Urteil des FG Baden-Württemberg vom 13.06.2008

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FG Baden-Württemberg Urteil vom 13.6.2008, 9 K 374/04
Vertrauensschutz in die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen - Akzessorietät der Haftungsschuld gegenüber der
Steuerschuld
Tatbestand
1
A.B. initiierte seit Mitte der neunziger Jahre die Gründung einer Reihe von Unternehmen - überwiegend in der Rechtsform einer GmbH -, die zur
sog. "B. -Gruppe" mit insgesamt nicht mehr als 14 Mitarbeitern zusammengefasst waren. Das Stammkapital übernahmen bei der Mehrzahl der
Gesellschaften seine Ehefrau C. B. oder seine beiden 1989 bzw. 1993 geborenen Söhne E. und F.. Als Geschäftsführer wurden A.B., aber auch
in der Unternehmensgruppe beschäftigte Mitarbeiter bestellt.
2
Die Gründung der am 03.06.1998 in das Handelsregister eingetragenen ...GmbH (im Weiteren X-GmbH) erfolgte bereits mit Vertrag vom
23.05.1997. Das Stammkapital i.H. von 50.000 DM hielt nach dem am selben Tag abgeschlossenen Treuhandvertrag der Kläger (Kl) als der
alleinige Gesellschafter in Höhe von 45.000 DM treuhänderisch für die beiden minderjährigen Söhne. Der Kl, ein am 07.05.1970 in GÄ
geborener, gelernter Koch, der seit 1992 in der B.-Gruppe als Kraftfahrer und zuletzt als Disponent beschäftigt war, übernahm auch formell die
Funktion des Geschäftsführers.
3
Für die X-GmbH war in den Jahren 2000 und 2001 auch U.G. als freier Mitarbeiter tätig, der dort jedoch ausschließlich unter dem Aliasnamen "X"
auftrat. U.G. arbeitete bis zu seiner Freistellung am 09.05.2001 hauptberuflich im Werk Z der (im Weiteren Y-AG) im Bereich der Frachtenplanung.
Seinem Ausscheiden ging eine Kündigung durch den Arbeitgeber zum 31.08.2001 voraus.
4
Entgegen der Firmenbezeichnung und dem im Gesellschaftsvertrag angegebenen Unternehmensgegenstand vermittelte die X-GmbH keine
Transporte, sondern handelte seit Oktober 1999 ausschließlich mit fabrikneuen Pkw der Marke Q. Die X-GmbH und drei weitere Gesellschaften
der B.-Gruppe erwarben zu diesem Zweck in den Jahren 1999 bis 2001 von der Y-AG mit erheblichen Preisnachlässen ca. 1.800 Neufahrzeuge.
Die vertragliche Grundlage bildeten sog. Mengenrabattabkommen, in denen sich die Gesellschaften u.a. dazu verpflichteten, die erworbenen
Pkw nicht vor Ablauf einer Haltezeit von sechs Monaten weiter zu veräußern. Die Kaufverträge wurden jeweils durch das Autohaus ... in U (im
Weiteren Autohaus H), einem vom Hersteller autorisierten Vertragshändler, vermittelt. Die gelieferten Pkw, die häufig eine Zusatzausstattung für
den Verkauf nach Fernost aufwiesen, veräußerten diese vier Gesellschaften der B.-Gruppe unter Verletzung der Haltevereinbarung umgehend
weiter.
5
Die X-GmbH bezog von der Y-AG insgesamt 1.060 Fahrzeuge und verkaufte davon im Zeitraum Juli 2000 bis Juli 2001 u.a. 478 Pkw an die am
16.03.1999 gegründete ... (im Weiteren W-GmbH) mit formellem Sitz in V/Österreich. Sie war im Firmenbuch des Handelsgerichts K unter der
Nummer 123... eingetragen. Deren Geschäfte führten bis zu ihrer Auflösung am 16.01.2002 neben dem in der Türkei geborenen
Alleingesellschafter und formellen Geschäftsführer Ü.Ä., wohnhaft in Ö, im Wesentlichen der in P ansässige, mehrfach vorbestrafte R.R.. Das
Büro des Unternehmens befand sich in einem Wohn- und Geschäftshaus in der Altstadt von V und war lediglich mit einer fest angestellten
Mitarbeiterin und einer Aushilfskraft besetzt. Die Fahrzeuge wurden im Auftrag und für Rechnung der W-GmbH von der GM GmbH mit Sitz in KE
im Werk DA der Y-AG oder beim Autohaus H in U abgeholt und unstrittig unmittelbar zu den Kunden ABC-GmbH bzw. ABD-GmbH der
abnehmenden Firma Autohandel C.H. aus OP bei KO transportiert, die die Pkw überwiegend über den Hamburger Freihafen an Käufer
außerhalb der Europäischen Gemeinschaften (EU) verschifften. Zur Verschleierung der tatsächlichen Fahrstrecken stellte der Geschäftsführer der
GM GmbH, Z.GM., unrichtige Lieferscheine und Verbringungsnachweise aus.
