Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 26.10.2005
FG Berlin-Brandenburg: öffentlich, juristische person, abfallentsorgung, gewalt, beratung, erfüllung, verkehr, vollstreckung, begriff, staat
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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2004
Aktenzeichen:
12 K 8281/06 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 5 KStG 2002, § 1 Abs 1
Nr 6 KStG 2002, § 6 Abs 4 S 8
VerpackV
Abfallberatung der öffentlichen Hand als Hoheitsbetrieb
Leitsatz
Die gegen Entgelt geleistete Abfallberatung gemäß § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV stellt keinen
Betrieb gewerblicher Art, sondern einen Hoheitsbetrieb dar.
Tenor
Der Körperschaftsteuerbescheid 2004 vom 26. Oktober 2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10. August 2006 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 45 % dem Kläger und zu 55 % dem
Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Abfallberatung gemäß § 6 der
Verpackungsverordnung eine hoheitliche oder gewerbliche Tätigkeit darstellt.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
a) (…)
b) Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der Körperschaftsteuerbescheid
2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1
FGO). Der Kläger unterfällt mit der Abfallberatung (…) nicht der Körperschaftsteuer.
aa) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen
Personen des öffentlichen Rechts unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (sogenannte
partielle Steuerpflicht der öffentlichen Hand). Betriebe gewerblicher Art sind nach § 4
Abs. 1 KStG Einrichtungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die einer
nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land-
und Forstwirtschaft dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen
Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich. Nicht zu den Betrieben
gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 5 KStG Betriebe, die der Ausübung öffentlicher
Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).
bb) Die von dem Kläger betriebene Abfallberatung stellt einen Hoheitsbetrieb dar. Sie
dient der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG.
Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen
Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür
ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt
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ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt
abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der
Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist.
Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die
Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines
privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich
auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen
Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den Wettbewerb
mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts
ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen(Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH –
vom 03. Februar 2010 – I R 8/09, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2010, 502, unter
II.2.c)aa) der Gründe; BFH-Urteile vom 29. Oktober 2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022,
unter II.1. der Gründe m.w.N.; vom 07. November 2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248,
unter II.2.b)aa) der Gründe; vgl. auch Baldauf, Deutsche Steuer-Zeitung – DStZ – 2011,
35, 36). Maßgeblich ist danach stets, ob zwischen dem Hoheitsträger und
Privatunternehmen im selben Tätigkeitsfeld Wettbewerb herrscht (BFH-Urteile vom 29.
Oktober 2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022, unter II.2.b)aa) der Gründe; vom 23.
Oktober 1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139, unter II.A)1. der Gründe; vgl. auch Baldauf
DStZ 2011, 35, 38; Heger, Finanz-Rundschau – FR – 2009, 301, 305; Hüttemann, FR
2009, 308, 310; Küffner, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2003, 1606, 1608; Schiffers,
DStZ 2010, 122, 124; Seer/Klemke, Betriebs-Berater – BB – 2010, 2015, 2016;
Seer/Wendt, DStR 2001, 825, 827 f.), oder anders ausgedrückt, ob der
Leistungsempfänger zwischen der Inanspruchnahme des Hoheitsträgers und der
Inanspruchnahme eines Privatunternehmens wählen kann (vgl. BFH in BStBl. II 2009,
1022 aaO.; Küffner, DStR 2003, 1606, 1607). Ist aufgrund öffentlichen Rechts, also durch
Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung, eine Tätigkeit ihrer Natur nach juristischen
Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten, liegt eine hoheitliche Tätigkeit vor
(Küffner, DStR 2003, 1606, 1607).
Der Begriff des – steuerfreien – Hoheitsbetriebs wird in diesem Zusammenhang
gegenüber dem Begriff des – steuerpflichtigen – Betriebs gewerblicher Art eng
ausgelegt, gerade weil mit der Annahme eines Hoheitsbetriebes eine steuerliche
Privilegierung der öffentlichen Hand einhergeht (Baldauf DStZ 2011, 35, 38; vgl. auch
Hüttemann, FR 2009, 310).
Nach diesen Grundsätzen stellt die Tätigkeit des Klägers im Bereich der Abfallberatung
einen Hoheitsbetrieb dar. Die Abfallberatung in der Form, wie der Kläger sie ausübt, ist
einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Gewalt
eigentümlich und vorbehalten. Es besteht insoweit keine Wettbewerbssituation zu
Privatunternehmen.
Die Abfallentsorgung aus privaten Haushalten wurde zunächst ausnahmslos als
hoheitliche Tätigkeit angesehen (BFH-Beschluss vom 06. November 2007 – I R 72/06,
BStBl. II 2009, 246, unter II.1. der Gründe; in BStBl. II 1997, 139, unter II.A)2. der Gründe;
Baldauf, DStZ 2011, 35, 37; grundsätzlich krit. zur Zuordnung der entsorgenden
Tätigkeit zum Hoheitsbereich allerdings Seer/Klemke, BB 2010, 2015, 2022 f.; Kurth, FR
2009, 321). Dies gilt für die Hausmüllentsorgung nach wie vor (FG München, Urteil vom
23. Juli 2008 – 3 K 4255/04, EFG 2009, 1252, 1256; Schiffers, DStZ 2010, 122, 123), nicht
hingegen für Abfälle, die unter die Verpackungsverordnung fallen (Baldauf, DStZ 2011,
35, 37 mit Fn. 6). Durch diese Verordnung ist insoweit eine Rechtsänderung eingetreten,
als sie die Pflicht zur Verwertung von Verpackungen deren Herstellern und Vertreibern
außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung auferlegt. Die Verantwortung für Systeme
nach § 6 Abs. 3 VerpackV ist damit auf die Privatwirtschaft übergegangen, so dass die
Erfüllung von Aufgaben nach der VerpackV nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt
(BFH in BStBl. II 2009, 246, aaO.; FG Münster, Urteil vom 16. März 2001 – 9 K 7607/98 K,
G, EFG 2001, 849). Soweit ein Hoheitsträger sich im Bereich des Sammelns, Sortierens
oder Verwertens von Wertstoffen betätigt, ist er demzufolge wirtschaftlich und nicht
hoheitlich tätig (FG Münster aaO.).
