Urteil des EuGH vom 26.10.2006

EuGH: kommission, öffentliche ordnung, republik, schutz der gesundheit, spiel, ausnahme, mitgliedstaat, rüge, öffentliche sicherheit, freier warenverkehr

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
21. Juli 2011
)
„Steuerwesen – Richtlinie 2003/49/EG – Gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen
von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener
Mitgliedstaaten – Gewerbesteuer – Festsetzung der Bemessungsgrundlage“
In der Rechtssache C‑397/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom
Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Mai 2009, beim Gerichtshof
eingegangen am 14. Oktober 2009, in dem Verfahren
Scheuten Solar Technology GmbH
gegen
Finanzamt Gelsenkirchen-Süd
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der
Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Juhász und
T. von Danwitz,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16.
September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Scheuten Solar Technology GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt
K. von Brocke und Steuerberaterin A. Küntscher,
– des Finanzamts Gelsenkirchen-Süd, vertreten durch R. Rasche als
Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und C. Blaschke als
Bevollmächtigte,
– der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.‑C. Halleux als
– der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.‑C. Halleux als
Bevollmächtigte,
– der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und C. Vang als
Bevollmächtigte,
– der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im
Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und J. Langer als
Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als
Bevollmächtigten,
– der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und S. Johannesson als
Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als
Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Mai
2011
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 der Richtlinie
2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für
Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen
verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 157, S. 49).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Scheuten Solar
Technology GmbH (im Folgenden: SST) und dem Finanzamt Gelsenkirchen-Süd (im
Folgenden: Finanzamt) über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3
Art. 1 der Richtlinie 2003/49 bestimmt:
„(1) In einem Mitgliedstaat angefallene Einkünfte in Form von Zinsen oder
Lizenzgebühren werden von allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern –
Lizenzgebühren werden von allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern –
unabhängig davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranlagung erhoben
werden – befreit, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen oder Lizenzgebühren ein
Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats oder eine in einem anderen Mitgliedstaat
belegene Betriebsstätte eines Unternehmens eines Mitgliedstaats ist.
(2) Eine Zahlung, die von einem Unternehmen eines Mitgliedstaats oder einer in
einem Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte eines Unternehmens eines anderen
Mitgliedstaats getätigt wurde, gilt als in dem betreffenden Mitgliedstaat (im Folgenden
‚Quellenstaat‘ genannt) angefallen.
(4) Ein Unternehmen eines Mitgliedstaats wird nur als Nutzungsberechtigter der
Zinsen oder Lizenzgebühren behandelt, wenn es die Zahlungen zu eigenen Gunsten
und nicht nur als Zwischenträger, etwa als Vertreter, Treuhänder oder Bevollmächtigter
für eine andere Person erhält.
(7) Dieser Artikel findet nur Anwendung, wenn das Unternehmen, das Zahler der
Zinsen oder Lizenzgebühren ist, oder das Unternehmen, dessen Betriebsstätte als
Zahler der Zinsen oder Lizenzgebühren behandelt wird, ein verbundenes Unternehmen
des Unternehmens ist, das Nutzungsberechtigter ist oder dessen Betriebsstätte als
Nutzungsberechtigte dieser Zinsen oder Lizenzgebühren behandelt wird.
(10) Es steht den Mitgliedstaaten frei, diese Richtlinie nicht auf ein Unternehmen
eines anderen Mitgliedstaats oder die Betriebsstätte eines Unternehmens eines anderen
Mitgliedstaats anzuwenden, wenn die in Artikel 3 Buchstabe b) genannten
Voraussetzungen während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei
Jahren nicht erfüllt waren.
…“
4
Art. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Zinsen‘ Einkünfte aus Forderungen jeder Art, auch wenn die Forderungen durch
Pfandrechte an Grundstücken gesichert oder mit einer Beteiligung am Gewinn des
Schuldners ausgestattet sind, insbesondere Einkünfte aus öffentlichen Anleihen
und aus Obligationen einschließlich der damit verbundenen Aufgelder und der
Gewinne aus Losanleihen; Zuschläge für verspätete Zahlung gelten nicht als
Zinsen;
…“
5
In Art. 3 Buchst. b der Richtlinie heißt es:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
b) ‚verbundenes Unternehmen‘ jedes Unternehmen, das wenigstens dadurch mit
einem zweiten Unternehmen verbunden ist, dass
i) das erste Unternehmen unmittelbar mindestens zu 25 % am Kapital des
zweiten Unternehmens beteiligt ist oder
ii) das zweite Unternehmen unmittelbar mindestens zu 25 % an dem Kapital des
ersten Unternehmens beteiligt ist oder
iii) ein drittes Unternehmen unmittelbar mindestens zu 25 % an dem Kapital des
ersten Unternehmens und dem Kapital des zweiten Unternehmens beteiligt
ist.