6
Die X-GmbH behandelte die Umsätze mit der W-GmbH als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Die vom Kl unterzeichneten
Umsatzsteuer (USt)- Voranmeldungen für das III. Kalendervierteljahr 2000, I. Kalendervierteljahr 2001 und die Monate April bis Juli 2001 führten
jeweils zu hohen Vorsteuer-Erstattungen zwischen x.xxx.xxx DM (I. Kalendervierteljahr 2001) und xxx.xxx DM (Juli 2001). Am 10.09.2001 leitete
die Steuerfahndungsstelle des Beklagten (Bekl) u.a. gegen den Kl und A.B. ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein.
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft GT ließ am 29.11.2001 eine Vielzahl von Durchsuchungsmaßnahmen vornehmen. Die X-GmbH stellte
hierauf ihren Geschäftsbetrieb ein. Das Amtsgericht KA wies mit Beschluss vom 15.03.2004 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der X-GmbH mangels Masse ab.
7
Die 11. Große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts GT verurteilte den Kl und A.B. am 11.08.2003 jeweils wegen Betrugs in 3
Fällen zu Lasten der Y-AG und wegen USt-Hinterziehung in 8 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 bzw. 4 Jahren. Die Strafkammer führte
in ihrem Urteil u.a. aus, die Angeklagten hätten zumindest damit gerechnet, dass die von ihnen an die W-GmbH verkauften Fahrzeuge von den
Abholorten DA und U nicht nach V verbracht würden und deshalb der USt zu unterwerfen seien. In Absprache mit A.B., der tatsächlicher
Mitgeschäftsführer gewesen sei, habe der Kl in insgesamt 8 USt-Voranmeldungen des Zeitraums III. Kalendervierteljahr 2000 bis August 2001
bei Verkäufen im Umfang von xx.xxx.xxx DM fälschlicherweise erklärt, es handele sich um umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche
Lieferungen.
8
Während der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 09.06.2004 5 StR 136/04 die Angeklagten vom Vorwurf des Betrugs auf Kosten der
Staatskasse freisprach, bestätigte er ohne Angabe von Gründen die 8 Einzelstrafen wegen USt-Hinterziehung und verwies die Sache lediglich
zur Neufestsetzung der Gesamtstrafen an eine andere Strafkammer zurück.
9
Die von der 10. Strafkammer des Landgerichts GT - Wirtschaftsstrafkammer - hinsichtlich des Kl neu gebildete Gesamtstrafe von 2 Jahren, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, erlangte Rechtskraft.
10 R.R. wurde von der 4. Strafkammer des Landgerichts P I am 18.09.2006 wegen Steuerhinterziehung in 19 sachlich zusammentreffenden Fällen
rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Als faktischer Geschäftsführer der W-GmbH und der ebenfalls
in V ansässigen LH-GmbH hatte der geständige Angeklagte im Zeitraum März 1999 bis März 2003 von verschiedenen Lieferanten mindestens
1.390 Neuwagen der Marke Q in Deutschland angekauft und ohne Verbringung nach Österreich unmittelbar an deutsche Abnehmer
weitergeliefert. Durch diese Vorgehensweise verkürzte R.R. USt in Höhe von mindestens x.xxx.xxx EUR.
11 Ü.Ä. ist weiterhin flüchtig und hält sich mutmaßlich in der Türkei auf.
12 Der Bekl erließ aufgrund eines Zwischenberichts der Steuerfahndung vom 26.11.2001 bereits am 28.12.2001 Bescheide über die geänderte
Festsetzung der angeführten USt-Voranmeldungen. Die X-GmbH legte gegen die geänderten USt-Vorauszahlungsbescheide Einspruch ein und
trug u.a. vor, die buch- und belegmäßigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) seien
erfüllt. Aufgrund der Vertrauensregelung des § 6a Abs. 4 UStG sei es irrelevant, ob die Pkw nach Österreich verbracht worden seien. Weder der
Kl noch A.B. hätten davon gewusst, dass die Fahrzeuge direkt nach MT gelangten. Sowohl die W-GmbH als auch die GM hätten stets die
tatsächliche Verbringung der Fahrzeuge nach V versichert. Auch die Verbringungsnachweise der von der W-GmbH beauftragten GM GmbH
lägen vor. Bei den USt-Außenprüfungen habe es insoweit keine Beanstandungen gegeben.
