Urteil des EuGH vom 03.10.2000

EuGH: auswärtige angelegenheiten, öffentliches unternehmen, vergabe von aufträgen, universität, kommission, wirtschaftliches interesse, vereinigtes königreich, gegenleistung, regierung, begriff

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
3. Oktober 2000
„Öffentliche Aufträge - Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge -
Öffentlicher Auftraggeber - Einrichtung des öffentlichen Rechts“
In der Rechtssache C-380/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom High Court of Justice
(England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
The Queen
gegen
H. M. Treasury,
The University of Cambridge,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 1 der Richtlinie 92/50/EWG des
Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), Artikel 1 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993
über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1) und Artikel 1
der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter P. J. G. Kapteyn
(Berichterstatter), A. La Pergola, P. Jann und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Universität Cambridge, vertreten durch QC D. Vaughan, Barrister A. Robertson und Solicitor G. Godar,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Ewing, Treasury Solicitor's Department, als
Bevollmächtigte im Beistand von QC K. Parker,
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch Sektionschef W. Okresek, Bundeskanzleramt, als
Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch den Juristischen Hauptberater R.
Wainwright und M. Shotter, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Universität Cambridge, vertreten durch D. Vaughan und A.
Robertson, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo, Treasury Solicitor's
Department, als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister R. Williams, der französischen Regierung,
vertreten durch G. Taillandier, Rédacteur in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Winkler,
Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch R. Wainwright und M. Shotter,
in der Sitzung vom 9. März 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2000,
folgendes
Urteil
1.
Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), hat mit
Beschluss vom 21. Juli 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Oktober 1998, gemäß Artikel 177
EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 1 der Richtlinie 92/50/EWG
des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), Artikel 1 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni
1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1)
und Artikel 1 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit beim High Court of Justice, der von der Universität
Cambridge (nachfolgend: Klägerin) nach der Entscheidung des H. M. Treasury (nachfolgend:
Beklagter) eingeleitet wurde, bei der Änderung des Wortlauts des Anhangs I der Richtlinie 93/37 die
Universitäten des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland im Verzeichnis der
Einrichtungen des öffentlichen Rechts zu belassen, das der Kommission bekannt gegeben wurde und
in diesem Anhang enthalten ist.
Die Gemeinschaftsregelung
3.
Artikel 1 der Richtlinie 93/37 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie
...
b) gelten als : der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des
öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder
Einrichtungen bestehen.
Als gilt jede Einrichtung,
- die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu
erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und
- die Rechtspersönlichkeit besitzt und
- die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere
unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern
besteht, die vom Staat, den Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts ernannt worden sind.
Die Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2
genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang I enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie
möglich und können nach dem Verfahren des Artikels 35 geändert werden. Zu diesem Zweck geben
die Mitgliedstaaten der Kommission regelmäßig die Änderungen an ihren Verzeichnissen bekannt.
...“
4.
Die Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 und der Richtlinie 93/36 sind im Wesentlichen gleich
lautend wie Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/37.
5.
Für das Vereinigte Königreich umfasst das Verzeichnis der Einrichtungen und Kategorien von
Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Anhang I der Richtlinie 93/37 „Universities and polytechnics,
maintained schools and colleges“ (Hochschulen und polytechnische Schulen, staatlich
subventionierte Schulen und Colleges).
Die nationale Regelung
6.
Im Vereinigten Königreich wurden die Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 durch folgende
Verordnungen umgesetzt:
- die Public Services Contracts Regulations 1993 (SI 1993/3228),
- die Public Supply Contracts Regulations 1995 (SI 1995/201),
- die Public Works Contracts Regulations 1991 (SI 1991/2680).
7.
Diese Verordnungen geben den Anhang I der Richtlinie 93/37 nicht wieder. Sie enthalten vielmehr
jeweils eine Definition der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die auf der
gemeinschaftsrechtlichen Definition fußt.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
8.
