Urteil des EuGH vom 29.09.2016

Klage auf Nichtigerklärung, Vorläufiger Rechtsschutz, Europäische Kommission, Rechtsschutzinteresse

BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS
29. September 2016(
*
)
„Rechtsmittel – Vorläufiger Rechtsschutz – Institutionelles Recht – Bürgerinitiative ‚STOP TTIP‘ – Ablehnung der Registrierung – Rechtsschutzinteresse –
Erledigung – Offensichtliche Unzuständigkeit“
In der Rechtssache C‑400/16 P(R)
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Juli 2016,
Michael Efler,
Pedro De Birto E. Abreu Krupenski,
Susan Vance George,
Otto Jaako Kronqvist,
Blanche Léonie Denise Weber,
John Jephson Hilary,
Ileana-Lavinia Andrei,
Prozessbevollmächtigter: Professor B. Kempen,
Rechtsmittelführer,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS
nach Anhörung des Generalanwalts M. Wathelet
folgenden
Beschluss
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer im Wesentlichen die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der
Europäischen Union vom 23. Mai 2016, Efler u. a./Kommission (T‑754/14 R, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss,
EU:T:2016:306), mit dem dieser ihren Antrag auf einstweilige Anordnung im Zusammenhang mit dem Beschluss C(2014) 6501 final der Europäischen
Kommission vom 10. September 2014, durch den die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt wurde (im Folgenden:
streitiger Beschluss), zurückgewiesen hat.
Am 27. April 2009 ermächtigte der Rat der Europäischen Union die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit
Kanada, das später die Bezeichnung „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ („Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“, im
Folgenden: CETA) erhielt. Am 14. Juni 2014 ermächtigte der Rat die Kommission auch zur Aufnahme von Verhandlungen über ein
Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, das später die Bezeichnung „Transatlantic Trade and Investment Partnership“
(„Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“, im Folgenden: TTIP) erhielt.
Am 15. Juli 2014 reichten die Rechtsmittelführer bei der Kommission gemäß Art. 11 Abs. 4 EUV einen Antrag auf Registrierung einer Bürgerinitiative
mit dem Namen „Stop TTIP“ ein. Als Gegenstand der Bürgerinitiative wurde angegeben, die Kommission solle aufgefordert werden, dem Rat zu
empfehlen, das Verhandlungsmandat der Kommission für TTIP aufzuheben und CETA nicht abzuschließen.
Mit dem streitigen Beschluss lehnte die Kommission die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative „Stop TTIP“ unter Berufung auf Art. 4 Abs. 2
Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. 2011,
L 65, S. 1) ab. In dieser Bestimmung heißt es:
„Binnen zwei Monaten nach Eingang der in Anhang II genannten Informationen registriert die Kommission eine geplante Bürgerinitiative unter einer
eindeutigen Identifikationsnummer und sendet eine entsprechende Bestätigung an die Organisatoren, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
b) die geplante Bürgerinitiative liegt nicht offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt
der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen;
…“
Am 10. November 2014 erhoben die Rechtsmittelführer beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. Diese Rechtssache
wurde unter dem Aktenzeichen T‑754/14 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen.
Am 15. April 2016 beantragten die Rechtsmittelführer sodann beim Präsidenten des Gerichts im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, es der
Kommission bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache T‑754/14 zu untersagen, dem Rat den Entwurf des CETA-
Vertragstexts zur Beschlussfassung über den Abschluss dieses Abkommens vorzulegen.
Dieser Antrag ist mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. Mai 2016 zurückgewiesen worden.
Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Beschlusses waren die Verhandlungen über CETA im Wesentlichen abgeschlossen, und die Kommission
hatte den Entwurf des CETA-Vertragstexts veröffentlicht.
Am 5. Juli 2016 erließ die Kommission den Vorschlag für einen Beschluss des Rates (COM[2016] 443 final) über den Abschluss von CETA (im
Folgenden: fraglicher Beschlussvorschlag) und legte diesen vor.