13 Am 24.11.2003 erging der endgültige Bericht über die Steuerfahndungsprüfung bei der X-GmbH. Nach Auffassung der Steuerfahnder waren die
gesamten, in den Jahren 2000 und 2001 an die W-GmbH erfolgten Verkäufe der USt zu unterwerfen. Die Verbringungsnachweise seien nicht
ausreichend, da sie nur aus Gefälligkeit ausgestellt worden seien. Die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG komme daher nicht in
Betracht.
14 Nach Ergehen des geänderten, endgültigen USt-Bescheids 2000 vom 19.07.2004 und des erstmaligen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
stehenden USt-Bescheids 2001 vom 06.08.2004 wies der Bekl die von der X-GmbH eingelegten Einsprüche mit Entscheidung vom 11.11.2004
als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Lieferungen an die W-GmbH greife die Vertrauensschutzregelung des § 6 a Abs. 4 UStG nicht ein. Die
als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Lieferungen an die W-GmbH greife die Vertrauensschutzregelung des § 6 a Abs. 4 UStG nicht ein. Die
durch ihre Geschäftsführer A.B. und P.M. vertretene X-GmbH habe zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen, dass die an die
W-GmbH verkauften Fahrzeuge nicht nach Österreich verbracht würden und somit die Verbringungsnachweise unrichtig seien. Zur Begründung
werde auf die Ausführungen im Strafurteil des Landgerichts GT verwiesen.
15 Der Bekl nahm den Kl und A.B. mit Bescheiden vom 21.03.2003 für rückständige USt-Vorauszahlungen der X-GmbH der
Voranmeldungszeiträume II. und III. Kalendervierteljahr 2000, I. Kalendervierteljahr 2001, Monate April bis Juli 2001 gemäß § 71 der
Abgabenordnung (AO) i.H. von x.xxx.xxx EUR (Steuerschuld x.xxx.xxx EUR, Säumniszuschläge xxx.xxx EUR) in Haftung und forderte sie gemäß
§ 219 AO zur Zahlung bis spätestens 30.04.2003 auf. Durch die Abgabe falscher Voranmeldungen habe die X-GmbH zu Unrecht die Auszahlung
von Vorsteuer-Überschüssen bewirkt. In den Steuererklärungen hätten die Haftungsschuldner steuerfreie „Ausfuhrlieferungen“ vorgetäuscht.
16 Der Kl legte rechtzeitig Einspruch ein und trug vor, Steuerschulden der X-GmbH bestünden nicht. Vielmehr lägen die Voraussetzungen des § 6a
Abs. 4 UStG vor. Die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung beruhe auf unrichtigen Angaben des Abnehmers, die auch bei Beachtung der
Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns bei Abgabe der USt-Voranmeldungen als dem für die Gutgläubigkeit allein maßgeblichen Zeitpunkt nicht
zu erkennen gewesen seien. Der Kl habe jedenfalls zugunsten der X-GmbH keine USt hinterzogen. Er habe zu keinem Zeitpunkt Kenntnis davon
gehabt, dass die Pkw entgegen der von der GM GmbH ausgestellten Bescheinigungen nicht nach Österreich gegangen seien. Sowohl die W-
GmbH als auch Z.GM. hätten stets die tatsächliche Verbringung nach Österreich versichert. Das Telefax der W-GmbH an den Mitarbeiter der X-
GmbH P.S. vom 19.04.2001, in dem auf die reservierten Schiffsverladeplätze Bezug genommen worden sei, enthalte keinen Hinweis auf einen
konkreten Transportweg. Innerhalb von drei Tagen sei es durchaus möglich, die Pkw von DA bzw. U zuerst nach V und dann nach MT zu
verbringen. Der Kl sei kein USt-Fachmann, sondern gelernter Koch. Seine Kenntnisse beschränkten sich laienhaft auf die Tatbestände, mit
denen er täglich umzugehen habe. Selbst wenn er gewusst hätte, dass die PKW direkt über MT ins Drittland transportiert wurden, hätte er dem
nichts Vorwerfbares beigemessen. In beiden Fällen wäre nach seinem Kenntnisstand USt nicht angefallen.
