Urteil des EuGH vom 09.09.2004

EuGH: kommission, mitgliedstaat, verordnung, spanien, inhaber, registrierung, regierung, ärztliche kontrolle, fahrzeugführer, vereinigtes königreich

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
9. September 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 91/439/EWG – Führerschein – Gegenseitige
Anerkennung – Obligatorische Registrierung und obligatorischer Umtausch – Voraussetzungen für die
Verlängerung von Führerscheinen, die vor Umsetzung der Richtlinie ausgestellt wurden“
In der Rechtssache C-195/02
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG,
eingereicht am 27. Mai 2002,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
Königreich Spanien
Beklagter,
unterstützt durch
Königreich der Niederlande
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
im Beistand von A. Robertson, Barrister,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.‑P. Puissochet und R. Schintgen
(Berichterstatter) sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2004,
folgendes
Urteil
1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften festzustellen, dass das
Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1 Absatz 2 und 7 Absatz 1
Buchstabe a sowie Anhang I Nummer 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den
Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 96/47/EG des Rates vom 23. Juli 1996 (ABl. L 235,
S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439) verstoßen hat, dass es die Artikel 22 bis 24 und
25 Absatz 2 des Reglamento de conductores (Verordnung über Fahrzeugführer), verabschiedet durch das
Real Decreto (Königliche Verordnung) 772/1997 vom 30. Mai 1997 (BOE Nr. 135 vom 6. Juni 1997, S. 17348),
und die Siebte Übergangsbestimmung dieser Verordnung erlassen hat.
Rechtlicher Rahmen
2
Die erste Begründungserwägung der Richtlinie 91/439 lautet:
„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu
verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als
dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach
EG‑Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht
werden muss.“
3
Die neunte und die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie lauten wie folgt:
„Artikel 8 der Richtlinie 80/1263/EWG, insbesondere die Verpflichtung, den Führerschein bei einem Wechsel
des Staates des ordentlichen Wohnsitzes innerhalb eines Jahres umzutauschen, ist angesichts der
Fortschritte beim Zusammenwachsen Europas ein inakzeptables Hindernis für die Freizügigkeit.
Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die
Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung
einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem
Hoheitsgebiet begründet hat.“
4
Artikel 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser
Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus.
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
(3) Begründet der Inhaber eines gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann der Aufnahmemitgliedstaat seine
einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Führerscheins, der ärztlichen
Kontrolle und der steuerlichen Bestimmungen auf den Führerscheininhaber anwenden und auf dem
Führerschein die für die Verwaltung unerlässlichen Angaben eintragen.“
5
Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie sieht vor:
„Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab
a)
vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der
Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und
III“.
6
In Artikel 8 der Richtlinie 91/439 ist bestimmt:
„(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen
ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch
seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist Sache des umtauschenden
Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist.
(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der
Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug
oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein
erforderlichenfalls umtauschen.
(3) Der umtauschende Mitgliedstaat leitet den abgegebenen Führerschein an die zuständige Stelle des
Mitgliedstaats, der ihn ausgestellt hat, zurück und begründet dieses Verfahren im Einzelnen.
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem
anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2
genannten Maßnahmen angewendet wurde.
Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem
anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.
…“
7
Gemäß Artikel 9 der Richtlinie 91/439 gilt als „ordentlicher Wohnsitz“ der Ort, an dem ein
Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines
Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen
zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während
mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.
8
Nach Anhang I Nummer 2 der Richtlinie 91/439 hat der Führerschein sechs Seiten.
9
In Anhang I Nummer 4 der Richtlinie ist bestimmt:
„Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in
einen anderen Mitgliedstaat verlegt, so kann dieser Staat
auf Seite 6 die Wohnsitzänderung(en)
auf Seite 5 die für die Verwaltung des Führerscheins erforderlichen Angaben, z. B. Angaben über auf
seinem Hoheitsgebiet begangene schwere Verstöße,
eintragen lassen, sofern er derartige Eintragungen auch auf den von ihm ausgestellten Führerscheinen
vornehmen lässt und hierfür der erforderliche Platz zur Verfügung steht.“
10
Durch die Richtlinie 96/47, die am 18. September 1996 in Kraft trat, wurde der Richtlinie 91/439 ein Anhang
Ia angefügt. Dieser Anhang bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Führerscheine nach einem
festgelegten anderen Muster als es in Anhang I der Richtlinie 91/439 vorgesehen ist, auszustellen. Dieses
zweite Führerscheinmuster hat die Form einer Karte aus Polykarbonat, wie sie für Bank‑ und Kreditkarten
verwendet wird.
11
Nach Anhang Ia Nummer 2 hat dieses Führerscheinmuster zwei Seiten, wobei die Seite 2 der Aufnahme von
Angaben, die für die Verwaltung des Führerscheins unerlässlich sind, im Rahmen der Anwendung der
Nummer 3 Buchstabe a dieses Anhangs durch den Aufnahmemitgliedstaat vorbehalten ist.
12
Anhang Ia Nummer 3 Buchstabe a der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat gemäß diesem Anhang ausgestellten Führerscheins seinen
ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat genommen, so kann dieser Mitgliedstaat in den
Führerschein die für dessen Verwaltung unerlässlichen Angaben aufnehmen, sofern er dieselben Angaben
auch in die von ihm ausgestellten Führerscheine aufnimmt und sofern auf dem Führerschein genügend Platz
vorhanden ist.“
13
Die Richtlinie 91/439 wurde durch die Verordnung über Fahrzeugführer in das spanische Recht umgesetzt.