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Am 17. Juli 2016 haben die Rechtsmittelführer das vorliegende Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragen,
– den angefochtenen Beschluss aufzuheben;
– der Kommission aufzugeben, den fraglichen Beschlussvorschlag zurückzunehmen und dem Rat bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der
Rechtssache T‑754/14 keinen erneuten Vorschlag in diesem Sinne zu unterbreiten;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
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Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf sechs Gründe. Erstens werde im angefochtenen Beschluss fälschlich angenommen, dass der
Eilantrag über den Rahmen des Klageantrags in der Hauptsache hinausgehe, zweitens verstoße er gegen das Gebot der richterlichen Neutralität,
drittens verkenne er, dass eine stattgebende Entscheidung im vorliegenden Fall die Hauptsache nicht vorweggenommen hätte, viertens verkenne er,
dass die Kommission, wenn eine Europäische Bürgerinitiative anhängig sei, auf den Prozess der politischen Willensbildung, der durch eine solche
Bürgerinitiative eingeleitet werde, Rücksicht zu nehmen habe, fünftens gehe er irrig davon aus, dass die Rechtsmittelführer die Dringlichkeit ihres
Antrags nicht hinreichend begründet hätten, und sechstens setze er sich darüber hinweg, dass der Eilantrag dringlich sei.
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Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführern die Kosten dieses Rechtszugs aufzuerlegen.
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Hinsichtlich des Rechtsmittelantrags ist angesichts der Umstände der vorliegenden Rechtssache zunächst zu prüfen, ob die Rechtsmittelführer ein
Rechtsschutzinteresse haben. Die Kommission bestreitet dies.
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Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsschutzinteresse eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist und dass es besteht, solange das Rechtsmittel
der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2016, Evonik Degussa und
AlzChem/Kommission, C‑155/14 P, EU:C:2016:446, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Im vorliegenden Fall hat die Kommission am 5. Juli 2016, d. h. nach der Unterzeichnung des angefochtenen Beschlusses und noch vor Einlegung des
vorliegenden Rechtsmittels, dem Rat den fraglichen Beschlussvorschlag unterbreitet. Folglich ist die im ersten Rechtszug beantragte einstweilige
Anordnung, die gerade darauf gerichtet ist, dass die Kommission davon absieht, dem Rat einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, gegenstandslos
geworden. Im Übrigen erkennen die Rechtsmittelführer selbst an, dass der ursprüngliche Eilantrag wegen der inzwischen eingetretenen Entwicklung
sinnlos geworden ist.
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Unter diesen Umständen würde es den Rechtsmittelführern keinen Vorteil verschaffen, wenn ihr Rechtsmittel Erfolg hätte und der angefochtene
Beschluss aufgehoben würde.
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Folglich haben die Rechtsmittelführer kein Rechtsschutzinteresse, so dass das vorliegende Rechtsmittel offensichtlich unzulässig ist.
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Hinsichtlich des Antrags der Rechtsmittelführer, der Kommission aufzugeben, den fraglichen Beschlussvorschlag zurückzunehmen, ist festzustellen,
dass er auf eine andere als die im ersten Rechtszug beantragte einstweilige Anordnung gerichtet ist.
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Der Gerichtshof ist jedoch außerhalb jeder Erörterung der Rechtssache offensichtlich nicht für den Erlass einstweiliger Anordnungen zuständig, die
an eine vor dem Gericht anhängige Nichtigkeitsklage anknüpfen; hierzu ist nur der Präsident des Gerichts im Einklang mit Art. 158 oder Art. 159 der
Verfahrensordnung des Gerichts befugt.
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Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist
die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführer beantragt hat
und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels angefallenen Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Herr Michael Efler, Herr Pedro De Birto E. Abreu Krupenski, Frau Susan Vance George, Herr Otto Jaako Kronqvist, Frau Blanche Léonie
Denise Weber, Herr John Jephson Hilary und Frau Ileana-Lavinia Andrei tragen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
Unterschriften
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Verfahrenssprache: Deutsch.