17 Der Einspruch hatte nur in geringem Umfang Erfolg. Mit Entscheidung vom 15.09.2004 nahm der Bekl davon Abstand, den Kl wegen
rückständiger USt-Vorauszahlung für das II. Kalendervierteljahr 2000 in Haftung zu nehmen und setzte den Haftungsbetrag auf x.xxx.xxx,xx EUR
herab, wies jedoch den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Behörde führte in der Einspruchsentscheidung u.a. aus, nach § 71 AO
hafte derjenige, der eine Steuerhinterziehung begehe, für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Im
Haftungszeitraum seien durch den Kl als formellem Geschäftsführer und A.B. als faktischem Geschäftsführer unrichtige Voranmeldungen
abgegeben und dadurch in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken USt hinterzogen worden. Die Lieferungen der Fahrzeuge an die W-
GmbH erfüllten nicht die Voraussetzungen für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 6a UStG. Eine tatsächliche körperliche
Verbringung der Pkw nach Österreich habe nicht stattgefunden. Aufgrund der ihnen bekannt gewordenen Umstände und der Intensität der
Geschäftsbeziehungen mit der W-GmbH könne davon ausgegangen werden, dass die Geschäftsführer über den tatsächlichen Lieferweg
informiert gewesen seien. In der Korrespondenz sei mehrfach von einer Verschiffung der Fahrzeuge in MT die Rede gewesen. Da nach der
Ausstattung der Pkw ein Großteil für den Markt in Fernost bestimmt gewesen sei, wäre ein Transport zuerst nach V und dann nach MT sinnlos
gewesen.
18 Der Kl hafte im Übrigen auch nach § 69 AO. Als formeller Geschäftsführer sei er für die steuerlichen Pflichten der X-GmbH verantwortlich
gewesen.
19 Die Inanspruchnahme des Kl sei nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt. Vollstreckungsversuche bei der X-GmbH hätten keinen Erfolg gehabt.
Ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden des Ag habe nicht vorgelegen. Der Kl sei sich über die inhaltliche Unrichtigkeit der
Verbringungsnachweise im Klaren gewesen und hätte sich im Kontakt mit dem Bekl lediglich darum bemüht, äußerlich korrekte Nachweise
vorzulegen. Von einem besonders schwer ins Gewicht fallenden Verschulden des Finanzamts und einem lediglich geringen Verschulden des Kl
könne daher nicht ausgegangen werden.
20 Der Kl erhob fristgerecht Klage und trägt vor, da keine Hauptschuld gegeben sei, scheide auch die mit dieser korrelierende
Haftungsinanspruchnahme aus. Der Bekl habe zu Unrecht die Umsatzsteuerfreiheit der mit der W-GmbH getätigten Umsätze verneint. Dies habe
die Beweisaufnahme des erkennenden Senats am 20.04.2007 im Klageverfahren des X-GmbH (Az.: 9 K 408/04) eindeutig ergeben. Zu Gunsten
der X-GmbH greife der Vertrauenstatbestand des § 6a Abs. 4 UStG ein. Ihren Organen, Mitarbeitern, Gesellschaftern und deren gesetzlichen
Vertretern sei es verborgen geblieben, dass die Transporte nicht nach Österreich gingen, sondern im Inland verblieben.
21 Der Zeuge P.S., der sich um die Bearbeitung der Fahrzeugakten und deren Organisation, wie z.B. um die Vorlage der Verbringungsnachweise
und deren Ablage gekümmert habe, habe auch auf mehrfaches insistierendes Befragen bestätigt, dass für ihn hinsichtlich der Beförderung der
Fahrzeuge nach V keine Zweifel bestanden hätten. Nach seiner Aussage seien in Unterredungen mit Vertretern der W-GmbH anderweitige
Transporte mit keinem Wort thematisiert worden. Selbst aus gelegentlichen Gesprächen mit den Fahrern der GM GmbH habe er hierfür keine
Hinweise entnehmen können.
22 Sogar der Zeuge R.R. habe ausgesagt, zunächst von der Spedition getäuscht worden zu sein und später die Machenschaften des Z.GM. nur
deshalb gedeckt zu haben, um seiner Verpflichtung zur Vorlage ordnungsgemäßer Verbringungsnachweise nachkommen zu können. Der Zeuge
R.R. habe auf mehrfaches Befragen ausdrücklich bestätigt, dass er die Organe der X-GmbH nicht über die ihm später bekannt gewordenen
anderweitigen Transportwege informiert habe. Er habe auf insistierendes Befragen nochmals hervorgehoben, dass weder der Kl noch A.B. in die
Kunden- bzw. Transportabläufe involviert gewesen seien.
