Urteil des EuGH vom 22.06.2000

EuGH: kommission, auswärtige angelegenheiten, regierung, strafrechtliche verantwortlichkeit, ableitung, abfall, zusammensetzung, gesundheit, deponie, gemeinschaftsrecht

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
22. Juni 2000
„Abfälle - Begriff der gefährlichen Abfälle - Richtlinie 91/689/EWG - Entscheidung 94/904/EG - Verstärkte
Schutzmaßnahmen“
In der Rechtssache C-318/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) von der Pretura
circondariale Udine, Außenstelle Cividale del Friuli (Italien), in dem bei dieser anhängigen Strafverfahren
gegen
Giancarlo Fornasar,
Andrea Strizzolo,
Giancarlo Toso,
Lucio Mucchino,
Enzo Peressutti
und
Sante Chiarcosso
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 1 Absatz 4 der Richtlinie
91/689/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle (ABl. L 377, S. 20) und der
Entscheidung 94/904/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im
Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 (ABl. L 356, S. 14)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer R. Schintgen in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter P. J. G. Kapteyn und H. Ragnemalm (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von L. Mucchino und E. Peressutti, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Pagano, Genua, und R. Cattarini,
Monfalcone,
- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D.
Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Stix-Hackl, Gesandte im Bundesministerium für
auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Stancanelli und L. Ström,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Herren Mucchino und Peressutti, vertreten durch
Rechtsanwalt C. Pagano, der italienischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt L. Daniele, Triest, und
der Kommission, vertreten durch P. Stancanelli, in der Sitzung vom 6. Juli 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. September 1999,
folgendes
Urteil
1.
Die Pretura circondariale Udine, Außenstelle Cividale del Friuli, hat mit Beschluß vom 16. Juli 1998,
beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234
EG) sechs Fragen nach der Auslegung des Artikels 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689/EWG des Rates
vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle (ABl. L 377, S. 20) und der Entscheidung 94/904/EG
des Rates vom 22. Dezember 1994 über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1
Absatz 4 der Richtlinie 91/689 (ABl. L 356, S. 14) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen die Herren Fornasar, Strizzolo, Toso,
Mucchino, Peressutti und Chiarcosso (im folgenden: Angeklagte), die angeklagt sind, unter Verstoß
gegen die Rechtsvorschriften, die zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit galten, „giftige und
gefährliche“ Abfälle als Sondermüll abgelagert zu haben.
Gemeinschaftsregelung
3.
Artikel 5 der Richtlinie 78/319/EWG des Rates vom 20. März 1978 über giftige und gefährliche
Abfälle, mit Wirkung vom 27. Juni 1995 aufgehoben durch Artikel 11 der Richtlinie 91/689 in der
Fassung der Richtlinie 94/31/EG des Rates vom 27. Juni 1994 (ABl. L 168, S. 28), sah vor, daß die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß die giftigen und
gefährlichen Abfälle beseitigt werden, ohne die menschliche Gesundheit zu gefährden oder die
Umwelt zu schädigen und insbesondere ohne Wasser, Luft, Boden sowie die Tier- und Pflanzenwelt zu
gefährden, Geräusch- oder Geruchsbelästigungen zu verursachen und die Umgebung und das
Landschaftsbild zu beeinträchtigen.
4.
Nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 78/319 hatten die Mitgliedstaaten insbesondere die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die ungeordnete Deponie, die unkontrollierte Ableitung,
Ablagerung oder Beförderung von giftigen und gefährlichen Abfällen sowie die Übergabe dieser Stoffe
an Anlagen, Einrichtungen oderUnternehmen, die nicht Artikel 9 Absatz 1 dieser Richtlinie
entsprachen, zu untersagen.
5.
Die Richtlinie 78/319 wurde mit Wirkung vom 12. Dezember 1993 durch Artikel 11 der Richtlinie
91/689 aufgehoben und durch diese ersetzt. Die Aufhebung der Richtlinie 78/319 wurde jedoch nach
derselben Bestimmung in ihrer sich aus der Richtlinie 94/31 ergebenden Fassung auf den 27. Juni
1995 verschoben.
6.