Die Beteiligungen dürfen nur Unternehmen umfassen, die im Gemeinschaftsgebiet
niedergelassen sind.
…“
6
Art. 4 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Der Quellenstaat muss die Vorteile dieser Richtlinie nicht gewähren bei
a) Zahlungen, die nach dem Recht des Quellenstaats als Gewinnausschüttung oder
als Zurückzahlung von Kapital behandelt werden,
(2) Bestehen zwischen dem Zahler und dem Nutzungsberechtigten von Zinsen oder
Lizenzgebühren oder zwischen einem von ihnen und einem Dritten besondere
Beziehungen und übersteigt deshalb der Betrag der Zinsen oder Lizenzgebühren den
Betrag, den der Zahler und der Nutzungsberechtigte ohne diese Beziehungen vereinbart
hätten, so finden die Bestimmungen dieser Richtlinie nur auf letztgenannten Betrag
Anwendung.“
Nationales Recht
7
Nach § 2 des Gewerbesteuergesetzes von 2002 (BGBl. 2002 I S. 4167) in der auf den
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: GewStG)
unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb zusätzlich zur Einkommensteuer oder
Körperschaftsteuer der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird.
8
§ 2 Abs. 1 und 2 GewStG bestimmt:
„(1) Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland
betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des
Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Im Inland betrieben wird ein Gewerbebetrieb,
soweit für ihn im Inland oder auf einem in einem inländischen Schiffsregister
soweit für ihn im Inland oder auf einem in einem inländischen Schiffsregister
eingetragenen Kauffahrteischiff eine Betriebsstätte unterhalten wird.
(2) Als Gewerbebetrieb gilt stets und in vollem Umfang die Tätigkeit der
Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien,
Gesellschaften mit beschränkter Haftung) …“
9
Nach § 6 GewStG ist Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag
der Steuerpflichtigen.
10
Der Gewerbeertrag wird in § 7 Satz 1 GewStG wie folgt definiert:
„Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des
Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb …,
vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 bezeichneten Beträge.“
11
In § 8 GewStG („Hinzurechnungen“) heißt es:
„Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7) werden folgende Beträge wieder
hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind:
1. Die Hälfte der Entgelte für Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem
Erwerb des Betriebs (Teilbetriebs) oder eines Anteils am Betrieb oder mit einer
Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen oder der nicht nur
vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen.“
12
§ 10a GewStG sieht vor, dass bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer die Verluste von den nach § 8 GewStG ermittelten Gewinnen
abzuziehen sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13
SST ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts mit Sitz in
Gelsenkirchen. Ihre alleinige Anteilseignerin ist die niederländische Gesellschaft mit
beschränkter Haftung Scheuten Solar Systems BV mit Sitz in Venlo (Niederlande).
14
Zwischen dem 27. August 2003 und dem 1. Dezember 2004 erhielt SST aufgrund einer
Reihe von aufeinanderfolgenden Verträgen von ihrer Muttergesellschaft Darlehen über
insgesamt 5 180 000 Euro. Für diese Darlehen zahlte SST 2004 an ihre
Muttergesellschaft einen Betrag von 154 584 Euro an Zinsen und zog ihn als
Betriebsausgaben von ihren Gewinnen ab.
15
Das Finanzamt vertrat jedoch im Gewerbesteuermessbescheid für 2004, gestützt auf § 8
Nr. 1 GewStG, die Auffassung, dass SST nur 50 % des Zinsbetrags von den erzielten
Gewinnen abziehen dürfe, so dass die Hälfte der 154 584 Euro den Gewinnen aus
Gewerbebetrieb von SST hinzugerechnet wurde.
16
SST erhob gegen diesen Bescheid des Finanzamts Klage und machte geltend, dass
die Hinzurechnung der Hälfte der fraglichen Zinsen eine gegen Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/49 verstoßende Besteuerung darstelle.
Richtlinie 2003/49 verstoßende Besteuerung darstelle.
17
Mit Urteil vom 22. Februar 2008 wies das Finanzgericht Münster die Klage ab.
18
SST legte daraufhin gegen dieses Urteil Revision beim Bundesfinanzhof ein.
19
Der Bundesfinanzhof hält die Vereinbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des
innerstaatlichen Rechts mit der Richtlinie 2003/49 nicht für zweifelsfrei und hat deshalb
das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Steht Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 einer Regelung entgegen, wonach die
von einem Unternehmen eines Mitgliedstaats an ein verbundenes Unternehmen
eines anderen Mitgliedstaats gezahlten Darlehenszinsen bei dem erstgenannten
Unternehmen der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer hinzugerechnet
werden?
