Urteil des EuGH vom 17.12.1998
EuGH: kommission, vernehmung von zeugen, grundsatz der unmittelbarkeit, unternehmen, recht auf akteneinsicht, begründung des urteils, persönliches erscheinen, verfahrensordnung, mildernder umstand
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. Dezember 1998
„Rechtsmittel — Zulässigkeit — Dauer des Verfahrens — Beweisaufnahme — Akteneinsicht — Wettbewerb —
Kartelle — Geldbußen“
In der Rechtssache C-185/95 P
Baustahlgewebe GmbH
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Jochim Sedemund und Frank Montag, Köln, Zustellungsanschrift:
Kanzlei des Rechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue, Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
(Erste Kammer) vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-145/89 (Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1995, II-
987) wegen Aufhebung dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, sodann durch Paul Nemitz, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
Beistand: Rechtsanwalt Alexander Böhlke, Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet und G.
Hirsch sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm
(Berichterstatter), L. Sevón, M. Wathelet, R. Schintgen und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 4. November 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Februar 1998,
folgendes
Urteil
1.
Die Baustahlgewebe GmbH hat mit Rechtsmittelschrift, die am 14. Juni 1995 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel
gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-145/89
(Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1995, II-987; im folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit
dem das Gericht Artikel 1 der Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989
betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.553 — Betonstahlmatten) (ABl. L 260, S.
1; im folgenden: Entscheidung) teilweise für nichtig erklärt, die Höhe der von der Kommission gegen
sie festgesetzten Geldbuße auf 3 Millionen ECU festgesetzt, die Klage im übrigen abgewiesen und sie
zur Tragung ihrer eigenen Kosten sowie eines Drittels der Kosten der Kommission verurteilt hat.
Sachverhalt und Urteil des Gerichts
2.
Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß es von 1980 an im Betonstahlmattensektor auf dem
deutschen, dem französischen und dem Benelux-Markt zu einer Reihe von Absprachen und Praktiken
gekommen sein soll. Betonstahlmatten sind vorgefertigte Bewehrungen, die in fast allen
Anwendungsgebieten des bewehrten Stahlbetonbaus eingesetzt werden und aus
glatten oder gerippten kaltgezogenen Stahldrähten bestehen, die durch rechteckiges
Punktschweißen zu einem Netz verbunden werden.
3.
Es gibt verschiedene Typen von Betonstahlmatten, und zwar Lagermatten, Letter- oder
teilstandardisierte Matten, Listenmatten und Zeichnungsmatten.
4.
Für den deutschen Markt erteilte das Bundeskartellamt am 31. Mai 1983 die Erlaubnis zur Bildung
eines Strukturkrisenkartells der deutschen Betonstahlmattenhersteller, die nach einmaliger
Verlängerung im Jahr 1988 ablief. Das Kartell bezweckte einen Kapazitätsabbau und sah außerdem
Lieferquoten und eine Preisregelung vor, die allerdings nur für die ersten beiden Jahre der Anwendung
des Kartellvertrags genehmigt wurde. Die Dienststellen der Kommission wurden 1983 durch das
Bundeskartellamt über die Bildung des Strukturkrisenkartells unterrichtet.
5.
Am 6. und 7. November 1985 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85
und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), gleichzeitig und ohne vorherige Ankündigung
Nachprüfungen in den Geschäftsräumen von sieben Unternehmen und zwei
Unternehmensvereinigungen durch, und zwar bei Tréfilunion SA, Sotralentz SA, Tréfilarbed
Luxembourg/Saarbrücken SARL, Ferriere Nord SpA (Pittini), Baustahlgewebe GmbH, Thibo Draad- en
Bouwstaalprodukten BV (Thibodraad), NV Bekaert, Syndicat national du tréfilage d'acier (STA) und
Fachverband Betonstahlmatten e. V.; am 4. und 5. Dezember 1985 erfolgten weitere Nachprüfungen
in den Geschäftsräumen der Unternehmen ILRO SpA, G. B. Martinelli, NV Usines Gustave Boël (afdeling
Trébos), Tréfileries de Fontaine-l'Evêque (TFE), Frère-Bourgeois Commerciale SA (FBC), Van Merksteijn
Staalbouw BV und ZND Bouwstaal BV.
6.
Aufgrund des im Rahmen dieser Prüfungen gefundenen Materials und der gemäß Artikel 11 der
Verordnung Nr. 17 erhaltenen Auskünfte gelangte die Kommission zu der Schlußfolgerung, daß die
betreffenden Hersteller zwischen 1980 und 1985 durch eine Reihe von Vereinbarungen oder
aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen betreffend Lieferquoten und Preise für
Betonstahlmatten gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstoßen hätten. Die Kommission leitete das
Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ein, und am 12. März 1987 wurde den
betroffenen Unternehmen die Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt, die hierzu Stellung
nahmen. Eine Anhörung ihrer Vertreter fand am 23. und 24. November 1987 statt.
7.
Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission ihre Entscheidung, mit der sie gegen vierzehn
Hersteller von Betonstahlmatten eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages festsetzte. In Punkt 22 der Entscheidung heißt es, daß es sich bei den
Wettbewerbsbeschränkungen um eine Reihe von
Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen handele, die die Festsetzung von Preisen
und/oder Lieferquoten sowie die Aufteilung der Märkte für Betonstahlmatten zum Gegenstand hätten.
Diese Absprachen beträfen verschiedene Teilmärkte (den französischen, den deutschen oder den
Benelux-Markt), hätten jedoch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, da an ihnen
Unternehmen mit Sitz in mehreren Mitgliedstaaten beteiligt gewesen seien.
8.
Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, daß der Rechtsmittelführerin in der Entscheidung
insbesondere folgendes vorgeworfen wird:
Zum deutschen Markt
— Sie habe sich an Absprachen mit dem französischen Unternehmen Tréfilunion über den
Interpenetrationsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich beteiligt. Diese Absprachen seien am
7. Juni 1985 während eines Gesprächs zwischen Herrn Müller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der
Rechtsmittelführerin, Vertreter des Strukturkrisenkartells und Vorsitzender des Fachverbands
Betonstahlmatten, und Herrn Marie, Direktor bei der Tréfilunion und Vorsitzender der Association
française technique pour le développement de l'emploi des treillis soudés (ADETS — französischer
Fachverband für die Förderung der Verwendung von Betonstahlmatten) getroffen worden. In
Randnummer 63 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, daß der Rechtsmittelführerin
in der Entscheidung (Punkt 140) vorgeworfen werde, sie habe mit Tréfilunion eine generelle
Verhaltensabstimmung herbeigeführt, die darauf abgezielt habe, die gegenseitige Penetration ihrer
Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich zu begrenzen (vgl. Punkte 135 bis 143 und 176 der
Entscheidung sowie Randnrn. 59 bis 68 des angefochtenen Urteils).
— Sie habe sich an Absprachen über den deutschen Markt beteiligt, die zum einen eine Regulierung
der Ausfuhren von Benelux-Herstellern nach Deutschland und zum anderen die Respektierung der auf
dem deutschen Markt geltenden Preise bezweckt hätten (vgl. Punkte 147, 178 und 182 der
Entscheidung sowie Randnrn. 83 bis 94 des angefochtenen Urteils).
— Sie habe in dem Interesse, ausländische Importe nach Deutschland einzuschränken oder zu
regulieren, am 24. November 1976 und 22. März 1982 zwei Lieferverträge mit der Bouwstaal Roermond
BV (später Tréfilarbed Bouwstaal Roermond) und der Arbed SA Afdeling Nederland geschlossen. In
diesen Verträgen habe die Rechtsmittelführerin den ausschließlichen Vertrieb einer bestimmten
jährlichen Menge von Betonstahlmatten aus dem Werk Roermond in Deutschland zu einem nach
bestimmten Kriterien festzusetzenden Preis übernommen. Bouwstaal Roermond und die Arbed SA
Afdeling Nederland hätten sich verpflichtet, während der Laufzeit dieser Verträge weder direkt noch
indirekt Lieferungen nach Deutschland zu tätigen. In der Entscheidung wird
festgestellt, daß diese Alleinvertriebsverträge nicht die Voraussetzungen der Verordnung Nr.
67/67/EWG der Kommission vom 22. März 1967 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des
Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. 1967, Nr. 57, S. 849) erfüllt hätten,
zumindest seit dem Bestehen der Absprachen über den Interpenetrationsverkehr zwischen
Deutschland und Benelux. Seit diesem Zeitpunkt seien diese Vereinbarungen als Teil einer globalen
Marktaufteilungsabsprache zu betrachten (vgl. Punkte 148 und 189 der Entscheidung sowie Randnrn.
95 bis 109 des angefochtenen Urteils).
— Sie habe sich an einer Absprache mit Tréfilarbed über die Abstellung der Reimporte von
Betonstahlmatten des Werkes St. Ingbert über Luxemburg nach Deutschland beteiligt (vgl. Punkte 152
und 180 der Entscheidung und Randnrn. 110 bis 122 des angefochtenen Urteils).
Zum Benelux-Markt
— Sie habe sich an Absprachen zwischen deutschen Herstellern, die nach Benelux exportierten, und
den übrigen Marktteilnehmern auf dem Benelux-Markt über die Respektierung der festgesetzten
Preise für den Benelux-Markt beteiligt. Diese Absprachen seien in Sitzungen getroffen worden, die
zwischen August 1982 und November 1985 in Breda und Bunnik stattgefunden hätten. Außerdem
habe sich die Rechtsmittelführerin an Absprachen zwischen deutschen Herstellern und Benelux-
Herstellern („Gesprächskreis von Breda“) beteiligt, die die Anwendung mengenmäßiger
Beschränkungen auf die deutschen Ausfuhren nach Belgien und in die Niederlande sowie die
Übermittlung der Exportzahlen bestimmter deutscher Hersteller an die belgisch-niederländische
Gruppe vorgesehen hätten (vgl. Punkte 78 Buchstabe b, 163, 168 und 171 der Entscheidung und
Randnrn. 123 bis 138 des angefochtenen Urteils).
9.