23 Auch im Strafverfahren gegen U.G. vor dem Amtsgericht OL habe sich kein auch nur entfernter Anhaltspunkt für eine Mitwisserschaft der Organe
der X-GmbH ergeben.
24 Die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns habe die Gesellschaft nicht verletzt. Sie habe die Unrichtigkeit der Verbringungsnachweise
nicht erkennen können und zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Anlass gehabt, Verdacht zu schöpfen und Recherchen zu betreiben. Die Organe
der X-GmbH und ihre vermeintlichen Haftpersonen seien vielmehr selbst Opfer von Täuschungshandlungen geworden. Ihr dürfe nicht das Risiko
eines steuerunehrlichen Verhaltens ihres Vertragspartners aufgebürdet werden. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 27.09.2007 C-409/04 -Teleos. Der EuGH habe judiziert, dass die Fiskalbehörden des
Liefermitgliedstaats nicht befugt seien, einen gutgläubigen Lieferanten, der Beweise (hier: Verbringungsnachweise) vorgelegt habe, die dem
ersten Anschein nach sein Recht auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung belegen, zu verpflichten, später Mehrwertsteuer auf
diese Gegenstände zu entrichten, wenn die Beweise sich als falsch herausstellten, jedoch nicht erwiesen sei, dass der Lieferant an der
Steuerhinterziehung beteiligt war, soweit dieser alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um sicherzustellen,
dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu einer Beteiligung an einer solchen Steuerhinterziehung führt. Auch
bei Beachtung der Sorgfaltsmaßstäbe, die für einen ordentlichen Kaufmann gelten, hätten sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die
Fahrzeuge nicht nach Österreich verbracht wurden.
25 Die Buchnachweise, die USt-Identifikationsnummer der Abnehmer sowie die schriftlichen Versicherungen der beauftragten Personen i.S. von §
17a Abs. 2 Nr. 4 der USt-Durchführungsverordnung (UStDV) seien durchweg vorhanden gewesen. Insbesondere lägen sämtliche
Verbringungsnachweise, die den Anforderungen des Bekl entsprächen, lückenlos vor.
26 Es dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass bei völlig gleichgelagertem Sachverhalt andere Lieferanten der W-GmbH unbehelligt
geblieben seien.
27 Der Kl meint, er sei von den Strafverfolgungsbehörden zu einem Justizopfer gemacht worden. Die rechtskräftige Verurteilung wegen
Steuerhinterziehung präjudiziere allerdings keineswegs eine Haftung nach § 71 AO. Die Anknüpfung des Haftungstatbestandes an eine Straftat
setze deren Feststellung nach steuerrechtlichen Verfahrensregeln voraus. Das Strafurteil sei fehlerhaft. Eine eigene Täterschaft oder auch nur
eine Teilnahme an einer Straftat scheide aus. An der Erstellung der falschen Verbringungsnachweise habe er in keinem Fall mitgewirkt. Auch in
die Transportabläufe sei er nicht involviert gewesen. Der für die Y-AG tätig gewesene Mitarbeiter U.G. habe die Fahrzeuglieferungen festgelegt.
28 Der Kl macht im Übrigen die Ausführungen der X-GmbH im Klageverfahren 9 K 408/04 zum Gegenstand seines Vorbringens.
29 Der Kl beantragt,
30
den Haftungsbescheid vom 21.03.2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2004 aufzuheben und die Zuziehung
eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
31 Der Bekl beantragt,
32
die Klage abzuweisen.