Die Artikel 21 bis 29 dieser Verordnung regeln die Gültigkeit der von den anderen Mitgliedstaaten
ausgestellten Führerscheine in Spanien.
14
Nach Artikel 21 der Verordnung über Fahrzeugführer behalten die von den anderen Mitgliedstaaten
ausgestellten Führerscheine gemäß der Gemeinschaftsregelung in Spanien ihre Gültigkeit unter den
Voraussetzungen, unter denen sie im Herkunftsmitgliedstaat ausgestellt worden sind, vorbehaltlich dessen,
dass das Mindestalter für das Führen eines Fahrzeugs dem Alter entspricht, das für die Ausstellung eines
gleichwertigen spanischen Führerscheins festgesetzt worden ist.
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Artikel 22 der Verordnung, der die Eintragung im Registro de Conductores e Infractores (Register der
Fahrzeugführer und der Zuwiderhandelnden) behandelt, bestimmt, dass der Inhaber eines von einem
anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, wenn er seinen ordentlichen Wohnsitz in Spanien nimmt
und ein Fahrzeug führt oder führen möchte, für die Eintragung der Angaben seines Führerscheins im
Register der Fahrzeugführer und der Zuwiderhandelnden über eine Frist von sechs Monaten ab dem
Zeitpunkt verfügt, zu dem er seinen Wohnsitz angemeldet oder die Anmeldebescheinigung erhalten hat.
Nach dieser Bestimmung trägt die zuständige Verwaltung im Führerschein alle Angaben ein, die für dessen
Verwaltung unerlässlich sind, insbesondere den Ort des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers dieses
Führerscheins.
16
Artikel 23 der Verordnung über Fahrzeugführer bestimmt:
„1. Ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Angaben des Führerscheins im Register hat sich der Inhaber des
Führerscheins innerhalb der Fristen, die in Artikel 16 dieser Verordnung für in Spanien ausgestellte
Führerscheine vorgesehen sind, der Prüfung seiner geistig‑körperlichen Eignung zu unterziehen.
2. Die Ergebnisse der Untersuchungen, auf die sich Absatz 1 bezieht, sind der Jefatura Provincial de
Tráfico (Provinzial‑Verkehrsbehörde) vorzulegen, die die Angaben zu den Akten nimmt und dem Betroffenen
den Zeitpunkt mitteilt, bis zu dem er sich der folgenden Untersuchung zu unterziehen und ebenfalls deren
Ergebnis vorzulegen hat; der Zeitpunkt ist in seinem Führerschein anzugeben.“
17
Nach Artikel 24 der Verordnung über Kraftfahrzeugführer „[berechtigen nicht zum] Führen eines Fahrzeugs in
Spanien …:
a) Führerscheine, deren Inhaber die Verpflichtung zur Anmeldung seiner Daten bei einer Jefatura
Provincial de Tráfico zur Anmeldung gemäß Artikel 22 dieser Verordnung verletzt hat, bis zum Zeitpunkt, zu
dem er diese Anmeldung vornimmt;
b) Führerscheine, deren Inhaber sich der Prüfung seiner geistig‑körperlichen Eignung nicht innerhalb der
von der zuständigen Jefatura Provincial de Tráfico angegebenen Frist unterzogen hat, bis zu dem Zeitpunkt,
zu dem er dies nachholt. Sind seit dem Zeitpunkt, zu dem er verpflichtet gewesen wäre, sich der letzten
Prüfung zu unterziehen, mehr als vier Jahre vergangen, so ist der Führerschein nicht mehr für das Führen
eines Fahrzeugs in Spanien gültig; dies ist im Führerschein und im Register zu vermerken;
c) Führerscheine, deren Inhaber die erwähnte Prüfung nicht besteht; diese Angabe ist ebenfalls im
Führerschein und im Register zu vermerken;
d) Führerscheine, deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist.“
18
Nach Artikel 25 Absatz 2 der Verordnung über Kraftfahrzeugführer tauscht „[d]ie Jefatura Provincial de
Tráfico … einen Führerschein von Amts wegen um, wenn es aufgrund von dessen Beschaffenheit, der
Ausschöpfung von leeren Stellen auf diesem oder sonstigen Umständen unmöglich geworden ist, die für
dessen Verwaltung unerlässlichen Angaben gemäß Artikel 23 dieser Verordnung aufzunehmen“.
19
Die Siebte Übergangsbestimmung der Verordnung bestimmt unter dem Titel „Geistig‑körperliche Eignung“:
„Innerhalb der Frist von vier Jahren gemäß Artikel 17.3 dieser Verordnung, berechnet ab ihrem Inkrafttreten,
können Inhaber von Führerscheinen, die diese nicht verlängern lassen konnten, weil sie nicht die in den
Anhängen I und II des Real Decreto 2272/1985 vom 4. Dezember 1985 geregelte geistig‑körperliche Eignung
besaßen, diese Führerscheine verlängern lassen, sofern sie einen entsprechenden Antrag stellen und
nachweisen, dass sie die in Anhang IV dieser Verordnung geregelte geistig‑körperliche Eignung besitzen und
sofern nicht mehr als die doppelte Geltungszeit des abgelaufenen Führerscheins, berechnet ab dessen
Ausstellung oder letzter Verlängerung, verstrichen ist.