1995 und 1996 vertrat das „Committee of Vice-Chancellors and Principals of the Universities“ (Rat
der Hochschulrektoren des Vereinigten Königreichs) gegenüber dem Beklagten die Auffassung, die
Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 fänden auf Universitäten keine allgemeine Anwendung. Daher sei
die Eintragung „Universities“ (Hochschulen) in Anhang I der Richtlinie 93/37, auf den die jeweiligen
Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 3 der genannten Richtlinien verwiesen, zu entfernen.
9.
Am 17. Januar 1997 schlug der Beklagte der Kommission vor, die Eintragung „Universities and
polytechnics, maintained schools and colleges“ durch die Eintragung „Maintained schools, universities
and colleges financed for the most part by other contracting authorities“ (Staatlich subventionierte
Schulen, Hochschulen und Colleges, die überwiegend von anderen öffentlichen Auftraggebern
finanziert werden) zu ersetzen. Durch diese Änderung sollten die Anwendbarkeit der genannten
Richtlinien auf Universitäten relativiert und gleichzeitig die jüngsten Entwicklungen berücksichtigt
werden, nachdem die Bezeichnung „polytechnics“ (polytechnische Schulen) durch den Erlass des
Further and Higher Education Act (Gesetz über die Fortbildung und die Hochschulbildung) 1992
obsolet geworden war.
10.
Dieser Vorschlag ist von der Kommission aber noch nicht nach dem Verfahren des Artikels 35 der
Richtlinie 93/37 angenommen worden.
11.
Da die vom Beklagten vorgeschlagene Änderung des Anhangs I der Richtlinie 93/37 die Klägerin
nicht zufrieden stellte, beantragte sie mit einem Antrag auf Klagezulassung vom 7. November 1996,
beim High Court of Justice Klage gegen die Haltung des Beklagten erheben zu dürfen.
12.
Die Rechtssache gelangte am 21. März 1997 vor die Queen's Bench Division des High Court of
Justice, die die Klage auf der Grundlage zuließ, dass es darin um die Auslegung der Richtlinien 92/50,
93/36 und 93/37, und zwar des Ausdrucks „überwiegend [von einem oder mehreren öffentlichen
Auftraggebern] finanziert“ gehe.
13.
Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), hat das
Verfahren mit Beschluss vom 21. Juli 1998 ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Artikel 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates, der Richtlinie 93/37/EWG des Rates und der Richtlinie
93/36/EWG des Rates (Richtlinien) verweist auf jede Einrichtung, „die überwiegend vom Staat, von
Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird“.
Welche Mittel fallen unter den Ausdruck „von [einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern]
finanziert“? Schließt dieser Ausdruck insbesondere folgende Zahlungen an eine Einrichtung wie die
Universität Cambridge ein:
a) Fördermittel oder Zuwendungen, die ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber zur
Unterstützung der Forschung gewähren;
b) die Gegenleistung, die ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber für Dienstleistungen
einschließlich Forschung gewähren;
c) die Gegenleistung, die ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber für andere Dienstleistungen,
etwa Beratung oder die Veranstaltung von Konferenzen, gewähren;
d) Hörgelder, die örtliche Erziehungsbehörden den Universitäten im Hinblick auf die Ausbildung
namentlich benannter Studenten gewähren?
2. Welchen Prozentsatz bedeutet oder welche andere Bedeutung hat der Ausdruck „überwiegend“
in Artikel 1 der Richtlinien?
3. Falls der Ausdruck „überwiegend“ einen Prozentsatz bedeutet, beschränkt sich die Berechnung
auf Mittel, die für akademische und verwandte Zwecke gewährt werden, oder schließt sie Mittel ein,
die für gewerbliche Tätigkeiten gezahlt werden?
4. Auf welchen Zeitraum sollte sich die Berechnung beziehen, nach der sich entscheidet, ob eine
Universität hinsichtlich eines bestimmten Auftrags ein „öffentlicher Auftraggeber“ ist? Wie sollten
vorhersehbare und künftige Änderungen berücksichtigt werden?