Nach Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/689 gilt vorbehaltlich der Richtlinie 91/689 für gefährliche
Abfälle die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der
Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32).
7.
Artikel 4 der Richtlinie 75/442 in ihrer geänderten Fassung hat Artikel 5 der Richtlinie 78/319 im
wesentlichen inhaltlich übernommen, indem er in Absatz 1 bestimmt, daß die Mitgliedstaaten die
erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß die Abfälle verwertet oder beseitigt
werden, ohne daß die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne daß Verfahren oder
Methoden verwendet werden, die die Umwelt schädigen können, insbesondere ohne daß Wasser, Luft,
Boden und die Tier- und Pflanzenwelt gefährdet werden, Geräusch- oder Geruchsbelästigungen
verursacht werden und die Umgebung und das Landschaftsbild beeinträchtigt werden. Nach Artikel 4
Absatz 2 der Richtlinie 75/442 ergreifen die Mitgliedstaaten ferner die erforderlichen Maßnahmen, um
eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu
verbieten.
8.
Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie sind .gefährliche Abfälle':
- Abfälle, die in einem auf den Anhängen I und II der vorliegenden Richtlinie beruhenden Verzeichnis
aufgeführt sind, das spätestens sechs Monate vor dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie nach
dem Verfahren des Artikels 18 der Richtlinie 75/442/EWG zu erstellen ist. Diese Abfälle müssen eine
oder mehrere der in Anhang III aufgeführten Eigenschaften aufweisen. In diesem Verzeichnis wird dem
Ursprung und der Zusammensetzung der Abfälle und gegebenenfalls den Konzentrationsgrenzwerten
Rechnung getragen. Das Verzeichnis wird in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls
nach dem genannten Verfahren überarbeitet;
- sämtliche sonstigen Abfälle, die nach Auffassung eines Mitgliedstaates eine der in Anhang III
aufgezählten Eigenschaften aufweisen. Diese Fälle werden der Kommission mitgeteilt und nach dem
Verfahren des Artikels 18 der Richtlinie 75/442/EWG im Hinblick auf eine Anpassung des
Verzeichnisses überprüft.“
9.
Anhang I der Richtlinie 91/689 ist in Anhang I.A und Anhang I.B unterteilt. Von diesen umfaßt der
eine 18 und der andere 22 durch ihre Beschaffenheit oder denEntstehungsvorgang charakterisierte
Gruppen oder Arten gefährlicher Abfälle. Anhang II zählt 51 Bestandteile auf, die die Abfälle des
Anhangs I.B zu gefährlichen Abfällen machen, sofern diese Abfälle die in Anhang III genannten
Eigenschaften aufweisen, der 14 gefahrenrelevante Eigenschaften der Abfälle aufzählt.
10.
Mit der Entscheidung 94/904 ist das Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4
der Richtlinie 91/689 aufgestellt worden.
Nationale Regelung
11.
Artikel 7 Absatz 4 des Decreto-legge Nr. 22/97 vom 5. Februar 1997 zur Durchführung der
Richtlinien 91/156 über Abfälle, 91/689 über gefährliche Abfälle und 94/62/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABl.
L 365, S. 10) (GURI, gewöhnliche Beilage Nr. 33 vom 15. Februar 1997) in der Fassung des Decreto-
legge Nr. 389/97 vom 8. November 1997 (GURI Nr. 261 vom 8. November 1997) bestimmt:
„Gefährlich sind die Abfälle, die kein Hausmüll sind und im Verzeichnis des Anhangs D auf der
Grundlage der Anhänge G, H und I aufgeführt sind.“
12.
Anhang D hat das mit der Entscheidung 94/904 festgelegte Verzeichnis gefährlicher Abfälle nach
Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 vollständig übernommen. Die Anhänge G, H und I sind mit den
Anhängen I, II und III der Richtlinie 91/689 identisch.
13.
Das Ministerialdekret Nr. 141 vom 11. März 1998 mit Vorschriften zur Regelung der Ablagerung von
Abfällen auf Mülldeponien und der Katalogisierung der auf Mülldeponien abgelagerten gefährlichen
Abfälle (GURI Nr. 108 vom 12. Mai 1998) vervollständigt die nationale Regelung.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
14.
