigenheimzulage beanspruchen können (siehe § 9 Abs. 2 Satz 3 Eigenheimzulagegesetz
-EigZulG-; vgl. auch Wacker, Eigenheimzulagegesetz, § 1 Tz. 4).
Dem Antragsteller als Miteigentümer einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten
Wohnung steht die Eigenheimzulage nur entsprechend seinem Miteigentumsanteil zu,
auch soweit andere Miteigentümer mangels Eigennutzung - in Bezug auf diese Wohnung
- keinen Anspruch auf Eigenheimzulage haben (vgl. BFH, Urteil vom 5. Juni 2003 III R
47/01, BStBl II 2003, 744). Soweit der Rz. 66 des BMF- Schreibens vom 10. Februar 1998
(BStBl. 1998 I S. 190) eine für die Antragstellerin günstigere Billigkeitsregelung
entnommen werden könnte, kann sich die Antragstellerin hierauf nicht berufen, da eine
abweichende Festsetzung der Eigenheimzulage aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO
durch § 15 Abs. 1 Satz 2 EigZulG ausdrücklich verwehrt ist ( vgl. BFH, Urteil vom 19. Mai
2004 III R 29/03, BStBl II 2005,77).
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Die zum Klageverfahren xxx eingereichte Nutzungsvereinbarung (dort Streitakte Bl. 21)
führt zu keiner anderen Beurteilung: Allein die Tatsache, dass sich Miteigentümer
mehrerer Wohnungen über die tatsächliche Nutzung dieser Wohnungen verständigen,
genügt nicht für die Begründung wirtschaftlichen Alleineigentums an einer im
Miteigentum stehenden Wohnung (siehe BFH, Urteil vom 4. April 2000 IX R 25/98, BStBl II
2000, 652 und ebenfalls vom 4. April 2000 IX R 26/98, n. v.).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zulagebescheides in Gestalt der
Einspruchsentscheidung bestehen aber in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang
aus verfahrensrechtlichen Gründen.
Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei dem Bescheid über die Festsetzung
der Eigenheimzulage um eine Mehrzahl von Regelungen, d. h. Verwaltungsakte im Sinne
von § 118 AO, die in einem Bescheidformular zusammengefasst werden (wie hier:
Wacker a. a. O., § 11 Tz. 18). Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung trägt
nach Meinung des Senats nicht dem materiellen Jahresprinzip Rechnung, wonach der
Anspruch für jedes Jahr des Förderungszeitraums nach Maßgabe der in dem jeweiligen
Jahr verwirklichten Tatbestandsmerkmale entsteht (vgl. Wacker a. a. O. Tzn. 17 und 18).
Diese rechtliche Beurteilung hat zur Folge, dass der Antragsgegner nicht befugt war,
eine Verböserung des zunächst ergangenen Zulagebescheides im Rahmen der
Einspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO vorzunehmen, weil sich der
Einspruch der Antragstellerin nur auf die Nichtgewährung einer Zulage auch für das Jahr
2010 bezog und nicht gegen die Festsetzung der Zulage für die davor liegenden Jahre.
Allerdings war der Antragsgegner berechtigt, die Festsetzung der Zulage auch im
Rahmen der Einspruchsentscheidung gemäß § 11 Abs. 5 EigZulG zu ändern, nachdem
er die Fehlerhaftigkeit seiner bisherigen rechtlichen Beurteilung erkannt hatte, jedoch
nur mit Wirkung für die Zukunft unter Einschluss des Kalenderjahres der Neufestsetzung,
hier also des Jahres 2005.
Eine anderweitige Änderungsvorschrift, die eine rückwirkende Änderung der Zulage auch
für die Jahre 2003 und 2004 erlaubt hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegen bei
summarischer Prüfung die Voraussetzungen einer Änderung zu Lasten der
Antragstellerin nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen nachträglich bekannt gewordener
Tatsachen nicht vor.
Der Senat hat die Beschwerde zugelassen. Allerdings beruht dies nicht auf den von der
Antragstellerin zur Begründung ihres Hilfsantrags vorgetragenen Gründen, weil nicht zu
erkennen ist, dass hinsichtlich der im Beschluss abgehandelten materiellen
Rechtsfragen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Beschwerdezulassung gemäß §§
128 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO erfüllt wären. Hingegen
war die Beschwerde nach diesen Bestimmungen zuzulassen wegen grundsätzlicher
Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts, was die Frage nach der Eigenschaft des
Eigenheimzulagebescheides als Regelungsmehrheit oder -einheit angeht und die damit
zusammenhängende Frage nach der Überprüfungsfähigkeit und Änderbarkeit gemäß §
367 Abs. 2 AO im Einspruchsverfahren.
Die Zulassung der Beschwerde war nach Auffassung des Senats nicht auf die Streitjahre
2003 und 2004 zu beschränken, da sich eine solche Beschränkung nur mit der Annahme
einer Mehrzahl von im Zulagebescheid zusammen gefassten Verwaltungsakten oder
doch zumindest prozessual abtrennbaren, selbständigen Teilregelungen begründen
ließe, diese Annahme aber gerade Grund für die Zulassung der Beschwerde und ggf.
Gegenstand der Überprüfung im Beschwerdeverfahren ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 52, 63 Gerichtskostengesetz -GKG- bestimmt.
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