Die Inhaber eines vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung erworbenen Führerscheins, die bei der
Beantragung der Verlängerung der Gültigkeitsdauer ihres Führerscheins nicht die in Anhang IV dieser
Verordnung geregelte geistig‑körperliche Eignung besaßen, können die Verlängerung erhalten, wenn sie
einen entsprechenden Antrag stellen und nachweisen, dass sie die in den Anhängen I und II des Real
Decreto 2272/1985 vom 4. Dezember 1985 geregelte Eignung besitzen.“
Das vorgerichtliche Verfahren
20
Nach einem Schriftwechsel mit der spanischen Regierung gelangte die Kommission zu der Ansicht, dass das
Königreich Spanien seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/439 verletzt habe, und setzte ihm mit
Schreiben vom 27. Oktober 1999 eine Frist zur Äußerung binnen zwei Monaten.
21
Da die Kommission von den Erklärungen der spanischen Regierung nicht überzeugt war, gab sie am 26. Juli
2001 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der dieser Mitgliedstaat aufgefordert wurde, die
notwendigen Maßnahmen zu erlassen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten ab ihrer Zustellung
nachzukommen.
22
Nachdem die spanische Regierung der Kommission mitgeteilt hatte, dass sie ihren Standpunkt
aufrechterhalte, beschloss diese, die vorliegende Klage zu erheben.
23
Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 10. Oktober 2002 sind das Königreich der
Niederlande sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur
Unterstützung der Anträge des Königreichs Spanien in der vorliegenden Rechtssache zugelassen worden.
Nur die Regierung des Vereinigten Königreichs hat einen Streithilfeschriftsatz eingereicht.
Zur Zulässigkeit der Streithilfe des Vereinigten Königreichs
24
Die Kommission erhebt die Einrede der Unzulässigkeit der Anträge aus dem Streithilfeschriftsatz des
Vereinigten Königreichs mit der Begründung, dass dieser Staat nur teilweise das Königreich Spanien
unterstütze, denn seine Anträge bezögen sich nur auf die erste der drei Rügen, die die Kommission erhebe,
und fügten sich nicht eindeutig in die Systematik des Verteidigungsvorbringens des Königreichs Spanien ein.
25
Die Regierung des Vereinigten Königreichs erwidert, dass die von der Kommission erhobene Einrede
unzulässig sei. Der Standpunkt der Kommission beruhe auf einer falschen Auslegung der Rechtsprechung
und einer oberflächlichen Lektüre ihres Streithilfeschriftsatzes.
26
Nach Artikel 40 Absatz 4 der Satzung des Gerichtshofes können mit „den aufgrund des Beitritts gestellten
Anträgen … nur die Anträge einer Partei unterstützt werden“.
27
Zwar stützt sich, wie die Kommission ausgeführt hat, die Streithilfe des Vereinigten Königreichs auf
Vorbringen, das teilweise von demjenigen der spanischen Regierung abweicht, doch soll mit der
Argumentation der Regierung des Vereinigten Königreichs wie mit derjenigen der spanischen Regierung
dargetan werden, dass die Klage der Kommission abzuweisen sei.
28
Daher ist festzustellen, dass mit den Anträgen aus dem Streithilfeschriftsatz des Vereinigten Königreichs die
Anträge des Königreichs Spanien unterstützt werden sollen.
29
Ferner ergibt sich entgegen den Ausführungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung aus dem
Urteil vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91 (Kommission/Rat, Slg. 1993, I‑939) nicht, dass der
Umstand, dass sich die Streithilfeschrift des Vereinigten Königreichs nur auf eine der drei Rügen bezieht, auf
die die Klage gestützt wird, diese Streithilfe unzulässig macht.
30
Denn aus dem Urteil Kommission/Rat geht hervor, dass die Anträge aus dem Streithilfeschriftsatz in dieser
Rechtssache auf Nichtigerklärung eines bestimmten Artikels einer Richtlinie aus Gründen gerichtet waren,
die nichts mit denen zu tun hatten, auf die sich die Klägerin für ihren Antrag auf Nichtigerklärung der
gesamten Richtlinie stützte, was den Gerichtshof zu der Entscheidung veranlasst hat, dass mit den Anträgen
des Streithelfers nicht die Anträge, zu deren Unterstützung sie gestellt worden waren, unterstützt wurden.
31
Im vorliegenden Fall sollen mit den Anträgen aus dem vom Vereinigten Königreich eingereichten
Streithilfeschriftsatz, wie aus Randnummer 28 dieses Urteils hervorgeht, gerade die Anträge des Beklagten
unterstützt werden.
32
Daher ist die von der Kommission gegen den Antrag des Vereinigten Königreichs auf Zulassung als
Streithelfer erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
Zur Klage
33
Die Kommission stützt ihre Klage auf drei Rügen, die erstens das Verfahren der Registrierung der von
anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine, zweitens den vorgeschriebenen Umtausch von
bestimmten dieser Führerscheine gegen einen spanischen Führerschein und drittens die Voraussetzungen
für die Erneuerung oder Verlängerung der vor der Umsetzung der Richtlinie 91/439 in das spanische Recht
ausgestellten Führerscheine betreffen.
34
Die spanische Regierung bestreitet die Zulässigkeit der dritten Rüge, da diese weder im Mahnschreiben
noch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhoben worden sei.
35
Die Kommission hat zu dieser Einrede der Unzulässigkeit nicht förmlich Stellung genommen.