Die Entscheidung enthält folgenden verfügenden Teil:
„
Die Unternehmen Tréfilunion SA, Société Métallurgique de Normandie (SMN), CCG (TECNOR), Société
de treillis et panneaux soudés (STPS), Sotralentz SA, Tréfilarbed SA bzw. Tréfilarbed
Luxembourg/Saarbrücken Sarl, Tréfileries de Fontaine l'Evêque, Frère Bourgeois Commerciale SA (jetzt
Steelinter SA), NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos, Thibo Draad- en Bouwstaalprodukten BV (jetzt
Thibo Bouwstaal BV), Van Merksteijn Staalbouw BV, ZND Bouwstaal BV, Baustahlgewebe GmbH, ILRO
SpA, Ferriere Nord SpA (Pittini) und GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA haben gegen Artikel 85 Absatz
1 EWG-Vertrag verstoßen, indem sie sich in dem Zeitraum vom 27. Mai 1980 bis zum 5. November
1985 in einem oder mehreren Fällen an einer oder mehreren Vereinbarungen und/oder
abgestimmten Verhaltensweisen (Absprachen) beteiligten, die in der Festsetzung von
Verkaufspreisen, der Einschränkung des Absatzes, der Aufteilung der Märkte sowie in Maßnahmen zur
Anwendung dieser Absprachen und zu deren Kontrolle bestanden.
Die in Artikel 1 genannten Unternehmen, soweit sie nach wie vor auf dem Betonstahlmatten-Sektor in
der EWG tätig sind, sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen
(falls sie dies noch nicht getan haben) und in Zukunft bezüglich ihrer Betonstahlmatten-Aktivitäten
von allen Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches
bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen.
Gegen die nachstehend aufgeführten Unternehmen werden wegen der in Artikel 1 festgestellten
Zuwiderhandlungen folgende Geldbußen festgesetzt:
1. Tréfilunion SA (TU): eine Geldbuße von 1 375 000 ECU,
2. Société Métallurgique de Normandie (SMN): eine Geldbuße von 50 000 ECU,
3. Société des treillis et panneaux soudés (STPS): eine Geldbuße von 150 000 ECU,
4. Sotralentz SA: eine Geldbuße von 228 000 ECU,
5. Tréfilarbed Luxembourg-Saarbrücken Sarl: eine Geldbuße von 1 143 000 ECU,
6. Steelinter SA: eine Geldbuße von 315 000 ECU,
7. NV Usines Gustave Boël, afdeling Trébos: eine Geldbuße von 550 000 ECU,
8. Thibo Bouwstaal BV: eine Geldbuße von 420 000 ECU,
9. Van Merksteijn Staalbouw BV: eine Geldbuße von 375 000 ECU,
10. ZND Bouwstaal BV: eine Geldbuße von 42 000 ECU,
11. Baustahlgewebe GmbH (BStG): eine Geldbuße von 4 500 000 ECU,
12. ILRO SpA: eine Geldbuße von 13 000 ECU,
13. Ferriere Nord SpA (Pittini): eine Geldbuße von 320 000 ECU,
14. GB Martinelli fu GB Metallurgica SpA: eine Geldbuße von 20 000 ECU.
...“
10.
Die Rechtsmittelführerin hat am 20. Oktober 1989 beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung der
Entscheidung, hilfsweise Herabsetzung der Geldbuße, und Verurteilung der Kommission zur Tragung
der Kosten des Verfahrens erhoben. Mit Beschlüssen vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof
diese Rechtssache und zehn weitere Klagen gegen dieselbe Entscheidung gemäß Artikel 14 des
Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines
Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht verwiesen.
11.
Diese Klagen sind unter den Nummern T-141/89 bis T-145/89 und T-147/89 bis T-152/89 in das
Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden. Mit Beschluß vom 13. Oktober 1992 hat das
Gericht diese Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 seiner
Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden. In der Rechtssache, die
Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels ist, hat das schriftliche Verfahren vor dem Gericht am 5.
Juli 1990 geendet. Die Erste Kammer des Gerichts hat in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1993 auf
Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und die Parteien
aufzufordern, vor der Sitzung schriftlich verschiedene Fragen zu beantworten. Am 18. Mai 1993 ist den
Parteien der Sitzungsbericht zugestellt worden; die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung,
die vom 14. bis 18. Juni 1993 stattgefunden hat, Ausführungen gemacht und auf die Fragen des
Gerichts geantwortet. Das Gericht hat am 6. April 1995 das Urteil verkündet.
12.
In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht angesichts dessen, daß sich die Rechtsmittelführerin
weder an einer Vereinbarung mit Tréfilunion, die die Verknüpfung ihrer zukünftigen Exporte mit der
Festsetzung von Quoten bezweckte, noch an einer Absprache mit Sotralentz über die
Kontingentierung der Ausfuhren von Soltralentz auf den deutschen Markt beteiligt habe, sowie unter
Anwendung eines mildernden Umstands auf die Absprache zwischen der Rechtsmittelführerin und
Tréfilarbed, die die Abstellung der Wiederausfuhren von St. Ingbert nach Deutschland bezweckte,
entschieden, daß Artikel 1 der Entscheidung teilweise für nichtig zu erklären und die gegen die
Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbuße von 4,5 Millionen ECU herabzusetzen und auf 3 Millionen
ECU festzusetzen sei. Das Gericht hat die Klage im übrigen abgewiesen und die Rechtsmittelführerin
zur Tragung ihrer eigenen Kosten und eines Drittels der Kosten der Kommission verurteilt.
Das Rechtsmittel
13.
In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,
— das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es eine Geldbuße in Höhe von 3 Millionen ECU für sie
festsetzt, ihre Klage abweist und sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten und eines Drittels der Kosten
der Kommission verurteilt, und das Verfahren einzustellen;
— hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Wiederaufnahme des
Verfahrens an das Gericht zurückzuverweisen;
— die Artikel 1, 2 und 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin
betreffen und soweit sie nicht schon durch das angefochtene Urteil für nichtig erklärt worden sind;
— hilfsweise, die Geldbuße auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen;
— der Kommission die Kosten des erstinstanzlichen und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.
14.
Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die
Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
15.
Die Rechtsmittelführerin macht zur Begründung ihres Rechtsmittels geltend, das Gericht habe
durch eine überlange Verfahrensdauer ihren Anspruch aus Artikel 6 Absatz 1 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) darauf, daß ihre
Sache innerhalb einer angemessenen Frist gehört werde, verletzt und gegen den allgemeinen
Grundsatz der Unmittelbarkeit verstoßen, indem es sein Urteil 22 Monate nach Abschluß der
mündlichen Verhandlung gefällt habe. Außerdem habe das Gericht einen falschen
Beurteilungsmaßstab bei der Beweiswürdigung angelegt, indem es nicht die Kontrollüberlegung
angestellt habe, ob sich die von der Kommission festgestellten Tatsachen nicht auch anders als durch
das Bestehen einer Absprache erklären ließen, und habe es abgelehnt, den von der
Rechtsmittelführerin angebotenen Beweisen nachzugehen. Damit habe das Gericht gegen die
anerkannten Beweisgrundsätze verstoßen. Ferner habe das Gericht die Verteidigungsrechte verletzt,
indem es den Antrag der Rechtsmittelführerin abgelehnt habe, der Kommission aufzugeben, ihr die
gesamten Akten des Verwaltungsverfahrens und bestimmte Dokumente in bezug auf das deutsche
Strukturkrisenkartell zur Einsicht vorzulegen.
16.
Außerdem habe das Gericht bezüglich der Abgrenzung des relevanten Marktes und bezüglich der
angeblichen Absprachen
— zwischen der Rechtsmittelführerin und Tréfilunion über den Interpenetrationsverkehr zwischen
Deutschland und Frankreich,
— mit den Benelux-Herstellern über den deutschen Markt und
— über die Quoten und Preise auf dem Benelux-Markt
durch Subsumtions- und/oder Begründungsmangel gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
verstoßen. Zudem habe das Gericht in bezug auf die Alleinvertriebsverträge zwischen der
Rechtsmittelführerin auf der einen und der Bouwstaal Roermond BV sowie der Arbed SA Afdeling
Nederland auf der anderen Seite die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung Nr. 67/67
verkannt.
17.
Schließlich wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe bezüglich der Verhängung der
Geldbußen gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verstoßen.
18.
Was zunächst die etwaigen Verfahrensfehler angeht, so ist das Rechtsmittel gemäß Artikel 168a
EG-Vertrag und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes auf Rechtsfragen beschränkt. Es
kann nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen
des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, sowie auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts
durch das Gericht gestützt werden.
19.
Der Gerichtshof kann somit nachprüfen, ob es vor dem Gericht zu Verfahrensfehlern gekommen ist,
durch die die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigt werden, und er muß sich
vergewissern, daß die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze sowie die Vorschriften über
die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind (vgl. insbesondere Beschluß vom 17.
September 1996 in der Rechtssache C-19/95 P, San Marco Impex/Kommission, Slg. 1996, I-4435,
Randnr. 40).
20.
Gemäß Artikel 6 Absatz 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise
öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen
und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und
Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu
entscheiden hat.
21.
Der aus den Grundrechten der EMRK entwickelte allgemeine gemeinschaftliche Rechtsgrundsatz
(vgl. insbesondere Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, und Urteil vom
29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14), daß jedermann
Anspruch auf einen fairen Prozeß, insbesondere auf einen Prozeß innerhalb einer angemessenen Frist
hat, gilt auch für die Klage eines Unternehmens gegen eine Entscheidung der Kommission, mit der
diese wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht Geldbußen gegen das Unternehmen verhängt.
22.
Daher hat der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren solche das Verfahren vor dem Gericht
betreffenden Rechtsmittelgründe zu prüfen.
23.
Was sodann die angeblich fehlerhafte Sachverhaltsprüfung angeht, so ergibt sich aus Artikel 168a
des Vertrages und Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes, daß für die Feststellung der
Tatsachen — sofern sich nicht aus den Prozeßakten ergibt, daß die Feststellungen tatsächlich falsch
sind — und für ihre Würdigung ausschließlich das Gericht zuständig ist. Wenn das Gericht die
Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, ist der Gerichtshof gemäß Artikel 168a EG-Vertrag zu einer
Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung und der rechtlichen Folgen befugt, die das Gericht aus ihnen
abgeleitet hat (vgl. insbesondere Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnr. 39).
