Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: wirtschaftliche identität, kapitalerhöhung, stille reserven, kapitalgesellschaft, anlagevermögen, körperschaft, bilanz, vermarktung, geschäftsbetrieb, software

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2004
Aktenzeichen:
12 K 8258/06 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 4 S 1 KStG 2002
Wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft -
Kapitalerhöhung ist einem Anteilseignerwechsel gleichzusetzen -
Maßgeblichkeit allein des Anlagevermögens bei
Anteilseignerwechsel ohne gleichzeitigen Branchenwechsel
Leitsatz
1. Begehrt der Steuerpflichtige eine Billigkeitsmaßnahme sowohl nach § 163 AO als auch
nach § 227 AO, sind die Streitgegenstände identisch.
2. Weder die Höhe der tatsächlich vom Steuerpflichtigen zu erlangende Verzinsung noch eine
verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles (hier: Auswertung der Ergebnisse einer
Außenprüfung) zwingen die Finanzbehörde zur abweichenden Festsetzung von
Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen bzw. zum Erlass
Tatbestand
Die Klägerin wurde am … 1999 gegründet. Sie firmierte seinerzeit als B GmbH; ihr
Unternehmensgegenstand bestand in dem Durchführen aller Arbeiten zum Errichten
schlüsselfertiger Bauten und der Übernahme der Generalübernehmerfunktion für
Sanierung und Modernisierung von Eigentums-, Wohn- und Gewerbeobjekten. Ab 2001
erweiterte die Klägerin ihre Tätigkeit um das Entwickeln und Vermarkten von Software für
den Einsatz im Bereich des Gebäudemanagements. Am … 2001 änderte sie ihre Firma
in A GmbH Software und Service und erweiterte den Unternehmensgegenstand um „die
Entwicklung und Vermarktung von Softwareprodukten einschließlich damit verbundener
Dienstleistungen wie Beratung und Schulung“. Am … 2004 wurde das Stammkapital der
Klägerin von € 25 000 um € 90 000 auf € 115 000 erhöht. Gleichzeitig wurde der
Unternehmensgegenstand erneut in „Entwicklung und Vermarktung von
Softwareprodukten einschließlich damit verbundener Dienstleistungen wie Beratung und
Schulung“ geändert. Die Stammeinlagen aus der Kapitalerhöhung wurden von zwei bis
zu diesem Zeitpunkt nicht an der Klägerin beteiligten Gesellschaftern übernommen.
Ausweislich ihrer Bilanz zum 31. Dezember 2004 betrug das Anlagevermögen der
Klägerin zum 31. Dezember 2003 € 1 420 (Sachanlagen) und zum 31. Dezember 2004 €
2 774 (immaterielle Vermögensgegenstände € 584, Sachanlagen € 2 190).
Die Klägerin erwirtschaftete im Jahre 2000 einen Verlust in Höhe von € 51 562, im Jahre
2001 einen Verlust in Höhe von € 19 715, im Jahre 2002 einen Verlust in Höhe von € 7
787, im Jahre 2003 einen Gewinn in Höhe von € 8 321 und im Jahre 2004 einen Verlust in
Höhe von € 26 041.
Der Beklagte ging davon aus, dass die Klägerin bis Ende 2001 als Bauunternehmen
anzusehen war und dass sie ab dem Jahr 2001 teilweise und ab dem Jahr 2002
vollständig im Bereich der Softwareentwicklung tätig war. Er wertete die mit der
Aufnahme neuer Gesellschafter verbundene Kapitalerhöhung als Anteilsveräußerung.
Zudem sei der Klägerin per 31. Dezember 2004 im Vergleich zur Bilanz 31. Dezember
2003 überwiegend neues Aktivvermögen i.S.d. § 8 Abs. 4 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zugeführt worden. Der Beklagte ging danach davon
aus, dass die Klägerin zum … 2004 ihre wirtschaftliche Identität verloren hatte, und
erkannte den körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Verlustvortrag nur in
Höhe von € 19 462 an.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine Kapitalerhöhung einer Anteilsübertragung
i.S.d. § 8 Abs. 4 KStG nicht gleichgesetzt werden dürfe. Zwar änderten sich auch bei
einer Anteilsübertragung die Mehrheitsverhältnisse der Kapitalgesellschaft, das bedeute
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einer Anteilsübertragung die Mehrheitsverhältnisse der Kapitalgesellschaft, das bedeute
aber nicht, dass im Umkehrschluss alle Änderungen der Mehrheitsverhältnisse – wie hier
als Folge der Kapitalerhöhung – in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 KStG fielen.
