Urteil des EuGH vom 06.07.2006
EuGH: steuerpflichtige person, einkünfte, erstellung, gesellschafter, nummer, mitgliedstaat, kommanditgesellschaft, abgabe, unternehmer, diskriminierung
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)
6. Juli 2006()
„Niederlassungsfreiheit – Einkommensteuer – Einkommensteuererklärung – Steuerberatung – Recht
auf Abzug der Ausgaben“
In der Rechtssache C-346/04
betreffend  ein  Vorabentscheidungsersuchen  nach  Artikel  234  EG,  eingereicht  vom  Bundesfinanzhof
(Deutschland)  mit  Entscheidung  vom  26.  Mai  2004,  beim  Gerichtshof  eingegangen  am  12.  August
2004, in dem Verfahren
Robert Hans Conijn
gegen
Finanzamt Hamburg-Nord
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter  Mitwirkung  des  Kammerpräsidenten  A.  Rosas,  der  Richter  J.‑P.  Puissochet,  S.  von  Bahr,
U. Lõhmus (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–        der deutschen Regierung, vertreten durch C. D. Quassowski und A. Tiemann als Bevollmächtigte,
–                der  Kommission  der  Europäischen  Gemeinschaften,  vertreten  durch  R.  Lyal  und  K.  Gross  als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. März 2006
folgendes
Urteil
1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 52 EG‑Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 43 EG).
2                Dieses  Ersuchen  ergeht  in  einem  Rechtsstreit  zwischen  Herrn  Conijn  und  dem  Finanzamt
Hamburg‑Mitte‑Altstadt,  dessen  Aufgaben  am  1.  März  2005  vom  Finanzamt  Hamburg‑Nord  (im
Folgenden: Finanzamt) übernommen wurden. Herr Conijn beantragt, ihm das Recht zuzuerkennen, den
Gesamtbetrag  seiner  Einkünfte  um  die  Steuerberatungskosten  zu  vermindern,  die  ihm  für  die
Erstellung  seiner  Einkommensteuererklärung  über  die  von  ihm  in  Deutschland  als  beschränkt
Steuerpflichtigem erzielten Einkünfte entstanden sind.
Nationale Rechtsvorschriften
3                Gemäß  dem  Einkommensteuergesetz  in  der  Fassung  von  1997  (EStG  1997)  ist  zwischen  im  Inland
ansässigen,  unbeschränkt  einkommensteuerpflichtigen  Personen  und  gebietsfremden,  beschränkt
einkommensteuerpflichtigen  Personen  zu  unterscheiden,  die  in  Deutschland  mit  ihren  dort  erzielten
Einkünften der Steuer unterliegen.
4        § 15 Absatz 1 Nummer 2 EStG 1997 betrifft die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und lautet:
„(1)      Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind
1.      …
2.            die  Gewinnanteile  der  Gesellschafter  einer  Offenen  Handelsgesellschaft,  einer
Kommanditgesellschaft  und  einer  anderen  Gesellschaft,  bei  der  der  Gesellschafter  als
Unternehmer  (Mitunternehmer)  des  Betriebs  anzusehen  ist,  und  die  Vergütungen,  die  der
Gesellschafter  von  der  Gesellschaft  für  seine  Tätigkeit  im  Dienst  der  Gesellschaft  oder  für  die
Hingabe  von  Darlehen  oder  für  die  Überlassung  von  Wirtschaftsgütern  bezogen  hat.  Der
mittelbar  über  eine  oder  mehrere  Personengesellschaften  beteiligte  Gesellschafter  steht  dem
unmittelbar  beteiligten  Gesellschafter  gleich;  er  ist  als  Mitunternehmer  des  Betriebs  der
Gesellschaft  anzusehen,  an  der  er  mittelbar  beteiligt  ist,  wenn  er  und  die
Personengesellschaften,  die  seine  Beteiligung  vermitteln,  jeweils  als  Mitunternehmer  der
Betriebe der Personengesellschaften anzusehen sind, an denen sie unmittelbar beteiligt sind.“
5                Einkünfte  aus  Gewerbebetrieb  sind  gemäß  §  49  Absatz  1  Nummer  2  Buchstabe  a  EStG  1997
steuerpflichtige Einkünfte.
6                Gemäß  §  50  Absatz  1  EStG  1997  können  Personen,  die  in  Deutschland  beschränkt  steuerpflichtig
sind,  Steuerberatungskosten  nicht  als  Sonderausgaben  geltend  machen,  während  unbeschränkt
einkommensteuerpflichtige Personen dazu nach § 10 Absatz 1 Nummer 6 EStG 1997 berechtigt sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7                Herr  Conijn  ist  niederländischer  Staatsangehöriger  mit  Wohnsitz  in  den  Niederlanden.  Im  Jahr  1998
erzielte  er  aus  der  Beteiligung  an  einer  Kommanditgesellschaft  deutschen  Rechts  über  eine
Erbengemeinschaft Einkünfte in Deutschland aus Gewerbebetrieb in Höhe von 146 373,50 DM. Dieser
Betrag entsprach weniger als 90 % seines Welteinkommens.
8        In seiner Einkommensteuererklärung 1998 machte er die auf ihn entfallenden Steuerberatungskosten
für  die  Erstellung  der  Einkommensteuererklärung  in  Deutschland  in  Höhe  von  1  046  DM  als
Sonderausgaben  gemäß  §  10  Absatz  1  Nummer  6  EStG  1997  geltend.  Das  Finanzamt  erkannte  den
Abzug dieser Ausgaben unter Hinweis auf § 50 Absatz 1 EStG 1997 nicht an.