24.
Der Gerichtshof ist daher weder für die Feststellung der Tatsachen zuständig noch grundsätzlich
befugt, die Beweise zu prüfen, auf die das Gericht diese Feststellung gestützt hat. Sofern diese
Beweise nämlich ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die
Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden sind, ist es allein
Sache des Gerichts, den Beweiswert der ihm vorgelegten Beweismittel zu beurteilen (vgl.
insbesondere Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnr. 40). Diese Würdigung ist somit, sofern
diese Beweismittel nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des
Gerichtshofes unterliegt (vgl. Urteil vom 2. März 1994 in der Rechtssache C-53/92 P, Hilti/Kommission,
Slg. 1994, I-667, Randnr. 42).
25.
Die Frage jedoch, ob die Begründung eines Urteils des Gerichts widersprüchlich oder unzulänglich
ist, ist eine Rechtsfrage, die als solche im Rahmen eines Rechtsmittels aufgeworfen werden kann (vgl.
u. a. Urteile vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P, Vidrányi/Kommission, Slg. 1991, I-
4339, Randnr. 29, vom 20. November 1997 in der Rechtssache C-188/96 P, Kommission/V, Slg. 1997, I-
6561, Randnr. 24, und vom 7. Mai 1998 in der Rechtssache C-401/96 P, Somaco/Kommission, Slg.
1998, I-2587, Randnr. 53).
Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen Verfahrensfehler geltend gemacht werden
26.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, der Zeitraum, den das Gericht für seine Entscheidung benötigt
habe, sei überlang; das Gericht habe daher gegen Artikel 6 Absatz 1 EMRK verstoßen. Die Dauer des
Verfahrens sei keineswegs auf die Umstände des Falles zurückzuführen, sondern sei vielmehr dem
Gericht anzulasten. Eine solche Verzögerung begründe ein Prozeßhindernis, das die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und der Entscheidung sowie die Einstellung des Verfahrens rechtfertige.
Hilfsweise macht die Rechtsmittelführerin geltend, die überlange Dauer des Verwaltungs- und des
anschließenden gerichtlichen Verfahrens stelle als solche einen mildernden Umstand und nach dem
Grundsatz der Strafmilderung, der sowohl in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten als auch in der
Rechtsprechung des Gerichts anerkannt sei, einen Grund für die Reduzierung der Geldbuße dar.
27.
Die Kommission trägt vor, die Dauer des Verfahrens sei nicht übermäßig lang; auch wenn die Dauer
des Verfahrens vor dem Gericht lang erscheinen möge, könne sie kein Prozeßhindernis darstellen.
28.
Das Verfahren, das der Gerichtshof im vorliegenden Fall im Hinblick darauf zu prüfen hat, ob ein
Verfahrensfehler begangen wurde, durch den die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigt
wurden, hat vom 20. Oktober 1989, dem Tag des Eingangs der Nichtigkeitsklage, bis zum 6. April
1995, dem Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils, gedauert. Folglich beträgt die Dauer des
vom Gerichtshof zu prüfenden Verfahrens ungefähr fünf Jahre und sechs Monate.
29.
Dies ist auf den ersten Blick ein beträchtlicher Zeitraum. Die Angemessenheit einer
Verfahrensdauer ist jedoch nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere nach
den Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, nach der
Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Klägers und dem der zuständigen
Behörden, zu beurteilen (vgl. EGMR, Urteile Erkner und Hofauer vom 23. April 1987, Serie A Nr. 117, §
66; Kemmache vom 27. November 1991, Serie A Nr. 218, § 60; Phocas/Frankreich vom 23. April 1996,
1996-II, S. 546, § 71; Garyfallou AEBE/Griechenland vom 27. September
1997, 1997-V, S. 1821, § 39).
30.
Was die Interessen angeht, die in dem Rechtsstreit für die Rechtsmittelführerin auf dem Spiel
standen, so war deren wirtschaftliches Überleben durch den Rechtsstreit nicht unmittelbar gefährdet.
Gleichwohl sind bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln das
grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerläßlichen Rechtssicherheit und das Ziel, zu
gewährleisten, daß der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird, nicht nur für die
Rechtsmittelführerin und ihre Konkurrenten, sondern wegen der großen Zahl betroffener Personen
und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse.
31.
Für die Rechtsmittelführerin bestand nämlich nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 die
Gefahr, daß gegen sie eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des im letzten Geschäftsjahr erzielten
Umsatzes festgesetzt wird. Imvorliegenden Fall hat die Kommission gemäß den Artikeln 3 und 4 der
Entscheidung gegen die Rechtsmittelführerin eine Geldbuße von 4,5 Millionen ECU festgesetzt, die
innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung zu zahlen war,
zuzüglich 12,5 % Verzugszinsen pro Jahr nach Ablauf dieser Frist.
32.
Artikel 192 EG-Vertrag sieht insoweit vor, daß die Entscheidungen der Kommission, die eine
Zahlung auferlegen, — außer gegenüber Staaten — vollstreckbare Titel sind und daß die
Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften des Zivilprozeßrechts des Staates erfolgt, in dessen
Hoheitsgebiet sie stattfindet. Nach den Artikeln 185, 186 und 192 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel
4 des Beschlusses 88/591 haben Klagen bei dem Gericht keine aufschiebende Wirkung; das Gericht
kann, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen
Handlung aussetzen, die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen und gegebenenfalls die
Zwangsvollstreckung aussetzen.
33.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, daß während der Dauer des gerichtlichen
Verfahrens keine Maßnahme zur Einziehung der Geldbuße getroffen wurde, da die
Rechtsmittelführerin, wie von der Kommission verlangt, eine Bankbürgschaft gestellt hat. Dieser
Umstand kann der Rechtsmittelführerin jedoch nicht ihren Anspruch auf einen fairen Prozeß innerhalb
angemessener Frist und insbesondere darauf nehmen, daß über die sachliche Begründetheit der ihr
von der Kommission vorgeworfenen Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht und der deswegen gegen
sie festgesetzten Geldbuße entschieden wird.
34.
In Anbetracht all dieser Umstände ist daher festzustellen, daß für die Rechtsmittelführerin im
Verfahren vor dem Gericht tatsächliche Interessen auf dem Spiel standen.
35.
Was die Komplexität der Rechtssache angeht, so ist die Kommission in ihrer Entscheidung zu dem
Ergebnis gekommen, daß vierzehn Hersteller von Betonstahlmatten durch eine Reihe von
Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen in bezug auf Lieferquoten und
Preise für dieses Erzeugnis gegen Artikel 85 des Vertrages verstoßen hatten. Die Klage der
Rechtsmittelführerin war eine der elf — in drei verschiedenen Verfahrenssprachen eingereichten —
Klagen, die zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden wurden.
36.
Insoweit ergibt sich aus den Akten und dem angefochtenen Urteil, daß das die Rechtsmittelführerin
betreffende Verfahren eine eingehende Prüfung von verhältnismäßig umfangreichen Dokumenten
sowie von Tatsachen- und Rechtsfragen von einiger Komplexität erforderte.
37.
Zum Verhalten der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht ergibt sich aus den Akten, daß auf ihren
Antrag die Frist für die Einreichung der Erwiderung um ungefähr einen Monat verlängert wurde.
38.
In diesem Zusammenhang geht das Vorbringen der Kommission fehl, daß sich das Verfahren vor
dem Gericht deshalb verzögert habe, weil der Anwalt der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren
vor der Kommission noch nicht eingeschaltet gewesen sei und sodann das Hauptaugenmerk zu
Unrecht der
Geldbuße gewidmet habe, die die Kommission der Rechtsmittelführerin wegen ihrer Beteiligung am
Strukturkrisenkartell auferlegt habe.
39.
Ein Unternehmen, an das eine Entscheidung der Kommission gerichtet ist, in der
Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt und ihm Geldbußen auferlegt werden,
muß nämlich die Richtigkeit der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe mit allen Mitteln, die ihm
zweckdienlich erscheinen, in Frage stellen können.
40.
Daher ist nicht erwiesen, daß die Rechtsmittelführerin wesentlich zur Verlängerung der
Verfahrensdauer beigetragen hat.
41.
Was das Verhalten der zuständigen Behörden betrifft, so ist daran zu erinnern, daß die Beiordnung
des Gerichts zum Gerichtshof und die Einführung zweier Rechtszüge insbesondere für Klagen, deren
Entscheidung eine eingehende Prüfung komplexer Sachverhalte erfordert, zum einen den
Rechtsschutz des einzelnen verbessern sollte und zum anderen die Qualität und die Effizienz des
Rechtsschutzes in der Rechtsprechung der Gemeinschaft aufrechterhalten sollten, indem es dem
Gerichtshof ermöglicht wird, seine Tätigkeit auf seine grundlegende Aufgabe — die Sicherung der
Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts — zu konzentrieren.
42.
Aus diesem Grund folgt zum Teil schon aus dem Aufbau der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, daß das
Gericht, das die Tatsachen festzustellen und den Rechtsstreit in der Sache zu prüfen hat,
vergleichsweise mehr Zeit auf die Durchführung von Verfahren verwenden kann, die eine eingehende
Prüfung komplexer Sachverhalte erfordern. Diese Aufgabe entbindet das speziell zu diesem Zweck
errichtete Gemeinschaftsgericht jedoch nicht davon, bei der Behandlung der bei ihm anhängigen
Rechtssachen eine angemessene Frist einzuhalten.
43.
Außerdem ist den Zwängen, die dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten immanent sind,
Rechnung zu tragen, die sich insbesondere aus der in Artikel 35 der Verfahrensordnung des Gerichts
vorgesehenen Sprachenregelung für das Verfahren und der Verpflichtung aus Artikel 36 § 2 der
Verfahrensordnung ergeben, die Urteile in den in Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15.
April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958,
Nr. 17, S. 385) genannten Sprachen zu veröffentlichen.
44.
