Urteil des EuGH vom 02.12.2005

Fahrschule, Kommission, Niederlassungsfreiheit, Kfg

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
2. Dezember 2005
)
„Artikel 104 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung – Freizügigkeit – Artikel 43 EG –
Errichtung einer Fahrschule“
In der Rechtssache C-117/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom
Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (Österreich) mit
Entscheidung vom 4. März 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 2005, in
dem Verfahren
Manfred Seidl
gegen
Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Makarczyk sowie der Richterin R. Silva de
Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters J. Klučka,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: R. Grass,
in der Absicht, gemäß Artikel 104 § 3 Absatz 1 seiner Verfahrensordnung durch mit
Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 43 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Seidl und der
Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen über die Weigerung, die Errichtung einer
Fahrschule zu bewilligen.
Fahrschule zu bewilligen.
Rechtlicher Rahmen
3 Nach § 109 Abs. 1 lit. j des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1967 über das Kraftfahrwesen
(Kraftfahrgesetz 1967, BGBl 1967/267) in der Fassung BGBl I 2004/175 (im Folgenden:
KFG) darf eine Fahrschulbewilligung nur natürlichen Personen und nur Personen erteilt
werden, die noch keine Fahrschulbewilligung besitzen; dies gilt nicht für die
Ausdehnung auf weitere Klassen oder Unterklassen am genehmigten Standort.
Sachverhalt und Vorlagefrage
4 Herr Seidl, ein deutscher Staatsangehöriger, ist seit 1974 Inhaber einer Fahrschule in
Deutschland.
5 Im Jahr 2004 stellte er bei der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen einen Antrag auf
Bewilligung zur Errichtung einer Fahrschule in Österreich.
6 Mit Bescheid vom 15. Dezember 2004 wies die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen
den Antrag von Herrn Seidl mit der Begründung ab, dass er nicht die Voraussetzungen
des § 109 Abs. 1 lit. j KFG erfülle, weil er in Deutschland eine Fahrschule betreibe und
somit bereits im Besitz einer Fahrschulbewilligung sei.
7 Am 3. Januar 2005 erhob Herr Seidl gegen diesen Bescheid Berufung an das
vorlegende Gericht.
8 Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
9 Sind die Artikel 43 ff des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in
dem Sinne auszulegen, dass es eine mit der – durch Artikel 43 des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleisteten – Niederlassungsfreiheit
unvereinbare Beschränkung darstellt, wenn von einem Antragsteller für die Bewilligung
einer Fahrschule, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und die Bewilligung für
eine Fahrschule in einem anderen Mitgliedstaat erlangen will, nach den
Rechtsvorschriften des Niederlassungsstaats verlangt wird, dass er keine weitere
Fahrschulbewilligung besitzen darf?
Zur Vorlagefrage
10 Nach Artikel 104 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die
Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung
abgeleitet werden kann, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch Beschluss
entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.
11 Nach ständiger Rechtsprechung steht Artikel 43 EG jeder nationalen Maßnahme
entgegen, die, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit anwendbar ist, doch die Ausübung der durch den EG-Vertrag
garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Gemeinschaftsangehörigen behindern
garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Gemeinschaftsangehörigen behindern
oder weniger attraktiv machen kann (vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1993 in der
Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, und vom 21. April 2005 in
der Rechtssache C-140/03, Kommission/Griechenland, Slg. 2005, I-3177, Randnr. 27).
12 Der Gerichtshof hat außerdem wiederholt entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit
auch die Möglichkeit umfasst, unter Beachtung der Berufsregelungen im Gebiet der
Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und
beizubehalten (vgl. u. a. Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache
107/83, Klopp, Slg. 1984, 2971, Randnr. 19, vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87,
Stanton, Slg. 1988, 3877, Randnr. 11, sowie in den Rechtssachen 154/87 und 155/87,
Wolf u. a., Slg. 1988, 3897, Randnr. 11, vom 20. Mai 1992 in der Rechtssache C-106/91,
Ramrath, Slg. 1992, I-3351, Randnr. 20, vom 16. Juni 1992 in der Rechtssache C-
351/90, Kommission/Luxemburg, Slg. 1992, I‑3945, Randnr. 11, und vom 7. März 2002 in
der Rechtssache C-145/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I‑2235, Randnr. 27).
13 Daraus folgt, dass eine Maßnahme, die die Errichtung und den Betrieb von mehr als
einer Fahrschule untersagt, auch ohne Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, der Artikel
43 EG entgegensteht.
14 Anders verhielte es sich nur dann, wenn mit einer solchen Maßnahme ein berechtigter
Zweck verfolgt würde, der mit dem Vertrag vereinbar und aus zwingenden Gründen des
Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre, und vorausgesetzt, dass sie geeignet wäre, die
Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zweckes zu gewährleisten, und nicht über das
hinausginge, was zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich ist (Urteile Kraus, Randnr.
32, und Kommission/Griechenland, Randnr. 34).
15 Dies ist jedoch nicht der Fall bei einer Maßnahme, die, wie das vorlegende Gericht zu §
109 Abs. 1 lit. j KFG ausführt, durch das Verbot mehrerer Fahrschulbewilligungen
sicherstellen soll, dass der Inhaber einer Fahrschule mehr als die Hälfte seiner
Arbeitskraft dieser einzigen Fahrschule widmet (vgl. in diesem Sinne Urteil
Kommission/Griechenland, Randnr. 35).
16 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass
Artikel 43 EG dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats
entgegensteht, nach denen es untersagt ist, Personen, die bereits eine Bewilligung für
eine Fahrschule besitzen, eine weitere derartige Bewilligung zu erteilen.
Kosten
17 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 43 EG ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats
entgegensteht, nach denen es untersagt ist, Personen, die bereits eine Bewilligung
für eine Fahrschule besitzen, eine weitere derartige Bewilligung zu erteilen.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Deutsch.