Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.11.1985

FG Berlin-Brandenburg: berufsberatung, treu und glauben, arbeitsamt, streichung, verwaltungsakt, vorsorge, volljähriger, abgabenordnung, sammlung, quelle

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 10.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2004
Aktenzeichen:
10 K 10024/05 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c
EStG 2002, § 171 Abs 10 AO, §
175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO
Nachweis des ernsthaften Bemühens um einen
Ausbildungsplatz: Vorlage von Bewerbungen, keine Bindung an
für Rentenversicherungsträger bestimmte Bescheinigung über
Zeiten der Ausbildungssuche
Tatbestand
Der Beklagte setzte Kindergeld für den am 15. November 1985 geborenen Sohn der
Klägerin P mit Bescheid vom 27. November 2003 ab November 2003 fest. Grundlage
war nach Aktenlage die Bescheinigung des Arbeitsamtes … vom 19. November 2003,
wonach sich P am 8. Oktober 2003 zur Beratung angemeldet hat und noch nicht
vermittelter Bewerber um eine betriebliche Ausbildungsstelle war. Nach der
Bescheinigung vom 17. März 2004 war er noch nicht vermittelter Bewerber um eine
berufsvorbereitende Maßnahme. Hierauf verfügte der Beklagte intern die Weiterzahlung
des Kindergeldes bis September 2004 und forderte mit Schreiben vom 30. August 2004
von der Klägerin alternativ eine neue Bescheinigung vom Arbeitsamt, dass der Sohn
weiterhin eine Ausbildung suchend gemeldet sei oder Informationen über den weiteren
Werdegang mit entsprechenden Nachweisen (Kopie Ausbildungsvertrag,
Ausbildungsbescheinigung etc.). Hierauf hat die Klägerin mitgeteilt, Bewerbungen, die P
abgeschickte habe, hätten keine Rückumschläge enthalten. Daher wären die Unterlagen
nicht zurückgekommen. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2004 teilte das Arbeitsamt ...
mit, dass P am 29. März 2004 in der Berufsberatung abgemeldet wurde, weil er zu
einem Termin unentschuldigt nicht erschienen sei. Auch in der folgenden Vorsprache
am 7. September 2004 habe er angegeben, dass er nicht als Bewerber in der
Berufsberatung geführt werden möchte. Bei der Vorsprache am 21. Oktober 2004 habe
er um einen Termin gebeten. Dem Beklagten wurden nachfolgend von der Klägerin
Vermittlungsscheine der Jobbörse für Gelegenheitsarbeiten für den Zeitraum vom 18.
Oktober 2003 bis 28. Oktober 2004 vorgelegt. Die Arbeitsvermittlung teilte am 10.
November 2004 telefonisch mit, dass P beim Arbeitsamt nicht als Arbeit suchend
gemeldet sei. Die Jobbörse gehöre nicht zum Arbeitsamt. Mit Schreiben vom 8.
November 2004 wurde P für den 16. Dezember 2004 zu einem Gespräch bei der
Berufsberatung eingeladen.
Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für P mit Bescheid vom 11. November 2004
aufgehoben und Kindergeld von April bis November 2004 in Höhe von 924 € von der
Klägerin zurückgefordert. Den dagegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit
Einspruchsentscheidung vom 3. Januar 2005 als unbegründet zurück. Erst durch
Mitteilung der Agentur für Arbeit – Berufsberatung – sei bekannt geworden, dass die
Anspruchsvoraussetzungen seit 29. März 2004 (wegen unentschuldigten Fernbleibens
zum Vorstellungsgespräch) weggefallen wären.
Laut Mitteilung der Arbeitsagentur vom 12. Januar 2005 ist P seit dem 21. Oktober 2004
laufender Bewerber in der Berufsberatung. Mit Änderungsbescheid vom 10. März 2005
setzte der Beklagte daraufhin Kindergeld ab Oktober 2004 fest. In der mündlichen
Verhandlung hat die Beklagtenvertreterin die Änderung dieses Bescheides dahingehend
erklärt, dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch für die Monate März und
September 2004 - aufgrund der aktenkundigen Vorsprachen des Sohnes der Klägerin
bei der Arbeitsagentur mit dem Ziel der Berufsberatung - entfällt.
Die Berufsberatung hat auf gerichtliche Anfrage am 8. Juni 2007 u.a. mitgeteilt, dass der
Termin am 29. März 2004 aufgrund einer Vorsprache des Sohnes der Klägerin am 17.
März 2004 auf dessen Wunsch vereinbart wurde und keine gesonderte schriftliche
Einladung erging. Die Kontaktdichte betrüge einmal monatlich. Einen entsprechenden
Hinweis enthielte die „Bewerberkarte“.