Aus den Umständen des vorliegenden Falles ergibt sich jedoch nicht, daß derartige Zwänge die
Dauer des Verfahrens vor dem Gericht rechtfertigen könnten.
45.
Für die Wahrung der angemessenen Frist sind zwei Zeitabschnitte des Verfahrens vor dem Gericht
relevant. Vom Abschluß des schriftlichen Verfahrens bis zur Entscheidung, die mündliche Verhandlung
zu eröffnen, sind ungefähr 32 Monate vergangen. Zwar sind die elf Rechtssachen mit Beschluß vom
13. Oktober 1992 zu
gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden worden, doch ist während dieses Zeitraums keine
andere prozeßleitende Maßnahme oder Beweisaufnahme erfolgt. Hinzu kommt, daß vom Schluß der
mündlichen Verhandlung bis zur Verkündung des Urteils des Gerichts 22 Monate vergangen sind.
46.
Auch angesichts der Zwänge, die dem Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten immanent sind,
kann eine derartige Dauer der Untersuchung und der Beratung nur aufgrund außergewöhnlicher
Umstände gerechtfertigt sein. Da das Verfahren vor dem Gericht nicht — insbesondere gemäß den
Artikeln 77 und 78 der Verfahrensordnung des Gerichts — ausgesetzt worden ist, sind solche
außergewöhnlichen Umstände im vorliegenden Fall nicht gegeben.
47.
Nach alledem ist unter Berücksichtigung der relativen Komplexität der Rechtssache festzustellen,
daß das Verfahren vor dem Gericht eine angemessene Verfahrensdauer überschritten hat.
48.
Aus Gründen der Prozeßökonomie und im Hinblick darauf, daß gegen einen solchen
Verfahrensfehler ein unmittelbarer und effektiver Rechtsbehelf gegeben sein muß, ist auf den
Rechtsmittelgrund der überlangen Verfahrensdauer hin das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben,
als darin die Höhe der gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzten Geldbuße auf 3 Millionen ECU
festgesetzt wird.
49.
Dagegen fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang
des Rechtsstreits gehabt hätte, so daß dieser Rechtsmittelgrund nicht zur vollständigen Aufhebung
des angefochtenen Urteils führen kann.
50.
Die Rechtsmittelführerin vertritt die Ansicht, das Gericht habe dadurch, daß es sein Urteil 22
Monate nach Abschluß der mündlichen Verhandlung verkündet habe, in einem solchen Maße gegen
den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Unmittelbarkeit des Gerichtsverfahrens
verstoßen, daß die mündliche Verhandlung mit dem Verblassen der Erinnerung bei den Richtern ihre
eigentliche Funktion nicht mehr habe erfüllen können. Die Rechtsmittelführerin macht im wesentlichen
geltend, daß der Grundsatz der Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens die Unmittelbarkeit des
Verfahrens verlange, die ebenso wie in den Zivil- und Strafprozeßordnungen der meisten
Mitgliedstaaten mit der Verpflichtung des Gerichts einhergehe, unmittelbar nach Abschluß der
mündlichen Verhandlung über die Rechtssache zu beraten und sein Urteil im zeitlichen
Zusammenhang mit dieser Verhandlung zu erlassen.
51.
Die Kommission ist der Ansicht, daß es den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens, wie die
Rechtsmittelführerin ihn verstehe, im Gemeinschaftsrecht nicht gebe; daher sei dieser
Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
52.
Entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelführerin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich weder
aus Artikel 55 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts noch aus einer anderen Vorschrift dieser
Verfahrensordnung oder der EG-Satzung des Gerichtshofes, daß die Urteile des Gerichts innerhalb
einer bestimmten Frist nach Abschluß der mündlichen Verhandlung ergehen müssen.
53.
Außerdem hat die Rechtsmittelführerin nicht dargetan, daß sich die Dauer der Beratung in
irgendeiner Weise, etwa durch einen Verlust von Beweisen, auf den Ausgang des beim Gericht
anhängigen Rechtsstreits ausgewirkt hätte.
54.
Daher ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.
55.
Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe einen falschen Beurteilungsmaßstab bei
der Beweiswürdigung herangezogen, indem es unter Außerachtlassung ihres Vortrags nur geprüft
habe, ob die Kommission ihre Beteiligung an den Absprachen bewiesen habe; außerdem habe das
Gericht die Präklusionsvorschriften verkannt, indem es die angebotenen Zeugenvernehmungen als
verspätet zurückgewiesen habe. Das Gericht habe dadurch, daß es sich darauf beschränkt habe, den
Vortrag der Kommission zu prüfen, und es abgelehnt habe, den von der Rechtsmittelführerin
angebotenen Beweisen nachzugehen, die Aufklärungspflicht und den Anspruch auf einen fairen
Prozeß verletzt sowie gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und den Grundsatz in dubio
pro reo verstoßen.
56.
Bezüglich des ersten Punktes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht im wesentlichen vor, nicht
geprüft zu haben, ob sich die von der Kommission angeführten Tatsachen nicht anders als durch das
Bestehen einer Absprache erklären ließen, obwohl die Rechtsmittelführerin eine plausible und in sich
schlüssige Alternativbegründung vorgetragen habe.
57.
Die Kommission trägt vor, diese Rüge stelle in Wirklichkeit einen Antrag auf erneute
Tatsachenprüfung dar.
58.
Soweit diese Rüge nicht die Tatsachenwürdigung durch das Gericht betrifft, ist darauf hinzuweisen,
daß die Kommission bei Streitigkeiten über das Vorliegen von Zuwiderhandlungen gegen die
Wettbewerbsregeln die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel
beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich
hinreichend beweisen.
59.
Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Gericht die von der Rechtsmittelführerin
vorgetragenen Gesichtspunkte bei der Prüfung der von der Kommission vorgetragenen
Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat. Aus den
Randnummern 64 bis 67 des angefochtenen Urteils ergibt sich, daß das Gericht bezüglich der
Absprache zwischen der Rechtsmittelführerin und Trefilunion aufgrund einer Untersuchung der von
der Kommission vorgelegten Vermerke zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kommission nur der
Beweis von zwei der drei vorgeworfenen Verhaltensabstimmungen rechtlich gelungen sei. Sodann
zeigen die Randnummern 90 bis 92 des angefochtenen Urteils zu den Quoten- und Preisabsprachen
mit den Benelux-Herstellern, die Randnummern 115 bis 118 zur Absprache zwischen der
Rechtsmittelführerin und Trefilarbed und die Randnummern 131 bis 136 zu den Peis- und
Quotenabsprachen über den Benelux-Markt, daß das Gericht die von der Kommission vorgetragenen
Tatsachen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin geprüft hat und zu dem
Ergebnis gekommen ist, daß der Kommission der Beweis, daß sich die Rechtsmittelführerin an diesen
Absprachen beteiligt habe, rechtlich gelungen sei.
60.
Was den zweiten Punkt angeht, so wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe seine
Verfahrensordnung falsch ausgelegt, als es ihre Beweisangebote als verspätet zurückgewiesen habe.
Die Rechtsmittelführerin bestreitet nicht, daß ihre Beweisangebote erstmals in der Erwiderung
enthalten gewesen seien. Die in der Erwiderung benannten Beweismittel seien aber weder neu noch
verspätet im Sinne von Artikel 48 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts, da sie die Vernehmungvon
Zeugen und ihr persönliches Erscheinen in der Erwiderung angeboten habe, um die von der
Kommission in der Klagebeantwortung angebotenen Beweise zu widerlegen.
61.
Die Rechtsmittelführerin trägt weiter vor, die Aufklärungspflicht sowie die Grundsätze des
kontradiktorischen Verfahrens und des fairen Prozesses verpflichteten das Gericht, den
Beweisanträgen zu entsprechen, außer in bestimmten, eng begrenzten Fällen, deren Vorliegen nicht
dargetan sei. Die Ablehnung der von ihr angebotenen Vernehmung von Zeugen und des von ihr
angebotenen persönlichen Erscheinens laufe auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus;
auch ohne Beweisanträge gebiete es der gerichtliche Untersuchungsgrundsatz, daß das Gericht
insbesondere in Verfahren, die zu Geldbußen führen könnten, die Beweisaufnahme auf alle ihm zur
Verfügung stehenden Beweismittel erstrecke und sich um den bestmöglichen Beweis bemühe.
62.
Die Kommission meint, das Gericht habe sich mit seiner Auffassung, daß die erstmals in der
Erwiderung gestellten Beweisanträge verspätet seien und die Verspätung daher zu begründen sei, an
seine ständige Rechtsprechung gehalten.
63.
Die Rechtsmittelführerin hat zum Beweis ihres Vorbringens in der Klageschrift die Vernehmung ihres
Anwalts Pillmann als Zeugen und in der Erwiderung ihr persönliches Erscheinen in der Person ihres
Vertreters Müller sowie die Vernehmung des ehemaligen Vorsitzenden der Benelux-Hersteller,
Broekman, als Zeugen beantragt.
64.
Aus den Akten ergibt sich, daß das Gericht in seiner Sitzung vom 18. und 24. März 1993
beschlossen hat, an die Parteien Fragen zu richten. Unter Berücksichtigung des Antrags der
Rechtsmittelführerin auf Zeugenvernehmung und im Hinblick auf vier Fernschreiben vom 15. Dezember
1983 sowie 11. Januar, 4. März und 4. April 1984 wurde die Rechtsmittelführerin gebeten, „über das
pauschale Bestreiten in ihren Schriftsätzen hinaus anzugeben, aus welchen konkreten und auf
Tatsachen beruhenden Gründen sie den ersichtlichen Inhalt der angeführten Dokumente bestreitet“.
65.
Das Gericht hat in seiner Sitzung vom 13. und 17. Mai 1993 beschlossen, die Stellungnahme der
Parteien zu einer Vernehmung der Herren Müller und Broekman sowie zum persönlichen Erscheinen
der Klägerinnen Boël, Steelinter und Tréfilunion in der Person von Vertretern einzuholen, die über die
damaligen Kontakte unterrichtet waren.
66.
