Urteil des EuGH vom 22.02.2001
EuGH: wirtschaftliche tätigkeit, vorsteuerabzug, vereinigtes königreich, lieferung, regierung, mitgliedstaat, unterliegen, steuerpflichtiger, kommission, rechtsnachfolger
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
22. Februar 2001
„Mehrwertsteuer - Artikel 5 Absatz 8 und Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a und Absatz 5 der Sechsten
Mehrwertsteuerrichtlinie - Übertragung eines Gesamtvermögens - Vorsteuerabzug für die vom
Übertragenden für die Zwecke der Übertragung in Anspruch genommenen Dienstleistungen - Gegenstände
und Dienstleistungen für Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen“
In der Rechtssache C-408/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom High Court of Justice
(England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court) (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Abbey National plc
gegen
Commissioners of Customs & Excise
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 5 Absatz 8 und des Artikels 17
Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften
Kammer sowie der Richter P. Jann und L. Sevón (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Abbey National plc, vertreten durch R. Cordora, QC, und D. Southern, barrister, beauftragt durch S.
Rose, solicitor,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigten im Beistand
von K. Parker, QC, und M. Hall, barrister,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und F. Riddy als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Abbey National plc, der Regierung des Vereinigten
Königreichs und der Kommission, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 23. Februar
2000,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. April 2000,
folgendes
Urteil
1.
Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), hat mit
Beschluss vom 2. November 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 1998, gemäß
Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 8
und des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai
1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145,
S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Abbey National plc (im Folgenden,
Abbey National) und den Commissioners of Customs & Excise (Behörde für indirekte Abgaben; im
Folgenden: Commissioners) wegen des Vorsteuerabzugs für die Honorare für Dienstleistungen, die zur
Durchführung einer Grundstücksübertragung mit Fortsetzung der Nutzung („as a going concern“) in
Anspruch genommen wurden.
Rechtlicher Rahmen
3.
Gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. S. 1301, im
Folgenden: Erste Richtlinie) wird bei „allen Umsätzen ... die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den
Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder
der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die
verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat“.
4.
Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer die Lieferungen
von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt
ausführt.
5.
Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten können die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die
entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als
ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt[,] und den Begünstigten der Übertragung als
Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten treffen gegebenenfalls die
erforderlichen Maßnahmen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der
Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist.“
6.
Gemäß Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a können die Mitgliedstaaten „ihren Steuerpflichtigen
das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren ... bei der Vermietung und Verpachtung von
Grundstücken“.
7.
Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet
werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge
abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm
von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden
oder erbracht werden.“
8.
Soweit ein Steuerpflichtiger Gegenstände und Dienstleistungen sowohl für Umsätze verwendet, für
die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht,
ist gemäß Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie „der Vorsteuerabzug nur für den
Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt“. Nach
Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie wird dieser „Pro-rata-Satz ... nach Artikel 19
für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgestellt“.
9.
Laut dem Vorlagebeschluss erließ das Vereinigte Königreich, das von der in Artikel 5 Absatz 8 der
Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machte, u. a. Regulation 5 (1) der Value
Added Tax (Special Provisions) Order (Verordnung mit besonderen Vorschriften über die
Mehrwertsteuer, SI 1995, S. 1268, im Folgenden: Regulation 5 (1), der Value Added Tax (Special
Provisions) Order (SI 1992, S. 3129) ersetzte. Überträgt eine Person einen Betrieb oder den Teil eines
Betriebes und wird der Betrieb fortgeführt („as a going concern“), so gilt die Übertragung gemäß
Regulation 5 (1) weder als Lieferung von Gegenständen noch als Dienstleistung. Nach der
Bestimmung muss der Begünstigte der Übertragung die übertragenen Sachen für einen Betrieb
derselben Art wie der Übertragende nutzen und selbst steuerpflichtig sein oder unmittelbar werden;
wird der Teil eines Betriebes übertragen, muss dieser gesondert nutzbar sein.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
10.
Die Scottish Mutual Assurance plc (im Folgenden: Scottish Mutual), eine
Lebensversicherungsgesellschaft, ist eine 100%ige Tochtergesellschaft von Abbey National, die sie in
Mehrwertsteuerangelegenheiten vertritt.
11.
Neben ihrem Versicherungsgeschäft verpachtet Scottish Mutual Gewerbeimmobilien. Im Rahmen
dieser Tätigkeit hatte sie für die Dauer von 125 Jahren das Geschäftsgebäude Atholl House in
Aberdeen gepachtet, das sie an Gewerbetreibendeweiterverpachtete. Gemäß den Rechtsvorschriften
des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung von Artikel 13 Teil C Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten
Richtlinie hatte Scottish Mutual dafür optiert, für die von ihr für Atholl House vereinnahmten Mieten
Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen, und konnte so die gesamte Vorsteuer für die Kosten, die ihr
aus dem Besitz des Gebäudes entstanden, zurückerlangen.
12.
Mit Vertrag vom 16. Dezember 1992 verkaufte Scottish Mutual ihre Rechte aus dem Pachtvertrag
über 125 Jahre und aus den Mietverträgen für 5,4 Millionen GBP an ein konzernfremdes Unternehmen.
Die Commissioners waren der Auffassung, dass der Verkauf eine Übertragung unter Fortführung des
Betriebs im Sinne von Regulation 5 (1) sei, dass die weiteren Voraussetzungen dieses Artikels erfüllt
seien und dass deshalb keine Mehrwertsteuer auf den Verkaufspreis anfalle.
13.
Um den Verkauf durchzuführen, nahm Scottish Mutual verschiedene Dienstleistungen in Anspruch
und zahlte für sie Honorare, für die sie 4 365 GBP Mehrwertsteuer entrichten musste.
14.
Da die Commissioners den Vorsteuerabzug für diese Ausgaben nur teilweise zuließen, Abbey
National ihn aber in voller Höhe beanspruchte, erhob diese Klage beim VAT and Duties Tribunal in
London (Vereinigtes Königreich). Die Klage wurde mit Entscheidung vom 9. Juni 1997 abgewiesen.
Dagegen legte Abbey National Berufung beim High Court of Justice ein.
15.
Der High Court of Justice hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind wegen der Worte „den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des
Übertragenden ansehen“ in Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie unter Berücksichtigung von
deren Artikel 17 Absatz 2 die Lieferungen des Begünstigten für die Zwecke des Vorsteuerabzugs des
Übertragenden so zu behandeln, als habe sie der Übertragende erbracht?
2. Kann der Steuerpflichtige, wenn ein Mitgliedstaat kraft nationalen, gemäß Artikel 5 Absatz 8 der
Sechsten Richtlinie erlassenen Rechts die „Übertragung des Gesamtvermögens oder eines
Teilvermögens“ so behandelt, als liege weder eine Lieferung von Gegenständen noch eine Erbringung
von Dienstleistungen vor, bei richtiger Auslegung der Artikel 5 Absatz 8 und 17 Absatz 2 die gesamte
für Übertragungskosten angefallene Vorsteuer abziehen, wenn er ohne Anwendung des Artikels 5
Absatz 8 Mehrwertsteuer für die Übertragung in Rechnung stellen müßte?
3. Ist Vorsteuer für eine Zahlung im Zusammenhang mit der Beendigung einer wirtschaftlichen
Tätigkeit abzugsfähig, wenn diese Tätigkeit des Übertragenden vor der unter Artikel 5 Absatz 8
fallenden Übertragung in vollem Umfang steuerbar war?
Zu den Vorlagefragen
16.
Mit diesen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
der Übertragende, wenn ein Mitgliedstaat von der in Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie
vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, so dass die Übertragung eines Gesamtvermögens
oder eines Teilvermögens so behandelt wird, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, die
Vorsteuer für Ausgaben für solche Dienstleistungen abziehen kann, die für die Durchführung der
Übertragung in Anspruch genommen wurden.
17.
Nach Ansicht von Abbey National darf bei Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines
Teilvermögens der Übertragende die Vorsteuer abziehen, die für seine Ausgaben für die zur
Durchführung der Übertragung erlangten Dienstleistungen angefallen ist.
18.
Wenn sowohl der Übertragende als auch der Begünstigte der Übertragung - der eine vor dieser,
der andere danach - die Aktiva des übertragenen Betriebes zur Erbringung in vollem Umfang
steuerpflichtiger Lieferungen nutzten, dürfe der Übertragende gemäß Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten
Richtlinie die steuerpflichtigen Lieferungen des Erwerbers so berücksichtigen, dass er die gesamte
Vorsteuer zurückerlange. Obwohl also kein steuerbarer Umsatz als solcher vorliege, bestehe, was die
gezahlte Vorsteuer anbelange, ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit der
steuerpflichtigen wirtschaftlichen Nutzung der übertragenen Aktiva durch den Begünstigten fort.
19.
Die niederländische Regierung führt aus, dass dann, wenn sich ein Mitgliedstaat für die Anwendung
von Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie entscheide, von den an sich steuerpflichtigen, im
Rahmen der Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens erbrachten Lieferungen von
Gegenständen und Dienstleistungen „abstrahiert“ werde. Eine solche für die Zwecke der
Mehrwertsteuererhebung „neutrale“ Ersetzung eines Steuerpflichtigen durch einen anderen könne
nur mit der gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeit des Übertragenden in Zusammenhang gebracht
werden. Diese wirtschaftliche Tätigkeit müsse auch maßgebend sein für das Recht zum
Vorsteuerabzug hinsichtlich der Ausgaben, die er zur Durchführung der Übertragung geleistet habe.
Habe der Steuerpflichtige nur steuerfreie Umsätze, so bestehe kein Abzugsrecht. Habe er sowohl
besteuerte als auch steuerfreie Umsätze, so sei die Pro-rata-Regel gemäß Artikel 17 Absatz 5 und
Artikel 19 der Sechsten Richtlinie anzuwenden. Wenn die gewöhnliche wirtschaftliche Tätigkeit des
Übertragenden vor einer Übertragung im Sinne von Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie
vollständig besteuert worden sei, so sei die Vorsteuer für die zur Beendigung dieser Tätigkeit
geleisteten Ausgaben abzugsfähig.
20.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs meint, da die Ausgaben für die Durchführung der
Übertragung für Zwecke eines Umsatzes gemacht worden seien, der nicht besteuert worden sei,
könne der Abzug der für diese Ausgaben entrichteten Vorsteuer nicht beansprucht werden. Die
gegenteilige Lösung würde die Neutralität der Mehrwertsteuer beeinträchtigen, da dem
Steuerpflichtigen dann für ein und denselbenUmsatz der finanzielle Vorteil eines Vorsteuerabzugs
ohne die entsprechende Pflicht zugute käme, für den Umsatz Mehrwertsteuer zu berechnen.
21.
Hilfsweise führt die Regierung des Vereinigten Königreichs aus, dass Ausgaben wegen der
Beendigung einer steuerpflichtigen Tätigkeit im Rahmen einer wirtschaftlichen Haupttätigkeit, die
sowohl steuerpflichtige als auch steuerfreie Lieferungen umfasse, als allgemeine Kosten betrachtet
werden könnten. Da es sich um eine nicht zuordenbare Vorsteuer handele, sei ihr abzugsfähiger Teil
nach einer gemäß Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie zulässigen Methode zu bestimmen.
22.
Nach Meinung der Kommission ist zu prüfen, ob die vom Übertragenden für die Durchführung der
Übertragung in Anspruch genommenen Dienstleistungen einen hinreichend direkten und
unmittelbaren Zusammenhang mit einer steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit aufwiesen.
Insoweit lasse sich Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie entnehmen, dass bei der Übertragung
eines Gesamt- oder Teilvermögens keine Lieferung von Gegenständen erfolge und dass dieselbe
wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werde. Die Ausgaben zur Vergütung der fraglichen
Dienstleistungen seien deshalb für Zwecke dieser Tätigkeit verausgabte Kosten, d. h. allgemeine
Kosten der übertragenen Tätigkeit.
23.
Zur Anwendung von Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie führt die Kommission indessen nur
aus, dass die Ausgaben für die fraglichen Dienstleistungen entweder als allgemeine Kosten der
übertragenen wirtschaftlichen Tätigkeit angesehen werden könnten, womit der Übertragende die auf
ihnen lastende Mehrwertsteuer voll abziehen dürfe, oder aber als allgemeine Kosten der gesamten
wirtschaftlichen Tätigkeit des Übertragenden.
24.
Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher völlige Neutralität hinsichtlich der
steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem
Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteile
vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 19, vom 15.
Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 15, vom 21. März
2000 in den verbundenen Rechtssachen C-110/98 und C-147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I-1577,
Randnr. 44, und vom 8. Juni 2000 in der Rechtssache C-98/98, Midland Bank, Slg. 2000, I-4177,
Randnr. 19).
25.
Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie, der bei der Auslegung des Absatzes 2 dieser
Bestimmung zu beachten ist, regelt das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer auf Eingangsumsätze,
die von dem Steuerpflichtigen „sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2
und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, alsauch für Umsätze, für die dieses Recht nicht
besteht“. Die Verwendung der Worte „verwendet werden“ in dieser Bestimmung zeigt, dass das in
Absatz 2 vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug nur entsteht, wenn die bezogenen Gegenstände
oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit Ausgangsumsätzen, die das Recht auf
Vorsteuerabzug eröffnen, zusammenhängen, und dass dabei der vom Steuerpflichtigen letztlich
verfolgte Zweck unerheblich ist (vgl. Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache C-4/94, BLP Group,
Slg. 1995, I-983, Randnrn. 18 und 19, und Urteil Midland Bank, Randnr. 20).
26.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Midland Bank entschieden hat, muss nach
Artikel 2 der Ersten Richtlinie und Artikel 17 Absätze 2, 3 und 5 der Sechsten Richtlinie grundsätzlich
ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und
einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen,
damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt
werden kann.
27.
Nach dem Grundprinzip des Mehrwertsteuersystems, das sich aus Artikel 2 der Ersten und Artikel 2
der Sechsten Richtlinie ergibt, wird die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang
erhoben, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar
belastet worden sind (Urteil Midland Bank, Randnr. 29).
28.
Nach diesem Prinzip und dem Grundsatz, dass ein Recht auf Vorsteuerabzug nur entsteht, wenn die
bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen direkt und unmittelbar mit besteuerten Umsätzen
zusammenhängen, setzt das Recht auf Abzug der für diese Gegenstände oder Dienstleistungen
entrichteten Mehrwertsteuer voraus, dass die für den Bezug dieser Leistungen getätigten
Aufwendungen zu den Kostenelementen der besteuerten Umsätze gehören. Die Aufwendungen
müssen somit Teil der Kosten der Ausgangsumsätze sein, für die die Gegenstände und
Dienstleistungen verwendet werden. Daher müssen die Kostenelemente in der Regel entstanden sein,
bevor der Steuerpflichtige die besteuerten Umsätze ausführt, denen sie zuzurechnen sind (Urteil
Midland Bank, Randnr. 30).
29.
Es ist demgemäß zu prüfen, ob ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen den
verschiedenen Dienstleistungen, die der Übertragende zur Durchführung der Übertragung eines
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Anspruch nimmt, und einem oder mehreren
besteuerten Ausgangsumsätzen besteht.
30.
Gemäß Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Übertragung eines
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen
vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.
Wenn ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist die Übertragung eines
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens folglich nicht als eine Lieferung von Gegenständen im
Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen. Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie unterliegt einesolche
Übertragung damit nicht der Mehrwertsteuer und ist deshalb kein besteuerter Umsatz im Sinne von
Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie.
31.
Da gemäß Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie der Begünstigte der Übertragung als
Rechtsnachfolger des Übertragenden angesehen wird, kann jedoch nach Auffassung von Abbey
National der Übertragende die steuerpflichtigen Lieferungen des Begünstigten berücksichtigen, um in
voller Höhe die Vorsteuer abzuziehen, die die Ausgaben für die zur Durchführung der Übertragung in
Anspruch genommenen Dienstleistungen belastet.
32.
Dem kann nicht gefolgt werden. Zum einen ergibt sich aus Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten
Richtlinie, dass ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer nur für die Gegenstände und
Dienstleistungen abziehen kann, die für Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet
werden. Zum anderen belastet jedenfalls der Mehrwertsteuerbetrag, den der Übertragende auf die
Ausgaben für beanspruchte Dienstleistungen zur Durchführung der Übertragung eines
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens entrichtet hat, nicht unmittelbar die verschiedenen
Kostenelemente der Ausgangsumsätze des Begünstigten der Übertragung, wie es nach Artikel 2 der
Ersten Richtlinie erforderlich ist. Diese Ausgaben gehören nämlich nicht zu den Kosten der
Ausgangsumsätze, für die die erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden.
33.
Gleichfalls nicht stichhaltig ist das Vorbringen von Abbey National, wenn es sich bei der Transaktion
um die gewöhnliche Übertragung der Aktiva eines Unternehmens und damit um einen steuerbaren
Umsatz gehandelt hätte, hätte Scottish Mutual die Mehrwertsteuer für die Ausgaben für die
verschiedenen Dienstleistungen zur Durchführung der Übertragung gemäß Artikel 17 Absatz 2 der
Sechsten Richtlinie abziehen können. Dass die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines
Teilvermögens für die Zwecke dieses Artikels keinen besteuerten Umsatz darstellt, ist zwingende Folge
des Umstands, dass sich der betroffene Mitgliedstaat für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 8 der
Sechsten Richtlinie entschieden hat und dass deshalb die Übertragung nicht als eine Lieferung von
Gegenständen angesehen wird. Es ist deshalb unerheblich, ob die Übertragung der
Unternehmensaktiva einen zum Abzug der fraglichen Ausgaben berechtigenden steuerbaren Umsatz
dargestellt hätte, wenn der Mitgliedstaat von der in diesem Artikel vorgesehenen Möglichkeit keinen
Gebrauch gemacht hätte.
34.
Demnach weisen die verschiedenen Dienstleistungen, die der Übertragende zur Durchführung der
Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Anspruch nimmt, keinen direkten
und unmittelbaren Zusammenhang mit einem oder mehreren Ausgangsumsätzen auf, die das Recht
zum Vorsteuerabzug eröffneten.
35.
Die Kosten dieser Dienstleistungen gehören jedoch zu den allgemeinen Kosten des
Steuerpflichtigen und gehen als solche in den Preis der Produkte eines Unternehmens ein. Selbst im
Fall der Übertragung eines Gesamtvermögens, in dem derSteuerpflichtige nach der Inanspruchnahme
der fraglichen Dienstleistungen keine Umsätze mehr tätigt, sind nämlich die Kosten für diese
Dienstleistungen als Bestandteil der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens vor der
Übertragung anzusehen. Eine andere Auslegung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie liefe dem
Grundsatz zuwider, dass das Mehrwertsteuersystem völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen
Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Unternehmens gewährleistet, sofern diese der
Mehrwertsteuer unterliegen, und belastete den Wirtschaftsteilnehmer mit den Mehrwertsteuerkosten
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, ohne dass er sie abziehen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil
Gabalfrisa u. a., Randnr. 45). Damit würde zwischen Ausgaben für die Zwecke eines Unternehmens vor
der tatsächlichen Aufnahme seiner Tätigkeit sowie während dieser Tätigkeit und Ausgaben zum Zweck
der Beendigung dieser Tätigkeit willkürlich unterschieden.
36.
Die Dienstleistungen, die der Übertragende für die Zwecke der Übertragung eines
Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Anspruch nimmt, weisen deshalb grundsätzlich einen
direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit dieses
Steuerpflichtigen auf.
37.
Gemäß Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie kann ein Steuerpflichtiger, der sowohl Umsätze
ausführt, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch Umsätze, für die dieses Recht nicht
besteht, den Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer vornehmen, der auf den Betrag der
erstgenannten Umsätze entfällt.
38.
Wie jedoch der Gerichtshof in Randnummer 26 des Urteils Midland Bank entschieden hat, kann ein
Steuerpflichtiger, der sowohl Umsätze tätigt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, als auch solche,
die nicht dazu berechtigen, dennoch die Mehrwertsteuer abziehen, mit der die von ihm bezogenen
Gegenstände oder Dienstleistungen belastet sind, sofern diese Leistungen mit den
Ausgangsumsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, direkt und unmittelbar zusammenhängen,
ohne dass es darauf ankommt, ob Absatz 2, 3 oder 5 des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie
anzuwenden ist.
39.
Diese Regel gilt auch für die Kosten von Gegenständen und Dienstleistungen, die zu den
allgemeinen Kosten eines Teils der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Steuerpflichtigen gehören, der klar
abgegrenzt ist und dessen sämtliche Umsätze der Mehrwertsteuer unterliegen, denn damit weisen
diese Gegenstände und Dienstleistungen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit
diesem Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit auf.
40.
Wenn die verschiedenen Dienstleistungen, die der Übertragende zur Durchführung der
Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens in Anspruch nimmt, einen direkten
und unmittelbaren Zusammenhang mit einem klar abgegrenzten Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit
aufweisen, so dass die Kosten dieser Dienstleistungen zu den allgemeinen Kosten dieses
Unternehmensteils gehören, und wenn alle Umsätze aus diesem Tätigkeitsbereich der Mehrwertsteuer
unterliegen, so kann der Steuerpflichtige die gesamte Mehrwertsteuer abziehen, die seine Ausgaben
für die Vergütung dieser Dienstleistungen belastet.
41.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Kriterien im Ausgangssachverhalt
erfüllt sind.
42.
Auf die Vorlagefragen ist deshalb wie folgt zu antworten: Hat ein Mitgliedstaat von der in Artikel 5
Absatz 8 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, so dass die
Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandelt wird, als ob keine
Lieferung von Gegenständen vorliegt, so gehören die Ausgaben des Übertragenden für die
Dienstleistungen, die er zur Durchführung der Übertragung in Anspruch nimmt, zu seinen allgemeinen
Kosten; sie weisen damit grundsätzlich einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner
gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Führt der Übertragende sowohl Umsätze aus, für die ein
Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, kann er
deshalb gemäß Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie nur den Teil der Mehrwertsteuer abziehen,
der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt. Weisen jedoch die verschiedenen
Dienstleistungen, die der Übertragende für die Durchführung der Übertragung in Anspruch
genommen hat, einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit einem klar abgegrenzten Teil
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit auf, so dass die Kosten dieser Dienstleistungen zu den allgemeinen
Kosten dieses Unternehmensteils gehören, und unterliegen alle Umsätze dieses Unternehmensteil
der Mehrwertsteuer, so kann der Steuerpflichtige die gesamte Mehrwertsteuer abziehen, die seine
Ausgaben für die Vergütung dieser Dienstleistungen belastet.
Kosten
43.
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der niederländischen Regierung und der
Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), mit
Beschluss vom 2. November 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Hat ein Mitgliedstaat von der in Artikel 5 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung derRechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, so
dass die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandelt
wird, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, so gehören die Ausgaben des
Übertragenden für die Dienstleistungen, die er zur Durchführung der Übertragung in
Anspruch nimmt, zu seinen allgemeinen Kosten; sie weisen damit grundsätzlich einen
direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner gesamten wirtschaftlichen
Tätigkeit auf. Führt der Übertragende sowohl Umsätze aus, für die ein Recht auf
Vorsteuerabzug besteht, als auch Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, kann er
deshalb gemäß Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie 77/388 nur den Teil der
Mehrwertsteuer abziehen, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.
Weisen jedoch die verschiedenen Dienstleistungen, die der Übertragende für die
Durchführung der Übertragung in Anspruch genommen hat, einen direkten und
unmittelbaren Zusammenhang mit einem klar abgegrenzten Teil seiner wirtschaftlichen
Tätigkeit auf, so dass die Kosten dieser Dienstleistungen zu den allgemeinen Kosten
dieses Unternehmensteils gehören, und unterliegen alle Umsätze dieses
Unternehmensteil der Mehrwertsteuer, so kann der Steuerpflichtige die gesamte
Mehrwertsteuer abziehen, die seine Ausgaben für die Vergütung dieser Dienstleistungen
belastet.
Edward
Jann
Sevón
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Februar 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
A. La Pergola
Verfahrenssprache: Englisch.