36
Das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie ihre mit Gründen versehene
Stellungnahme grenzen den Streitgegenstand ab, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Denn
die Möglichkeit zur Äußerung stellt für den betreffenden Staat auch dann, wenn er meint, davon nicht
Gebrauch machen zu müssen, eine vom EG‑Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein
substanzielles Formerfordernis des Verfahrens zur Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats
ist. Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben
Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird (vgl.
insbesondere Urteile vom 29. September 1998 in der Rechtssache C‑191/91, Kommission/Deutschland, Slg.
1998, I‑5449, Randnr. 55, und vom 22. April 1999 in der Rechtssache C‑340/96, Kommission/Vereinigtes
Königreich, Slg. 1999, I‑2023, Randnr. 36).
37
Im vorliegenden Fall geht aus dem Mahnschreiben und der mit Gründen versehenen Stellungnahme hervor,
dass die Kommission im Vorverfahren eindeutig die Rüge erhoben hat, deren Zulässigkeit die spanische
Regierung bestreitet. Diese Feststellung wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass die spanische Regierung in
ihrer Antwort auf das Mahnschreiben Erläuterungen zu den Gründen gibt, die sie veranlasst haben, die
Bestimmungen, gegen die sich die Rüge richtet, zu erlassen.
38
Daher ist die von der spanischen Regierung gegen die dritte Rüge erhobene Einrede der Unzulässigkeit
zurückzuweisen.
Zur ersten Rüge
– Vorbringen der Beteiligten
39
Mit ihrer ersten Rüge legt die Kommission dem Königreich Spanien zur Last, es habe dadurch gegen den in
Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 niedergelegten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von
Führerscheinen verstoßen, dass es in den Artikeln 22 bis 24 der Verordnung über Fahrzeugführer ein
Verfahren der obligatorischen und systematischen Registrierung von in einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheinen eingeführt habe, deren Inhaber in Spanien ihren ordentlichen Wohnsitz
begründet hätten.
40
Die Registrierung der Führerscheine sei binnen sechs Monaten nach Anmeldung oder Bescheinigung der
Begründung des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers des Führerscheins in Spanien vorgeschrieben.
Erfolge keine solche Registrierung, so sei der Führerschein in Spanien nicht mehr gültig, da das Führen
eines Fahrzeugs mit einem solchen Führerschein als Führen ohne behördliche Erlaubnis betrachtet werde
und Verwaltungssanktionen sowie zivil‑, straf‑ und verwaltungsrechtliche Folgen nach sich ziehen könne.
41
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sei der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der
Führerscheine „ohne jede Formalität“ anzuwenden (Urteile vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache
C‑193/94, Skanavi und Chryssanthakopoulos, Slg. 1996, I‑929, Randnr. 26, und vom 29. Oktober 1998 in der
Rechtssache C‑230/97, Awoyemi, Slg. 1998, I‑6781, Randnr. 41). Da im vorliegenden Fall die Registrierung
eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins Bedingung für die gegenseitige
Anerkennung sei, stelle diese Registrierung ein Hemmnis für die Freizügigkeit dar. Der Umstand, dass die
spanischen Staatsangehörigen ebenfalls verpflichtet seien, ihren Führerschein registrieren zu lassen, sei in
diesem Zusammenhang unerheblich.
42
Zum anderen sei entgegen dem Vorbringen der spanischen Regierung die Registrierung nicht unerlässlich
für die Ausübung der Befugnis, die Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 91/439 den Mitgliedstaaten biete. Der
Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C‑390/99 (Canal Satélite Digital,
Slg. 2002, I‑607) entschieden, dass eine Regelung der obligatorischen Registrierung, mit der die Beachtung
der von einer Richtlinie geschaffenen Pflichten oder zugebilligten Befugnisse gewährleistet werden solle, nur
insoweit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, als mit ihr die vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten
gewahrt würden.
43
Die obligatorische und systematische Registrierung der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten
Führerscheine und die Verhängung besonders schwerer Sanktionen bei Verletzung dieser Pflicht stünden
offensichtlich außer Verhältnis zu dem Ziel, das das Königreich Spanien in Anwendung von Artikel 1 Absatz 3
der Richtlinie 91/439 verfolgen könne. Dieses Ziel könne nämlich beispielsweise durch Verkehrskontrollen
und durch die Unterrichtung der Inhaber von anderen Mitgliedstaaten ausgestellter Führerscheine über die
ihnen nach dem spanischen Recht obliegenden Pflichten in Bezug auf die Gültigkeitsdauer der
Führerscheine und die ärztliche Kontrolle erreicht werden.
44
Das im vorliegenden Verfahren in Rede stehende Registrierungsverfahren könne auch nicht mit Artikel 8
Absatz 2 der Richtlinie 91/439 gerechtfertigt werden, da die Wirksamkeit einer Regelung, die
Wiederholungstaten berücksichtige, durch eine Registrierung der Angaben des Führerscheins bei der
Feststellung der ersten Zuwiderhandlung gewährleistet werden könne.
45
Die spanische Regierung macht geltend, dass das im vorliegenden Verfahren in Rede stehende
Registrierungsverfahren nicht gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine in
Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 verstoße. Zwar müssten von anderen Mitgliedstaaten ausgestellte
Führerscheine registriert werden, doch müssten sich ihre Inhaber keinen zusätzlichen Prüfungen
unterziehen. Die Gültigkeit dieser Führerscheine werde damit anerkannt. Ferner seien die Inhaber eines von
einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht gezwungen, ihren Führerschein gegen einen
spanischen Führerschein umzutauschen. Da die im vorliegenden Fall in Rede stehende Regelung keinen
solchen obligatorischen Umtausch vorsehe, seien die vom Gerichtshof in seinen Urteilen Skanavi und
Chryssanthakopoulos sowie Awoyemi aufgestellten Grundsätze nicht übertragbar.
46
Nur durch die obligatorische Registrierung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheinen
könne die spanische Regierung ihren Verpflichtungen aus den Artikeln 1 Absatz 3 und 8 Absatz 2 der
Richtlinie 91/439 nachkommen.
47
Da die streitige Registrierung es den zuständigen Behörden erlaube, Kenntnis von allen in Spanien
ansässigen Fahrzeugführern zu erhalten, stelle sie eine Maßnahme dar, die unerlässlich sei, um die
Durchführung der nationalen Bestimmungen betreffend die ärztliche Kontrolle, die Gültigkeitsdauer der
Führerscheine und die Besteuerung zu gewährleisten sowie die gegen die Fahrzeugführer verhängten
Sanktionen zu überwachen. Daher lägen weder eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit noch andere als die
in der Richtlinie vorgesehenen Hemmnisse vor. Selbst unterstellt, die streitige Registrierung bilde ein
Hemmnis für die Freizügigkeit, so stünde sie doch auf alle Fälle im rechten Verhältnis zu dem mit der
Richtlinie verfolgten Ziel. Zudem sei entsprechend der Entscheidung des Gerichtshofes in seinem Urteil vom
21. März 2002 in der Rechtssache C‑451/99 (Cura Anlagen, Slg. 2002, I‑3193) die Registrierung als
notwendig anzusehen und erscheine als natürliche Folge der Ausübung der Zuständigkeiten, die die
Richtlinie 91/439 den Mitgliedstaaten gebe.
48
Schließlich werde mit der obligatorischen Registrierung der von den anderen Mitgliedstaaten ausgestellten
Führerscheine auch ein Ziel der Gleichbehandlung in Bezug auf die Kontrolle der notwendigen Befähigung
zum Führen eines Kraftfahrzeugs verfolgt. Dieses Ziel könne mit Verkehrskontrollen nicht erreicht werden, da
diese Kontrollen zufällig erfolgten. Sie könnten nur dann wirksam sein, wenn sie ständig erfolgten, was zum
einen unmöglich sei und zum anderen die Freizügigkeit beeinträchtigen würde.
49
Die Regierung des Vereinigten Königreichs führt zunächst aus, wenn die Kommission die Zulässigkeit eines
Registrierungssystems anerkenne, müsse sie auch einräumen, dass die Verletzung der Registrierungspflicht
mit einer Sanktion belegt werde. Allerdings müsse diese Sanktion dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entsprechen.
50
In Ermangelung aller anderen Mittel zur Gewinnung von zutreffenden Informationen in Bezug auf die Angaben
von Führerscheininhabern, die sich in einem Mitgliedstaat niedergelassen hätten, könne dieser
Mitgliedstaat, um von den ihm durch die Richtlinie 91/439 gebotenen Möglichkeiten Gebrauch machen zu
können, von diesen Inhabern verlangen, ihren Führerschein in ein Register eintragen zu lassen. Eine solche
Registrierung stehe im Übrigen mit den durch die Urteile vom 28. November 1978 in der Rechtssache 16/78
(Choquet, Slg. 1978, 2293) sowie Skanavi und Chryssanthakopoulos aufgestellten Grundsätzen im Einklang.
51
Schließlich genüge ein auf einer Übermittlung von Informationen über die Berechtigung zum Führen eines
Fahrzeugs mit einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein und auf
Verkehrskontrollen beruhendes System nicht, um die Einhaltung der nationalen Bestimmungen, die auf die
Inhaber dieser Führerscheine angewandt werden könnten, zu gewährleisten.
52
Die Unterrichtung des Inhabers eines Führerscheins über seine Verpflichtungen stehe nicht dem durch die
Registrierung ausgeübten Zwang gleich, diese einzuhalten. Alle Mitgliedstaaten, in denen keine Meldepflicht
bei einem Wohnsitzwechsel bestehe und die über kein sonstiges Datenidentifizierungssystem verfügten,
seien im Übrigen nicht in der Lage, eine solche Unterrichtung zu gewährleisten. Da ferner
Verkehrskontrollen, deren Wirksamkeit nicht ohne Beschränkung der Freizügigkeit erhöht werden könne,
weder systematisch noch wirksam seien und nur bei Zuwiderhandlungen stattfänden, verletzten sie den
Grundsatz der Gleichbehandlung.
– Würdigung durch den Gerichtshof
53
Was erstens den nach spanischem Recht vorgesehenen obligatorischen Charakter der Registrierung betrifft,
so ist daran zu erinnern, dass in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 der Grundsatz der gegenseitigen
Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheinen aufgestellt wird und dass diese
Anerkennung ohne jede Formalität erfolgen muss (vgl. u. a. Urteil vom 10. Juli 2003 in der Rechtssache
C‑246/00, Kommission/Niederlande, Slg. 2003, I‑7485, Randnr. 60).
54
Zudem handelt es sich bei der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine um eine
klare und unbedingte Verpflichtung, und die Mitgliedstaaten verfügen nicht über einen Ermessensspielraum
in Bezug auf die Maßnahmen, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteil
Kommission/Niederlande, Randnr. 61).
55
Wie der Gerichtshof in Randnummer 62 seines Urteils Kommission/Niederlande entschieden hat, ist, sobald
die Registrierung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dadurch obligatorisch
wird, dass dem Inhaber dieses Führerscheins eine Sanktion droht, wenn er nach seiner Niederlassung im
Aufnahmemitgliedstaat ein Fahrzeug führt, ohne dass er seinen Führerschein hat registrieren lassen, diese
Registrierung als Formalität im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes anzusehen und verstößt
demnach gegen Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439.
56
Im vorliegenden Fall begeht, wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat,
der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, der seinen ordentlichen
Wohnsitz seit mehr als sechs Monaten in Spanien hat und der ein Fahrzeug führt, ohne dass er diesen
Führerschein in diesem Mitgliedstaat hat registrieren lassen, eine Zuwiderhandlung, die mit einer Geldbuße
belegt ist. Somit stellt die Registrierung, auf die sich die Klage der Kommission bezieht, eine Formalität dar,
die gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439
verstößt.
57
Was die von der spanischen Regierung vorgebrachten Rechtfertigungsgründe angeht, ist zunächst zu
beachten, dass die Artikel 1 Absatz 3 und 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 entgegen der Ansicht dieser
Regierung keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsehen, sondern ihnen Befugnisse einräumen.
58
Wie der Gerichtshof in den Randnummern 68 und 69 des Urteils Kommission/Niederlande festgestellt hat, ist
die obligatorische Registrierung der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nicht
unerlässlich, um die Anwendung der nationalen Bestimmungen betreffend die ärztlichen Kontrollen, die
Gültigkeitsdauer und die Besteuerung zu gewährleisten, da ein auf Verkehrskontrollen und der
Unterrichtung der Inhaber der Führerscheine beruhendes System es ebenfalls erlaubt, dieses Ziel zu
erreichen.
59
Zum einen hindert nämlich der Umstand, dass ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter
Führerschein im Aufnahmemitgliedstaat nicht registriert ist, die zuständigen Behörden des letztgenannten
Staates nicht daran, bei Verkehrskontrollen die nationalen Bestimmungen betreffend die Gültigkeitsdauer
der Führerscheine korrekt anzuwenden, indem sie die nach diesen Bestimmungen vorgesehene
Gültigkeitsdauer zu dem im Führerschein angegebenen Ausstellungsdatum hinzurechnen (vgl. in diesem
Sinne Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 68, und Beschluss vom 29. Januar 2004 in der Rechtssache
C‑253/01, Krüger, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 27).
60
Zum anderen obliegt es dem Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, der seinen
ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat nimmt, der von der in Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie
91/439 vorgesehenen Befugnis Gebrauch gemacht hat, den Nachweis zu erbringen, dass er die
Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats betreffend die ärztliche Kontrolle und die Erneuerung des
Führerscheins beachtet hat. Es würde daher genügen, die Inhaber der von anderen Mitgliedstaaten
ausgestellten Führerscheine von ihren Verpflichtungen nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats zu
unterrichten, wenn sie die für ihre Niederlassung in diesem Staat erforderlichen Schritte unternehmen, und
die bei Nichtbeachtung der in Rede stehenden Bestimmungen vorgesehenen Sanktionen anzuwenden (vgl.
in diesem Sinne Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 69, und Beschluss Krüger, Randnrn. 28 und 34).
61
Allerdings hindert das Gemeinschaftsrecht den Aufnahmemitgliedstaat nicht daran, dem Inhaber eines von
einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins eine freiwillige Registrierung dieses Führerscheins
mit der – für ihn günstigen – Folge anzubieten, dass er beispielsweise zur ärztlichen Kontrolle geladen wird
und so weniger Gefahr läuft, aus Unachtsamkeit gegen das Recht des Aufnahmemitgliedstaats zu
verstoßen.
62
Ferner ist, wie der Generalanwalt in Nummer 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die obligatorische
und systematische Registrierung der von den anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine im
Aufnahmemitgliedstaat auch nicht unerlässlich, um die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats in die Lage zu
versetzen, ihre nationalen Bestimmungen über die Einschränkung, die Aussetzung, den Entzug oder die
Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden und hierfür erforderlichenfalls den Führerschein umzutauschen.
63
Denn bei der ersten Zuwiderhandlung im Aufnahmemitgliedstaat, die zur Anwendung dieser Bestimmungen
führen kann, können die zuständigen Behörden dieses Staates die Angaben im Führerschein des
Fahrzeugführers, der die Zuwiderhandlung begangen hat, registrieren. So verfügen sie bei späteren
Zuwiderhandlungen dieses Fahrzeugführers über die erforderlichen Informationen, um gegebenenfalls den
Führerschein unmittelbar zu entziehen oder eine andere in den nationalen Bestimmungen im Sinne von
Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Maßnahme zu ergreifen. Nichts hindert auch die
Behörden des Aufnahmemitgliedstaats daran, dass sie, um bei der Anwendung dieser Bestimmungen im
Mitgliedstaat, der den Führerschein ausgestellt hat, begangene Zuwiderhandlungen zu berücksichtigen, im
Rahmen des gegenseitigen Beistands und des Informationsaustauschs, die in Artikel 12 Absatz 3 dieser
Richtlinie geregelt sind, die Behörden des Mitgliedstaats, der den Führerschein ausgestellt hat, um
Auskünfte ersuchen.
64
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von der Kommission befürworteten Verkehrskontrollen
durchgeführt werden können, ohne die Freizügigkeit oder den Gleichheitssatz zu verletzen. Entgegen der
Ansicht der spanischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs kann es grundsätzlich
nicht als gegen den Vertrag verstoßende Beschränkung der Freizügigkeit betrachtet werden, wenn der
Führer eines Fahrzeugs während der Dauer dieser Kontrolle zeitweise angehalten wird. Zum anderen
bedeutet der Umstand, dass die Verkehrskontrollen punktuell durchgeführt werden, nicht, dass der
Gleichheitssatz verletzt würde.
65
Daher ist festzustellen, dass die erste Rüge der Kommission begründet ist.
Zur zweiten Rüge
– Vorbringen der Beteiligten
66
Mit ihrer zweiten Rüge legt die Kommission dem Königreich Spanien zur Last, es habe dadurch gegen Anhang
I Nummer 4 der Richtlinie 91/439 verstoßen, dass es in Artikel 25 Absatz 2 der Verordnung über
Fahrzeugführer den Umtausch eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins gegen
einen spanischen Führerschein vorgeschrieben habe, wenn auf dem Führerschein nicht mehr genug Platz
sei, um die für seine Verwaltung unerlässlichen Angaben einzutragen.
67
Nach Ansicht der Kommission ist die Möglichkeit, in einen Führerschein neue Angaben einzutragen, durch
die Richtlinie 91/439 eng begrenzt, die insoweit ein Diskriminierungsverbot aufstelle und sie davon abhängig
mache, dass auf dem Führerschein der hierfür nötige Platz vorhanden sei. Weder Artikel 8, der einen
Umtausch der Führerscheine regele, noch eine andere Bestimmung dieser Richtlinie sähen die Pflicht vor,
einen Führerschein umzutauschen, falls es an dem erwähnten nötigen Platz fehle. Da die Richtlinie 91/439
den Umtausch der Führerscheine erschöpfend regele, stehe sie einer Umtauschpflicht wie im vorliegenden
Fall entgegen.
68
Nach Ansicht der spanischen Regierung lässt sich, da die Richtlinie 91/439 den Mitgliedstaaten das Recht
gebe, in die von den anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine bestimmte Angaben einzutragen,
die Ansicht nicht halten, dass diese Befugnis dadurch entfalle, dass der für diese Angaben vorgesehene
Platz auf den Führerscheinen fehle. Der obligatorische Umtausch sei daher unerlässlich, um es den
nationalen Behörden zu ermöglichen, von ihrem Recht, diese Angaben in diese Führerscheine einzutragen,
Gebrauch zu machen. Denn dieses Recht könne nicht durch praktische Fragen wie das Format des
betreffenden Führerscheins oder das Verhalten seines Inhabers begrenzt werden. Fände kein
automatischer Umtausch statt, so würde die Ausübung der durch Anhang I Nummer 4 der Richtlinie 91/439
gebotenen Befugnis zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes führen, da die Fahrzeugführer unterschiedlich
behandelt würden, je nachdem, ob ihr Führerschein die Eintragung der zusätzlichen Angaben zulasse oder
nicht. Jedenfalls entstehe dem Inhaber eines solchen Führerscheins durch dessen Umtausch gegen einen
neuen spanischen Führerschein kein Nachteil.
– Würdigung durch den Gerichtshof
69
Die Befugnis, die Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 91/439 dem Aufnahmestaat gibt, in einen von einem
anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die für dessen Verwaltung unerlässlichen Angaben
einzutragen, unterliegt, wie aus Anhang I Nummer 4 der Richtlinie 91/439 hervorgeht, ausdrücklich der
Voraussetzung, dass hierfür der erforderliche Platz auf diesem Führerschein zur Verfügung steht.
70
Der Umtausch eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, wenn auf diesem
Führerschein kein Platz mehr für die für seine Verwaltung unerlässlichen Angaben vorhanden ist, ist nicht mit
der Richtlinie 91/439 vereinbar, denn er ist nicht in der erschöpfenden Aufzählung der zulässigen Fälle des
Umtauschs in Artikel 8 dieser Richtlinie aufgeführt.
71
In Anbetracht dieser Feststellung und des Umstands, dass nach der Rechtsprechung die Artikel 1 Absatz 2
und 8 Absatz 1 der Richtlinie 91/439 in Verbindung mit der neunten Begründungserwägung dieser Richtlinie
es den Mitgliedstaaten u. a. verbieten, den Umtausch der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten
Führerscheine zu verlangen (vgl. insbesondere Beschluss Krüger, Randnr. 30), ist ein Umtausch, wie er in
Artikel 25 Absatz 2 der Verordnung über Fahrzeugführer vorgesehen ist, mit der Richtlinie 91/439,
insbesondere Anhang I Nummer 4, unvereinbar.
72
Somit ist die zweite Rüge der Kommission ebenfalls begründet.
Zur dritten Rüge
– Vorbringen der Beteiligten
73
Mit ihrer dritten Rüge legt die Kommission Spanien zur Last, gegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der
Richtlinie 91/439 dadurch verstoßen zu haben, dass es in der Siebten Übergangsbestimmung der
Verordnung über Fahrzeugführer vorgesehen habe, dass die Inhaber eines nach der vor Inkrafttreten der
Richtlinie 91/439 geltenden Regelung ausgestellten Führerscheins das Recht auf Erneuerung dieses
Führerscheins hätten, sofern die in dieser Regelung vorgesehenen Mindestanforderungen erfüllt seien.
