Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.07.2009

FG Baden-Württemberg: vorsteuerabzug, unternehmer, unternehmen, einspruch, akteneinsicht, betrug, vollziehung, aussteller, mitwirkungspflicht, unterlassen

FG Baden-Württemberg Urteil vom 22.7.2009, 12 K 2724/08
Kein Vorsteuerabzug bei Mehrwertsteuerhinterziehung - Unzulässigkeit eines Antrags auf Terminänderung und eines Ablehnungsgesuchs
Tatbestand
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(Überlassen von Datev)
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Streitig ist, ob die für den Vorsteuerabzug vorausgesetzten Leistungen wirklich erbracht wurden.
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Mit einem - auf den 1. September 2004 ausgestellten - "VERTRAG über die Kooperation, die Grundsätze der Zusammenarbeit sowie die
Dienstleistungen" (Rechtsbehelfsakten betreffend die Eheleute, vom Beklagten vorgelegt zu den von dem Senat beigezogenen Akten in dem
Verfahren 5 K 1525/07, Anlage "Verträge", Bl. 1) vereinbarten der Kläger, der seit dem Jahre 1991 eine Marketingagentur betreibt, und eine ....
Aktiengesellschaft (künftig: AG), mit Sitz in X, vertreten durch ihr - damaliges - Vorstandsmitglied A.P. (künftig: P), "im Bereich der Online-
Kampagnenplanung und Durchführung auf dem Portal "..." zusammenzuarbeiten. Die Kampagnen sollten dazu dienen, die AG und ihr Portal
bekannt zu machen. Der Kläger sollte die AG insbesondere "bei der Gesamtplanung, der inhaltlichen Ausgestaltung, der Platzierung und der
zeitlichen Planung der Kampagnen" und auch "bei der effektiven formalen Gestaltung der ... Werbeträger" - wie "Banner", "Skyscraper",
"Microsites" und "Textanzeigen" - beraten. Die Leistungen des Klägers sollten mit sechs bis zehn vom Hundert der Beträge - einschließlich der
Umsatzsteuer - vergütet werden, die die "..." für die jeweilige Kampagne zu zahlen hatte. Der Kläger durfte sich - auf seine Rechnung - auch der
Dienste Dritter bedienen.
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Mit einem weiteren - auf den 30. November 2004 ausgestellten - Vertrag vereinbarte der Kläger mit einem Herrn B.G. (künftig: G), "im Bereich der
Online-Kampagnenplanung und -durchführung auf dem Portal "..." (Rechtsbehelfsakten betreffend die Eheleute, Anlage "Verträge", Bl. 5)
zusammenzuarbeiten. G sollte den Kläger "bei der Gesamtabwicklung, der inhaltlichen Ausgestaltung, der Platzierung, der zeitlichen Planung
der Kampagnen und der dazugehörigen Finanzierung" beraten und "bei der Auswertung und der Erfolgskontrolle" unterstützen. Für seine
Leistungen sollte G ein Entgelt in Höhe von eins bis sechs vom Hundert ebenfalls der Beträge - einschließlich der Umsatzsteuer - erhalten, die
die "..." für die entsprechende Kampagne zu zahlen hatte. Auch G durfte sich - auf seine Rechnung - der Dienste Dritter bedienen.
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Mit einem - schließlich auf den 22. Februar 2005 ausgestellten, als "Zusatzvereinbarung zum Kooperationsvertrag vom 30. 11. 2004"
(Rechtsbehelfsakten betreffend die Eheleute, Anlage "Verträge", Bl. 8) bezeichneten - Vertrag trafen der Kläger und G die folgenden Abreden:
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"Auf Wunsch von ... (G) werden alle Rechnungen, die durch seine Firma/Partnerfirmen an ... (den Kläger) gestellt werden, von ... (diesem) wie
folgt beglichen:
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15 - 20 % der Rechnungssumme sofort oder innerhalb 3 Tagen per Banküberweisung,
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80 - 85 % der Rechnungssumme sofort bar
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nach Rechnungsstellung/Leistungserbringung an ... (G)".
10 Mit seiner Umsatzsteuererklärung für den Besteuerungszeitraum 2005 (Streitjahr) setzte der Kläger als abziehbare Vorsteuerbeträge - ohne die
von ihm als Leistungsempfänger geschuldete Steuer - Beträge in Höhe von insgesamt 247.041,31 Euro an. Der Beklagte zog insoweit jedoch nur
Beträge in Höhe von insgesamt 26.218,11 Euro ab. Der Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 31. März 2008 blieb erfolglos.
