Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 02.02.1996

FG Berlin: geschäftsführer, bezahlter urlaub, freie mitarbeit, beratervertrag, anstellungsvertrag, sammlung, gesellschafter, unternehmen, finanzen, gewerbesteuer

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Gericht:
FG Berlin 9. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1998, 1999
Aktenzeichen:
9 K 2574/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 19 Abs 1 EStG 1997, § 1 Abs 2
LStDV 1990, § 1 Abs 3 LStDV
1990, § 15 EStG 1997
Einordnung der Tätigkeiten eines GmbH-Geschäftsführers als
selbständige Tätigkeit
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Geschäftsführer der Klägerin, eines
Unternehmens in der Rechtsform einer GmbH, für dieses Unternehmen in den
Streitjahren 1998 und 1999 selbständig oder nichtselbständig tätig war.
Die Klägerin wurde am 2. Februar 1996 mit Sitz in xxx gegründet und am 9. Juli 1996 in
das Handelsregister des xxx eingetragen. Satzungsmäßiger Gegenstand des
Unternehmens war die "Brandsanierung im Rahmen des Maler- und Lackierhandwerks,
Holz- und Bautenschutz sowie die Vergabe von Bauleistungen als Generalübernehmer".
Gesellschafter der Klägerin waren zunächst die Herren W.xxx, H.xxx sowie xxx D.xxx
(letzterer wurde später durch xxx W.xxx ersetzt). Das Stammkapital der Klägerin betrug
51 000 DM. Die Klägerin nahm am 1. April 1996 ihre Geschäftstätigkeit nach außen auf
und beschäftigte ab dem 1. Mai 1996 Arbeitnehmer (zuletzt ca. 10 Personen).
Zum alleinigen Geschäftsführer der Klägerin bestellten die drei Gesellschafter mit
Wirkung zum 21. Juni 1996 den Malermeister xxx Fxxx aus xxx. Grundlage für die
Übertragung des Geschäftsführeramtes an diesen war ein am selben Tage
geschlossener "Beratervertrag" mit folgendem Wortlaut:
" Die GmbH beauftragt Herrn Fxxx zu folgenden Arbeiten:
Ferner wird Herr Fxxx vorübergehend zum Geschäftsführer bestellt, bis eine dauernde
Kraft zur Verfügung steht.
Herr Fxx erhält ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von DM 9.998,55.
Entsteht der GmbH ein Schaden aufgrund von grob fahrlässigen oder vorsätzlichen
Pflichtverletzungen von Herrn Fxxx, ist dieser der GmbH zum Schadensersatz
verpflichtet.
Der Vertrag ist beiderseits mit einer vierwöchigen Frist kündbar."
Herr Fxxx stellte in der Folgezeit im Zusammenhang mit diesem Vertrag monatlich sein
"Geschäftsführerhonorar" (ohne Umsatzsteuerausweis) gegenüber der Klägerin in
Rechnung, die diese vertragsgemäß beglich. Umsatzsteuer wurde seitens der Klägerin
nicht entrichtet und von Herrn Fxxx auch nicht an das für ihn zuständige Finanzamt
abgeführt. Eine Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer und
Sozialversicherungsbeiträgen seitens der Klägerin erfolgte für den Zeitraum 21. Juni
1996 bis 31. Januar 1999 ebenfalls nicht. Die Amtszeit von Herrn Fxxx als
Geschäftsführer dauerte bis zum 31. März 2001. Ab dem 1. Februar 1999 bis zum 31.
März 2001 wurde Herr Fxxx unstreitig in einem Arbeitnehmerverhältnis als
Geschäftsführer der Klägerin weiterbeschäftigt.
Ab dem 1. Juni 2001 wurde Herr xxx Kxxx zum alleinigen Geschäftsführer bestellt.
Dessen "Geschäftsführer-Anstellungsvertrag" sah neben der Zahlung eines monatlichen
Gehalts in Höhe von 7 000,00 DM sowie Aufwendungs- und Spesenersatz einschließlich
Dienstwagengestellung für Geschäftsfahrten die Zahlung eines halben Monatsgehalts
als Urlaubsgeld sowie eines weiteren halben Monatsgehalts als Weihnachtsgeld, ferner
die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Wochen vor. Schließlich wurde
Herrn Kxxx im Anstellungsvertrag bezahlter Urlaub im Umfang von 30 Werktagen
zugesagt.
