Urteil des EuGH vom 28.01.1999

EuGH: auswärtige angelegenheiten, niederlande, mitgliedstaat, regierung, verbringen, kommission, bemessungsgrundlage, verkehr, ergänzung, anwendungsbereich

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
28. Januar 1999
„Vierter Teil des EG-Vertrags — Artikel 227 EG-Vertrag — Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG — Gegenstand, der sich in den überseeischen Ländern und Gebieten im freien
Verkehr befindet“
In der Rechtssache C-181/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande)
in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
A. J. van der Kooy
gegen
Staatssecretaris van Financiën
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 132 Absatz 1 und 227 EG-
Vertrag sowie des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.
Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern —
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des
gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die
Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C.
Gulmann, D. A. O. Edward (Berichterstatter) und M. Wathelet,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— von Herrn Van der Kooy, vertreten durch die Steuerberater G. J. Jansen und G. J. van Slooten,
— der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers, stellvertretender Rechtsberater im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für
Rechtsfragen des Außenministeriums, und A. de Bourgoing, Chargé de mission in derselben Direktion, als
Bevollmächtigte,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Fierstra,
Hilfsrechtsberater im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der französischen
Regierung, vertreten durch A. de Bourgoing, und der Kommission, vertreten durch P. van Nuffel, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 12. März 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 1998,
folgendes
Urteil
1.
Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 7. Mai 1997, beim Gerichtshof eingegangen am
9. Mai 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 132 Absatz 1
und 227 EG-Vertrag sowie des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) in der Fassung der Richtlinie
91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der
Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich im Zusammenhang mit einer Klage, die Herr Van der Kooy (im folgenden: der
Kläger) gegen den Mehrwertsteuerbescheid erhoben hat, den die niederländische Finanzverwaltung
ihm gegenüber wegen der Einfuhr eines Schiffes aus den Niederländischen Antillen erlassen hatte.
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 227 des Vertrages legt den räumlichen Geltungsbereich des Vertrages fest, indem er in
Absatz 1 die Mitgliedstaaten aufführt, zu denen das Königreich der Niederlande gehört. Die
Niederländischen Antillen sind Teil dieses Königreichs.
4.
In Abweichung von Artikel 227 des Vertrages hatte die Regierung des Königreichs der Niederlande
durch das „Protokoll über die Anwendung des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft auf die außereuropäischen Teile des Königreichs der Niederlande“ vom 25.
März 1957 das Recht erhalten, den Vertrag nur für das Königreich in Europa und Niederländisch-
Neuguinea zu ratifizieren.
5.
Artikel 227 Absatz 3 Unterabsatz 1 des Vertrages bestimmt: „Für die in Anhang IV zu diesem Vertrag
aufgeführten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete gilt das besondere Assoziierungssystem, das
im Vierten Teil dieses Vertrages festgelegt ist.“
6.
Ursprünglich waren die Niederländischen Antillen nicht in dieser Liste enthalten. Sie wurden durch
das Abkommen 64/533/EWG vom 13. November 1962 über die Änderung des Vertrages zur Gründung
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Ziel, daß die in Teil IV dieses Vertrages
festgelegte besondere Assoziationsregelung auf die Niederländischen Antillen Anwendung findet (ABl.
1964, Nr. 150, S. 2414), das am 1. Oktober 1964 in Kraft trat, in die Liste aufgenommen.
7.
Der Vierte Teil des Vertrages trägt die Überschrift: „Die Assoziierung der überseeischen Länder und
Hoheitsgebiete“.
8.
Artikel 131 Absatz 1 EG-Vertrag bestimmt: „Die Mitgliedstaaten kommen überein, die
außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete, die mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, den
Niederlanden und dem Vereinigten Königreich besondere Beziehungen unterhalten, der Gemeinschaft
zu assoziieren. Diese Länder und Hoheitsgebiete, im folgenden als .Länder und Hoheitsgebiete'
bezeichnet, sind in Anhang IV zu diesem Vertrag aufgeführt.“
9.
In Artikel 132 EG-Vertrag heißt es:
„Mit der Assoziierung werden folgende Zwecke verfolgt:
(1) Die Mitgliedstaaten wenden auf ihren Handelsverkehr mit den Ländern und Hoheitsgebieten das
System an, das sie aufgrund dieses Vertrages untereinander anwenden.“
10.
Weiter heißt es in Artikel 133 EG-Vertrag:
„(1) Die Zölle bei der Einfuhr von Waren aus den Ländern und Hoheitsgebieten in die Mitgliedstaaten
werden vollständig abgeschafft; dies geschieht nach Maßgabe der in diesem Vertrag vorgesehenen
schrittweisen Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten.