11 Bereits mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 9. Januar 2008 (Bl. 127 der Akten des Finanzgerichts zu dem Verfahren 5 K 1525/07) hatte G
dem ermittelnden Fahnder im Wesentlichen mitgeteilt, seine Tätigkeit habe sich darauf beschränkt, den Erhalt von Geldzahlungen zu quittieren.
Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2008 nahm der Beklagte zum einen Bezug auf das Schreiben vom 9. Januar 2008. Zum anderen
führte er aus, die AG habe ihm mitgeteilt, obwohl sie diese Frage eingehend geprüft habe, könne sie nicht feststellen, ob oder welche Leistungen
der Kläger für ihr Unternehmen ausgeführt habe. Außerdem habe G mit Schreiben vom 2. August 2007 die Rechnungen, auf die der Kläger den
streitigen Vorsteuerabzug bislang gestützt habe, berichtigt.
12 Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger weiterhin geltend, er habe einen Anspruch darauf, die von ihm angesetzten Vorsteuerbeträge in
Höhe von insgesamt 247.041,31 Euro abzuziehen. Der Kläger erstrebt, dass das Gericht den Bescheid über die Umsatzsteuer für den
Besteuerungszeitraum 2005 vom 31. März 2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2008 ändert und die Umsatzsteuer mit 0
Euro festsetzt.
13 Der Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Ferner hat der Beklagte die von dem Kläger zu leistenden Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2005
festgesetzt, ohne die Beträge als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, die der Kläger entsprechend der vorstehenden Zusatzvereinbarung mit
Bargeld bezahlt haben will. Der Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid vom 19. Januar 2007 und der Antrag, dessen Vollziehung
auszusetzen, blieben ebenfalls erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 15. August 2007, Rechtsbehelfsakten betreffend die Eheleute, Bl. 118).
16 Über die Klage gegen den Bescheid über die Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2005, die bei dem 5.
Senat unter dem schon erwähnten Aktenzeichen 5 K 1525/07 anhängig wurde, hat der 5. Senat noch nicht entschieden. Den Antrag, die
Vollziehung des Vorauszahlungsbescheids auszusetzen, hat der 5. Senat mit seinem Beschluss vom 10. März 2008 5 V 1526/07 - als
unbegründet - abgewiesen.
17 Der erkennende Senat hat die Akten des 5. Senats zu den Verfahren 5 K 1525/07 und 5 V 1526/07 beigezogen.
18 Der Senat hatte ferner in dem vorliegenden Verfahren gemäß § 90a FGO mit Gerichtsbescheid über die Klage entschieden. Hierauf hat der
Kläger mündliche Verhandlung beantragt.
19 Der Kläger hat - vergeblich - die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Später hat der den Einzelrichter wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und Akteneinsicht beantragt.
Entscheidungsgründe
20 1. Die Klage ist unbegründet.
21 a) Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) anstrebt, die Umsatzsteuer für den Besteuerungszeitraum 2005 um insgesamt 220.823,20 Euro herabzusetzen.
22 Dieser Betrag errechnet sich als Unterschiedsbetrag zwischen den Vorsteuerbeträgen, die der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung angesetzt
hat, einerseits und den Vorsteuerbeträgen, die der Beklagte abgezogen hat, andererseits. Nur insoweit, aber auch in diesem Umfang ist
zwischen den Beteiligten umstritten, ob der angefochtene Bescheid fehlerhaft ist. Gegenteilige Anhaltspunkte tatsächlicher Art fehlen.
Insbesondere der in dem Schriftsatz des Klägers vom 16. Juni 2008 angesetzte Betrag beruht allem Anschein nach auf einem Versehen.
23 b) Der Kläger hat jedoch weder nachgewiesen noch sonst glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf den - streitigen - Vorsteuerabzug hat.
24 Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1 FGO hebt das Gericht den angefochtenen Steuerbescheid nur dann auf oder ändert ihn, soweit
dieser rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Der im Streitfall angefochtene Bescheid und die
Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2008 sind allerdings nicht als rechtswidrig zu beanstanden:
25 Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und
sonstige Leistungen abziehen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des
Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Satz 2 UStG). Eine solche Rechnung muss insbesondere den Umfang und die Art der Leistung angeben (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 UStG).