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Am 27. Februar 2001 führte die Landesversicherungsanstalt xxx bei der Klägerin eine
Betriebsprüfung durch, die hinsichtlich des hier streitigen Punktes zu keinerlei
Beanstandungen führte. Gegenüber der Landesversicherungsanstalt hatte Herr Fxxx
unter dem 1. März 2001 schriftlich versichert, dass er in der Zeit vom Dezember 1996
bis einschließlich Januar 1999 selbständig für die Klägerin tätig gewesen sei.
Im Februar 2002 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung
durch. Dabei stellte sich die Prüferin auf den Standpunkt, dass der Geschäftsführer einer
GmbH nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - typischerweise
nichtselbständig für das Unternehmen tätig sei (Hinweis auf Urteil vom 9. Oktober 1996
XI R 47/96, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1997,255). Dementsprechend hielt sie die von
der Klägerin für die Tätigkeit des Herr Fxxx gezahlten Entgelte (130 906,00 DM im Jahr
1998 sowie 9 998,55 DM für den Monat Januar 1999) für lohnsteuerpflichtig. Der Beklagte
erließ daraufhin am 5. März 2002 einen entsprechenden, auf § 42 d des
Einkommensteuergesetzes - EStG - gestützten Haftungsbescheid über 18 999,52 EUR
(= anteilige, den hiesigen Streitpunkt betreffende Haftungssumme). Der hiergegen
gerichtete Einspruch der Klägerin blieb erfolglos und wurde vom Beklagten mit
Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2002 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, auf die Tätigkeit des Herrn
Fxxx im streitgegenständlichen Zeitraum treffe keines der in Abschnitt 67 der
Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) aufgeführten Merkmale für das Vorliegen einer
Arbeitnehmertätigkeit zu. Eine persönliche Abhängigkeit bzw. Weisungsgebundenheit
von ihm ergebe sich weder aus Sachzwängen noch aus dem Beratervertrag. Der Vertrag
enthalte keine Vereinbarungen über wöchentliche Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch,
Anspruch auf Sozialleistungen, Entgeltfortzahlung oder Überstundenvergütung.
Die Klägerin beantragt, den Haftungsbescheid vom 6. März 2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2003 hinsichtlich eines Betrages in Höhe von
18 999,52 EUR aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen
Einspruchsentscheidung.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung 2 Bände Lohnsteuer-Arbeitgeberakten
(StNr.: xxx) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie
des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid vom 6. März 2002 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2003 ist rechtswidrig und verletzt
die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Nach § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er
einzubehalten und abzuführen hat. Der gegen die Klägerin gerichtete Haftungsbescheid
durfte hinsichtlich der Person des Herrn Fxxx für den streitgegenständlichen Zeitraum
nicht ergehen, weil die Klägerin in diesem Zeitraum nicht Arbeitgeberin des Herrn Fxxx
war und demgemäß für diesen keine Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen hatte.
Nach § 19 Abs. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a.
Bezüge und Vorteile, " die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst
gewährt werden". Nach § 1 Abs. 2 und 3 LStDV, der nach der ständigen Rechtsprechung
des BFH den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegt, liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn
der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der
Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der
Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers
dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass der Arbeitnehmerbegriff sich
nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen lässt. Das
Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich scharf umrissenen Begriffs, der auf eine
einfache Subsumtion hoffen ließe. Vielmehr stellt der Begriff des Arbeitnehmers einen
offenen Typus dar, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen
beschrieben werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist deshalb die
Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, anhand einer
Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu
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Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu
beurteilen. In seinem Urteil vom 14. Juni 1985 (VI R 150-152/82, BStBl II 1985,661) hat
der BFH hierzu zahlreiche Kriterien beispielhaft aufgeführt, die für die bezeichnete
Abgrenzung Bedeutung haben können. Diese Merkmale sind im konkreten Einzelfall
jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Diese Aufgabe obliegt nach
ständiger Rechtsprechung des BFH in erster Linie den Finanzgerichten als
Tatsacheninstanz. Die im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung
ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar (vgl. zum Ganzen nur Beschluss vom 9.
September 2003 VI B 53/03, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten
Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2004,42 m.w.N.).
Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich nicht allein schon aus dem Umstand,
dass Herr Fxxx innerhalb der Klägerin die (alleinige) Geschäftsführerstellung innehatte,
die ertragsteuerrechtliche Konsequenz, dass er dieses Amt in nichtselbständiger
Funktion und damit als Arbeitnehmer ausgeübt hat. Die vom Beklagten in diesem
Zusammenhang zitierten Entscheidungen des für das Lohnsteuerrecht zuständigen VI.