2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 10 der Richtlinie 2003/49 dahin
auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten auch dann freisteht, die Richtlinie nicht
anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b dieser Richtlinie genannten
Voraussetzungen für das Vorliegen eines verbundenen Unternehmens zum
Zeitpunkt der Zinszahlung noch nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums
von mindestens zwei Jahren erfüllt waren?
Können sich die Mitgliedstaaten in diesem Fall gegenüber dem zahlenden
Unternehmen unmittelbar auf Art. 1 Abs. 10 der Richtlinie 2003/49 berufen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
20
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1
Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung des
nationalen Steuerrechts entgegensteht, wonach die Darlehenszinsen, die ein
Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat an ein in einem anderen Mitgliedstaat
belegenes verbundenes Unternehmen zahlt, der Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer hinzugerechnet werden, der das erstgenannte Unternehmen unterliegt.
21
Zunächst ist festzustellen, dass SST im Ausgangsverfahren für ihren Gewerbeertrag zur
Gewerbesteuer herangezogen wurde. Bei der Festsetzung der Bemessungsgrundlage
für diese Steuer hat das Finanzamt gemäß den im Ausgangsverfahren fraglichen
nationalen Rechtsvorschriften die Hälfte der Zinsen, die dieses Unternehmen an seine in
den Niederlanden ansässige Muttergesellschaft gezahlt hat, den Gewinnen von SST
wieder hinzugerechnet.
22
Nach Ansicht von SST kommt diese Berechnung der Auferlegung einer Steuer gleich,
so dass die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschriften eine
wirtschaftliche Doppelbesteuerung von Zinszahlungen zur Folge hätten, die mit Art. 1
Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 unvereinbar sei. Alle anderen Beteiligten, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind hingegen der Auffassung, dass die
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind hingegen der Auffassung, dass die
genannten
Rechtsvorschriften
nicht
in
den
Anwendungsbereich
dieser
Richtlinienbestimmung fallen, und schlagen deshalb vor, die Vorlagefrage zu verneinen.
23
Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof dazu aufgerufen, den Anwendungsbereich
des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 zu bestimmen.
24
Den Erwägungsgründen 2 bis 4 der Richtlinie 2003/49 ist zu entnehmen, dass die
Richtlinie Doppelbesteuerungen bei Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren
zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten beseitigen und
gewährleisten soll, dass diese Zahlungen einmal in einem einzigen Mitgliedstaat
besteuert werden. Nach diesen Erwägungsgründen besteht das geeignetste Mittel, um
die steuerliche Gleichbehandlung innerstaatlicher und grenzübergreifender
Finanzbeziehungen zu gewährleisten, darin, die Steuern bei diesen Zahlungen in dem
Mitgliedstaat, in dem diese Einkünfte anfallen, zu beseitigen.
25
Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/49, wie er in Art. 1 Abs. 1 umschrieben ist,
erstreckt sich daher auf die Befreiung von in einem Mitgliedstaat angefallenen Einkünften
in Form von Zinsen und Lizenzgebühren, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen
oder Lizenzgebühren ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen oder
eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte ist, die zu einem
Unternehmen eines Mitgliedstaats gehört.
26
Die in dieser Bestimmung enthaltene Regelung soll sicherstellen, dass der
Nutzungsberechtigte von Zinsen und Lizenzgebühren, die in einem anderen
Mitgliedstaat als seinem Sitzstaat angefallen sind, im Quellenstaat der Zinsen und
Lizenzgebühren von allen Steuern befreit ist. Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
2003/49 stellt nämlich durch die unterordnende Konjunktion „sofern“ eine Verbindung
zwischen der Zahlung solcher Zinsen und Lizenzgebühren in einem Mitgliedstaat und
dem Erhalt der Zahlungen durch den Nutzungsberechtigten in einem anderen
Mitgliedstaat her.
27
In diesem Zusammenhang definiert Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/49 diese Zinsen
als „Einkünfte aus Forderungen jeder Art“. Nur beim Nutzungsberechtigten können aber
Zinsen als Einkünfte aus solchen Forderungen anfallen.
28
Aus dem Vorstehenden folgt, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 unter
Berücksichtigung der Erwägungsgründe 2 bis 4 dieser Richtlinie darauf gerichtet ist, eine
rechtliche Doppelbesteuerung grenzüberschreitender Zinszahlungen zu verhindern,
indem er eine Besteuerung der Zinsen im Quellenstaat zulasten des
Nutzungsberechtigten dieser Zinsen verbietet. Die genannte Bestimmung betrifft also
ausschließlich die steuerliche Situation des Zinsgläubigers.