(2) In jedem Land und Hoheitsgebiet werden die Zölle bei der Einfuhr von Waren aus den
Mitgliedstaaten und den anderen Ländern und Hoheitsgebieten nach Maßgabe der Artikel 12, 13, 14,
15 und 17 schrittweise abgeschafft.“
11.
Artikel 136 EG-Vertrag bestimmt:
„Für einen ersten Zeitabschnitt von fünf Jahren nach Inkrafttreten dieses Vertrages werden in einem
dem Vertrag beigefügten Durchführungsabkommen die Einzelheiten und das Verfahren für die
Assoziierung der Länder und Hoheitsgebiete an die Gemeinschaft festgelegt.
Vor Ablauf der Geltungsdauer des in Absatz 1 genannten Abkommens legt der Rat aufgrund der
erzielten Ergebnisse und der Grundsätze dieses Vertrages die Bestimmungen für einen neuen
Zeitabschnitt einstimmig fest.“
12.
Gestützt auf Artikel 136 Absatz 2 des Vertrages erließ der Rat eine Reihe von Beschlüssen über die
Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (im folgenden: ÜLG). Der Beschluß 91/482/EWG
des Rates vom 25. Juli 1991 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 263, S. 1; im folgenden: Sechster ÜLG-Beschluß) gilt für
einen Zeitraum von zehn Jahren ab dem 1. März 1990. Er enthält keine steuerlichen Vorschriften.
13.
Artikel 101 des Sechsten ÜLG-Beschlusses bestimmt:
„(1) Waren mit Ursprung in den ÜLG sind frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in
die Gemeinschaft zugelassen.
(2) Waren, die keine Ursprungswaren der ÜLG sind, sich aber im zollrechtlich freien Verkehr in einem
ÜLG befinden und in unverändertem Zustand in die Gemeinschaft wiederausgeführt werden, sind bei
der Einfuhr in die Gemeinschaft von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung befreit, sofern
— für sie in dem betreffenden ÜLG Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung entrichtet worden sind, die
den Zöllen entsprechen oder sie übersteigen, die bei der Einfuhr derselben Erzeugnisse mit Ursprung
in Drittländern, für die die Meistbegünstigungsklausel gilt, in der Gemeinschaft anwendbar wären,
— sie nicht Gegenstand einer vollständigen oder teilweisen Befreiung oder Erstattung der Zölle
oder Abgaben gleicher Wirkung waren,
— sie von einer Ausfuhrbescheinigung begleitet werden.
...“
14.
Artikel 102 des Sechsten ÜLG-Beschlusses verbietet die Anwendung von mengenmäßigen
Beschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Ursprungswaren der ÜLG.
15.
Nach Artikel 2 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der
Mehrwertsteuer.
16.
Die „Einfuhr eines Gegenstands“ liegt ihrem Artikel 7 Absatz 1 zufolge vor,
„a) wenn ein Gegenstand, der nicht die Bedingungen der Artikel 9 und 10 des Vertrages ... erfüllt ...
in die Gemeinschaft verbracht wird ...“
17.
Artikel 3 der Sechsten Richtlinie legt ihren räumlichen Geltungsbereich fest:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie ist zu verstehen unter
— .Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats' das Inland, wie es für jeden Mitgliedstaat in den Absätzen 2
und 3 definiert ist;
— .Gemeinschaft' und .Gebiet der Gemeinschaft' das Inland der Mitgliedstaaten, wie es für jeden
Mitgliedstaat in den Absätzen 2 und 3 definiert ist;
— .Drittlandsgebiet' und .Drittland' jedes Gebiet, das in den Absätzen 2 und 3 nicht als Inland eines
Mitgliedstaats definiert ist.
(2) Für die Anwendung dieser Richtlinie ist unter .Inland' der Anwendungsbereich des Vertrages zur
Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, wie er in Artikel 227 für jeden
Mitgliedstaat definiert ist.“
Das Ausgangsverfahren
18.
Das Motorschiff „Joshua“ wurde 1964 in Haarlem als Fischereifahrzeug gebaut. 1984 wurde es an
die Caribbean Chartering & Sales Ltd in Nassau (Bahamas) verkauft und damit aus dem Zollgebiet der
Gemeinschaft ausgeführt.
19.
Das Schiff wurde 1985 und 1986 in den Niederlanden zu einem Kreuzfahrtschiff umgebaut und am
22. April 1993 an den Kläger, wohnhaft in den Niederlanden, und an J. Wielinga, wohnhaft auf Curaçao
(Niederländische Antillen), verkauft.
20.
Wie sich aus den Erklärungen der niederländischen Regierung ergibt, schlossen die A. J. van der
Kooy BV, Pijnacker (Niederlande), und die Van der Vliet Quality Yachts BV, Muiden (Niederlande), am 8.