Bei einer Routinekontrolle, die am 11. März 1994 auf der Mülldeponie der Verdeindustria Srl
durchgeführt wurde, erregte der Geruch von Lösungsmitteln, der von einem Müllhaufen ausging, den
ein Lastwagen der Firma Chiarcosso abgeladen hatte, den Verdacht der Polizeiinspektoren. In den
Transportdokumenten waren die Abfälle, aus denen die Ladung bestand, als ungiftiger und
ungefährlicher Sondermüll im Sinne der Definition des damals in Italien geltenden Gesetzes
bezeichnet. In diesen Abfällen wurden einige Blechbehälter und ein Faß mit der Aufschrift ICI
poliuretaniche (Polyurethan-ICI) entdeckt.
15.
Um feststellen zu können, welche Stoffe das Faß enthielt, ordnete das vorlegende Gericht die
Erstattung eines Gutachtens an. Ein Sachverständiger wurde beauftragt, die Abfälle zu untersuchen
und sich dazu zu äußern, ob sie als gefährliche Abfälleeinzustufen sind und ob für eine solche
Einstufung die Herkunft der Abfälle eine Rolle spielt.
16.
Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, daß das Faß Diphenylmethan-Diisocyanat und eines
seiner Isomere enthält. Er wies darauf hin, daß Isocyanate für die Gesundheit des Menschen
hochgefährlich seien. Schon sehr geringe Konzentrationen in der Luft in der Größenordnung eines
Milliardstels könnten sehr schwere Asthmaanfälle auslösen, die zum Tod führen könnten. Nach den
Feststellungen des Sachverständigen ist dieser Stoff aufgrund seiner Zusammensetzung als im
Wortsinn inhärent gefährlich und als solcher als objektiv umwelt- und gesundheitsschädlich
anzusehen.
17.
Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß Diphenylmethan-Diisocyanat ein Grundstoff für die
Herstellung vieler Kunstharze ist, die u. a. zur Produktion von Auto-, Möbel-, Kunststoff- und
Verkleidungsteilen sowie als Bestandteile von Anstrichfarben verwendet werden. Er wird daher in
großem Umfang in verschiedenen Produktionsbereichen verwendet.
18.
Während der Untersuchung wurde den Begleitpapieren für die Abfälle und Zeugenaussagen
entnommen, daß alle deponierten Abfälle aus dem Werk Monfalcone der Fincantieri - Cantieri Navali
Italiani SpA (im folgenden: Fincantieri) stammten. Dieses Unternehmen übt industrielle Tätigkeiten in
der Mechanik und damit zusammenhängenden Bereichen des Schiffsbaus einschließlich des Baus, der
Ausrüstung, der Reparatur und des Abwrackens von Schiffen aus.
19.
Das vorlegende Gericht führt aus, daß nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, aus welchem
Produktionsprozeß bei Fincantieri der Stoff genau stamme. Auch die Typologie des im Faß gefundenen
Stoffes erlaube es wegen dessen zahlreicher Verwendungsmöglichkeiten nicht, festzustellen, wie er
konkret verwendet worden sei.
20.
Auf die Untersuchung einer Stichprobe des beschlagnahmten Materials hin wurden drei leitende
Mitarbeiter von Fincantieri, der Geschäftsführer des Transportunternehmens und die beiden
Verantwortlichen der Deponie beschuldigt, unter Verstoß gegen die zum Zeitpunkt der maßgeblichen
Vorgänge des Ausgangsverfahrens geltende Regelung „giftige und gefährliche“ Abfälle als Sondermüll
abgelagert zu haben.
21.
Die Anklage gegen die Betroffenen wurde auf diese Regelung gestützt. Nach Artikel 2 des
italienischen Codice pénale (Strafgesetzbuch), wonach „niemand wegen einer Tat bestraft werden
darf, die nach einem späteren Gesetz nicht mehr strafbar ist“, hat jedoch das vorlegende Gericht zu
prüfen, ob das beschlagnahmte Material auch nach dem geltenden Recht noch als gefährlicher Abfall
zu qualifizieren ist.