Zur ersten Frage
14.
Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, stammen die Mittel für die Universitäten im Vereinigten
Königreich aus verschiedenen Quellen und werden zu unterschiedlichen Zwecken und aus
unterschiedlichen Gründen gezahlt. Einige werden den Universitäten auf der Grundlage der periodisch
bewerteten Qualitätihrer Forschungstätigkeiten und/oder entsprechend der Zahl ihrer Studenten
zugewiesen. Andere stammen aus Spenden und Stiftungsgeldern oder bestehen in der Bereitstellung
von Unterkünften und Verpflegung. Wieder andere werden als Gegenleistung für Dienstleistungen im
Auftrag von wohltätigen Einrichtungen, Ministerien, der Industrie oder des Handels gezahlt.
15.
Daher ist die tatsächliche Natur jeder dieser mit der ersten Frage angesprochenen
Finanzierungsarten zu prüfen, um ihre Bedeutung für die Universität zu bestimmen und davon
ausgehend ihre Auswirkung auf eine etwaige Einstufung dieser Einrichtung als „öffentlicher
Auftraggeber“.
16.
Der Gerichtshof hat hinsichtlich des Zweckes der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 entschieden,
dass die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf Gemeinschaftsebene die
Hemmnisse für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr beseitigen und somit die Interessen der
in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer schützen soll, die den in einem
anderen Mitgliedstaat niedergelassenen öffentlichen Auftraggebern Waren oder Dienstleistungen
anbieten möchten (siehe in diesem Sinne Urteil vom 10. November 1998 in der Rechtssache C-360/96,
BFI Holding, Slg. 1998, I-6821, Randnr. 41).
17.
Folglich besteht der Zweck der Richtlinien darin, die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer Bieter
oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber zu verhindern und zugleich die
Möglichkeit auszuschließen, dass eine vom Staat, von Gebietskörperschaften oder anderen
Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanzierte oder kontrollierte Stelle sich von anderen als
wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 1998 in der
Rechtssache C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Slg. 1998, I-73 Randnr. 33, und Urteil
BFI Holding, Randnrn. 42 und 43).
18.
Nach Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 gilt als
„Einrichtung des öffentlichen Rechts“ jede Einrichtung, die zu dem besonderen Zweck gegründet
wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen (erster
Gedankenstrich), die Rechtspersönlichkeit besitzt (zweiter Gedankenstrich) und die überwiegend vom
Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert
wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-,
Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, den
Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind
(dritter Gedankenstrich).
19.
Im Ausgangsverfahren erfüllt die Klägerin unstreitig die beiden Voraussetzungen der Artikel 1
Buchstabe b Unterabsatz 2 erster und zweiter Gedankenstrich der genannten Richtlinien. Daher hängt
die Aufnahme der Klägerin in das Verzeichnisin Anhang I der Richtlinie 93/37 im vorliegenden Fall allein
von der Antwort auf die Frage ab, ob sie im Sinne des dritten Gedankenstrichs dieser Artikel
„überwiegend [von einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern] finanziert“ wird.
20.
Hinsichtlich der alternativen Tatbestandsmerkmale von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter
Gedankenstrich der Richtlinie 92/50, der Richtlinie 93/36 und der Richtlinie 93/37 geht aus
Randnummer 20 des Urteils Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. hervor, dass jedes von ihnen die
enge Verbindung einer Einrichtung mit dem Staat, Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen
des öffentlichen Rechts widerspiegelt. Folglich definieren die genannten Bestimmungen die drei
Erscheinungsformen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als drei Varianten einer „engen
Verbindung“ mit einem anderen öffentlichen Auftraggeber.
21.
Die Finanzierungsweise einer Einrichtung mag zwar auf eine enge Verbindung dieser Einrichtung mit
einem öffentlichen Auftraggeber hindeuten, doch ist dieses Merkmal nicht schlechtin
ausschlaggebend. Nicht alle Zahlungen eines öffentlichen Auftraggebers begründen oder festigen
eine besondere Unterordnung oder Verbindung. Nur die Leistungen, die als Finanzhilfe ohne
spezifische Gegenleistung die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung finanzieren oder unterstützen,
können als „öffentliche Finanzierung“ eingestuft werden.
22.
Daraus folgt, dass Leistungen wie die in der ersten Frage unter a angesprochenen Fördermittel
oder Zuwendungen zur Unterstützung der Forschung als Finanzierung durch einen öffentlichen
Auftraggeber anzusehen sind. Selbst wenn der Begünstigte einer solchen Finanzierung nicht die
Klägerin selbst sein sollte, sondern eine Person, die ihr als Dienstleister angehört, handelte es sich
dabei um eine Finanzierung, die der Institution in ihrer Gesamtheit im Rahmen ihrer
Forschungstätigkeiten zugute kommt.
23.
Aus denselben Gründen können auch die in der ersten Frage unter d angesprochenen Hörgelder
als „öffentliche Finanzierung“ eingestuft werden. Denn diese Zahlungen stellen eine Sozialmaßnahme
zugunsten von Studenten dar, die die gelegentlich sehr hohen Studiengebühren nicht allein
aufbringen können. Da diese Zahlungen nicht von einer vertraglichen Gegenleistung abhängen, sind
sie als Finanzierung durch einen öffentlichen Auftraggeber im Rahmen seiner Ausbildungstätigkeit
anzusehen.
24.
Ganz anders stellt sich die Situation dagegen bei den in der ersten Frage des Vorlagebeschlusses
unter b und c angesprochenen Mitteln dar. Die Beträge, die von einem oder mehreren öffentlichen
Auftraggebern gezahlt werden, sind in diesen Fällen die Gegenleistung zu Vertragsleistungen der
Klägerin wie der Durchführung bestimmter Forschungsarbeiten oder der Veranstaltung von Seminaren
oder Tagungen. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass diese gewerblichen Tätigkeiten sich
gegebenenfalls mit den Lehr- undForschungstätigkeiten der Klägerin überschneiden, denn der
öffentliche Auftraggeber hat ein wirtschaftliches Interesse an der Erbringung der Leistung.
25.
Zwar kann auch ein solches Vertragsverhältnis eine Verbindung der betreffenden Einrichtung mit
dem öffentlichen Auftraggeber zur Folge haben, allerdings ist diese Verbindung, wie der
Generalanwalt in Nummer 46 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, von anderer Qualität als
diejenige, die durch eine reine Unterstützungsleistung entsteht. Denn eine Verbindung wie die
erstgenannte ist eher einer Verbindung gleichzustellen, wie sie in normalen Geschäftsbeziehungen
besteht, die im Rahmen von gegenseitigen Verträgen entstehen, die von den Vertragspartnern frei
ausgehandelt wurden. Daher fallen die in der ersten Frage des Vorlagebeschlusses unter b und c
angesprochenen Leistungen nicht unter den Begriff „öffentliche Finanzierung“.
26.
Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass der Ausdruck „von [einem oder mehreren
öffentlichen Auftraggebern] finanziert“ in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich
der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 dahin auszulegen ist, dass er Fördermittel oder Zuwendungen,
die ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber zur Unterstützung der Forschung gewähren, und
Hörgelder, die örtliche Erziehungsbehörden den Universitäten im Hinblick auf die Ausbildung
namentlich benannter Studenten gewähren, umfasst. Dagegen stellen Zahlungen, die im Rahmen
eines Vertrages über Dienstleistungen einschließlich Forschungsarbeiten oder als Gegenleistung für
andere Dienstleistungen wie Gutachten oder die Veranstaltung von Tagungen von einem oder
mehreren öffentlichen Auftraggebern getätigt werden, keine öffentliche Finanzierung im Sinne der
genannten Richtlinien dar.
Zur zweiten Frage
27.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Bedeutung der Ausdruck
„überwiegend ... finanziert“ in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der
Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 hat.
28.
Hier ist zu untersuchen, ob der Begriff „überwiegend“ einen bestimmten Prozentsatz bezeichnet
oder ob ihm eine andere Bedeutung zukommt.
29.
Im Gegensatz zu den Regierungen, die Erklärungen nach Artikel 20 der EG-Satzung des
Gerichtshofes eingereicht haben, und zur Kommission, die den Begriff „überwiegend“ quantitativ dahin
auslegen, dass es sich um eine öffentliche Finanzierung handeln müsse, die 50 % übersteige, ist die
Klägerin der Ansicht, dass dieser Begriff qualitativ auszulegen sei. Nach ihrer Auffassung können nur
Leistungen berücksichtigt werden, die dem Zahlenden die Kontrolle über die Vergabe von Aufträgen
verliehen. Sollte jedoch einer quantitativen Auslegung der Vorzug zu geben sein, so sei jedenfalls eine
Präponderanz der fraglichen Mittel von mindestens drei Vierteln der Gesamtfinanzierung zu fordern.
30.
Dieser Auslegung kann nicht beigetreten werden. Abgesehen davon, dass sie nicht vom Wortlaut
der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 gestützt wird, verkennt sie die übliche Bedeutung des Begriffes
„überwiegend“, der in der Alltagssprache stets „zu mehr als der Hälfte“ bedeutet, ohne dass die
Dominanz oder die Präponderanz eines Teils gegenüber einem anderen erforderlich wäre.
31.
Letztere Auslegung wird im Übrigen durch den Wortlaut von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie
93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im
Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 9,
S. 84) bestätigt, wonach „öffentliches Unternehmen“ u. a. ein Unternehmen ist, bei dem die
staatlichen Behörden unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des
Unternehmens besitzen oder über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen
Stimmrechte verfügen. Wenn ein Unternehmen anhand solcher quantitativen Tatbestandsmerkmale
als „öffentliches Unternehmen“ eingestuft werden kann, so muss eine Beurteilung anhand
quantitativer Tatbestandsmerkmale, wie der Generalanwalt in Nummer 58 seiner Schlussanträge
ausführt, erst recht möglich sein, wenn es um die Frage geht, unter welchen Voraussetzungen eine
öffentliche Finanzierung als „überwiegend“ zu qualifizieren ist.
32.
Zudem steht die Auslegung, dass der Begriff „überwiegend“ im Sinne von „zu mehr als der Hälfte“
zu verstehen ist, auch im Einklang mit dem, was in einem anderen Fall des Artikels 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 vorgesehen ist. Danach
ist jede Einrichtung, deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan „mehrheitlich“ aus Mitgliedern
besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts ernannt worden sind, ebenfalls als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ einzustufen.
33.
Mithin ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Begriff „überwiegend“ in Artikel 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 im Sinne von „zu mehr als
der Hälfte“ auszulegen ist.
Zur dritten Frage
34.
Mit der dritten Frage, die eng mit den beiden ersten Fragen zusammenhängt, möchte das
vorlegende Gericht wissen, wie sich die Berechnungsgrundlage für die Beurteilung der Frage
zusammensetzt, ob es sich um eine „überwiegende“ Finanzierung handelt. Es geht darum, ob hierfür
sämtliche Mittel der Klägerin oder nur diejenigen zu berücksichtigen sind, die für akademische und
verwandte Zwecke gewährt werden.
35.
Hierzu genügt die Feststellung, dass die Bezugnahme auf eine „überwiegende“ Finanzierung aus
öffentlichen Geldern in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinien
92/50, 93/36 und 93/37 notwendigerweiseimpliziert, dass eine Einrichtung auch teilweise aus anderen
Mitteln finanziert werden kann, ohne dass sie dadurch ihre Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber
verliert.
36.
Deshalb ist auf die dritte Frage zu antworten, dass für eine zutreffende Berechnung des Anteils der
öffentlichen Finanzierung einer Einrichtung alle Mittel zu berücksichtigen sind, über die diese
Einrichtung verfügt, einschließlich derer, die aus gewerblicher Tätigkeit stammen.
Zur vierten Frage
37.
Das vorlegende Gericht möchte mit seiner vierten Frage wissen, welcher Zeitraum im Hinblick
darauf, ob die Universität bei der Vergabe eines bestimmten Auftrags ein „öffentlicher Auftraggeber“
ist, bei der Berechnung der Finanzierung der Klägerin zu berücksichtigen ist und wie während des
betreffenden Verfahrens eintretenden Änderungen Rechnung zu tragen ist.
38.
In Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung dieser Punkte in den Richtlinien 92/50, 93/36 und
93/37 sind bei der Antwort auf die beiden Teile dieser Frage die Erfordernisse der Rechtssicherheit zu
beachten, auf die der Gerichtshof in Randnummer 34 des Urteils Mannesmann Anlagenbau Austria u.
a. hingewiesen hat. Zwar ist nämlich für die Frage, ob eine Einrichtung bei der Vergabe eines
bestimmten Auftrags als „öffentlicher Auftraggeber“ einzustufen ist, die genaue Finanzlage dieser
Einrichtung zu berücksichtigen, doch muss angesichts dessen, dass die Finanzierung einer
Einrichtung wie der Klägerin von Jahr zu Jahr variieren kann, auch ein gewisser Grad an
Vorhersehbarkeit für das betreffende Verfahren gewährleistet sein.
39.
In den genannten Richtlinien finden sich zwar keine Angaben dazu, welcher Zeitraum heranzuziehen
ist, um zu beurteilen, ob eine Einrichtung ein „öffentlicher Auftraggeber“ ist, sie enthalten jedoch
Bestimmungen über die Veröffentlichung regelmäßiger nichtverbindlicher Bekanntmachungen, die
sachdienliche Hinweise für die Antwort auf diese Frage geben können. So sehen Artikel 15 Absatz 1
der Richtlinie 92/50 und Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 93/36 ausdrücklich vor, dass die
nichtverbindlichen Bekanntmachungen von den öffentlichen Auftraggebern „sobald wie möglich nach
Beginn ihres jeweiligen Haushaltsjahres“ veröffentlicht werden müssen, wenn der Gesamtwert der
Aufträge, „die in den nächsten zwölf Monaten vergeben werden sollen“, mindestens 750 000 ECU
beträgt. Diese Bestimmungen implizieren mithin, dass ein öffentlicher Auftraggeber diesen Status für
zwölf Monate nach Beginn eines Haushaltsjahres beibehält.
40.
Die Einstufung einer Einrichtung wie der Klägerin als „öffentlicher Auftraggeber“ ist also auf
jährlicher Basis vorzunehmen, und das Haushaltsjahr, in dem das Verfahren zur Vergabe eines
bestimmten Auftrags ausgeschrieben wird, ist der für die Berechnung der Finanzierung dieser
Einrichtung am besten geeignete Zeitraum.
41.
Vor diesem Hintergrund gebieten es die Erfordernisse der Rechtssicherheit und der Transparenz,
dass sowohl die betroffene Universität als auch beteiligte Dritte von Beginn des Haushaltsjahres an
wissen, ob die für dieses Haushaltsjahr geplanten Aufträge in den Anwendungsbereich der Richtlinien
92/50, 93/36 und 93/37 fallen. Daraus folgt, dass für die Einstufung einer Universität als „öffentlicher
Auftraggeber“ die Berechnung ihrer Finanzierung auf der Grundlage der zu Beginn des
Haushaltsjahres verfügbaren, gegebenenfalls auch nur veranschlagten Zahlen vorzunehmen ist.
42.
Der zweite Teil der vierten Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob und gegebenenfalls wie
den Änderungen der zum Zeitpunkt der Ausschreibung eines Auftragsvergabeverfahrens
bestehenden Finanzierungsbedingungen Rechnung zu tragen ist, die während dieses Verfahrens
eintreten können.
43.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 34 des Urteils Mannesmann Anlagenbau Austria u. a.
ausgeführt hat, verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass eine Norm des
Gemeinschaftsrechts klar und ihre Anwendung für alle Betroffenen vorhersehbar sein muss. Es ergibt
sich sowohl aus diesem Gebot als auch aus den mit dem Schutz der Bieterinteressen
zusammenhängenden Erfordernissen, dass für eine Einrichtung, die zum Zeitpunkt der Ausschreibung
eines Auftragsvergabeverfahrens ein „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinien 92/50, 93/36
und 93/37 ist, für den entsprechenden Auftrag die Anforderungen dieser Richtlinien bis zum Abschluss
des betreffenden Verfahrens gelten.
44.
Deshalb ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Einstufung einer Einrichtung wie der Klägerin
als „öffentlicher Auftraggeber“ auf jährlicher Basis vorzunehmen ist und dass das Haushaltsjahr, in
dem das Verfahren zur Vergabe eines bestimmten Auftrags ausgeschrieben wird, der für die
Berechnung der Finanzierung dieser Einrichtung am besten geeignete Zeitraum ist, wobei diese
Berechnung auf der Grundlage der zu Beginn des Haushaltsjahres verfügbaren, gegebenenfalls auch
nur veranschlagten Zahlen vorzunehmen ist. Für eine Einrichtung, die zum Zeitpunkt der
Ausschreibung eines Auftragsvergabeverfahrens ein „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der
Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 ist, gelten für den entsprechenden Auftrag die Anforderungen
dieser Richtlinien bis zum Abschluss des betreffenden Verfahrens.
Kosten
45.
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der französischen, der niederländischen
und der österreichischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), mit
Beschluss vom 21. Juli 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Ausdruck „von [einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern] finanziert“ in
Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 92/50/EWG des
Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge, der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die
Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge und der Richtlinie
93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Bauaufträge ist dahin auszulegen, dass er Fördermittel oder Zuwendungen,
die ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber zur Unterstützung der Forschung
gewähren, und Hörgelder, die örtliche Erziehungsbehörden den Universitäten im Hinblick
auf die Ausbildung namentlich benannter Studenten gewähren, umfasst. Dagegen stellen
Zahlungen, die im Rahmen eines Vertrages über Dienstleistungen einschließlich
Forschungsarbeiten oder als Gegenleistung für andere Dienstleistungen wie Gutachten
oder die Veranstaltung von Tagungen von einem oder mehreren öffentlichen
Auftraggebern getätigt werden, keine öffentliche Finanzierung im Sinne der genannten
Richtlinien dar.
2. Der Begriff „überwiegend“ in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter
Gedankenstrich der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 ist im Sinne von „zu mehr als der
Hälfte“ auszulegen.
3. Für eine zutreffende Berechnung des Anteils der öffentlichen Finanzierung einer
Einrichtung sind alle Mittel zu berücksichtigen, über die diese Einrichtung verfügt,
einschließlich derer, die aus gewerblicher Tätigkeit stammen.
4. Die Einstufung einer Einrichtung wie der Universität Cambridge als „öffentlicher
Auftraggeber“ ist auf jährlicher Basis vorzunehmen, und das Haushaltsjahr, in dem die
Ausschreibung des Verfahrens zur Vergabe eines bestimmten Auftrags erfolgt, ist der für
die Berechnung der Finanzierung dieser Einrichtung am besten geeignete Zeitraum,
wobei diese Berechnung auf der Grundlage der zu Beginn des Haushaltsjahres
verfügbaren,gegebenenfalls auch nur veranschlagten Zahlen vorzunehmen ist. Für eine
Einrichtung, die zum Zeitpunkt der Ausschreibung eines Auftragsvergabeverfahrens ein
„öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinien 92/50, 93/36 und 93/37 ist, gelten für
den entsprechenden Auftrag die Anforderungen dieser Richtlinien bis zum Abschluss des
betreffenden Verfahrens.
Edward
Kapteyn
La Pergola
Jann Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Oktober 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Englisch.