April 1993 einen Geschäftsbesorgungsvertrag, durch den sich letztere verpflichtete, das Schiff zu
einem Preis von 1 400 000 HFL zu verkaufen, und dem zufolge das Schiff ab 15. Mai 1993 seinen
Liegeplatz in Scheveningen (Niederlande) haben sollte.
21.
Vom 15. Mai 1993 an lag das unter britischer Flagge fahrende Schiff im Hafen von Scheveningen;
an Bord befand sich der Kläger.
22.
Am 20. Juli 1993 forderte der Inspecteur van de Belastingdienst/Douane für den Distrikt Hoofddorp
den Kläger zur Zahlung von Umsatzsteuer in Höhe von 157 500 HFL (nach Festsetzung der
Bemessungsgrundlage auf 900 000 HFL) wegen Einfuhr des Schiffes in die Niederlande im Sinne von
Artikel 18 der Wet op de omzetbelasting 1968 (niederländisches Umsatzsteuergesetz) in der Fassung
von 1993 auf; diese Bestimmung dient der Ausführung von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der
Sechsten Richtlinie.
23.
Der Inspecteur van de Belastingdienst/Douane wies den Einspruch, den der Kläger gegen seinen
Bescheid eingelegt hatte, zurück; der Bescheid wurde durch den Gerechtshof Amsterdam bestätigt.
24.
Der Kläger legte daraufhin gegen das Urteil des Gerechtshof Kassationsbeschwerde beim Hoge
Raad der Nederlanden ein. Dieser ist mit dem Gerechtshof der Ansicht, daß das Gebiet der
Niederländischen Antillen nicht als „Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Artikel 3 Absätze
1 und 2 der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 227 des Vertrages angesehen und in
Ermangelung entsprechender Durchführungsbestimmungen auch nicht gemäß Artikel 132 Absatz1
des Vertrages für die Umsatzsteuererhebung einem solchen gleichgestellt werden kann.
Die Vorabentscheidungsfrage
25.
Da die richtige Auslegung der Artikel 132 Absatz 1 und 227 des Vertrages sowie der Artikel 3
Absätze 1 und 2 und 7 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nach Auffassung des Hoge Raad
im vorliegenden Fall nicht offensichtlich ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:
Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in bezug auf die Einfuhr eines Schiffes, das
sich im Gebiet der Niederländischen Antillen im freien Verkehr befunden hat, insbesondere im Licht
der Artikel 132 Absatz 1 und 227 EG-Vertrag dahin auszulegen, daß das Verbringen eines solchen
Schiffes in die Niederlande als Verbringen eines Gegenstands, der nicht die Bedingungen der Artikel 9
und 10 EG-Vertrag erfüllt, in die Gemeinschaft anzusehen ist?
Zur Zulässigkeit
26.
Die französische Regierung ist der Auffassung, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da
es weder den Gerichtshof noch die Mitgliedstaaten, die dem Verfahren gegebenenfalls beitreten
wollten, in die Lage versetze, eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben. Durch
die äußerst kurze Wiedergabe des Sachverhalts im Vorlageurteil sei es nämlich weder möglich, die
Gründe zu erkennen, aus denen das vorlegende Gericht von einer Anknüpfung des Schiffes an die
Niederländischen Antillen ausgehe, noch festzustellen, welchen Gebrauch der Kläger hiervon in den
Niederlande mache.
27.
Nach ständiger Rechtsprechung macht die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht
nützlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, es erforderlich, daß dieses Gericht den
tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt
oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (vgl.
insbesondere Urteil vom 26. Januar 1993 in den Rechtssachen C-320/90, C-321/90 und C-322/90,
Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6, und Beschlüsse vom 19. März 1993 in der
Rechtssache C-157/92, Banchero, Slg. 1993, I-1085, Randnr. 4, vom 30. Juni 1997 in der Rechtssache
C-66/97, Banco de Fomento e Exterior, Slg. I-3757, Randnr. 7, und vom 30. April 1998 in den
verbundenen Rechtssachen C-128/97 und C-137/97, Testa und Modesti, Slg. 1998, I-2181, Randnr. 5).
28.
Außerdem ermöglichen die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem Gerichtshof
sachdienliche Antworten, sondern sollen auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen
Beteiligten die Möglichkeit geben, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen
abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, daß diese Möglichkeit in Anbetracht der Tatsache,
daß den Beteiligten nach dieser Bestimmung nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden,
gewahrt wird (Beschluß Banco de Fomento e Exterior, Randnr. 8).
29.
Im vorliegenden Fall ist das Vorlageurteil zwar sehr kurz, führt jedoch die wesentlichen
Gegebenheiten des Ausgangsrechtsstreits auf.
30.
Was die vom vorlegenden Gericht getroffenen Tatsachenfeststellungen angeht, ist — wie dies auch
der Generalanwalt in Nummer 9 seiner Schlußanträge getan hat — anzumerken, daß der Gerichtshof
grundsätzlich von den Prämissen auszugehen hat, die das vorlegende Gericht als erwiesen ansieht
und zu denen im vorliegenden Fall die frühere Anknüpfung des Schiffes an eines der ÜLG gehört.
31.
Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären.
Zur Begründetheit
32.
Die Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob das Verbringen eines
Gegenstands aus den Niederländischen Antillen in einen Mitgliedstaat als Verbringen in die
Gemeinschaft im Sinne des Artikels 7 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist.
33.
Die niederländische und die französische Regierung sowie die Kommission tragen vor, das Gebiet
der Niederländischen Antillen könne nicht als Teil des Gebietes der Gemeinschaft im Sinne der Artikel
3 und 7 der Sechsten Richtlinie und des Artikels 227 des Vertrages angesehen werden, und in
Ermangelung entsprechender Durchführungsbestimmungen könne es auch nicht gemäß Artikel 132
Absatz 1 des Vertrages für die Umsatzsteuererhebung einem solchen gleichgestellt werden.
34.
Wie sich aus Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 7 der Sechsten Richtlinie ergibt, entspricht der dort
verwendete Begriff „Gemeinschaft“ dem Anwendungsbereich des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, wie er in Artikel 227 für jeden Mitgliedstaat definiert ist.
35.
Artikel 227 des Vertrages führt in Absatz 1 die Staaten auf, für die der Vertrag gilt, und enthält in
den folgenden Absätzen Sonderbestimmungen hinsichtlich bestimmter Gebiete.
36.
Nach Artikel 227 Absatz 3 des Vertrages und dem Abkommen 64/533 unterliegen die ÜLG,
einschließlich der Niederländischen Antillen, der in Teil IV des Vertrages festgelegten besonderen
Assoziationsregelung.
37.
Nach dieser Regelung sind die allgemeinen Bestimmungen des Vertrages nicht ohne ausdrückliche
Verweisung auf die ÜLG anwendbar (Urteil vom 12. Februar 1992 in der Rechtssache C-260/90, Leplat,
Slg. 1992, I-643, Randnr. 10).
38.
Das Verbringen eines Gegenstands aus den Niederländischen Antillen in einen Mitgliedstaat kann
folglich nicht als innergemeinschaftlicher Vorgang im Sinne der Sechsten Richtlinie angesehen
werden, sofern keine besondere Vorschrift dies bestimmt.
39.
Insoweit ist festzustellen, daß die Sechste Richtlinie keine derartige Vorschrift enthält. Im übrigen
enthalten weder der Vierte Teil des Vertrages noch der Sechste ÜLG-Beschluß Vorschriften betreffend
die Unterwerfung der Einfuhren aus den ÜLG unter die Mehrwertsteuer.
40.
Zwar bestimmt Artikel 101 des Sechsten ÜLG-Beschlusses, daß Waren mit Ursprung in den ÜLG und
Waren, die keine Ursprungswaren der ÜLG sind, sich aber im zollrechtlich freien Verkehr in einem ÜLG
befinden, frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in die Gemeinschaft zugelassen
sind. Jedoch hat eine Abgabe wie die bei der Einfuhr von Waren in einen Mitgliedstaat erhobene
Mehrwertsteuer nicht die Merkmale einer Abgabe mit gleicher Wirkung wie Zölle (vgl. Urteil vom 5. Mai
1982 in der Rechtssache 15/81, Schul I, Slg. 1982, 1409, Randnr. 21).
41.
Der Sechste ÜLG-Beschluß bewirkt somit nicht, daß das Gebiet der Niederländischen Antillen in den
räumlichen Geltungsbereich der Sechsten Richtlinie fällt.
42.
Somit ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß das Verbringen eines Gegenstands
aus den Niederländischen Antillen in einen Mitgliedstaat als Verbringen in die Gemeinschaft im Sinne
des Artikels 7 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie anzusehen ist.
Kosten
43.
Die Auslagen der niederländischen und der französischen Regierung sowie der Kommission, die vor
dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 7. Mai 1997 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
Das Verbringen eines Gegenstands aus den Niederländischen Antillen in einen
Mitgliedstaat ist als Verbringen in die Gemeinschaft im Sinne des Artikels 7
Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern —
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.
Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur
Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen
anzusehen.
Puissochet
Moitinho de Almeida
Gulmann
Edward
Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. Januar 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Niederländisch.