Senats des BFH (vgl. die Zusammenstellung bei Drenseck, in: Schmidt, EStG, 24. Aufl., §
19 Rz. 15 "Gesetzl. Vertreter einer Kapitalgesellschaft") sind aufgrund eines neuen
Urteils des für das Umsatzsteuerrecht zuständigen V. Senats des BFH vom 10. März
2005 V R 29/03, BStBl II 2005,730 als überholt anzusehen. Denn nach der
Rechtsprechung des BFH ist die Frage nach dem selbständigen oder nichtselbständig
Tätigwerden natürlicher Personen für die Umsatz-, Einkommen- und
Gewerbesteuer nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. dazu nur BFH-Urteile in
BStBl II 2005,730 sowie vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999,534 gleicher
Ansicht: Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 21. September 2005,
BStBl I 2005,936 m. Anm. Küffner/Zugmaier, Deutsches Steuerrecht - DStR -
2005,1692). Der V. Senat des BFH hat aber in dem o.g. Urteil, mit dem er den
Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das zuständige FG zurückverwiesen hat
eine Einordnung eines GmbH-Geschäftsführers als selbständig tätigen Nicht-
Arbeitnehmer (Unternehmer) explizit für möglich erachtet, soweit eine Würdigung des
Gesamtbildes der Verhältnisse im oben genannten Sinne für eine solche Einordnung
spreche (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 8. September 2005 V B 47/05, BFH/NV
2006,622, FG Berlin, Beschluss vom 13. Januar 2005 5 B 5498/04, nicht veröffentlicht;
Titgemeyer, Betriebs-Berater - BB - 2006,408 ff.; Widmann, Der Betrieb - DB -
2005,2373; Lohse/Zanzinger, DStR 2006,725 ff., 730).
Im Streitfall weist der von den Gesellschaftern der Klägerin mit Herrn Fxxx geschlossene
Beratervertrag alle typischen Wesensmerkmale eines Vertrages über eine freie Mitarbeit
auf. Im Sinne der im BFH-Urteil in BStBl II 1985,661 beispielhaft aufgeführten Kriterien für
eine Arbeitnehmertätigkeit war Herr Fxxx weder hinsichtlich des Ortes oder der Zeit noch
hinsichtlich des Inhalts seiner Tätigkeit weisungsgebunden. Es gab keine vertragliche
festgelegten Tages-, Wochen- oder Monatsarbeitszeiten. Herr xxx war nicht verpflichtet,
seine Tätigkeit für die Klägerin an einem bestimmten Ort auszuüben. Er erhielt zwar
feste Bezüge in Form einer betragsmäßig gleichbleibenden Monatsvergütung. Er hatte
jedoch weder einen vertraglichen Urlaubsanspruch noch einen vertraglichen Anspruch
auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfalle oder sonstige Sozialleistungen (anteilige
Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge des Arbeitgebers).
Eine Überstundenvergütung sah der Beratervertrag ebenfalls nicht vor. Der zeitliche
Umfang der zu erbringenden Dienstleistungen war nicht (auch nicht annähernd)
festgelegt. Da ihm vertraglich "freie Hand" für die Bewältigung seiner Aufgaben innerhalb
der Klägerin eingeräumt wurde, war er auch nicht hinsichtlich der Organisation und
Durchführung seiner Tätigkeit unselbständig tätig. Er führte auch keine einfache Tätigkeit
aus, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist. Herr Fxxx war auf eigene
Rechnung (die er der Klägerin ja auch regelmäßig erteilt hat) und Gefahr (vgl. dazu die
vertragliche Regelung bezüglich seiner eventuellen Schadensersatzpflicht gegenüber
der Klägerin) tätig, trug also das Erfolgsrisiko der eigenen Betätigung
(Unternehmerrisiko) und konnte Unternehmerinitiative entfalten (vgl. dazu allgemein
Weber-Grellet, in: Schmidt, a.a.0. § 15 Rz. 11 m. zahlr. Rechtsprechungsnachweisen).
Nicht zuletzt konnte sich die Klägerin als Auftraggeberin nach dem Vertrag in einem
verhältnismäßig kurzen Zeitraum (4 Wochen) ohne Angaben von Gründen von ihrem
Vertragsengagement wieder lösen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht
auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der
Zivilprozessordnung - ZPO -.
3. Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
zugelassen
27 (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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