33 Die Behörde trägt vor, sie mache sich die Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen der Strafkammer zu eigen. Auch
wenn keine Verpflichtung des Finanzgerichts bestehe, diese zu übernehmen, sei das Urteil der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts GT
doch ein präsentes Beweismittel von einigem Gewicht. Dies um so mehr, da der Kl das Urteil im Gegensatz zum mithaftenden A.B. akzeptiert
habe. Demgegenüber ergäben sich aus den Aussagen der Zeugen P.S. und R.R. in der mündlichen Verhandlung am 20.07.2007 keine Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. P.S. sei nur das Faktotum bei der X-GmbH gewesen. Er habe Fragen nur ausweichend
beantwortet und sei offensichtlich bemüht gewesen, dem Kl nicht zu schaden. Der Beweiswert der Aussage von R.R. sei gering. R.R. habe durch
sein eingeschränktes Geständnis vor der 4. Strafkammer des Landgerichts P I mit der Urteilsabsprache nicht nur eine mildere Strafe erlangt,
sondern auch den Vorteil, dass er zu den Teilnehmern an dem mutmaßlichen Umsatzsteuerkarussell und den Tatbeiträgen dieser Personen
keine Angaben habe machen müssen. Dies habe die weitere Folge, dass R.R. bei Aussagen in Verfahren gegen andere Personen der
Lieferkette nicht festgelegt sei. R.R. könne in diesen Verfahren so aussagen, dass diesen Personen weiterhin kein Schaden entstehe und zwar
ohne ein sonderlich hohes Risiko, wegen eventueller Falschaussage zur Verantwortung gezogen werden zu können. Angesichts der Vorstrafen
R.R. und seiner Funktion im realen Umsatzsteuerkarussell halte deshalb der Bekl die Angaben R.R. zur Beteiligung des Kl an den
Fahrzeuglieferungen der X-GmbH an die W-GmbH für falsch.
34 Zu berücksichtigen sei zudem, dass die X-GmbH ein eigenes Interesse daran gehabt habe, dass die Pkw nie nach V gelangten. Für das
Unternehmen hätte sonst die Gefahr bestanden, dass der Bruch der Haltevereinbarung mit der Y-AG früher offenbar geworden wäre. Auch hätten
eventuelle Gläubiger der W-GmbH auf Pkw, die sich nun in deren Eigentum befunden hätten, zugreifen können. Auch deutschen Finanzämtern
wäre es dann bei einem Auffliegen des Umsatzsteuerkarussells, an dem die W-GmbH beteiligt gewesen sei, möglich gewesen, die Pkw beim
Transport durch Deutschland in Arrest zu nehmen und zu verwerten. Der X-GmbH habe schon bei nur einer Lieferung schnell ein Schaden von
xxx.xxx bzw. xxx.xxx DM entstehen können, falls die bezogene Bank die Einlösung der von der W-GmbH ausgestellten Schecks verweigert hätte.
35 Die Erörterung des EuGH-Urteils C-409/04 - Teleos - erübrige sich. Die Verantwortlichen der X-GmbH seien von Z.GM. nicht getäuscht worden
und auch nicht gutgläubig gewesen, da sie anderenfalls nicht wegen Steuerhinterziehung hätten verurteilt werden können.
36 Bei Gericht ist am 27.08.2008, über 2 Monate nach der mündlichen Verhandlung, noch ein weiterer, 22 Seiten umfassender Schriftsatz des Bekl
eingegangen, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 71 ff der FG-Akten verwiesen wird.
Entscheidungsgründe
37 Die Klage ist zulässig und begründet.
38 Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Aufgrund
der Akzessorietät der Haftungsschuld gegenüber der Steuerschuld muss letztere entstanden und darf bis zum Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung über die Inhaftungnahme nicht erloschen sein (vgl. ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom
25.05.2004 VII R 29/02, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2005, 3 Tz. II.4.b.). Für die Voranmeldungszeiträume III. Kalendervierteljahr 2000, I.
Kalendervierteljahr 2001 sowie April bis Juli 2001 besteht jedoch keine Steuerforderung des Bekl. Die Behörde hat zu Unrecht die
Umsatzsteuerfreiheit der Lieferungen der Pkw durch die X-GmbH an die W-GmbH verneint. Zugunsten der X-GmbH greift der in § 6a Abs. 4 UStG
geregelte Schutz des guten Glaubens der Steuerpflichtigen ein. Das Gericht verweist insoweit auf das den Beteiligten bereits vorliegende,
ausführlich begründete Urteil des erkennenden Senats vom 09.06.2008 9 K 408/04.
39 Der Schriftsatz der Bekl vom 27.08.2008 enthält keine Ausführungen, die eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung für geboten
erscheinen ließen. Der Senat hat den dargelegten Streitstoff, soweit er für die bereits getroffene Entscheidung von Relevanz ist, bei der Beratung
umfassend gewürdigt.
40 Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
41 Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i. V. mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung.
42 Die vom Kl beantragte Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Dem
Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als schwierig zu beurteilen ist. Die Klägerseite durfte sich
daher eines Rechtkundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen.