Urteil des EuGH vom 27.11.2003

EuGH: staatliche beihilfe, abgabe, öffentliches unternehmen, vertrag von amsterdam, kommission, markt, erfüllung, dienstleistung, handel, unmittelbare anwendbarkeit

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
27. November 200
„Öffentliche Unternehmen - Zuweisung eines Teils einer an den Staat gezahlten Hafenabgabe an öffentliche
Unternehmen - Wettbewerb - Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung - Staatliche Beihilfe - Abgabe
gleicher Wirkung - Inländische Abgabe - Freier Warenverkehr“
In den verbundenen Rechtssachen C-34/01 bis C-38/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG von der Corte suprema di cassazione (Italien) in den bei
dieser anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Enirisorse SpA
gegen
Ministero delle Finanze
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 12 EG-Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 25 EG), Artikel 13 EG-Vertrag (aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam), Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG), Artikel 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG und 86 EG),
Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG), Artikel 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) und
Artikel 95 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 90 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer
sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, D. A. O. Edward und S. von Bahr (Berichterstatter),
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Enirisorse SpA, vertreten durch G. Guarino und A. Guarino, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Aiello,
avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Di Bucci und L. Pignataro-Nolin als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Enirisorse SpA, vertreten durch L. Malvezzi Campeggi,
avvocato, der italienischen Regierung, vertreten durch G. Aiello, und der Kommission, vertreten durch V. Di
Bucci und L. Pignataro-Nolin, in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. November 2002
folgendes
Urteil
1.
Die Corte suprema di cassazione hat mit fünf Beschlüssen vom 12. Juli 2000, beim Gerichtshof
eingegangen am 25. Januar 2001, gemäß Artikel 234 EG fünf Fragen nach der Auslegung von Artikel
12 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 25 EG), Artikel 13 EG-Vertrag (aufgehoben durch den
Vertrag von Amsterdam), Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG), Artikel 86 und 90
EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG und 86 EG), Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG),
Artikel 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) und Artikel 95 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 90 EG)
zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Enirisorse SpA (im Folgenden:
Enirisorse) und dem Ministero delle Finanze (Finanzministerium) wegen der Entrichtung einer
Hafengebühr, die das Finanzministerium von Enirisorse für das Ver- und Entladen von Waren im Hafen
von Cagliari auf Sardinien (Italien) erhebt.
Nationales Recht
3.
Mit dem Gesetz Nr. 961 vom 9. Oktober 1967 (GURI Nr. 272 vom 30. Oktober 1967) wurden in den
italienischen Häfen Ancona, Cagliari, Livorno, La Spezia, Messina und Savona die Aziende dei mezzi
meccanici e dei magazzini (Unternehmen für technische Einrichtungen und Lagerhäuser, im
Folgenden: Aziende oder, in der Einzahl, Azienda) errichtet. Das Gesetz in seiner durch das Gesetz Nr.
494 vom 10. Oktober 1974 (GURI Nr. 274 vom 21. Oktober 1974, S. 7190) geänderten Fassung regelt
das Statut der Aziende, ihren Tätigkeitsbereich und die Mittel, über die sie verfügen.
4.
Die Aziende sind wirtschaftlich tätige öffentliche Einrichtungen, die der Aufsicht des Ministero della
marina mercantile (Ministerium für die Handelsmarine) unterliegen. Nach dem Gesetz Nr. 961 sind sie
damit betraut, die technischen Einrichtungen für das Ver- und Entladen, die Lagerflächen und alle
anderen im Eigentum des Staates stehenden und für den Warenverkehr bestimmten unbeweglichen
und beweglichen Güter zu verwalten. Sie haben außerdem die Aufgabe, für den Erwerb, die Wartung,
die Umwandlung und die Verbesserung der von ihnen verwalteten Einrichtungen zu sorgen und alle
anderen hiermit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten auszuüben.
5.
Die Aziende können ermächtigt werden, andere kommerzielle Hafendienstleistungen zu erbringen,
die Verwaltung von nicht im Eigentum des Staates stehenden Einrichtungen und Anlagen zu
übernehmen und die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben auch in anderen Häfen wahrzunehmen,
die im Bezirk des Hafens liegen, in dem sie ihren Sitz haben.
6.
Zu den finanziellen Mitteln, über die die Aziende zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen, gehören die
Erträge der von ihnen verwalteten Einrichtungen, und zwar nach den Erklärungen der italienischen
Regierung einschließlich der Einnahmen aus ihren kommerziellen Tätigkeiten, wie z. B. dem Ver- und
Entladen von Waren, sowie Mittel aus Darlehen oder anderen Finanzgeschäften.
7.
Sämtliche Kosten für den Betrieb der Einrichtungen werden ausschließlich von den Aziende
getragen. Die Ausgaben für den Bau neuer Anlagen werden dagegen vom Ministerium für die
Handelsmarine übernommen, können aber auch von den Aziende selbst getragen werden, sofern ihr
Budget dies zulässt.
8.
1974 wurde mit dem Decreto-legge Nr. 47 vom 28. Februar 1974 (GURI Nr. 68 vom 13. März 1974, S.
1749; im Folgenden: Decreto-legge Nr. 47/74), das in geänderter Fassung durch das Gesetz Nr. 117
vom 16. April 1974 (GURI Nr. 115 vom 4. Mai 1974, S. 3123) Gesetzesform erhielt, eine Abgabe auf das
Ver- und Entladen von Waren in allen italienischen Häfen eingeführt. Diese Abgabe fließt dem
Staatshaushalt zu. Sie ist für alle Waren zu entrichten, die auf dem Luft- oder dem Seeweg befördert
werden.
9.
Die Höhe der Abgabe, die 90 ITL je metrische Tonne nicht übersteigen darf, wird durch Dekret des
Präsidenten der Republik unter Berücksichtigung der Art der Waren und der durchschnittlichen Kosten
der erbrachten Dienstleistungen festgelegt und geändert.
10.
Mit dem Decreto-legge Nr. 47/74 behielt der Gesetzgeber die Bestimmung des Gesetzes Nr. 82 vom
9. Februar 1963 über die Änderung der Schifffahrtsgebühren und -abgaben (GURI Nr. 52 vom 23.
Februar 1963) bei, wonach bereits eine Abgabe auf Waren erhoben wurde, die in den italienischen
Häfen Genua, Neapel, Livorno, Civitavecchia, Triest, Savona oder Brindisi ver- oder entladen wurden
oder sich dort im Transit befanden.
11.
Durch das Gesetz Nr. 355 vom 5. Mai 1976 über die Erstreckung bestimmter Vergünstigungen für
die Hafeneinrichtungen auf die Aziende der Häfen Ancona, Cagliari, Livorno, la Spezia und Messina
(GURI Nr. 147 vom 5. Juni 1976, S. 4382, im Folgenden: Gesetz Nr. 355/76) unterliegen die in diesen
Häfen ver- und entladenen Waren der im Gesetz Nr. 82 vom 9. Februar 1963 vorgesehenen Abgabe
(im Folgenden: Hafenabgabe). Das Gesetz bestimmt außerdem, dass das Aufkommen aus dieser
Abgabe zu zwei Dritteln den Aziende zur Erfüllung ihrer Aufgaben und zu einem Drittel dem Staat
zusteht.
12.
Artikel 1 des Dekrets des Präsidenten der Republik vom 12. Mai 1977 zur Festlegung der mit dem
Gesetz Nr. 355 vom 5. Mai 1976 eingeführten Abgabe (GURI Nr. 270 vom 4. Oktober 1977, S. 7175)
bestimmt die Höhe der Hafenabgabe. Diese beträgt je nach Art der Waren zwischen 15 ITL und 90 ITL
je metrische Tonne.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13.
Enirisorse ver- und entlud im Hafen von Cagliari inländische und ausländische Waren mit eigenen
personellen und sachlichen Mitteln, ohne die Leistungen der in diesem Hafen tätigen Azienda in
Anspruch zu nehmen. Nachdem Enirisorse vom Finanzministerium mehrere Aufforderungen zur
Zahlung der im Gesetz Nr. 355/76 vorgesehenen Hafenabgabe erhalten hatte, legte sie Einspruch
gegen die Zahlungsbescheide ein, wobei sie insbesondere die Rechtswidrigkeit des Dekrets des
Präsidenten der Republik vom 12. Mai 1977 im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht geltend machte.
14.
Gegen die Zurückweisung dieser Einsprüche durch das Tribunale Cagliari (Italien) legte Enirisorse
Berufung bei der Corte d'appello Cagliari (Italien) ein. Die Berufung wurde mit Urteil vom 11. März 1998
zurückgewiesen. Daraufhin erhob Enirisorse Kassationsbeschwerde.
15.
Vor der Corte suprema di cassazione macht Enirisorse geltend, dass die nationale Regelung eine
Wettbewerbsverzerrung bewirke, soweit die Hafenabgabe auch dann geschuldet werde, wenn der
Wirtschaftsteilnehmer die Leistungen einer Azienda, hier der des Hafens von Cagliari, gar nicht in
Anspruch nehme. Die Regelung laufe den Artikeln 86 und 90 EG-Vertrag zuwider. Die Zuweisung eines
erheblichen Teils der Hafenabgabe an die Aziende stelle außerdem eine staatliche Beihilfe im Sinne
der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag dar.
16.
Die Corte suprema di cassazione führt in ihren Vorlagebeschlüssen aus, die betreffende Regelung
bezwecke dem Berufungsgericht zufolge, die Verwaltung für die Aufwendungen und Kosten zu
entschädigen, die mit den öffentlichen Leistungen im Zusammenhang mit dem Warenumschlag
verbunden seien. Es sei nicht erforderlich, dass tatsächlich Leistungen des öffentlichen
Unternehmens im Zusammenhang mit dem Warenumschlag in Anspruch genommen würden, da sich
für den Benutzer unabhängig davon allgemeine Vorteile aus der Tätigkeit dieses Unternehmens
ergäben.
17.
Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem
Gemeinschaftsrecht, und zwar nicht nur mit den von Enirisorse erwähnten Bestimmungen, sondern
auch mit den Artikeln 12, 13, 30 und 95 EG-Vertrag.
18.
Die Corte suprema di cassazione hat daher die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Stellt der Umstand, dass ein erheblicher Teil einer von Wirtschaftsteilnehmern an den Staat
entrichteten Abgabe (Hafenabgabe für das Ver- und Entladen von Waren) einem auf dem Markt der
Hafenarbeiten für das Ver- und Entladen von Waren tätigen öffentlichen Unternehmen zugewiesen
wird, dann, wenn diese Wirtschaftsteilnehmer keine Dienstleistung oder sonstige Leistung von diesem
Unternehmen erhalten haben, ein besonderes oder ausschließliches Recht oder eine Maßnahme dar,
die gegen die Vorschriften des EG-Vertrags, insbesondere die Wettbewerbsregeln des Artikels 90
Absatz 1 EG-Vertrag, verstößt?
2. Führt unabhängig von der vorigen Frage die Zuweisung eines erheblichen Teils des Aufkommens
der Abgabe an das genannte öffentliche Unternehmen zur missbräuchlichen Ausnutzung einer
beherrschenden Stellung aufgrund eines staatlichen Rechtsetzungsakts, und verstößt sie daher
gegen Artikel 86 in Verbindung mit Artikel 90 EG-Vertrag?
3. Ist die Zuweisung eines erheblichen Teils dieser Abgabe an dieses Unternehmen als staatliche
Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EG-Vertrag zu qualifizieren, und rechtfertigt sie es daher, falls eine
Mitteilung an die Kommission nicht vorliegt oder eine Entscheidung der Kommission über die
Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Artikel 93 vorliegt, dass die den
nationalen Gerichten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verliehenen Befugnisse ausgeübt
werden, mit denen gewährleistet werden soll, dass eine rechtswidrige und/oder unzulässige Beihilfe
nicht durchgeführt wird?
4. Stellt die von vornherein beschlossene Zuweisung eines erheblichen Teils des Aufkommens einer
für oder anlässlich des Ver- oder Entladens von Waren in Häfen erhobenen staatlichen Abgabe an das
genannte öffentliche Unternehmen, ohne dass der Zahlung irgendeine Leistung oder Dienstleistung
dieses Unternehmens gegenübersteht, eine (nach den Artikeln 12 und 13 EG-Vertrag verbotene)
Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll oder eine inländische Abgabe auf Waren aus anderen
Mitgliedstaaten, die höher als die auf gleichartige inländische Waren erhobene Abgabe ist (Artikel 95),
oder ein nach Artikel 30 verbotenes Einfuhrhindernis dar?
5. Betreffen, falls die nationale Regelung gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, die in den
vorstehenden Ausführungen beschriebenen Gesichtspunkte, einzeln betrachtet, die Abgabe als
Ganzes oder nur insoweit, als diese der Azienda Mezzi Meccanici zugewiesen wird?
19.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 23. Februar 2001 sind die Rechtssachen C-
34/01 bis C-38/01 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer
Entscheidung verbunden worden.
Vorbemerkungen
20.
Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die mögliche Rechtswidrigkeit
der Abgabenregelung im Licht der in jeder der vorausgehenden Fragen angesprochenen Regelungen
nur einen Teil der Regelung betrifft, und zwar die Zuweisung von zwei Dritteln der fraglichen Abgabe
an die Azienda, oder die gesamte Abgabenregelung, d. h. die Aufteilung und Erhebung des
Gesamtbetrags der Abgabe. Da sich die fünfte Frage somit auf die vier vorausgehenden Fragen
bezieht, wird sie nicht getrennt von ihnen beantwortet, sondern, soweit sie sich dort stellt, im Rahmen
von deren Prüfung.
21.
Da die in den Ausgangsverfahren streitige Maßnahme die staatliche Zuweisung eines Teils des
Aufkommens einer Abgabe an ein Unternehmen betrifft, ist an erster Stelle die Vereinbarkeit einer
solchen Maßnahme mit den Regelungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen zu prüfen und
folglich zunächst auf die dritte Frage zu antworten.
Zur dritten Frage
22.
Mit seiner dritten Frage, die im Licht der fünften Frage zu lesen ist, möchte das vorlegende Gericht
im Wesentlichen wissen, ob eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat einen erheblichen Teil einer
Abgabe wie der in den Ausgangsverfahren streitigen Hafenabgabe einem öffentlichen Unternehmen
zuweist, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EG-Vertrag einzustufen ist und ob es in
Ermangelung einer Mitteilung dieser Maßnahme an die Kommission oder einer Entscheidung der
Kommission über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach Artikel 93 EG-
Vertrag die Befugnisse ausüben kann, die ihm verliehen worden sind, um zu gewährleisten, dass eine
rechtswidrige oder mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe nicht durchgeführt wird. Für
den Fall, dass es sich bei der fraglichen Maßnahme um eine rechtswidrige oder mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbare Beihilfe handelt, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Rechtswidrigkeit
oder Unvereinbarkeit auf den Teil der Abgabe beschränkt ist, der dem betreffenden öffentlichen
Unternehmen zugewiesen wird, oder ob sie sich auf die bei den Benutzern erfolgende Erhebung des
Teils erstreckt, der dem in dieser Weise zugewiesenen Betrag entspricht, oder ob sie die Abgabe
insgesamt erfasst.
23.
Nach Ansicht von Enirisorse und der Kommission stellt die Zuweisung eines erheblichen Teils der
Hafenabgabe an die Azienda von Cagliari eine staatliche Beihilfe dar. Es handele sich um eine
Maßnahme zugunsten eines Unternehmens, die den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtige;
die Hilfe werde aus staatlichen Mitteln gewährt; sie verfälsche den Wettbewerb oder drohe, ihn zu
verfälschen, da die betreffende Azienda mit Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten in Wettbewerb
stehe, wie etwa den Reedereien, die die von der Azienda ausgeübten Tätigkeiten im Rahmen eines
„Eigenumschlagsystems“ durchführen wollten. Zu den Wettbewerbern gehörten ferner die privaten
Unternehmen, die für Rechnung Dritter tätig würden. Da die Beihilfe der Kommission nicht mitgeteilt
worden sei, sei sie rechtswidrig und im vorliegenden Fall auch nicht durch die Ausnahmeregelung in
Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag gerechtfertigt. Das nationale Gericht müsse die Beihilferegelung daher
als unwirksam behandeln.
24.
Die italienische Regierung trägt vor, dass die streitige Maßnahme angesichts des geringen
Umschlags in den betroffenen Häfen, insbesondere desjenigen von Portovesme auf Sardinien, den
Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtige und dass sie daher keine staatliche Beihilfe
im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag sei. Sie hebt außerdem den sozioökonomischen Zweck der
Hafenabgabe hervor, der darin bestehe, den Fortbestand und Betrieb der fünf betroffenen Häfen
sicherzustellen. Wenn die Kosten für die Güterabfertigung vollständig den tatsächlichen Nutzern der
Dienstleistungen angelastet würden, würde der daraus folgende Preis im Hinblick auf die hohen
Festkosten und das geringe Seeverkehrsaufkommen in diesen Häfen zu hoch für die
Wirtschaftsteilnehmer. Schließlich müsste die Abgabe, selbst wenn sie als staatliche Beihilfe
anzusehen wäre, nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag für mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar angesehen werden, weil es sich um eine Beihilfe für die Entwicklung bestimmter
Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete im Sinne dieser Bestimmung handele.
25.
Zur Beantwortung der Frage ist zu prüfen, ob die in Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag aufgeführten
Tatbestandsmerkmale einer staatlichen Beihilfe erfüllt sind.
26.
Erstens muss es sich um eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Unterstützung
handeln. Bei der Hafenabgabe ist diese Voraussetzung erfüllt, da die an die Aziende gezahlten
Beträge, die einen erheblichen Teil dieser Abgabe ausmachen, aus dem Staatshaushalt stammen und
daher staatliche Mittel darstellen.
27.
Zweitens muss die staatliche Unterstützung den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen
können.
28.
Hierzu ist festzustellen, dass es keine Schwelle und keinen Prozentsatz gibt, unterhalb deren man
davon ausgehen könnte, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt ist. Weder der
verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Größe des
begünstigten Unternehmens schließen nämlich von vornherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung
des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus (vgl. Urteil vom 24. Juli 2003 in der Rechtssache C-280/00,
Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, noch nicht in der amtlichen Sammlung
veröffentlicht, Randnr. 81). Die Gefahr einer Einwirkung auf den Handel ist in den Ausgangsverfahren
umso höher, als die Hafenabgabe einem in einem Hafen ansässigen Unternehmen zugewiesen und
von Reedereien im Rahmen des Ver- und Entladens von Waren entrichtet wird, ohne dass es auf die
Herkunft der Waren ankäme.
29.
Die Beihilfe muss drittens als eine Vergünstigung für das begünstigte Unternehmen angesehen
werden können, und viertens muss diese Vergünstigung den Wettbewerb verfälschen oder zu
verfälschen drohen.
30.
In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, dass als Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art gelten, die
mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil
anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten
hätte (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 84).
31.
Dagegen fällt eine staatliche Maßnahme nicht unter Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag, soweit sie als
Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen,
denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so
dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte
Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden
Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen. Ein derartiger Ausgleich ist im
konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn eine Reihe von
Voraussetzungen erfüllt ist (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnrn. 87
und 88).
32.
Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher
Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein (Urteil Altmark
Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 89).
33.
Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass aus seiner Rechtsprechung nicht
hervorgeht, dass der Betrieb jedes Verkehrshafens eine Dienstleistung von allgemeinem
wirtschaftlichem Interesse wäre (Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-242/95, GT-Link, Slg.
1995, I-4449, Randnr. 52). Eine solche Tätigkeit umfasst daher nicht ohne weiteres die Erfüllung
gemeinwirtschaftlicher Aufgaben.
34.
Es ist festzustellen, dass sich aus den Akten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof
übermittelt hat, nicht ergibt, dass die Aziende mit einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe betraut
worden wären, und erst recht nicht, dass diese klar definiert worden wäre.
35.
Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor in objektiver und
transparenter Weise festzulegen, um zu verhindern, dass dieser Ausgleich einen wirtschaftlichen
Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden
Unternehmen begünstigt (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 90).
36.
Hierzu trägt die italienische Regierung vor, dass die Zuweisung eines erheblichen Teils der
Hafenabgabe an die Aziende zusätzlich zu den von diesen erhobenen Gebühren erforderlich sei, um
diese Gebühren auf einer für die Wirtschaftsteilnehmer erträglichen Höhe zu halten. Außerdem
ermögliche eine solche Zuweisung die Aufrechterhaltung des Betriebs der betreffenden Häfen.
37.
Solche Angaben genügen jedoch nicht, um die genannte Voraussetzung zu erfüllen. Insbesondere
geht aus ihnen nicht hervor, worin genau die behauptete gemeinwirtschaftliche Dienstleistung
besteht und ob ausschließlich die Ver- und Entladetätigkeiten in den betreffenden Häfen erfasst sind
oder ob auch Leistungen wie die Sicherheit des Anlegevorgangs abgedeckt werden. Außerdem
enthalten die Erklärungen der italienischen Regierung auch weder Angaben über die Kosten dieser
Dienstleistungen noch über die Berechnung des angeblich erforderlichen Ausgleichs.
38.
Aus dem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C-34/01 und dem Vorbringen von Enirisorse und der
Kommission vor dem Gerichtshof ergibt sich vielmehr, dass der Betrag aus dem Aufkommen der
Hafenabgabe, der den Aziende zugewiesen wird, nicht den bei diesen tatsächlich anfallenden Kosten
für die Erbringung der Ver- und Entladedienste entspricht, da dieser Betrag von der Menge der von
allen Benutzern beförderten und in den betroffenen Häfen umgeschlagenen Waren abhängt. Der
zugewiesene Betrag bemisst sich damit nach dem Umfang der Wirtschaftstätigkeit in den fraglichen
Häfen.
39.
Eine solche Regelung entspricht jedoch nicht dem Erfordernis, dass der Ausgleich nicht über das
hinausgehen darf, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen
Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen
Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken (Urteil Altmark Trans
und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 92).
40.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat einen
erheblichen Teil einer Abgabe wie der Hafenabgabe, die nicht mit einem klar definierten
gemeinwirtschaftlichen Auftrag verbunden ist und/oder die die anderen Anforderungen an eine
staatliche Maßnahme nicht erfüllt, wie sie im Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg
genannt und in den Randnummern 32 bis 35 des vorliegenden Urteils wiederholt worden sind, einem
öffentlichen Unternehmen zuweist, als staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag
zu qualifizieren ist, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.
41.
Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob in einem solchen Fall die Abgabenregelung
nur hinsichtlich des Teils als unwirksam behandelt werden muss, der dem betreffenden öffentlichen
Unternehmen zugewiesen wird, oder ob die gesamte Abgabenregelung für unvereinbar mit den
Anforderungen des Artikels 92 EG-Vertrag erklärt werden muss, also auch hinsichtlich der Erhebung
des Teils, der dem in dieser Weise zugewiesenen Betrag entspricht, bei den Benutzern.
42.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichthofes folgt aus der Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-
Vertrag zuerkannten unmittelbaren Wirkung, dass die unmittelbare Anwendbarkeit des in diesem
Artikel enthaltenen Durchführungsverbots jede Beihilfemaßnahme betrifft, die durchgeführt wird, ohne
dass sie angemeldet worden ist (Urteil vom 21. November 1991 in der Rechtssache C-354/90,
Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des
négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I-5505, Randnr. 11). Es ist Sache der nationalen
Gerichte, die Rechte des Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des Verbots der Durchführung der
Beihilfen durch die staatlichen Stellen zu schützen und entsprechend ihrem nationalen Recht daraus
alle Folgerungen sowohl für die Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der fraglichen
Beihilfemaßnahmen als auch für die Wiedereinziehung der gewährten finanziellen Unterstützungen zu
ziehen (u. a. Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-17/91, Lornoy u. a., Slg. 1992, I-
6523, Randnr. 30).
43.
Zum Begriff der staatlichen Beihilfe hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser nicht nur
bestimmte parafiskalische Abgaben je nach der Verwendung ihres Aufkommens erfasst (u. a. Urteil
Lornoy u. a., Randnr. 28), sondern auch die Erhebung eines Beitrags selbst, bei dem es sich um eine
parafiskalische Abgabe handelt (Urteil vom 27. Oktober 1993 in der Rechtssache C-72/92, Scharbatke,
Slg. 1993, I-5509, Randnr. 20).
44.
Nach einem kürzlich ergangenen Urteil des Gerichtshofes muss die Untersuchung einer
Beihilfemaßnahme durch die Kommission auch die Finanzierungsweise der Beihilfe berücksichtigen,
wenn sie, insbesondere in Gestalt von Zwangsbeiträgen, Bestandteil der Maßnahme ist (Urteil vom 21.
Oktober 2003 in den Rechtssachen C-261/01 und C-262/01, Van Calster u. a., noch nicht in der
amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).
45.
Daraus folgt, dass nicht nur die Zuweisung eines Teils der Hafenabgabe an das betreffende
Unternehmen, sondern auch die Erhebung des Anteils, der dem in dieser Weise zugewiesenen Betrag
entspricht, bei den Benutzern eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstellen kann
und dass es in Ermangelung einer Anmeldung dieser Beihilfe Sache des vorlegenden Gerichts ist,
nach seinem nationalen Recht alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sowohl die Zuweisung
eines Teils der Abgabe an die begünstigten Unternehmen als auch ihre Erhebung zu unterbinden.
46.
Dagegen berührt die eventuelle Rechtswidrigkeit der Erhebung und Zuweisung eines Teils der
Abgabe, nämlich des der Azienda zugewiesenen Anteils, nicht den der Staatskasse zufließenden
übrigen Teil.
47.
Auf die dritte Frage in Verbindung mit der fünften Frage ist daher wie folgt zu antworten:
- Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat einen erheblichen Teil einer Abgabe wie der in den
Ausgangsverfahren streitigen Hafenabgabe einem öffentlichen Unternehmen zuweist, ist als
staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag einzustufen, soweit sie den Handel
zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, wenn
- die Zuweisung der Abgabe nicht mit einem klar definierten gemeinwirtschaftlichen Auftrag
verbunden ist und/oder
- die Berechnung des zur Erfüllung dieses Auftrags angeblich notwendigen Ausgleichs nicht
anhand von zuvor in objektiver und transparenter Weise festgelegten Parametern erfolgt ist, um zu
verhindern, dass dieser Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das betreffende
öffentliche Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber anderen, konkurrierenden Unternehmen
begünstigt.
- Nicht nur die Zuweisung eines Teils der Abgabe an das öffentliche Unternehmen, sondern auch die
Erhebung des Anteils, der dem in dieser Weise zugewiesenen Betrag entspricht, bei den Benutzern
kann eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstellen. In Ermangelung der
Anmeldung einer solchen Beihilfe ist es Sache des vorlegenden Gerichts, nach seinem nationalen
Recht alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sowohl die Zuweisung eines Teils der Abgabe an
die begünstigten Unternehmen als auch ihre Erhebung zu unterbinden.
- Die eventuelle Rechtswidrigkeit der Erhebung und Zuweisung der Abgabe betrifft nur den Teil des
Aufkommens aus der Abgabe, der dem betreffenden öffentlichen Unternehmen zugewiesen wird, und
berührt nicht die Abgabe in ihrer Gesamtheit.
Zur ersten und zur zweiten Frage
48.
Mit der ersten und der zweiten Frage, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende
Gericht im Wesentlichen wissen, ob die staatliche Zuweisung eines erheblichen Teils einer Abgabe wie
der in den Ausgangsverfahren streitigen Hafenabgabe an ein öffentliches Unternehmen eine
Maßnahme im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag darstellt, die zu einer Artikel 86 EG-Vertrag
zuwiderlaufenden missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung führen kann und
die nicht durch die in Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene Ausnahme gerechtfertigt werden
kann.
49.
Das vorlegende Gericht fragt damit nach der Vereinbarkeit einer Besteuerungsregelung wie der in
den Ausgangsverfahren streitigen nicht nur mit den für staatliche Beihilfen geltenden
Wettbewerbsregeln, die Gegenstand der oben behandelten dritten Frage sind, sondern auch mit den
für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln der Artikel 86 und 90 EG-Vertrag.
50.
Zwar schließt der Umstand, dass die staatliche Zuweisung eines erheblichen Teils einer Abgabe an
ein öffentliches Unternehmen eine staatliche Beihilfe darstellt, nicht aus, dass diese Zuweisung auch
zu einer den Artikeln 86 und 90 EG-Vertrag zuwiderlaufenden Ausnutzung einer marktbeherrschenden
Stellung dieses Unternehmens führt; es ist jedoch festzustellen, dass die einzigen in den
Ausgangsverfahren vorgebrachten Rügen die Auswirkungen der staatlichen Erhebung und Zuweisung
der Hafenabgabe auf den Wettbewerb betreffen.
51.
Es wurde keine sonstige Auswirkung auf den Wettbewerb vorgetragen und insbesondere keine
Beeinträchtigung des Wettbewerbs geltend gemacht, die auf einem Verhalten des öffentlichen
Unternehmens selbst beruhte.
52.
Unter diesen Umständen sind die erste und die zweite Frage zur Anwendung der
Wettbewerbsregeln der Artikel 86 und 90 EG-Vertrag nicht zu beantworten.
Zur vierten Frage
53.
Mit seiner vierten Frage in Verbindung mit der fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im
Wesentlichen wissen, ob eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Erhebung einer Abgabe wie der
in den Ausgangsverfahren streitigen Hafenabgabe und die Zuweisung eines erheblichen Teils des
Aufkommens aus dieser Abgabe an ein öffentliches Unternehmen vorsieht, ohne dass der in dieser
Weise zugewiesene Betrag einer von diesem Unternehmen tatsächlich erbrachten Dienstleistung
entspricht, eine Artikel 12 EG-Vertrag zuwiderlaufende Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhr-
oder Ausfuhrzoll, eine Artikel 95 EG-Vertrag zuwiderlaufende diskriminierende inländische Abgabe oder
ein nach Artikel 30 EG-Vertrag verbotenes Einfuhrhindernis darstellt und ob ein eventueller Verstoß
gegen das Gemeinschaftsrecht die genannte Abgabe in ihrer Gesamtheit erfasst.
54.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Erhebung der Hafenabgabe, soweit ein erheblicher
Teil des in dieser Weise erhobenen Betrages keiner von dem begünstigten öffentlichen Unternehmen
tatsächlich erbrachten Dienstleistung entspreche, ein Artikel 30 EG-Vertrag zuwiderlaufendes
Einfuhrhindernis darstellen könne.
55.
Das vorlegende Gericht führt aus, es sei sich bewusst, dass Artikel 30 EG-Vertrag auf
parafiskalische Abgaben keine Anwendung finde, soweit andere Bestimmungen des Vertrages
anwendbar seien, wie etwa Artikel 12 EG-Vertrag über Abgaben zollgleicher Wirkung oder Artikel 95
EG-Vertrag über inländische Abgaben. Allerdings hätten die Urteile des Gerichtshofes in diesem
Bereich Fälle betroffen, in denen die streitigen parafiskalischen Abgaben zumindest in der Praxis zu
einer Ungleichbehandlung von inländischen und eingeführten Waren geführt hätten, was in den
Ausgangsverfahren nicht der Fall sei. Das Gericht fragt sich unter diesen Umständen, ob Artikel 30
EG-Vertrag Anwendung finden könne.
56.
In der Tat umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Anwendungsbereich von
Artikel 30 EG-Vertrag weder denjenigen der Vorschriften des Vertrages über Abgaben zollgleicher
Wirkung (Artikel 12 und 16 EG-Vertrag [aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam]) noch
denjenigen der Vorschriften des Vertrages über diskriminierende inländische Abgaben (Artikel 95 EG-
Vertrag) (in diesem Sinne u. a. Urteile vom 22. März 1977 in der Rechtssache 74/76, Iannelli & Volpi,
Slg. 1977, 557, Randnr. 9, vom 11. März 1992 in den Rechtssachen C-78/90 bis C-83/90, Compagnie
commerciale de l'Ouest u. a., Slg. 1992, I-1847, Randnr. 20, und Lornoy u. a., Randnr. 14).
57.
Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass zunächst zu prüfen ist, ob eine Maßnahme wie die in den den
Urteilen Compagnie commerciale de l'Ouest u. a. und Lornoy u. a. zugrunde liegenden Rechtssachen
beschriebenen in den Anwendungsbereich der Artikel 12 oder 95 EG-Vertrag fällt und dass nur dann,
wenn dies zu verneinen wäre, geprüft werden müsste, ob die betreffende Maßnahme in den
Anwendungsbereich des Artikels 30 EG-Vertrag fällt (Urteile Compagnie commerciale de l'Ouest u. a.,
Randnr. 21, und Lornoy u. a., Randnr. 15).
58.
Zwischen der vorliegenden Rechtssache und den früher vom Gerichtshof entschiedenen besteht
jedoch kein Unterschied. Wenn sich erweist, dass die Hafenabgabe in den Anwendungsbereich der
Artikel 12 oder 95 EG-Vertrag fällt, sind die Bestimmungen eines dieser Artikel anwendbar und nicht
die des Artikels 30 EG-Vertrag. Der mögliche Umstand, dass diese Abgabe kein nach den Artikeln 12
oder 95 EG-Vertrag verbotenes Hindernis darstellt, hat im Gegensatz zu der von dem vorlegenden
Gericht zugrunde gelegten Annahme nicht zur Folge, dass die genannte Abgabe ohne weiteres unter
die Bestimmungen des Artikels 30 EG-Vertrag fiele.
59.
Außerdem sind nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften über Abgaben gleicher Wirkung
und diejenigen über diskriminierende inländische Abgaben nicht kumulativ anwendbar, so dass ein
und dieselbe Abgabe nach dem System des EG-Vertrags nicht gleichzeitig in beide Kategorien fallen
kann (u. a. Urteile vom 23. April 2002 in der Rechtssache C-234/99, Nygård, Slg. 2002, I-3657, Randnr.
17 und die dort zitierte Rechtsprechung, sowie vom 19. September 2002 in der Rechtssache C-101/00,
Tulliasiamies und Siilin, Slg. 2002, I-7487, Randnr. 115).
60.
Im vorliegenden Fall fällt die Hafenabgabe, da sie nicht anlässlich oder wegen der Einfuhr erhoben
wird und nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, Tätigkeiten zu fördern, die den inländischen
Erzeugnissen zugute kommen, nicht unter die Bestimmungen des Artikels 12 EG-Vertrag (Urteil Lornoy
u. a., Randnrn. 17 und 18). Dagegen kann sie, soweit sie auf alle in dem betreffenden Hafen ver- und
entladenen Waren angewandt wird, eine inländische Abgabe im Sinne des Artikels 95 EG-Vertrag
darstellen. Wenn diese Abgabe, wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, nicht zu einer
Diskriminierung eingeführter Waren führt, folgt daraus, dass sie einschließlich ihrer Erhebung und
Zuweisung Artikel 95 EG-Vertrag nicht zuwiderläuft.
61.
Das von dem vorlegenden Gericht erwähnte Urteil vom 15. Dezember 1993 in den Rechtssachen C-
277/91, C-318/91 und C-319/91 (Ligur Carni u. a., Slg. 1993, I-6621) widerspricht diesen Erwägungen
nicht, da der Gerichtshof in der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache nicht dazu befragt
worden war, ob das eventuelle Hindernis in den Anwendungsbereich der Artikel 12 oder 95 EG-Vertrag
oder aber in den des Artikels 30 EG-Vertrag fiel, und er eine solche Frage nicht zu prüfen brauchte. In
dieser Rechtssache ging es nämlich um das Verbot für Importeure von frischem Fleisch, im Gebiet
einer Gemeinde die Beförderung und die Lieferung ihrer Ware selbst zu übernehmen, es sei denn, sie
zahlten einem örtlichen Unternehmen, das über eine ausschließliche Konzession für den Umschlag der
betreffenden Ware im kommunalen Schlachthof sowie für ihre Beförderung und Lieferung verfügt, den
für die erbrachten Dienstleistungen vorgesehenen Betrag (Urteil Ligur Carni u. a., Randnr. 33). Die
streitigen Beträge wurden also direkt an ein Unternehmen gezahlt und stellten im Gegensatz zu den in
den Ausgangsverfahren streitigen Beträgen keine an den Staat gezahlte Abgabe dar.
62.
In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die in den
Ausgangsverfahren streitige Hafenabgabe eine inländische Abgabe im Sinne des Artikels 95 EG-
Vertrag darstellt, die nicht unter die Bestimmungen der Artikel 12 und 30 EG-Vertrag fällt. In
Ermangelung einer Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten verstößt eine Maßnahme,
mit der ein Mitgliedstaat die Erhebung einer Abgabe und die Zuweisung eines erheblichen Teils des
Aufkommens aus dieser Abgabe an ein öffentliches Unternehmen vorsieht, ohne dass der in dieser
Weise zugewiesene Betrag einer tatsächlich von diesem erbrachten Dienstleistung entspräche, nicht
gegen die Bestimmungen des Artikels 95 EG-Vertrag.
63.
Daher ist die fünfte Frage im Rahmen dieser vierten Frage nicht zu beantworten.
Kosten
64.
Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm von der Corte suprema di cassazione mit Beschlüssen vom 12. Juli 2000 vorgelegten
Fragen für Recht erkannt:
1. Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat einen erheblichen Teil einer Abgabe wie der
in den Ausgangsverfahren streitigen Hafenabgabe einem öffentlichen Unternehmen
zuweist, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 87 Absatz 1 EG) einzustufen, soweit sie den Handel zwischen den
Mitgliedstaaten beeinträchtigt, wenn
- die Zuweisung der Abgabe nicht mit einem klar definierten gemeinwirtschaftlichen
Auftrag verbunden ist und/oder
- die Berechnung des zur Erfüllung dieses Auftrags angeblich notwendigen Ausgleichs
nicht anhand von zuvor in objektiver und transparenter Weise festgelegten Parametern
erfolgt ist, um zu verhindern, dass dieser Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich
bringt, der das betreffende öffentliche Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber
anderen, konkurrierenden Unternehmen begünstigt.
Nicht nur die Zuweisung eines Teils der Abgabe an das öffentliche Unternehmen,
sondern auch die Erhebung des Anteils, der dem in dieser Weise zugewiesenen Betrag
entspricht, bei den Benutzern kann eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare
Beihilfe darstellen. In Ermangelung der Anmeldung einer solchen Beihilfe ist es Sache des
vorlegenden Gerichts, nach seinem nationalen Recht alle erforderlichen Maßnahmen zu
treffen, um sowohl die Zuweisung eines Teils der Abgabe an die begünstigten
Unternehmen als auch ihre Erhebung zu unterbinden.
Die eventuelle Rechtswidrigkeit der Erhebung und Zuweisung der Abgabe betrifft nur
den Teil des Aufkommens aus der Abgabe, der dem betreffenden öffentlichen
Unternehmen zugewiesen wird, und berührt nicht die Abgabe in ihrer Gesamtheit.
2. Die in den Ausgangsverfahren streitige Hafenabgabe stellt eine inländische Abgabe
im Sinne des Artikels 95 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 90 EG) dar, die nicht unter
die Bestimmungen der Artikel 12 und 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 25 EG und
28 EG) fällt. In Ermangelung einer Diskriminierung in Bezug auf Waren aus anderen
Mitgliedstaaten verstößt eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Erhebung einer
Abgabe und die Zuweisung eines erheblichen Teils des Aufkommens aus dieser Abgabe
an ein öffentliches Unternehmen vorsieht, ohne dass der in dieser Weise zugewiesene
Betrag einer tatsächlich von diesem erbrachten Dienstleistung entspräche, nicht gegen
die Bestimmungen des Artikels 95 EG-Vertrag.
Jann
Timmermans
Rosas
Rosas
Edward von Bahr
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. November 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Italienisch.