26 Der Kläger hat jedoch schon nicht glaubhaft gemacht, dass G als der wirklich leistende Unternehmer ihm überhaupt irgendwelche Leistungen -
insbesondere auch die von dem Beklagten angezweifelten Leistungen - erbracht hat. Dies wäre im Streitfall jedoch geboten gewesen. Der
Beklagte hatte mit seiner Einspruchsentscheidung insoweit, insbesondere im Hinblick darauf, dass
27 nicht nur G angibt, seine Tätigkeit habe sich darauf beschränkt, den Empfang bestimmter Geldbeträge zu quittieren,
28 sondern auch die AG selbst nicht der Lage zu sein scheint, die Leistungen zu erkennen, die der Kläger an ihr Unternehmen ausgeführt haben
will,
29 durchaus hinreichend gewichtige Zweifel geltend gemacht. Diese werden von dem weiteren Umstand verstärkt, dass der Kläger an G ganz
offensichtlich nicht nur geringfügige Bargeldbeträge bezahlt haben will. Dieser Umstand ist schon für sich betrachtet, erst Recht aber vor dem
Hintergrund der genannten Zweifel äußerst ungewöhnlich und daher auch besonders erklärungsbedürftig. Danach hätte der Kläger jeden Anlass
gehabt, gegenüber dem Beklagten oder dem Gericht vor allem nachzuweisen oder wenigstens glaubhaft zu machen, welche der von dem
Beklagten angezweifelten Leistungen G im Einzelnen erbracht hat.
30 Dass er dies unterlassen hat, geht zu Lasten des Klägers, denn er will das Recht auf einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausüben
(vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. August 2004, V B 243/03, BFH/NV 2005, 255, unter II. 6. a, und BFH-Urteil vom 19. April
2007, V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035, unter C. 1. a, 3. b, je m. w. Nachw.). Demzufolge wäre es dessen Sache gewesen, im Rahmen seiner
Mitwirkungspflicht, bei der auch die Beweisnähe zu berücksichtigen ist, die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. BFH-
Beschluss vom 26. August 2004, V B 243/03, BFH/NV 2005, 255, unter II. 6. a). Hierzu hätte er - wie bereits ausgeführt - gerade Anlass gehabt,
weil die vorstehend von dem Senat umschriebenen Zweifel schon aus den Einspruchsentscheidungen vom 13. Mai 2008 und - betreffend die
Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2005 - vom 15. August 2007 ersichtlich waren.
31 c) Was die auf G als deren Aussteller lautenden Rechnungen betrifft, hatte der Beklagte - unabhängig von den Ausführungen vorstehend zu b) -
den Vorsteuerabzug auch deshalb zu versagen, weil im Streitfall aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Kläger zumindest hätte wissen
müssen, dass er sich insoweit mit seinem Erwerb an Umsätzen beteiligte, die in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen waren (vgl. BFH-
Urteil vom 19. April 2007, V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035, unter C. 2. a, m. w. Nachw.).
32 Insoweit ist im Streitfall zunächst nicht ersichtlich, dass G die von ihm gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer tatsächlich an das Finanzamt
abgeführt hat. Auch hat der Kläger dies nicht glaubhaft gemacht. Allem Anschein nach hat er ferner nicht alle Maßnahmen unternommen, die er
vernünftigerweise hätte treffen müssen, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung
oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2007, V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035, unter C. 3. a, m. w. Nachw.). Bei
Bargeldgeschäften besteht nämlich regelmäßig die Gefahr, dass die erzielten Einnahmen verschwiegen werden. Dies gilt insbesondere, wenn -
wie im Streitfall - ganz offensichtlich nicht nur geringfügige Beträge bezahlt werden.
33 Deshalb hätte der Kläger allen Anlass gehabt, darauf zu bestehen, lediglich mit Buchgeld, also etwa im Wege von Überweisungen oder
Verrechnungsschecks, zu bezahlen. Danach hätte er auch Anlass gehabt, gegenüber dem Beklagten oder dem Gericht darzulegen,
34 weshalb er dennoch davon ausgehen konnte, dass G die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer an das für ihn zuständige Finanzamt abführen
würde und
35 weshalb er nicht darauf bestanden hatte, lediglich mit Buchgeld zu bezahlen.
36 2. Erhebliche Gründe für die von dem Kläger begehrte Terminänderung im Sinne von § 227 der Zivilprozessordnung liegen im Streitfall nicht vor;
insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb der Bevollmächtigte sich weder in dem vorliegenden Termin noch in dem Termin beim Amtsgericht
von einem anderen Mitglied seiner Sozietät vertreten lassen konnte.
37 3. Ferner ist im Streitfall das Ablehnungsgesuch nicht statthaft, sondern rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig, weil es - in der Gesamtschau
mit dem Antrag auf Akteneinsicht, der (wenn überhaupt geboten) in gleicher Weise ohne weiteres auch zu einem früheren Zeitpunkt, etwa
zusammen mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung - veranlasst gewesen wäre - allein darauf abzielt, das Gericht zu der von dem Kläger
begehrten Terminänderung zu bewegen.
38 4. Der Kläger trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.