Zudem sei ihr, der Klägerin, nicht überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt
worden. Ihr Betriebsvermögen sei lediglich von € 12 699 zum 31. Dezember 2003 auf €
17 638 zum 31. Dezember 2004 angewachsen. Allerdings ist nach Ansicht der Klägerin
lediglich das Anlagevermögen zu betrachten. Die Erhöhung ihres Anlagevermögens sei
im wesentlichen auf Ersatzinvestitionen im Bereich der Büroausstattung zurückzuführen;
insoweit könne nicht einmal von neuem Betriebsvermögen gesprochen werden.
Hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass die Zuführung des neuen
Betriebsvermögens – wenn solches denn vorläge – dem Zweck der Sanierung ihres, der
Klägerin, Geschäftsbetriebes gedient habe. Ihre Sanierungsbedürftigkeit ergebe sich aus
der Bilanz auf den 31. Dezember 2003; danach sei sie in Höhe von € 68 522
überschuldet gewesen. Um der wegen der Überschuldung drohenden Insolvenz zu
entgehen, seien Sanierungsmaßnahmen geboten gewesen; diese seien in Form der
Kapitalerhöhung ergriffen worden.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2004 sowie
die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den
31. Dezember 2004, alle vom … 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom … 2006, dahingehend zu ändern, dass der vortragsfähige Verlust
jeweils auf € 119 173 festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Beklagte hat die Berücksichtigung des bis
zur Kapitalerhöhung entstandenen Verlustes zu Unrecht versagt.
a) Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach §
10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur
rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust
erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft
nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann es an der wirtschaftlichen
Identität fehlt, nämlich dann, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an der Körperschaft
übertragen werden und sie danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem
Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. Die Vorschrift setzt damit aber
zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden
Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten
wirtschaftlich vergleichbar sind. Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG fehlt
einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn bezogen auf das gezeichnete
Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen wird, überwiegend neues
Betriebsvermögen zugeführt und der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen
Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.
b) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin zum Zeitpunkt der Kapitalerhöhung ihre
wirtschaftliche Identität nicht verloren.
Allerdings sind mehr als die Hälfte der Anteile an der Klägerin übertragen worden. Der
Klägerin ist nicht darin zuzustimmen, dass eine Kapitalerhöhung einer
Anteilsübertragung insoweit nicht gleichzusetzen sei. Im Schrifttum ist diese Frage
umstritten; der Bundesfinanzhof hat mittlerweile allerdings entschieden, dass eine
Kapitalerhöhung (ebenso wie eine Sacheinbringung) nach Maßgabe der Grundregel in § 8
Abs. 4 Satz 1 KStG nicht anders behandelt werden könne als eine Anteilsübertragung
(BFH-Urteil vom 27. August 2008 – I R 78/01, Sammlung der Entscheidungen des
Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2009, 497, unter C.2.a) der Gründe m.w.N.). Der
erkennende Senat stimmt dem aus den in der genannten Entscheidung ausgeführten
Gründen zu.
Der Klägerin ist jedoch nicht überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt worden.
Zur Überzeugung des Senats ist in Fällen, in denen ein Branchenwechsel nicht vorliegt,
im Regelfall auf eine maßgebliche Erhöhung des Anlagevermögens abzustellen; das
Umlaufvermögen hat außer Betracht zu bleiben (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar 2009 –
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Umlaufvermögen hat außer Betracht zu bleiben (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar 2009 –
12 K 8293/06 B, juris; Senatsurteil vom heutigen Tage – 12 K 12197/08; gl.A. Proschka,
Betriebs-Berater – BB – 2008, 310, 312). Auch der BFH hat ein Erhöhen des
Umlaufvermögens bislang nur dann ausreichen lassen, wenn gleichzeitig ein
Branchenwechsel vorlag (BFH-Urteil vom 05. Juni 2007 – I R 9/06, BFH/NV 2008, 166). Er
hat seine Auffassung, dass ein Verlust der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft
eingetreten sei, damit begründet, dass derartige Betriebsvermögensänderungen bzw. –
erhöhungen für das Unternehmen prägend sein könnten (BFH in BFH/NV 2008, 166,
unter II.2.b)bb)bbb) der Gründe). Diese Erwägung greift nicht, wenn die
Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb innerhalb derselben Branche fortsetzt, denn
dann kommt eine abweichende Prägung des Betriebsvermögens durch Veränderungen
des Umlaufvermögens in aller Regel nicht in Betracht (Senatsurteil vom 16. Januar 2008
– 12 K 8403/04 B, EFG 2008, 723).
Ein Branchenwechsel lag hier nicht vor. Zwar wurde die Klägerin als Baugesellschaft
gegründet und betreibt mittlerweile die Entwicklung und Vermarktung von Software.
Dieser Branchenwechsel ging jedoch nicht mit der Anteilsübertragung einher; er fand
vielmehr – wovon auch der Beklagte ausgeht – bereits im Laufe des Jahres 2001 statt
und war spätestens Ende 2002 abgeschlossen. Das zeigt die Erweiterung des
Unternehmensgegenstandes in Bezug auf die Tätigkeit im Softwarebereich und die
damit einhergehende Umfirmierung, die die neue Ausrichtung der Tätigkeit der Klägerin
widerspiegelt. In den folgenden etwa zweieinhalb bis drei Jahren wirtschafteten die
ursprünglichen Gesellschafter der Klägerin mit dem ursprünglichen Betriebsvermögen im
Bereich der Softwareentwicklung. Bei dieser Sachlage kann ein Zusammenhang
zwischen dem Branchenwechsel und dem Anteilseignerwechsel nicht hergestellt werden.
Nach dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 4 KStG, der darin liegt, den Handel mit
Verlustvorträgen von nicht mehr aktiv tätigen bzw. in die Krise geratenen Gesellschaften
zu verhindern, kann ein Branchenwechsel nur dann von Bedeutung sein, wenn er zeitlich
mit der Anteilsübertragung einhergeht. Nur dann liegt der typische Fall eines
sogenannten Mantelkaufs vor, der darin besteht, dass der oder die neuen Anteilseigner
die „leere Hülle“ der Kapitalgesellschaft für ihre Zwecke, insbesondere ihren
Unternehmensgegenstand, nutzbar machen. Beteiligen sich hingegen der oder die
neuen Anteilseigner in der Weise an der Kapitalgesellschaft, dass der Betrieb im
mittlerweile angestammten Geschäftsfeld fortgesetzt wird, liegt ein solcher Fall nicht vor.
Vielmehr beschafft sich eine in die Krise geratene Gesellschaft neue Finanzmittel,
gerade um weiterwirtschaften zu können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem
Umstand, dass der Unternehmensgegenstand der Klägerin anlässlich der
Kapitalerhöhung – erneut – geändert worden ist. Es ist nämlich in der Sache kein anderer
Unternehmensgegenstand festgelegt worden oder ein neuer Unternehmensgegenstand
hinzugekommen, sondern die Klägerin hat die Kapitalerhöhung offensichtlich zum Anlass
genommen, den ursprünglichen – mittlerweile nicht mehr ausgeübten -
Unternehmensgegenstand – Baugewerbe – zu streichen. Damit hat die Klägerin lediglich
eine formelle Bereinigung ihrer Satzungsverhältnisse vorgenommen, indem sie den Teil
des Unternehmensgegenstandes, den sie tatsächlich nicht mehr betrieb, tilgte.
Anders könnte lediglich zu entscheiden sein, wenn das zeitliche Auseinanderfallen von
Wechsel des Unternehmensgegenstandes und Anteilseignerwechsel auf einem
Gesamtplan beruhte, also ein sachlicher Zusammenhang bestünde. Dafür hat der
Beklagte – den insoweit die Feststellungslast trifft – jedoch nichts vorgetragen; aus dem
Inhalt der Akten ergibt sich darauf auch kein Hinweis. Bei der relativ langen Zeitspanne
von über zwei Jahren liegt eine entsprechende Vermutung auch nicht nahe.
Demzufolge ist für die Beurteilung, ob überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt
worden ist, hier nur das Anlagevermögen maßgeblich. Der Fall bietet keine
Besonderheiten dahingehend, dass ausnahmsweise das Anlagevermögen nicht oder das
Umlaufvermögen besonders prägend für die Geschäftstätigkeit der Klägerin sein könnte.
Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist von „überwiegend
neuem Betriebsvermögen“ regelmäßig auszugehen, wenn das zugegangene
maßgebliche Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens
übersteigt (BFH-Urteil vom 29. April 2008 – I R 91/05, Sammlung der Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2008, 1965, unter C.2.a)aa) der Gründe). Das war hier
nicht der Fall; das Anlagevermögen der Klägerin hat sich (selbst bei Betrachtung der
Buchwerte) nicht mindestens verdoppelt, sondern ist von € 1 420 um € 1 354 auf € 2
774 angestiegen. Auch eine Betrachtung der Teilwerte würde zu keinem anderen
Ergebnis führen, da stille Reserven allenfalls in bereits vorhandenen, nicht aber in dem
neu zugegangenen Anlagevermögen ruhen können.
c) Auf die Frage der Sanierungsbedürftigkeit der Klägerin kam es danach nicht an.
20 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung - ZPO -.
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