74
Die Siebte Übergangsbestimmung der Verordnung über Fahrzeugführer billige damit den Inhabern dieser
Führerscheine ein in der Richtlinie 91/439, nach deren Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a und Anhang III die in
ihr festgelegten Anforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit bei jeder
Erneuerung eines Führerscheins erfüllt sein müssten, nicht vorgesehenes wohlerworbenes Recht zu.
75
Entgegen der Ansicht der spanischen Regierung beruhe der Umstand, dass die Richtlinie 91/439 keine
wohlerworbenen Rechte anerkenne, nicht auf einem Versehen, und diese Richtlinie verstoße nicht gegen
den Grundsatz des Verbotes der Rückwirkung von Gesetzen, da sie nur auf die künftigen Wirkungen der
Führerscheine Anwendung finde. Jedenfalls könne die spanische Regierung im Rahmen eines
Vertragsverletzungsverfahrens nicht die Rechtswidrigkeit der Richtlinie rügen, deren Verletzung die
Kommission ihr zur Last lege.
76
Die spanische Regierung führt aus, die Siebte Übergangsbestimmung der Verordnung über Fahrzeugführer
sehe die rückwirkende Anwendung der gegenwärtig geltenden Regelung vor, wenn diese günstiger sei als
die frühere Regelung, und im umgekehrten Fall die Beibehaltung der früheren Bedingungen für
Führerscheine, die nach der früheren Regelung erworben worden seien. Diese Maßnahme, deren
Anwendungsbereich begrenzt sei, sei unerlässlich, damit nicht gegen den Grundsatz der Wahrung
wohlerworbener Rechte und das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstoßen werde, die weniger
günstige Sanktionen vorsähen oder individuelle Rechte beschränkten. Im Übrigen sei nach nationalem Recht
eine Verordnungsbestimmung, die nicht die nach einer Bestimmung mit Gesetzesrang erworbenen Rechte
anerkenne, rechtswidrig, so dass ausgeschlossen sei, dass die Verordnung über Fahrzeugführer dem
Inhaber eines Führerscheins, der die in der vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 91/439 geltenden nationalen
Regelung vorgesehenen medizinischen Voraussetzungen erfülle, die Verlängerung seines Führerscheins
verweigere.
– Würdigung durch den Gerichtshof
77
Aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 91/439, auf den diese
Bestimmung verweist, ergibt sich, dass die Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und
geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeugs, die in dieser Richtlinie vorgesehen sind, für jeden
Antragsteller auf Ausstellung oder Erneuerung eines Führerscheins gelten.
78
Da die Richtlinie 91/439 nicht zwischen der Erneuerung der nach ihrem Inkrafttreten und der Erneuerung der
vor diesem Zeitpunkt ausgestellten Führerscheine unterscheidet, ist eine solche Unterscheidung mit dieser
Richtlinie unvereinbar.
79
Dieses Ergebnis wird durch die Feststellung bestätigt, dass die vom Königreich Spanien vertretene
Auslegung den von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 91/439 verfolgten Zweck, die Sicherheit im
Straßenverkehr zu verbessern, dadurch vereiteln würde, dass sie es einer großen Zahl von Inhabern eines
Führerscheins erlauben würde, weiterhin einen Führerschein zu verwenden, der nach einer Regelung
ausgestellt worden ist, die nicht die von der Richtlinie 91/439 festgelegten Mindestanforderungen erfüllt.
80
Da im vorliegenden Fall feststeht, dass die Siebte Übergangsbestimmung der Verordnung über
Fahrzeugführer es gerade den Inhabern eines vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 91/439 ausgestellten
Führerscheins ermöglicht, diesen Führerschein erneuern zu lassen, ohne dass sie die in dieser Richtlinie
vorgesehenen Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit erfüllen
müssen, verstößt diese Bestimmung gegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 91/439.
81
Dieser Verstoß kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass nationale Bestimmungen es nicht
zuließen, die Erneuerung eines vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 91/439 ausgestellten Führerscheins
davon abhängig zu machen, dass dessen Inhaber die von dieser Richtlinie festgelegten Anforderungen
erfüllt.
82
Denn nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder
Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie
festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. u. a. Urteil vom 27. November 2003 in der
Rechtssache C‑66/03, Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 12).
83
Daher ist die dritte Rüge der Kommission ebenfalls begründet.
84
Nach allem ist festzustellen, dass das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den
Artikeln 1 Absatz 2 und 7 Absatz 1 Buchstabe a sowie Anhang I Nummer 4 der Richtlinie 91/439 verstoßen
hat, dass es die Artikel 22 bis 24 und 25 Absatz 2 der Verordnung über Kraftfahrzeugführer sowie die Siebte
Übergangsbestimmung dieser Verordnung erlassen hat.
Kosten
85
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu
verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs Spanien beantragt hat und dieses mit
seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Das Königreich der Niederlande und
das Vereinigte Königreich, die dem Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des
Königreichs Spanien beigetreten sind, tragen nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung ihre
eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1.
Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 1
Absatz 2 und 7 Absatz 1 Buchstabe a sowie Anhang I Nummer 4 der Richtlinie 91/439/EWG
des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 96/47/EG des
Rates vom 23. Juli 1996 geänderten Fassung verstoßen, dass es die Artikel 22 bis 24 und 25
Absatz 2 des Reglamento de conductores (Verordnung über Kraftfahrzeugführer) vom 30.
Mai 1997 sowie die Siebte Übergangsbestimmung dieser Verordnung erlassen hat.
2.
Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.
3.
Das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien und
Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Spanisch.