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Die Klägerin bestreitet die Abmeldung des Sohnes bei der Berufsberatung. Trotz der
schwerwiegenden Folgen wären weder sie noch der Sohn hierüber informiert worden.
Insoweit mache sie Vertrauensschutz geltend. Eine Einladung zu einem Termin am 29.
März 2004 habe der Sohn nicht erhalten bzw. sei ihr jedenfalls bis zum 11. November
2004 nicht bekannt gewesen. Es werde auch bestritten, dass der Sohn bei der
Vorsprache am 7. September 2004 erklärt haben soll, er wolle nicht mehr als Ausbildung
suchend registriert werden. Richtig sei, dass es zu einem Disput mit der Bearbeiterin
gekommen sei und er geäußert habe, wenn ihm keine Stelle vermittelt werden könne,
müsse er auch nicht als Bewerber registriert sein. Damit habe er aber nur seine
Unzufriedenheit mit den Vermittlungsbemühungen ausdrücken wollen. Nach der
Bescheinigung der Arbeitsagentur vom 1. Oktober 2004 sei er vielmehr in der Zeit vom
8. Oktober 2003 bis 30. September 2004 als Ausbildungssuchender gemeldet gewesen.
den Bescheid vom 11. November 2004 in der Fassung
des Änderungsbescheides am Tag der Sitzung aufzuheben.
die Klage abzuweisen, soweit sie über die Erklärung
am Tag der Sitzung hinausgeht.
Die Bescheinigung für die Rentenversicherung werde grundsätzlich für ein Jahr ab der
ersten Meldung bei der Berufsberatung ausgestellt und enthalte daher ggf. auch Zeiten,
in denen das Kind nicht als Bewerber registriert sei. Für den Zeitraum ab April 2004 bis
August 2004 sei keine Vorsprache von P in der Berufsberatung nachvollziehbar. Die
Klägerin habe bereits auf die Anforderung mit Schreiben vom 30. August 2004 keine
Nachweise über Eigenbemühungen des Sohnes um einen Ausbildungsplatz beibringen
können.
Wegen des Ergebnisses der Vernehmung des Kindes der Klägerin P wird auf den Inhalt
der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Die Beklagtenvertreterin hat am 20. Juli 2007 darauf hingewiesen, dass die
Kindergeldfestsetzung mit dem streitigen Bescheid erst ab April 2004 aufgehoben
worden war und insoweit die in der Verhandlung für den Monat März abgegebene
Erklärung ins Leere geht.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im noch streitigen Umfang unbegründet.
Das Gericht konnte insbesondere nicht festzustellen, dass der Sohn der Klägerin im
Zeitraum April bis August 2004 mangels eines Ausbildungsplatzes gehindert war, eine
Ausbildung zu beginnen und mithin die hier allein geltend gemachte Voraussetzung für
einen Anspruch auf Kindergeld gegeben war.
Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c
Einkommensteuergesetz besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 27.
Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es eine
Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann.
Nach der Rechtsprechung muss sich hierfür das Kind ernsthaft um einen
Ausbildungsplatz bemühen. Da es sich um eine für den Kindergeldberechtigten günstige
Anspruchsvoraussetzung handelt, trägt dieser die Feststellungslast für die
entsprechenden Bemühungen des Kindes. Die Ausbildungsbereitschaft des Kindes muss
sich durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben.
Andernfalls hätte es der Kindergeldberechtigte in der Hand, durch die bloße
Geltendmachung der Ausbildungswilligkeit des Kindes den Anspruch auf Kindergeld bis
zum 27. Lebensjahr zu verlängern. Es soll also insbesondere einer missbräuchlichen
Inanspruchnahme des Kindergeldes wirksam begegnet werden. Dieser Nachweis der
ernsthaften Bemühungen kann z.B. durch Bescheinigungen des Arbeitsamtes über die
Meldung des Kindes als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle, durch
Suchanzeigen in der Zeitung, durch direkte Bewerbungen an Ausbildungsstätten und
ggf. den daraufhin erfolgten Zwischennachrichten oder auch Absagen erbracht werden.
Regelmäßig müssen übliche und zumutbare Bemühungen nachgewiesen werden (BFH,
Beschluss vom 21. Juli 2005 III S 19/04, BFH/NV 2005, 2207 m.w.N).
Derartige Bemühungen sind für den streitigen Zeitraum nicht objektiv feststellbar.