Mit Schreiben vom 19. Mai 1993 sprach sich die Kommission gegen die Vernehmung der genannten
Zeugen aus, weil sie die Vertreter der von der Entscheidung betroffenen Unternehmen seien. Das
Gericht hat am 26. Mai 1993 beschlossen, sich die Entscheidung über eine etwaige Vernehmung der
Zeugen vorzubehalten.
67.
In Randnummer 68 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, daß es nicht erforderlich
sei, die Vernehmung von Zeugen oder das Erscheinen der Rechtsmittelführerin anzuordnen. In den
Randnummern 94, 120 und 138 des Urteils hat das Gericht gemäß Artikel 48 § 1 seiner
Verfahrensordnung die angebotene Vernehmung von Zeugen und das angebotene persönliche
Erscheinen der Rechtsmittelführerin mit der Begründung zurückgewiesen, daß diese in der Erwiderung
enthaltenen Beweisangebote verspätet seien, da die Rechtsmittelführerin keinen Umstand geltend
gemacht habe, der sie daran gehindert hätte, sie in der Klageschrift zu formulieren.
68.
In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles kann die vom Gericht vorgenommene
Beurteilung der Frage der Sachdienlichkeit einer Vernehmung der Herren Pillmann und Müller zur
Absprache zwischen Baustahlgewebe und Tréfilunion nicht in Frage gestellt werden.
69.
Was die Weigerung des Gerichts angeht, die Herren Müller und Broekman zu vernehmen, weil diese
Beweisangebote verspätet seien, so ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht nach Artikel 68 § 1 seiner
Verfahrensordnung von Amts wegen oder auf Antrag der Parteien nach Anhörung der Parteien die
Vernehmung von Zeugen über bestimmte Tatsachen anordnen kann. Die Partei hat in ihrem Antrag
die Tatsachen zu bezeichnen, über die die Vernehmung stattfinden soll, und die Gründe anzugeben,
die die Vernehmung rechtfertigen. Nach Artikel 44 § 1 Buchstabe e der Verfahrensordnung des
Gerichts muß die Klageschrift gegebenenfalls die Bezeichnung der Beweismittel enthalten.
70.
Bezeichnet ein in der Klageschrift enthaltener Antrag auf Vernehmung von Zeugen die Tatsachen,
über die die Vernehmung des oder der Zeugen stattfinden soll, und gibt er die Gründe an, die ihre
Vernehmung rechtfertigen, ist es Sache des Gerichts, die Sachdienlichkeit des Antrags im Hinblick auf
den Streitgegenstand und die Erforderlichkeit einer Vernehmung der genannten Zeugen zu
beurteilen.
71.
Gemäß Artikel 48 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts können die Parteien in der Erwiderung
oder in der Gegenerwiderung noch Beweismittel benennen. Sie haben die Verspätung zu begründen.
72.
Somit sind der Gegenbeweis und die Erweiterung der Beweisangebote im Anschluß an einen Beweis
der Gegenpartei in der Klagebeantwortung von der Präklusionsvorschrift des Artikels 48 § 1 der
Verfahrensordnung nicht erfaßt. Diese Vorschrift betrifft nämlich neue Beweismittel und ist im
Zusammenhang mit Artikel 66 § 2 zu sehen, wonach Gegenbeweis und Erweiterung des Beweisantritts
vorbehalten bleiben.
73.
Bezüglich der angebotenen Vernehmung von Herrn Broekman als Zeugen und des persönlichen
Erscheinens der Rechtsmittelführerin genügt jedoch die Feststellung, daß sich aus den Akten ergibt,
daß die Beweismittel, auf die sich die Kommission in ihrer Klagebeantwortung berufen hat, bereits in
der Entscheidung und in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt oder dieser beigefügt waren
und von der Rechtsmittelführerin selbst in Anlage 3 zu ihrer Klageschrift vorgelegt worden waren. Auch
bezüglich der Erklärungen von Herrn Müller bei der Vernehmung vor der Kommission am 24. November
1987, auf die das Gericht in den Randnummern 92 und 135 des angefochtenen Urteils Bezug
genommen hat, steht fest, daß sie im Protokoll dieser Sitzung enthalten waren, das ebenfalls von der
Rechtsmittelführerin selbst in Anlage 9 zu ihrer Klageschrift vorgelegt worden war.
74.
Daher können der Antrag auf Vernehmung von Herrn Broekman und der Antrag auf persönliches
Erscheinen der Rechtsmittelführerin in der Person ihres Vertreters Müller nicht als Angebot eines
Gegenbeweises angesehen werden; die Rechtsmittelführerin war in der Lage, diese Beweismittel in
ihrer Klageschrift zu benennen.
75.
Daher hat das Gericht zu Recht die Beweisangebote in der Erwiderung als verspätet angesehen
und sie mit der Begründung abgelehnt, daß die Rechtsmittelführerin die Verspätung nicht begründet
habe.
76.
Außerdem ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, das Gericht habe eine ihm
obliegende Aufklärungspflicht verletzt, da feststeht, daß das Gericht gemäß Artikel 64 § 2 seiner
Verfahrensordnung prozeßleitende Maßnahmen mit dem Ziel erlassen hat, die Beweiserhebung zu
erleichtern und das Vorbringen der Parteien zu verdeutlichen.
77.
Schließlich ist das Gericht nicht verpflichtet, Zeugen von Amts wegen zu laden, da Artikel 66 § 1
seiner Verfahrensordnung vorsieht, daß es durch Beschluß die Beweismittel und die zu beweisenden
Tatsachen bezeichnet.
78.
Folglich ist der Rechtsmittelgrund, das Gericht habe gegen anerkannte Grundsätze des
Beweisverfahrens verstoßen, zurückzuweisen.
79.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör
verstoßen, indem es abgelehnt habe, ihrem Antrag auf Vorlage der gesamten Akten des
Verwaltungsverfahrens stattzugeben, obwohl das Recht auf Akteneinsicht auf einem fundamentalen
Grundsatz des Gemeinschaftsrechts beruhe, dessen Einhaltung unter allen Umständen geboten sei.
Die Kommission sei daher verpflichtet, den von einem Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke
zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt habe. Diese Grundsätze gälten
auch im Verfahren vor dem Gericht, wenn einem Unternehmen die für seine Verteidigung
möglicherweise relevanten Unterlagen im Verwaltungsverfahren nicht zugänglich gemacht worden
seien. Jedenfalls habe das Gericht den Antrag der Rechtsmittelführerin auf Vorlegung von
Dokumenten nicht mit der Begründung ablehnen können, daß sie keine Anhaltspunkte dafür
vorgetragen habe, daß diese Unterlagen für ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Ob ein
Dokument für die Verteidigung von Bedeutung sei oder nicht, könnten eine Partei und ihr
Prozeßbevollmächtigter erst dann beurteilen, wenn sie von der Existenz und dem Inhalt des
Dokuments Kenntnis hätten.
80.
Außerdem habe das Gericht die Verteidigungsrechte verletzt, indem es sich geweigert habe, die
Vorlage der das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen anzuordnen.
81.
Die Kommission weist bezüglich des Antrags auf Einsicht in die gesamten Verfahrensakten darauf
hin, das Gericht habe zu Recht entschieden, daß die Rechtsmittelführerin keine Anhaltspunkte dafür
vorgetragen habe, daß diese Unterlagen für ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Was
die das Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen angehe, so sei ein derartiger Verfahrensfehler
nicht rechtsmittelfähig, da er nicht geeignet sei, die Interessen der Rechtsmittelführerin zu
beeinträchtigen, und seine Geltendmachung eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Erweiterung
des dem Gericht unterbreiteten Streitgegenstands darstelle.
82.
Zu der von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede genügt die Feststellung, daß erstens
die Frage, ob das Bestehen des deutschen Strukturkrisenkartells die Entscheidung beeinflußt hat, vor
dem Gericht erörtert
wurde und daß zweitens die Rechtsmittelführerin vor dem Gerichtshof weiterhin behauptet, daß dieses
Krisenkartell zumindest die Höhe der auferlegten Geldbußen beeinflußt habe. Daher handelt es sich
insoweit nicht um eine Erweiterung des vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstands. Der
Rechtsmittelgrund, mit dem das Recht auf Einsichtnahme in die das Krisenkartell betreffenden
Unterlagen geltend gemacht wird, ist daher zulässig.
83.
Sodann ergibt sich bezüglich der Einsicht in die Unterlagen aus Randnummer 23 des
angefochtenen Urteils, daß die Kommission im Laufe des Verwaltungsverfahrens der
Rechtsmittelführerin die sie direkt oder indirekt betreffenden Dokumente übersandt hat, mit
Ausnahme der vertraulichen Dokumente; gleichzeitig wurde die Rechtsmittelführerin darauf
hingewiesen, daß sie Gelegenheit habe, zur Ausarbeitung ihrer Stellungnahme andere Dokumente der
Kommission mit deren Genehmigung einzusehen.
84.
Aus Randnummer 28 des angefochtenen Urteils und aus den Akten ergibt sich, daß der neu
bestellte Anwalt der Rechtsmittelführerin gegenüber der Kommission behauptet hat, daß er auch
nach dem Erlaß der Entscheidung noch ein Recht auf Akteneinsicht habe. Aus einem Schriftwechsel
zwischen den Parteien geht hervor, daß die Kommission die Rechtsmittelführerin darauf hingewiesen
hat, daß sie ihr in der Anlage zur Mitteilung der Beschwerdepunkte die Unterlagen übersandt habe,
auf denen diese beruhe. Mit Telefax vom 11. Oktober 1989 hat die Kommission ein Verzeichnis der
gesamten Akten vorgelegt, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrafen, und ihr die Zusendung von
Kopien angeboten. Die Rechtsmittelführerin hat unter Bezugnahme auf dieses Angebot mit Telefax
vom 16. Oktober 1989 zum einen um Übersendung des Berichts und des Vorgangs über die
Nachprüfung vom 6. und 7. November 1985 in ihren Geschäftsräumen sowie des Berichts über die an
denselben Tagen in den Geschäftsräumen des Fachverbands Betonstahlmatten vorgenommene
Nachprüfung gebeten und zum anderen Einsicht in die Protokolle und sonstigen Unterlagen
beantragt, die die Unterrichtung der Kommission durch das Bundeskartellamt über das deutsche
Strukturkrisenkartell betrafen. Bis zur Einreichung der Klage hat die Kommission jedoch der
Rechtsmittelführerin zufolge nicht reagiert.