29
Eine solche Auslegung des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 wird auch durch Art. 1
Abs. 10 dieser Richtlinie gestützt, der den Mitgliedstaaten gestattet, die Befreiung nach
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu gewähren. Die
von Art. 1 Abs. 10 der Richtlinie erfassten Rechtssubjekte werden dort als ein
„Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats oder die Betriebsstätte eines Unternehmens
eines anderen Mitgliedstaats“ umschrieben. Der Zinszahler wird darin tatsächlich nicht
eines anderen Mitgliedstaats“ umschrieben. Der Zinszahler wird darin tatsächlich nicht
erwähnt. Dieser Ausnahmeregelung ist somit zu entnehmen, dass sie für den
Nutzungsberechtigten von Zinsen oder Lizenzgebühren in einem anderen Mitgliedstaat
gilt und nicht für den Schuldner dieser Zinsen oder Lizenzgebühren.
30
Nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren fraglichen führen jedoch
nicht zu einer Verringerung der Einkünfte des Gläubigers. Der Nutzungsberechtigte der
entrichteten Zinsen muss diese nicht versteuern. Die fraglichen Rechtsvorschriften
beziehen sich nur auf die Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer, der im vorliegenden Fall der Schuldner der entrichteten Zinsen
unterliegt.
31
Dabei ist zu beachten, dass die Berechnungsweise der Bemessungsgrundlage für die
Besteuerung des Zinszahlers und die dabei zu beachtenden Faktoren wie die
Berücksichtigung bestimmter Aufwendungen bei dieser Berechnung nicht Gegenstand
des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 sind.
32
In Bezug auf die im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften ist darauf
hinzuweisen, dass die Besonderheiten der betreffenden Gewerbesteuer darin liegen,
dass der Gewerbeertrag zunächst nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes
und des Körperschaftsteuergesetzes ermittelt wird und dann bestimmte Beträge
hinzugefügt oder als Freibeträge abgezogen werden. Die Hinzurechnung betrifft nur
solche Beträge, die auf der ersten Stufe der Berechnung abgezogen wurden.
33
Die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts über die Bemessungsgrundlage für die
Besteuerung des Zinszahlers wie die Regelungen über die Abziehbarkeit bestimmter
Aufwendungen und deren Natur folgen besonderen gesetzgeberischen Orientierungen,
die zur Steuerpolitik der Mitgliedstaaten gehören.
34
In Ermangelung einer Bestimmung, die die Berechnung der Bemessungsgrundlage für
die Besteuerung des Zinszahlers regelt, kann sich daher der Anwendungsbereich des
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 nicht über die in dieser Bestimmung vorgesehene
Befreiung hinaus erstrecken.
35
Zu eventuellen Auswirkungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie
90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der
Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6)
schließlich genügt der Hinweis, dass den Urteilen vom 4. Oktober 2001, Athinaïki
Zythopoiïa (C‑294/99, Slg. 2001, I‑6797), und vom 26. Juni 2008, Burda (C‑284/06, Slg.
2008, I‑4571), wie die Generalanwältin in den Nrn. 45 bis 49 ihrer Schlussanträge
ausgeführt hat, keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die für die Auslegung des Art. 1
Abs. 1 der Richtlinie 2003/49 im Zusammenhang mit nationalen Rechtsvorschriften wie
den im Ausgangsverfahren fraglichen hilfreich sein könnten. In den Rechtssachen, in
denen die genannten Urteile ergangen sind, lag nämlich der Tatbestand, der die
fragliche Steuer auslöste, in der Gewinnausschüttung der Tochtergesellschaft an die
Muttergesellschaft. Bei den Zinszahlungen, um die es im Ausgangsverfahren geht,
handelt es sich hingegen nicht um einen Steuertatbestand. Die im Ausgangsverfahren
fraglichen nationalen Rechtsvorschriften betreffen nur die Abzugsfähigkeit solcher
Zahlungen
als
Aufwendungen
für
die
Zwecke
der
Berechnung
der
Zahlungen
als
Aufwendungen
für
die
Zwecke
der
Berechnung
der
Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer.
36
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
2003/49 dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung des nationalen Steuerrechts
nicht entgegensteht, wonach die Darlehenszinsen, die ein Unternehmen mit Sitz in
einem Mitgliedstaat an ein in einem anderen Mitgliedstaat belegenes verbundenes
Unternehmen zahlt, der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer hinzugerechnet
werden, der das erstgenannte Unternehmen unterliegt.
Zur zweiten Frage
37
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
38
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine
gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren
zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten ist dahin
auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Steuerrechts nicht
entgegensteht, wonach die Darlehenszinsen, die ein Unternehmen mit Sitz in
einem Mitgliedstaat an ein in einem anderen Mitgliedstaat belegenes verbundenes
Unternehmen zahlt, der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer
hinzugerechnet werden, der das erstgenannte Unternehmen unterliegt.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.