Nachweise über erfolglose Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz konnten offenbar
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Nachweise über erfolglose Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz konnten offenbar
schon im engen zeitlichen Zusammenhang zum streitigen Zeitraum nicht vorgelegt
werden. Das Vorbringen die Unterlagen wären nicht zurückgekommen, entlastet die
Klägerin nicht. Es lag vielmehr in ihrem Einflussbereich Vorsorge für den Nachweis der
Ausbildungswilligkeit des Sohnes, z.B. durch Fertigung von Kopien und Einholung von
Eingangsbestätigungen, zu treffen oder durch den Sohn zu veranlassen.
Die Aussage des Sohnes der Klägerin zu Vorsprachen bei der Berufsberatung ist
insgesamt unbestimmt. Zeitliche Angaben hat er – auch zur Auseinandersetzung mit
der Vermittlerin – nicht gemacht. Sein Vorbringen, er sei im noch streitigen Zeitraum
sehr oft in der Berufsberatung gewesen, steht im Widerspruch zu den Auskünften
derselben. Anhaltspunkte für eine Beweismittelunterdrückung sind nicht ersichtlich,
zumal die Vorsprachen im März - für den wohl dann für den 29. März 2004 vereinbarten
Termin - und auch die im September 2004 erfolgte Vorsprache sehr wohl erfasst wurden.
Das Gericht hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass der Sohn der Klägerin, wegen
der aus seiner Sicht unbefriedigenden Vorsprachen bei der Berufsberatung, zeitweise
nicht den Kontakt zur Berufsberatung gesucht hat.
Ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum ergibt sich auch
nicht unter dem Gesichtpunkt von Treu und Glauben, weil seitens der Berufsberatung
keine Information über den Wegfall der Erfassung des Sohnes als Bewerber um eine
Ausbildungsstelle erfolgte. Dem Sohn der Klägerin war sehr wohl bekannt, dass er sich
einmal monatlich melden musste, damit es keine Probleme für den Anspruch auf
Kindergeld gibt. Das muss sich die Klägerin zurechnen lassen. Dabei verkennt das
Gericht nicht die Probleme, die sich zu Weilen aus der Eigenständigkeit volljähriger Kinder
ergeben. Es ist aber nicht Aufgabe der Berufsberatung Kindergeldberechtigte über die
Nichtwahrnehmung mit volljährigen Kindern vereinbarter Termine in Kenntnis zu setzen.
Weder die Aufnahme in die Bewerberliste der Berufsberatung oder die Streichung aus
dieser Liste stellen einen bekannt zu gebenden Verwaltungsakt dar (FG Köln, Urteil vom
22. September 2005 10 K 5182/04, EFG 2006, 66, Revision anhängig III R 66/05).
Ist ein Kind mangels Meldung bei der Berufsberatung und mangels eigener Bemühungen
um einen Ausbildungsplatz nicht zu berücksichtigen, so kann die erkennbar unrichtige
Bescheinigung von Zeiten der Ausbildungssuche zur Vorlage beim
Rentenversicherungsträger nicht das Gegenteil belegen. Die Bescheinigung für Zwecke
des Rentenversicherungsrechts hat keine Bindungswirkung für die Festsetzung des
Kindergeldes; es handelt sich dabei insbesondere nicht um einen Grundlagenbescheid
im Sinne des § 171 Abs. 10 Abgabenordnung –AO- . Die Familienkasse hat die
Anspruchsberechtigung für Kindergeld selbständig auf der Grundlage der §§ 62, 63ff
EStG und ohne Bindung an den Inhalt einer für rentenrechtliche Zwecke erstellten
Bescheinigung zu ermitteln (FG Düsseldorf, Urteil vom 11. August 2006 18 K 1542/05,
EFG 2006, 1764).
Der Sohn der Klägerin kann für den streitigen Zeitraum auch nicht als arbeitsloses Kind
für das Kindergeld berücksichtigt werden, obwohl er das 21. Lebensjahr erst im Jahr 2006
vollendete, denn er hatte sich nicht bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet.
Der Beklagte war berechtigt die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG
aufzuheben, weil sich für den streitigen Zeitraum die maßgeblichen Verhältnisse für den
Kindergeldanspruch geändert hatten. Dem Beklagten ist erst aufgrund der Nachfrage
bei der Berufsberatung im Oktober 2004 bekannt geworden, dass der Sohn der Klägerin
nicht mehr als Bewerber um einen Ausbildungsplatz geführt wird und eigene
Bemühungen des Sohnes um einen Ausbildungsplatz hatte die Klägerin auf die Anfrage
vom 30. August 2004 nicht belegen können. Daher hätte, selbst wenn im April das
Kindergeld neu festgesetzt und nicht wie hier nur intern die Weiterzahlung verfügt
worden wäre, der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
nicht entgegengestanden.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
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