85.
In ihrer Klageschrift hat die Rechtsmittelführerin daher beantragt, der Kommission aufzugeben, ihr
a) die gesamten Verfahrensakten, die sie betreffen, b) sämtliche Dokumente, Schriftwechsel,
Protokolle und Notizen betreffend die Unterrichtung der Kommission durch das Bundeskartellamt über
das Strukturkrisenkartell sowie c) sämtliche Unterlagen, Dokumente, Protokolle und Notizen
betreffend die trilateralen Verhandlungen zwischen der Kommission, dem Bundeskartellamt und
Vertretern der deutschen Strukturkrisenkartell-Gemeinschaft zur Einsicht vorzulegen.
86.
Das Gericht hat in Randnummer 33 des angefochtenen Urteils entschieden, daß der Antrag der
Rechtsmittelführerin als Antrag auf eine prozeßleitende Maßnahme
im Sinne des Artikels 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichts anzusehen sei.
87.
In Randnummer 34 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den Antrag auf Einsicht in die Akten
der Kommission mit der Begründung zurückgewiesen, die Rechtsmittelführerin habe nicht bestritten,
daß sie während des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission alle Aktenunterlagen erhalten habe,
die sie direkt oder indirekt beträfen und auf die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt
gewesen sei, und daß sie keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen habe, daß andere Unterlagen für
ihre Verteidigung von Bedeutung gewesen wären. Infolgedessen war das Gericht der Ansicht, daß der
Rechtsmittelführerin Gelegenheit gegeben worden sei, so wie sie es gewünscht habe, ihren
Standpunkt zu sämtlichen Beschwerdepunkten, die die Kommission in der an sie gerichteten
Mitteilung der Beschwerdepunkte ihr gegenüber formuliert hatte, und zu den zur Stützung dieser
Beschwerdepunkte bestimmten Beweiselementen, die die Kommission in dieser Mitteilung der
Beschwerdepunkte erwähnt hatte oder die dieser beigefügt waren, geltend zu machen, so daß die
Verteidigungsrechte gewahrt worden seien. Daher seien die Anwälte der Rechtsmittelführerin sowohl
bei der Vorbereitung der Klageschrift als auch während des Verfahrens vor dem Gericht in der Lage
gewesen sind, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in voller Kenntnis der Umstände zu prüfen und
die Verteidigung der Rechtsmittelführerin in vollem Umfang zu gewährleisten.
88.
In Randnummer 35 des angefochtenen Urteils hat das Gericht außerdem den Antrag auf Vorlage
der das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden Unterlagen mit der Begründung zurückgewiesen,
daß die Rechtsmittelführerin nicht vorgebracht habe, daß sie ohne Kenntnis dieser Unterlagen nicht
imstande gewesen sei, sich gegen die ihr zur Last gelegten Beschwerdepunkte zu verteidigen, und
daß sie kein Indiz vorgetragen habe, das dartun könnte, in welcher Hinsicht diese Schriftstücke für
den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits von Bedeutung sein konnten. Hinzu komme in jedem Fall,
daß es sich um Beweismittel handele, die mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts zu tun hätten.
89.
Der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen besteht insbesondere darin, es den
Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den in den Akten der
Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage zu den
Schlußfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist,
Stellung nehmen können (vgl. Urteile vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81,
Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7, vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76,
Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnrn. 9 und 11, und vom 6. April 1995 in der
Rechtssache C-310/93 P, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1995, I-865, Randnr. 21).
90.
Entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelführerin gelten die allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen
Grundsätze über das Recht auf Zugang zu den Akten der Kommission als solche nicht im gerichtlichen
Verfahren, da dieses durch die EG-Satzung des Gerichtshofes und durch die Verfahrensordnung des
Gerichts geregelt ist.
91.
Nach Artikel 21 der EG-Satzung des Gerichtshofes kann der Gerichtshof von den Parteien die
Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen, die er für wünschenswert hält.
Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts bestimmt: „Prozeßleitende Maßnahmen sollen die
Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf der Verfahren und die Beilegung der
Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen Bedingungen gewährleisten.“
92.
Gemäß Artikel 64 § 2 Buchstaben a und b der Verfahrensordnung des Gerichts haben
prozeßleitende Maßnahmen insbesondere zum Ziel, den ordnungsgemäßen Ablauf des schriftlichen
Verfahrens oder der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten und die Beweiserhebung zu erleichtern
sowie die Punkte zu bestimmen, zu denen die Parteien ihr Vorbringen ergänzen sollen oder die eine
Beweisaufnahme erfordern. Gemäß Artikel 64 §§ 3 Buchstabe d und 4 können diese Maßnahmen, zu
denen die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken im Zusammenhang mit der
Rechtssache gehört, von den Parteien in jedem Verfahrensstadium vorgeschlagen werden.
93.
Daraus folgt, daß die Rechtsmittelführerin beim Gericht beantragen konnte, der Gegenpartei
aufzugeben, in ihrem Besitz befindliche Unterlagen vorzulegen. Die antragstellende Partei muß aber,
damit das Gericht feststellen kann, ob die Anordnung der Vorlage bestimmter Unterlagen dem
ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens dienlich wäre, die erbetenen Dokumente bezeichnen und
dem Gericht zumindest einen Anhaltspunkt dafür geben, daß diese Dokumente für das Verfahren
zweckdienlich sind.
94.
Aus dem angefochtenen Urteil und den Akten des Gerichts ergibt sich, daß die
Rechtsmittelführerin, obwohl die Kommission ihr ein Verzeichnis sämtlicher sie betreffenden
Aktenstücke vorgelegt hatte, in ihrem Antrag beim Gericht die Schriftstücke, deren Vorlage sie
wünschte, unzureichend bezeichnet hat. Was die das deutsche Strukturkrisenkartell betreffenden
Unterlagen angeht, so hat die Rechtsmittelführerin der Kommission zwar vorgeworfen, ihre Beteiligung
an dem Kartell als einen strafschärfenden Umstand berücksichtigt zu haben; sie hat jedoch nicht
genau angegeben, inwiefern die beantragten Dokumente für sie von Nutzen sein konnten.
95.
Das Gericht hat in den Randnummern 34 und 35 des angefochtenen Urteils zu Recht den Antrag
auf Vorlage der Unterlagen abgelehnt. Daher ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet
zurückzuweisen.
Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages geltend gemacht wird
96.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe im angefochtenen Urteil seine Ausführungen
zur Bestimmung des relevanten Marktes unzureichend begründet. Insbesondere habe sie entgegen
den Feststellungen des Gerichts in den Randnummern 38 und 40 des angefochtenen Urteils in der
mündlichen Verhandlung nie behauptet, daß sie auf ihren Maschinen Standardmatten herstellen
könne oder daß Listenmatten und Lagermatten austauschbar seien. Daher könne der Markt nicht in
der Weise festgelegt werden, daß er beide Typen von Matten einschließe.
97.
Die Kommission ist der Ansicht, die Rechtsmittelführerin versuche mit diesem Rechtsmittelgrund,
Tatsachenfeststellungen des Gerichts der Kontrolle durch den Gerichtshof zu unterwerfen.
98.
Soweit mit diesem Rechtsmittelgrund eine unzureichende Begründung des angefochtenen Urteils
geltend gemacht wird, ist er im Rechtsmittelverfahren zulässig.
99.
Insoweit genügt die Feststellung, daß das Gericht bei der Abgrenzung des relevanten Marktes in
Randnummer 39 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, daß die Preise von Lagermatten
und Listenmatten nicht sehr weit auseinanderlägen. In Randnummer 40 des angefochtenen Urteils
hat das Gericht außerdem festgestellt, daß sich in der mündlichen Verhandlung ergeben habe, daß
die Verwendung von Lagermatten auf Baustellen, auf denen normalerweise Zeichnungsmatten
verwendet werden müßten, tatsächlich möglich sei, wenn der Lagermattenpreis so niedrig sei, daß er
dem Bauherrn eine bedeutende Einsparung verschaffe, die die zusätzlichen Kosten decke und die
technischen Nachteile ausgleiche, die mit dem Wechsel des verwendeten Materials verbunden seien,
und daß diese Situation während eines Teils des von den Absprachen erfaßten Zeitraums bestanden
habe.
100.
Das Gericht hat somit rechtlich hinreichend die Gründe dargelegt, aus denen bestimmte mit dem
Preisniveau in Zusammenhang stehende Umstände die Wirtschaftsteilnehmer veranlassen konnten,
Listenmatten mit Lagermatten zu substituieren, und damit einen gemeinsamen Markt für beide
Erzeugnisse abgegrenzt.
101.
Daher ist der Rechtsmittelgrund, mit dem ein Begründungsmangel bei der Marktabgrenzung
geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen.
102.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, aus dem angefochtene Urteil ergebe sich nicht, weshalb die
Vereinbarungen mit Tréfilunion einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellten,
und wirft dem Gericht vor, es habe keine Subsumtion des Sachverhalts unter die
Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift vorgenommen.
103.
Das Gericht habe zum einen nicht das Vorbringen geprüft, daß die Zusage von Tréfilunion, keine
Beschwerde bei der Kommission gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu führen, keine
Wettbewerbsbeschränkung darstelle, und zum anderen nicht über die Frage entschieden, ob die
Zusage der Rechtsmittelführerin, für zwei bis drei Monate keine Listenmatten nach Frankreich
auszuführen, eine solche Beschränkung habe bewirken oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten
nachhaltig habe beeinträchtigen können.
104.
Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht die streitigen Tatsachen ordnungsgemäß unter die
anwendbare Vorschrift subsumiert.
105.
Das Gericht hat in Randnummer 63 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß der
Rechtsmittelführerin in der Entscheidung vorgeworfen werde, sie habe mit Tréfilunion eine „generelle
Verhaltensabstimmung herbeigeführt, die darauf abgezielt habe, die gegenseitige Penetration ihrer
Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich zu begrenzen“. Diese Verhaltensabstimmung habe sich in
drei Punkten konkretisiert: 1. Tréfilunion führe nicht Beschwerde bei der Kommission gegen das
deutsche Krisenkartell; 2. das Werk Gelsenkirchen der Rechtsmittelführerin exportiere zwei bis drei
Monate lang keine Listenmatten nach Frankreich; 3. die beiden Parteien hätten sich dahin geeinigt,
daß ihre zukünftige Exporttätigkeit mit bestimmten Quoten verknüpft werde.
106.
Aufgrund der Würdigung zweier interner Vermerke von Herrn Marie vom 16. Juli 1985 und Herrn
Müller vom 27. August 1985 ist das Gericht zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Kommission der
Beweis für die Zusage von Tréfilunion, keine Beschwerde gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu
führen, und für den Verzicht der Rechtsmittelführerin auf die Ausfuhr von Listenmatten nach
Frankreich für einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten rechtlich gelungen sei. Dagegen hat das
Gericht entschieden, daß der Kommission der Beweis für das Bestehen einer Vereinbarung, die die
Verknüpfung der zukünftigen Exporte mit der Festsetzung von Quoten bezweckt habe, rechtlich nicht
gelungen sei.
107.
In Randnummer 64 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Auffassung vertreten, daß die
Zusage von Herrn Marie, keine Beschwerde gegen das deutsche Strukturkrisenkartell zu führen, als
ein Verhalten gegenüber einem Konkurrenten anzusehen sei, das eine Gegenleistung für
Zugeständnisse dieses Konkurrenten im Rahmen einer gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
verstoßenden Absprache gewesen sei.
108.
Da das Gericht festgestellt hat, daß diese Zusage ebenso wie der Verzicht der Rechtsmittelführerin
auf die Ausfuhr von Listenmatten nach Frankreich für einen
Zeitraum von zwei bis drei Monaten Teil einer generellen Verhaltensabstimmung über die gegenseitige
Penetration ihrer Erzeugnisse in Deutschland und Frankreich gewesen sei, hat es zu Recht die
Schlußfolgerung ziehen können, daß die Kommission nicht fehlerhaft angenommen habe, daß sich die
Rechtsmittelführerin an einer Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zuwiderlaufenden Absprache beteiligt
habe.
109.
Da kein Beweis für einen offensichtlichen Beurteilungsfehler des Gerichts vorliegt, ist dieser
Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.
110.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fehlerhaft
angewandt, da es wesentlichen Sachvortrag, auf den sie sich vor dem Gericht berufen habe, außer
acht gelassen habe; das Gericht habe die Tatsache ignoriert, daß ihre Mitarbeiter an den Sitzungen
von Herstellern nur in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Strukturkrisenkartell-Gemeinschaft oder des
Fachverbands Betonstahlmatten und nicht als Vertreter der Rechtsmittelführerin teilgenommen
hätten. Außerdem sei bezüglich des Benelux-Marktes die Begründung des Urteils in sich
widersprüchlich, da die bloße Teilnahme an einer Sitzung, bei der andere Unternehmen eine
Preisabsprache träfen, kein Verstoß gegen Artikel 85 sein könne, wenn das Unternehmen selbst die
Produkte, die Gegenstand der Absprache seien, nicht in den Markt liefere.
111.
Die Kommission ist der Ansicht, daß die Rechtsmittelführerin mit ihren Rügen die Würdigung der
vorgelegten Beweise durch das Gericht in Frage stellen wolle, was, sofern diese Beweismittel nicht
verfälscht würden, keine Rechtsfrage sei, die der Kontrolle des Gerichtshofes unterliege. Eine solche
Verfälschung sei nicht dargetan. Schließlich sei die Begründung des Urteils des Gerichts nicht in sich
widersprüchlich.
112.
Wie der Generalanwalt in den Nummern 200 und 246 seiner Schlußanträge ausgeführt hat,
beschränkt sich die Rechtsmittelführerin im wesentlichen darauf, lange Passagen aus ihren Antworten
auf die Fragen des Gerichts wiederzugeben, um daraus wie vor dem Gericht zu schließen, daß die
fraglichen Dokumente zeigten, daß Herr Müller als Vertreter des Fachverbands Betonstahlmatten und
des Aufsichtsgremiums des deutschen Strukturkrisenkartells, nicht aber als Vorsitzender der
Geschäftsleitung der Rechtsmittelführerin gehandelt habe.
113.
Aus Artikel 168a des Vertrages, Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 112 § 1
Buchstabe c der Verfahrensordnung folgt, daß ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils,
dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell
stützen, genau bezeichnen muß. Ein Rechtsmittel, das sich darauf beschränkt, die bereits vor dem
Gericht
dargelegten Klagegründe einschließlich derjenigen, die auf ein vom Gericht ausdrücklich
zurückgewiesenes Tatsachenvorbringen gestützt waren, zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben,
entspricht diesem Erfordernis nicht. Ein solches Rechtsmittel zielt nämlich in Wirklichkeit nur auf eine
erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage ab, was nicht in die Zuständigkeit des
Gerichtshofes fällt (vgl. Beschluß San Marco Impex/Kommission, Randnrn. 36 bis 38).
114.
Auch soweit das Rechtsmittel keine solche Wiederholung oder Wiedergabe enthält, zielt es auf eine
Überprüfung der Tatsachenwürdigung des Gerichts ab.
115.
Daraus folgt, daß diese Rechtsmittelgründe unzulässig sind.
116.
Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin hat das Gericht nicht dargelegt, daß die
Alleinvertriebsverträge zwischen der Rechtsmittelführerin auf der einen und der Bouwstaal Roermond
BV sowie der Arbed SA Afdeling Nederland auf der anderen Seite ein Verbot von Parallelimporten
enthielten, und sich auch nicht dazu geäußert, daß die Kommission diese Verträge geduldet habe, die
ihr anläßlich der Neuordnung der luxemburgischen und der saarländischen Stahlindustrie vorgelegt
worden seien.
117.
Die Kommission macht geltend, das Vorbringen, daß kein Verbot von Parallelimporten bestanden
habe, falle in den Bereich der Tatsachenwürdigung des Gerichts; das Vorbringen, sie habe die
streitigen Verträge geduldet, stelle ein neues Angriffsmittel dar.
118.
Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, es sei nicht dargelegt worden, daß ihre Verträge mit der
Bouwstaal Roermond BV und der Arbed SA Afdeling Nederland ein Verbot von Parallelimporten
enthielten, ist unzulässig, da mit diesem Vorbringen, wie der Generalanwalt in den Nummern 210 bis
223 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, die Tatsachenwürdigung des Gerichts in Frage gestellt
werden soll.
119.
Was das Vorbringen der Rechtsmittelführerin angeht, das Gericht habe sich nicht zur Duldung der
betreffenden Verträge durch die Kommission geäußert, so bestand, wie der Generalanwalt in den
Nummern 228 bis 232 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, das Vorbringen vor dem Gericht insoweit
aus bloßen unsubstantiierten Behauptungen, für die kein Beweis angeboten wurde. Daher kann dem
Gericht nicht vorgeworfen werden, daß es sich zu diesem Vorbringen nicht geäußert hat.
120.
Dieser Rechtsmittelgrund ist somit zurückzuweisen.
Zu den Rechtsmittelgründen, mit denen ein Verstoß gegen Artikel 15 der Verordnung Nr.
17 geltend gemacht wird
121.
Die Möglichkeit, im Fall einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbußen
festzusetzen, ist ausdrücklich in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehen, wo es heißt:
„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung
Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag
hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten
Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder
fahrlässig:
a) gegen Artikel 85 Absatz (1) ... verstoßen,
b) ...
Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der
Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“
122.
Die Rechtsmittelführerin wirft dem Gericht erstens vor, die mildernden und strafschärfenden
Umstände der Zuwiderhandlungen rechtsfehlerhaft gewürdigt zu haben. Das Gericht sei zu Unrecht
davon ausgegangen, daß die Kommission eine individuelle Abwägung der Kriterien für die Bestimmung
der Schwere der Zuwiderhandlungen vorgenommen habe. Insbesondere hätten sowohl die
Kommission als auch das Gericht bei der Festsetzung der Geldbuße ihre Beteiligung am
Strukturkrisenkartell als einen strafschärfenden Umstand berücksichtigt. Außerdem sei die gegen sie
verhängte Geldbuße unverhältnismäßig, da verschiedenen Milderungsgründen nicht Rechnung
getragen worden sei.
123.
Die Kommission entgegnet, diese Rüge sei unzulässig, da sie darauf hinauslaufe, die von der
Rechtsmittelführerin vor dem Gericht dargelegten Argumente wiederaufzugreifen. Was das deutsche
Strukturkrisenkartell angehe, so habe das Gericht die in der Entscheidung getroffene Wahl
gerechtfertigt, das Bestehen dieses Kartells nicht als einen mildernden Umstand zugunsten der
Rechtsmittelführerin anzusehen.
124.
Zweitens trägt die Rechtsmittelführerin vor, es sei nicht berücksichtigt worden, daß sie sich über
die Rechtswidrigkeit des deutschen Strukturkrisenkartells und der zu seinem Schutz durchgeführten
Maßnahmen im Irrtum befunden habe.
125.
Die Kommission hält diese Rüge für unzulässig, da sie erstmals im Rechtsmittelverfahren erhoben
werde.
126.
Schließlich beantragt die Rechtsmittelführerin hilfsweise die Herabsetzung der Geldbuße auf einen
angemessenen Betrag.
127.
Die Kommission bemerkt, daß es nicht Sache des Gerichtshofes sei, aus Gründen der Billigkeit die
vom Gericht vorgenommene Beurteilung durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.
128.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß allein das Gericht zuständig ist, die Art und Weise, wie die
Kommission im Einzelfall die Schwere der rechtswidrigen Verhaltensweisen beurteilt hat, zu
überprüfen. Im Rechtsmittelverfahren richtet sich die Kontrolle durch den Gerichtshof zum einen
darauf, inwieweit das Gericht rechtlich korrekt alle Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung
der Schwere eines bestimmten Verhaltens anhand des Artikels 85 des Vertrages und des Artikels 15
der Verordnung Nr. 17 von Bedeutung sind, und zum anderen darauf, zu prüfen, ob das Gericht auf
alle von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Argumente für eine Aufhebung oder Herabsetzung
der Geldbuße rechtlich hinreichend eingegangen ist (vgl. zu letzterem Urteil vom 17. Juli 1997 in der
Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I-4411, Randnr. 31).