22.
Nach dem vom vorlegenden Gericht angeforderten Gutachten handelt es sich im vorliegenden Fall
entweder um einen nichthalogenierten organischen, nicht als Lösungsmittel dienenden Stoff (Punkt
20 von Anhang G des Decreto-legge Nr. 389/97, der Punkt 20 des Anhangs I.B der Richtlinie 91/689
entspricht) oder um einen anderen Abfall, der einen der in Anhang H des Decreto-legge Nr. 389/97
aufgeführtenBestandteile enthält, eine der in Anhang I dieses Decreto-legge aufgeführten
Eigenschaften aufweist (Punkt 40 des Anhangs G des Decreto-legge Nr. 389/97, der Punkt 40 des
Anhang I.B der Richtlinie 91/689 entspricht) und aus Isocyanaten (Punkt C37 des Anhangs H des
Decreto-legge Nr. 389/97, der Punkt C37 des Anhangs II der Richtlinie 91/689 entspricht) in solcher
Konzentration besteht, daß er als gesundheitsschädlich einzustufen ist (Punkt H5 des Anhangs I des
Decreto-legge Nr. 389/97, der Punkt H5 des Anhangs III der Richtlinie 91/689 entspricht).
23.
Der Sachverständige stellte fest, daß das Material in Anbetracht des Ortes, an dem es zur
Verbringung in die Deponie abgeholt worden sei, nur dort beim Ausschäumen von Wärmedämmstoffen
verwendet worden sein könne. Die einzige Position der nationalen Regelung und des Verzeichnisses
gefährlicher Abfälle, unter die das Material fallen könne, sei die Position 080402 „Alte Kleber- und
Dichtungsmassen, die keine halogenierten Lösemittel enthalten“, der Gruppe 0804 „Abfälle aus der
Herstellung, der Zubereitung, dem Vertrieb und der Anwendung von Klebstoffen und Kitten
(einschließlich Dichtungsmitteln)“. Technisch gesehen lasse sich das Ausschäumen von
Wärmedämmstoffen jedoch nur mit Mühe in diese Position einordnen. Jedenfalls genügten die
vorliegenden Unterlagen nicht für den Nachweis, daß dies der ursprüngliche Verwendungszweck des
Materials gewesen sei. Daher lasse sich die Herkunft oder die Entstehung der Abfälle nicht
feststellen.
24.
Um zu klären, ob das beschlagnahmte Material auch nach geltendem Recht als gefährlicher Abfall
zu qualifizieren ist, hat die Pretura circondariale Udine, Außenstelle Cividale del Friuli, das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende sechs Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist es für die Einstufung von Abfällen als gefährliche Abfälle im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der
Richtlinie 91/689/EWG des Rates und der Entscheidung 94/904/EG des Rates vom 22. Dezember 1994
erforderlich, konkret die Entstehung der Abfälle festzustellen, auf die das mit dieser Entscheidung
aufgestellte Verzeichnis gefährlicher Abfälle für die Zwecke der Einstufung abstellt, oder genügt es
insoweit, daß aufgrund der Zusammensetzung des Stoffes die bloße abstrakte Möglichkeit besteht,
daß er in einem bestimmten Produktionsverfahren verwendet wird oder als Endprodukt aus diesem
Produktionsverfahren hervorgegangen ist?
2. Ist das mit der Entscheidung 94/904 des Rates aufgestellte Verzeichnis abschließend, so daß
Abfälle, die darin nicht aufgeführt sind, jedoch die in den Anhängen I, II und III der Richtlinie 91/689
aufgeführten Eigenschaften aufweisen, davon nicht erfaßt werden?
3. Ist für den Fall, daß der Gerichtshof das Verzeichnis gefährlicher Abfälle nicht für abschließend
hält, davon auszugehen, daß das Verzeichnis gefährlicher Abfälle auf der Grundlage der Anhänge I, II
und III der Richtlinie 91/689 automatisch ergänzt wird?