Hier steht jedoch nicht die Tätigkeit des Klägers im Bereich des Sammelns, Sortierens
oder Verwertens von Wertstoffen in Rede, sondern die in § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV
vorgeschriebene Abfallberatung. Die Regelung besagt, dass die Systembetreiber
verpflichtet sind, sich anteilig an den Kosten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger
zu beteiligen, die diesen durch Abfallberatung für ihr jeweiliges System und durch die
Errichtung, Bereitstellung, Unterhaltung sowie Sauberhaltung von Flächen entstehen.
Die von dem Kläger vorgenommene Abfallberatung ist demnach allein juristischen
Personen des öffentlichen Rechts, nämlich dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger,
vorbehalten. Eine Wettbewerbssituation besteht insoweit nicht, denn die Möglichkeit der
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vorbehalten. Eine Wettbewerbssituation besteht insoweit nicht, denn die Möglichkeit der
Abfallberatung durch Privatunternehmen ist nicht vorgesehen. Die Systembetreiber
i.S.d. § 6 VerpackV sind vielmehr verpflichtet, die Beratung durch die öffentlich-
rechtlichen Entsorgungsträger in Anspruch zu nehmen. Insoweit ist die Situation mit
dem Bestehen eines Anschluss- und Benutzungszwanges zu vergleichen.
Die entsprechende Regelung, die die Abfallberatung den öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträgern zuweist, stellt auch keine Wettbewerbsbeschränkung dadurch dar,
dass eine Aufgabe, die ebensogut von Privatunternehmen durchgeführt werden könnte,
der öffentlichen Hand vorbehalten wird. Es handelt sich vielmehr um die Erfüllung
spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und
staatlichen Zwecken dienen. Dies hat seinen Grund darin, dass die
Gesamtverantwortung für die Abfallentsorgung nach wie eine hoheitliche Aufgabe
darstellt. Die Ausgliederung einzelner Teilbereiche, wie sie durch die VerpackV
geschehen ist, ändert an diesem Befund nichts, wie sich daran zeigt, dass die
Entsorgung sonstigen Abfalls, insbesondere des Hausmülls, nach wie vor allgemein dem
hoheitlichen Bereich zugeordnet wird. Soweit die Abfallentsorgung, wie geschehen, aus
dem hoheitlichen Bereich ausgegliedert worden ist, ist es naheliegend, dass der insoweit
Gesamtverantwortliche, nämlich der Staat, gleichwohl darüber wacht, dass die
Entsorgung in dem Umfang und in der Weise stattfindet, wie sie ihm notwendig
erscheint. Zu diesem Zweck hat er die hier im Streit stehende Abfallberatung zwingend
vorgeschrieben. Dass die als „Beratung“ bezeichnete Dienstleistung tatsächlich eher ein
Instrument zur Kontrolle und Lenkung darstellt, zeigt sich gerade daran, dass sie nicht
freiwillig in Anspruch genommen wird. Handelte es sich um eine Beratung in dem Sinne,
dass dem Adressaten der Leistung eine Hilfe bei anstehenden Entscheidungen geboten
werden sollte, wäre die Anordnung eines Zwanges nicht erforderlich. Die
Inanspruchnahme einer Beratung trägt ein freiwilliges Element in sich; sie wendet sich an
einen Adressatenkreis, der entscheiden kann, ob er über eigenen Sachverstand in
hinreichendem Umfang verfügt oder ob er der Hilfe eines Außenstehenden bedarf. Die
Beratung i.S.d. § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV stellt aber keine freiwillig in Anspruch zu
nehmende Hilfestellung für die Systembetreiber dar, sondern sie dient dazu,
sicherzustellen, dass die Betreiber die ihnen übertragene Aufgabe in der Weise erfüllen,
wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sie erfüllt wissen möchte, insbesondere
also dass Abfallbehälter in ausreichendem Umfang aufgestellt und hinreichend häufig
geleert werden, dass die dafür genutzten Flächen sauber gehalten werden und die
Gesetze in der Weise, wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sie verstanden
wissen will, zur Kenntnis genommen und angewendet werden. Die Einschaltung Privater
in diesem Bereich erscheint ausgeschlossen. Es wäre aus der Sicht des öffentlich-
rechtlichen Entsorgungsträgers wenig sinnvoll, die Abfallentsorgung, für deren
Funktionieren er letztlich verantwortlich ist, teilweise aus seinem Hoheitsbereich zu
entlassen und dann die Überwachung gleichermaßen auf Private zu übertragen, die er
als der für die Abfallentsorgung insgesamt letztlich Verantwortliche seinerseits wiederum
überwachen müsste.
2. Die Revision zum Bundesfinanzhof war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil
trotz Vorliegens einer Vielzahl von Entscheidungen in diesem Bereich die Abgrenzung
zwischen hoheitlicher und gewerblicher Tätigkeit nach wie vor mit Unsicherheiten
behaftet ist (so bereits Seer/Wendt, DStR 2001, 825, 826) und sich aufgrund politischer
und wirtschaftlicher Entwicklungen im Fluss befindet (vgl. Schiffers, DStZ 2010, 122 f.;
Seer/Klemke, BB 2010, 2015, 2024), so dass die Fortbildung des Rechts eine
Entscheidung des Bundesfinanzhofes erfordert.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Kostenentscheidung
folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
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