129.
Was die Rüge angeht, die Geldbuße sei unverhältnismäßig, so ist es nicht Sache des Gerichtshofes,
bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts,
das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen
Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbußen
entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen (vgl. Urteile BPB
Industries und British Gypsum/Kommission, Randnr. 34, und Ferriere Nord/Kommission, Randnr. 31).
Diese Rüge ist daher unzulässig, soweit sie eine generelle erneute Überprüfung der Geldbußen
bezweckt und hilfsweise auf deren Herabsetzung auf einen angemessenen Betrag abzielt. Das gleiche
gilt, wie der Generalanwalt in Nummer 286 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, für die von der
Rechtsmittelführerin vor dem Gericht nicht erhobenen Rüge, mit der sie ihren angeblichen Irrtum über
den rechtswidrigen Charakter der zur Verteidigung des deutschen Strukturkrisenkartells bestimmten
Verhaltensweisen geltend macht.
130.
Zur Rüge einer fehlenden Abwägung zwischen mildernden und strafschärfenden Umständen genügt
zunächst die Feststellung, daß das angefochtene Urteil die Zuwiderhandlungen der
Rechtsmittelführerin kurz wiedergibt und ihr Verhalten sowie ihre Rolle beim Zustandekommen oder
Funktionieren jeder einzelnen Absprache individualisiert.
131.
Sodann hat das Gericht in Randnummer 146 des angefochtenen Urteils ausgeführt, daß der
Rechtsmittelführerin mit der Entscheidung insgesamt gesehen die erforderlichen Angaben mitgeteilt
worden seien, so daß diese die verschiedenen Zuwiderhandlungen, die ihr vorgeworfen worden seien,
sowie die spezifischen Umstände ihres Verhaltens, insbesondere auch die in bezug auf die Dauer ihrer
Beteiligung an den verschiedenen Zuwiderhandlungen, habe erkennen können. Das Gericht hat
außerdem festgestellt, daß die Kommission in dem die rechtliche Beurteilung enthaltenden Teil der
Entscheidung die verschiedenen Kriterien für die
Bewertung der Schwere der der Rechtsmittelführerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen und die
verschiedenen Umstände, die die wirtschaftlichen Folgen der Zuwiderhandlungen abgeschwächt
hätten, dargelegt habe.
132.
Außerdem hat das Gericht bezüglich der zu Lasten der Rechtsmittelführerin berücksichtigten
erschwerenden Umstände in Randnummer 149 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die
Rechtsmittelführerin nichts vorgebracht habe, was die Beweise widerlegen könnte, die die Kommission
vorgelegt habe, um die aktive Rolle zu belegen, die die Rechtsmittelführerin bei den Absprachen
gespielt habe. Wie der Generalanwalt in Nummer 268 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, hat sich
das Gericht auf bestimmte Passagen aus der streitigen Entscheidung bezogen, in denen
Verhaltensweisen der Rechtsmittelführerin geschildert werden, die geeignet sind, eine größere
Strenge bei der Festsetzung der verhängten Sanktion zu rechtfertigen. In diesen Ausführungen hat
die Kommission gleichzeitig die Rolle der Rechtsmittelführerin als treibende Kraft bei den
Zuwiderhandlungen und das Eingreifen von Herrn Müller in seiner dreifachen Eigenschaft als
Vorsitzender der Geschäftsleitung der Rechtsmittelführerin, Vertreter des deutschen
Strukturkrisenkartells und Vorsitzender des Fachverbands Betonstahlmatten hervorgehoben. In Punkt
207 der Entscheidung hat die Kommission erklärt, daß gegen Unternehmen, deren leitende
Persönlichkeiten in Unternehmensvereinigungen wie dem Fachverband Betonstahlmatten leitende
Stellungen und wichtige Funktionen innehätten, höhere Geldbußen als gegen die übrigen
Unternehmen festgesetzt werden müßten.
133.
Was die nachteilige Berücksichtigung der Beteiligung der Rechtsmittelführerin am
Strukturkrisenkartell angeht, so genügt die Feststellung, daß das Gericht, da gegen die
Rechtsmittelführerin eine Sanktion wegen Absprachen verhängt wurde, die nicht untrennbar mit der
Bildung des Kartells verbunden waren und die den deutschen Markt vor unkontrollierten Einfuhren aus
anderen Mitgliedstaaten schützen sollten, zu Recht davon ausgehen konnte, daß das Bestehen
dieses genehmigten Kartells nicht als genereller mildernder Umstand im Hinblick auf diese
Handlungen der Rechtsmittelführerin angesehen werden konnte, die aufgrund der Funktionen des
Vorsitzenden ihrer Geschäftsleitung insoweit eine besondere Verantwortung auf sich genommen
hatte.
134.
Was schließlich das Vorliegen von Milderungsgründen im einzelnen betrifft, so trägt die
Rechtsmittelführerin vor, das Gericht habe verschiedene derartige Umstände unberücksichtigt
gelassen. So hätten die Kommission und das Gericht die gegen sie verhängte Geldbuße auf der
Grundlage ihres Gesamtumsatzes berechnet anstatt anhand des Umsatzes, der sich aus den
Absprachen ergeben habe. Die Rechtsmittelführerin macht außerdem einen Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz geltend, der in der unverhältnismäßigen Höhe der gegen sie verhängten
Geldbuße im Vergleich mit den anderen Geldbußen bestehe. Außerdem wendet sie sich dagegen, daß
das Gericht bei der Festsetzung der Geldbuße ihren Anteil am deutschen Markt berücksichtigt habe,
weil die
finanziellen Ressourcen eines Unternehmens nicht zwangsläufig seiner Marktposition entsprächen.
135.
Das Gericht hat in Randnummer 158 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Kommission
nicht den Gesamtumsatz der Rechtsmittelführerin, sondern nur den Umsatz an Betonstahlmatten in
den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft berücksichtigt und die 10%-Grenze nicht
überschritten habe; daher habe sie angesichts der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung
nicht gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verstoßen.
136.
In Randnummer 160 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zur Festsetzung der Höhe der
Geldbuße auf einen Prozentsatz von 3,15 des Umsatzes ausgeführt, daß bei der Rechtsmittelführerin,
der kein allgemeiner mildernder Umstand zugutekomme, — ebenso wie bei Tréfilunion — ein
erschwerender Umstand berücksichtigt worden sei, der der Anzahl und der Bedeutung der ihr zur Last
gelegten Zuwiderhandlungen entspreche.
137.
Sodann ist zu prüfen, ob das Gericht rechtlich korrekt die Anteile der Rechtsmittelführerin am
deutschen Markt berücksichtigt hat, als es in Randnummer 147 des angefochtenen Urteils unter
Hinweis darauf, daß die Rechtsmittelführerin das Unternehmen mit dem bei weitem größten Anteil am
deutschen Markt gewesen sei, festgestellt hat, daß die Kommission es zu Recht abgelehnt habe, bei
der Rechtsmittelführerin als mildernden Umstand zu berücksichtigen, daß sie keiner mächtigen
Wirtschaftseinheit angehört habe.
138.
Zu den Faktoren, anhand deren die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen ist, können die
Menge und der Wert der Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren, die Größe und die
Wirtschaftskraft des Unternehmens und folglich der Einfluß gehören, den das Unternehmen auf den
Markt ausüben konnte (vgl. Urteil vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique
Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 120).
139.
Daraus ergibt sich, daß bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des
Unternehmens, der — wenn auch nur annähernd und unvollständig — etwas über dessen Größe und
Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden dürfen, der mit den
Waren erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit
einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann (vgl. Urteil Musique Diffusion
française u. a./Kommission, Randnr. 121). Die Marktanteile eines Unternehmens können zwar nicht
entscheidend sein für die Schlußfolgerung, daß ein Unternehmen einer mächtigen Wirtschaftseinheit
angehört, doch sind sie relevant für die Bestimmung des Einflusses, den das Unternehmen auf den
Markt ausüben konnte.
140.
Daher ist diese Rüge zurückzuweisen.
Zu den Folgen der Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin die Höhe der
Geldbuße festgesetzt wird
141.
In Anbetracht aller Umstände des vorliegenden Falles ist der Gerichtshof der Ansicht, daß ein
Betrag von 50 000 ECU einen angemessenen Ausgleich für die überlange Dauer des Verfahrens
darstellt.
142.
Demzufolge wird das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben, als darin die Höhe der Geldbuße
festgesetzt wird (siehe Randnr. 48 des vorliegenden Urteils); der Gerichtshof entscheidet gemäß
Artikel 54 seiner Satzung den Rechtsstreit endgültig und setzt die Geldbuße auf 2 950 000 ECU fest.
143.
Im übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
Kosten
144.
Gemäß Artikel 122 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das
Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet. Nach Artikel 69 § 2,
der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die
unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 kann der
Gerichtshof jedoch die Kosten teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die
Kommission teils unterlegen ist, während die Rechtsmittelführerin im übrigen unterlegen ist, ist zu
beschließen, daß die Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten und drei Viertel der Kosten der
Kommission trägt.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Punkt 2 des Tenors des Urteils des Gerichts erster Instanz vom 6. April 1995 in der
Rechtssache T-145/89 (Baustahlgewebe/Kommission) wird aufgehoben, soweit darin die
gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbuße auf 3 Millionen ECU festgesetzt
wird.
2. Die gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzte Geldbuße wird auf 2 950 000 ECU
festgesetzt.
3. Im übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
4. Die Rechtsmittelführerin trägt ihre eigenen Verfahrenskosten und drei Viertel der
Kosten der Kommission.
Rodríguez Iglesias
Puissochet
Hirsch
Mancini Moitinho de Almeida
Edward
Ragnemalm
Sevón
Wathelet Schintgen Ioannou
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Deutsch.