4. Welches Verfahren ist nach Artikel 1 Absatz 4 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 91/689
anzuwenden, wenn ein einzelner Mitgliedstaat andere Abfälle, als in dem mit der Entscheidung 94/904
des Rates aufgestellten Verzeichnis aufgeführt sind und eine der in Anhang III der Richtlinie
aufgezählten Eigenschaften aufweisen, als gefährliche Abfälle einstufen will, und welche Stelle hat
diese Beurteilung vorzunehmen und anschließend der Kommission mitzuteilen?
5. Sind auch die Gerichte eines einzelnen Mitgliedstaats verpflichtet, die Mitteilung an die
Kommission vorzunehmen?
6. Ist Diphenylmethan-Diisocyanat nach dem Gemeinschaftsrecht als gefährlicher Abfall einzustufen?
Zur Zulässigkeit und zur Zuständigkeit des Gerichtshofes
25.
Die Angeklagten Mucchino und Peressutti haben eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Sie
machen geltend, nach ständiger Rechtsprechung könne eine Gemeinschaftsrichtlinie nicht selbst
schon Verpflichtungen des einzelnen begründen, und dieser Grundsatz gelte erst recht, wenn das
nationale Gericht über die strafrechtliche Verantwortlichkeit zu entscheiden habe.
26.
Unabhängig von der Auslegung der Gemeinschaftsbestimmungen durch den Gerichtshof habe das
vorlegende Gericht die günstigste nationale Bestimmung auf die Angeklagten anzuwenden. Die den
Strafverfolgungen zugrunde liegenden Tatsachen erfüllten beim gegenwärtigen Rechtszustand nach
Lehre und Rechtsprechung in Italien keinen Straftatbestand mehr.
27.
Zunächst ist daran zu erinnern, daß es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache der mit dem
Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichte ist, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche
Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl
die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für die abschließende Entscheidung als auch die
Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines
nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang
zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der
Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand
des Ausgangsverfahrens besteht (u. a. Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-67/91,
Asociación Española de Banca Privada u. a., Slg. 1992, I-4785, Randnrn. 25 und 26, und vom 25. Juni
1997 in den Rechtssachen C-304/94, C-330/94, C-342/94 und C-224/95, Tombesi u. a., Slg. 1997, I-
3561, Randnr. 38).
28.
Im vorliegenden Fall hat das nationale Gericht die Gründe dargelegt, aus denen es die Antworten
des Gerichtshofes für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits als nützlich ansieht,
und es ist nicht ersichtlich, daß kein Zusammenhang zwischendiesen Antworten und den
Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht.
29.
Unter diesen Umständen sind die ersten fünf Vorlagefragen für zulässig zu erklären.
30.
Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob
Diphenylmethan-Diisocyanat nach dem Gemeinschaftsrecht als gefährlicher Abfall zu qualifizieren ist.
31.
In einem Verfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen
den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist für jede Würdigung des konkreten
Sachverhalts das vorlegende Gericht zuständig (Urteile vom 15. November 1979 in der Rechtssache
36/79, Denkavit, Slg. 1979, 3439, Randnr. 12, und vom 5. Oktober 1999 in den Rechtssachen C-
175/98 und C-177/98, Lirussi und Bizzaro, Slg 1998, I-6881, Randnr. 37).
32.
Der Gerichtshof ist somit nicht befugt, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu
entscheiden oder die von ihm ausgelegten Gemeinschaftsvorschriften auf nationale Maßnahmen oder
Gegebenheiten anzuwenden, da dafür ausschließlich das vorlegende Gericht zuständig ist (Urteil
Lirussi und Bizzaro, Randnr. 38). Gleiches gilt für die Einreihung bestimmter Stoffe in das durch die
Entscheidung 94/904 aufgestellte Verzeichnis gefährlicher Abfälle nach Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie
91/689.
33.
Es ist somit festzustellen, daß der Gerichtshof zur Beantwortung der sechsten Frage nicht befugt
ist.
Zur zweiten, zur dritten, zur vierten und zur fünften Frage
34.
Mit seinen Fragen zwei bis fünf, die zunächst zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen,
ob die Mitgliedstaaten einschließlich - im Rahmen ihrer Zuständigkeiten - der Gerichte durch die
Richtlinie 91/689 daran gehindert sind, andere Abfälle, als in dem mit der Entscheidung 94/904
aufgestellten Verzeichnis aufgeführt sind, als gefährlich einzustufen und damit verstärkte
Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung dieser Abfälle und
ihre unkontrollierte Beseitigung zu verbieten.
35.
Nach Ansicht der Angeklagten Mucchino und Peressutti, der niederländischen Regierung und der
Kommission, ist das Verzeichnis „gefährlicher Abfälle“ nach der Richtlinie 91/689 und der
Entscheidung 94/904 als abschließend anzusehen. Die Kommission hält es nach dem
Gemeinschaftsrecht für unzulässig, dieses Verzeichnis automatisch in der Weise zu ergänzen, daß
lediglich geprüft wird, ob die Abfälle unter die Anhänge der Richtlinie 91/689 fallen. Dies entspreche
dem Erfordernis, eine genaue und einheitliche Begriffsbestimmung der gefährlichen Abfälle zu
verwenden.
36.
Die deutsche und die österreichische Regierung sehen dagegen das mit der Entscheidung 94/904
aufgestellte Verzeichnis gefährlicher Abfälle angesichts der Formulierung von Artikel 1 Absatz 4 zweiter
Gedankenstrich der Richtlinie 91/689 als nicht abschließend an. Der zweite Gedankenstrich weise
vielmehr darauf hin, daß auch andere Abfälle von den Mitgliedstaaten als gefährlich eingestuft werden
könnten, sofern sie eine der in Anhang III der Richtlinie 91/689 aufgeführten Eigenschaften besäßen.
37.
Artikel 4 der Richtlinie 75/442, der gestützt auf Artikel 130s EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel
175 EG) erlassen wurde, bezweckt eine Umsetzung der Grundsätze der Vorsorge und der Vorbeugung,
wie sie in Artikel 130r Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 174
Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 2 EG) enthalten sind. Nach diesen Grundsätzen obliegt es der
Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, durch Maßnahmen, die geeignet sind, die bekannten Risiken
auszuschalten, Umweltbelastungen an der Quelle vorzubeugen, sie zu verringern und nach Möglichkeit
zu beseitigen (Urteil Lirussi und Bizzaro, Randnr. 51).
38.
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 75/442 legt die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um
sicherzustellen, daß Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der
Umwelt beseitigt werden, zwar inhaltlich nicht genau fest, ist aber für die Mitgliedstaaten hinsichtlich
des zu erreichenden Zieles verbindlich, wobei er ihnen allerdings ein Ermessen bei der Beurteilung der
Erforderlichkeit solcher Maßnahmen beläßt (Urteil vom 9. November 1999 in der Rechtssache C-
365/97, Kommission/Italien, Slg. 1999, I-7773, Randnr. 67).
39.
So weist eine signifikante Beeinträchtigung der Umwelt über einen längeren Zeitraum, ohne daß
die zuständigen Behörden eingreifen, in der Regel darauf hin, daß die Mitgliedstaaten das ihnen durch
diese Vorschrift eingeräumte Ermessen überschritten haben (Urteil Kommission/Italien, Randnr. 68).
40.
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 75/442 ergänzt diese Bestimmung durch eine genaue Verpflichtung,
indem er vorsieht, daß die Mitgliedstaaten ferner die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um eine
unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu
verbieten.
41.
Die Pflicht eines Mitgliedstaats, alle zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen
Zieles erforderlichen Maßnahmen zu treffen, ist eine durch Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 249 Absatz 3 EG) und durch die Richtlinie selbst auferlegte zwingende Pflicht (Urteil vom 18.
Dezember 1997 in der Rechtssache C-129/96, Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411,
Randnr. 40).
42.
Diese Pflicht, alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, obliegt allen Trägern
öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten einschließlich der Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeiten
(Urteil vom 13. November 1990 in der RechtssacheC-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8,
und Urteil Inter-Environnement Wallonie, Randnr. 40).
43.
Nach der fünften Begründungserwägung der Richtlinie 91/689 bedarf es für eine wirksamere
Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle in der Gemeinschaft einer präzisen und einheitlichen Definition
gefährlicher Abfälle unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen.
44.
Dazu verweist die Richtlinie 91/689 in Artikel 1 Absatz 3 auf die Bestimmung des Begriffes „Abfälle“
in der Richtlinie 75/442 und legt in Artikel 1 Absatz 4 fest, was unter gefährlichen Abfällen zu
verstehen ist. Die Entscheidung 94/904 ergänzt die Richtlinie 91/689 und verweist in ihrem Anhang
ebenfalls auf die Definition von „Abfällen“ in Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442.
45.
Unter „gefährliche Abfälle“ im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 sind die Abfälle zu
verstehen, die in einem nach dem Verfahren des Artikels 18 der Richtlinie 75/442 erstellten
Verzeichnis aufgeführt sind, sowie alle anderen Abfälle, die nach Auffassung eines Mitgliedstaats eine
der in Anhang III der Richtlinie 91/689 aufgezählten Eigenschaften besitzen.
46.
Mit der Gemeinschaftsregelung im Umweltbereich wird keine vollständige Harmonisierung
angestrebt. Auch wenn Artikel 130r EG-Vertrag bestimmte zu erreichende Ziele der Gemeinschaft
nennt, sehen Artikel 130t EG-Vertrag (jetzt Artikel 176 EG) und die Richtlinie 91/689 doch die
Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vor, verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Nach Artikel 130r
EG-Vertrag zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft auf ein hohes Schutzniveau ab.
47.
Darüber hinaus sieht Artikel 7 der Richtlinie 91/689 vor, daß in Notfällen oder bei drohender Gefahr
die Mitgliedstaaten, gegebenenfalls in zeitweiliger Abweichung von dieser Richtlinie, die erforderlichen
Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, daß gefährliche Abfälle die Bevölkerung oder die Umwelt
bedrohen. Die Mitgliedstaaten haben diese Abweichungen der Kommission mitzuteilen.
48.
Daraus folgt, daß nach Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 die Mitgliedstaaten alle sonstigen
Abfälle, die nicht in dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Verzeichnis aufgeführt sind, als gefährlich
einstufen können, wenn sie nach ihrer Auffassung eine der in Anhang III dieser Richtlinie aufgezählten
Eigenschaften aufweisen. Damit sind diese Abfälle nur für das Gebiet der Mitgliedstaaten als
gefährlich zu betrachten, die eine solche Einstufung vorgenommen haben.
49.
Solche Fälle haben die Mitgliedstaaten der Kommission zu melden, damit sie im Verfahren des
Artikels 18 der Richtlinie 75/442 im Hinblick auf eine Anpassung des Verzeichnisses gefährlicher
Abfälle überprüft werden können. Unter Berücksichtigungder gemachten Erfahrungen hat die
Kommission somit zu prüfen, inwieweit es angebracht ist, das auf alle Mitgliedstaaten der
Gemeinschaft anwendbare allgemeine Verzeichnis gefährlicher Abfälle durch Aufnahme der Abfälle zu
ergänzen, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten nach Artikel 1 Absatz 4 zweiter Gedankenstrich
der Richtlinie 91/689 als gefährlich eingestuft worden sind.
50.
Artikel 1 Absatz 4 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 91/689 sieht weder vor, nach welchem
innerstaatlichen Verfahren ein Mitgliedstaat vorzugehen hat, noch welche Stelle für die Einstufung von
Abfällen als gefährlich und für die entsprechende Meldung an die Kommission zuständig ist.
51.
Demgemäß ist auf die Fragen zwei bis fünf zu antworten, daß die Mitgliedstaaten einschließlich - im
Rahmen ihrer Zuständigkeiten - der Gerichte durch die Richtlinie 91/689 nicht daran gehindert sind,
andere Abfälle, als in dem mit der Entscheidung 94/904 aufgestellten Verzeichnis aufgeführt sind, als
gefährlich einzustufen und damit verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine unkontrollierte
Ablagerung oder Ableitung dieser Abfälle und ihre unkontrollierte Beseitigung zu verbieten. Einen
solchen Fall haben die nach nationalem Recht zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats
gemäß Artikel 1 Absatz 4 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 91/689 der Kommission zu melden.
Zur ersten Frage
52.
Die erste Frage des nationalen Gerichts ist darauf gerichtet, ob Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie
91/689 und die Entscheidung 94/904 dahin auszulegen sind, daß die Bestimmung des Ursprungs von
Abfällen eine Voraussetzung dafür ist, sie im konkreten Fall als gefährlich einzustufen.
53.
Die Kommission trägt vor, Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 und die Entscheidung 94/904
seien dahin auszulegen, daß es für die Einstufung von Abfällen als gefährlich erforderlich sei,
nachzuweisen, daß diese Abfälle aus einem Produktionsverfahren oder einer Tätigkeit stammten, die
im Gemeinschaftsverzeichnis der gefährlichen Abfälle aufgeführt seien.
54.
Dagegen bedarf es nach Ansicht der niederländischen Regierung keiner genauen Bestimmung des
Ursprungs eines Abfalls, um ihn als gefährlich im Sinne von Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 und
der Entscheidung 94/904 einstufen zu können. Der Ursprung von Abfällen sei nur eines der Kriterien
für die Beantwortung der Frage, ob es sich um gefährliche Abfälle handele.
55.
Hierzu genügt der Hinweis, daß nach Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 die im Verzeichnis
„gefährliche Abfälle“ aufgeführten Abfälle eine oder mehrere der in Anhang III dieser Richtlinie
aufgeführten Eigenschaften aufweisen müssen und daß in diesem Verzeichnis dem Ursprung und der
Zusammensetzung der Abfälle und gegebenenfalls den Konzentrationsgrenzwerten Rechnung
getragen wird.
56.
Damit folgt schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, daß es für den Begriff „gefährliche Abfälle“
entscheidend darauf ankommt, ob die Abfälle eine oder mehrere der in Anhang III der Richtlinie
91/689 aufgeführten Eigenschaften aufweisen. Die Aufnahme von Abfällen in das Verzeichnis
„gefährliche Abfälle“ beruht zwar auf ihrem Ursprung, dies bedeutet jedoch nicht, daß die genaue
Bestimmung dieses Ursprungs für ihre Einstufung als gefährlich unerläßlich wäre. Der Ursprung von
Abfällen ist nämlich nicht das einzige Kriterium für die Beurteilung ihrer Gefährlichkeit, sondern stellt
einen der Faktoren dar, denen das Verzeichnis gefährlicher Abfälle lediglich „Rechnung trägt“.
57.
Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 und die
Entscheidung 94/904 dahin auszulegen sind, daß die Bestimmung des Ursprungs von Abfällen keine
Voraussetzung dafür ist, sie im konkreten Fall als gefährlich einzustufen.
Kosten
58.
Die Auslagen der italienischen, der deutschen, der niederländischen und der österreichischen
Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm von der Pretura circondariale Udine, Außenstelle Cividale del Friuli, mit Beschluß vom 16.
Juli 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Mitgliedstaaten einschließlich - im Rahmen ihrer Zuständigkeiten - der Gerichte
sind durch die Richtlinie 91/689/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 über gefährliche
Abfälle nicht daran gehindert, andere Abfälle, als in dem mit der Entscheidung 94/904/EG
des Rates vom 22. Dezember 1994 über ein Verzeichnis gefährlicher Abfälle im Sinne von
Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 aufgestellten Verzeichnis aufgeführt sind, als
gefährlich einzustufen und damit verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine
unkontrollierte Ablagerung oder Ableitung dieser Abfälle und ihre unkontrollierte
Beseitigung zu verbieten. Einen solchen Fall haben die nach nationalem Recht
zuständigen Stellendes betreffenden Mitgliedstaats gemäß Artikel 1 Absatz 4 zweiter
Gedankenstrich der Richtlinie 91/689 der Kommission zu melden.
2. Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 91/689 und die Entscheidung 94/904 sind dahin
auszulegen, daß die Bestimmung des Ursprungs von Abfällen keine Voraussetzung dafür
ist, sie im konkreten Fall als gefährlich einzustufen.
Schintgen
Kapteyn
Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Juni 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J. C. Moitinho de Almeida
Verfahrenssprache: Italienisch.