9                Herr  Conijn  erhob  gegen  den  ablehnenden  Bescheid  Klage  beim  Finanzgericht  Hamburg.  Die  Klage
wurde  mit  Urteil  vom  11.  November  2003  abgewiesen.  Herr  Conijn  legte  hiergegen  beim
Bundesfinanzhof Revision ein, mit der er beantragte, das Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die
Steuerberatungskosten  zu  berücksichtigen  sind.  Das  Finanzamt  beantragte,  die  Revision
zurückzuweisen.
10      Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Widerspricht  es  Artikel  52  EG-Vertrag,  wenn  der  im  Inland  beschränkt  steuerpflichtige  Angehörige
eines anderen Mitgliedstaats anders als ein unbeschränkt Steuerpflichtiger den Gesamtbetrag seiner
Einkünfte  nicht  um  die  ihm  entstehenden  Steuerberatungskosten  als  Sonderausgaben  vermindern
kann?
Zur Vorlagefrage
11            Das  vorlegende  Gericht  möchte  im  Wesentlichen  wissen,  ob  Artikel  52  EG-Vertrag  einer  nationalen
Rechtsvorschrift  wie  der  im  Ausgangsverfahren  streitigen  entgegensteht,  die  einer  beschränkt
steuerpflichtigen  Person  nicht  erlaubt,  die  Steuerberatungskosten,  die  ihr  für  die  Erstellung  ihrer
Einkommensteuererklärung entstanden sind, in gleicher Weise wie eine unbeschränkt steuerpflichtige
Person als Sonderausgaben von ihren steuerpflichtigen Einkünften abzuziehen.
12            Nach  ständiger  Rechtsprechung  umfasst  die  Niederlassungsfreiheit  der  Staatsangehörigen  eines
Mitgliedstaats  im  Hoheitsgebiet  eines  anderen  Mitgliedstaats  die  Aufnahme  und  Ausübung
selbständiger  Erwerbstätigkeiten  sowie  die  Gründung  und  Leitung  von  Unternehmen  nach  den
Bestimmungen  des  Niederlassungsstaats  für  seine  eigenen  Angehörigen  (vgl.  u.  a.  Urteile  vom  28.
Januar 1986 in der Rechtssache 270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 13; vom 29.
April  1999  in  der  Rechtssache  C‑311/97,  Royal  Bank  of  Scotland,  Slg.  1999,  I‑2651,  Randnr.  22,  und
vom 13. April 2000 in der Rechtssache C‑251/98, Baars, Slg. 2000, I‑2787, Randnr. 27).
13      Herr Conijn wird in Deutschland mit seinen dort erzielten Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 49
EStG 1997 zur Steuer herangezogen. Aufgrund dieser Tätigkeit unterliegt er in Bezug auf die Gewinne
der  Kommanditgesellschaft  der  direkten  Besteuerung  und  gilt  nach  dem  nationalen  Steuerrecht  als
Unternehmer.
14            Die  direkten  Steuern  fallen  zwar  in  die  Zuständigkeit  der  Mitgliedstaaten,  diese  müssen  ihre
Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (Urteile vom 11. August 1995 in
der Rechtssache C‑80/94, Wielockx, Slg. 1995, I‑2493, Randnr. 16, vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache
C‑35/98,  Verkooijen,  Slg.  2000,  I‑4071,  Randnr.  32,  und  vom  26.  Juni  2003  in  der  Rechtssache
C‑422/01, Skandia und Ramstedt, Slg. 2003, I‑6817, Randnr. 25).
15            Die  nationalen  Steuervorschriften  dürfen  deshalb  keine  offensichtliche  oder  verschleierte
Diskriminierung  aufgrund  der  Staatsangehörigkeit  darstellen  (vgl.  u.  a.  Urteile  Wielockx,  Randnr.  16,
und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C‑385/00, De Groot, Slg. 2002, I‑11819, Randnr. 75).
16      Angesichts der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen
der  Gebietsfremden  –  sowohl  hinsichtlich  der  Einkunftsquelle  als  auch  hinsichtlich  der  persönlichen
Steuerkraft  sowie  der  personen‑  und  familienbezogenen  Umstände  –  ist  es  jedoch  in  der  Regel  nicht
diskriminierend,  wenn  ein  Mitgliedstaat  Gebietsfremden  bestimmte  Steuervergünstigungen  versagt,
die  er  Gebietsansässigen  gewährt  (Urteile  vom  14.  Februar  1995  in  der  Rechtssache  C‑279/93,
Schumacker, Slg. 1995, I‑225, Randnr. 34, und vom 14. September 1999 in der Rechtssache C‑391/97,
Gschwind, Slg. 1999, I‑5451, Randnr. 23).
17      Der Wohnort stellt im Übrigen auch den steuerlichen Anknüpfungspunkt dar, auf den das geltende
internationale
Steuerrecht,
insbesondere
das
Muster-Doppelbesteuerungsabkommen
der
Organisation  für  wirtschaftliche  Zusammenarbeit  und  Entwicklung  (OECD)  (Musterabkommen  zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen,
Bericht  des  Fiskalausschusses  der  OECD,  1977,  Fassung  vom  29.  April  2000),  für  die  Aufteilung  der
Steuerhoheit zwischen den Staaten in Fällen mit Auslandsbeziehung grundsätzlich abstellt.
18      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass Herr Conijn, der in den Niederlanden wohnt, in
Deutschland weniger als 90 % seiner Gesamteinkünfte erzielt.
19      Es stellt sich demnach die Frage, ob der objektive Unterschied zwischen der Situation eines solchen
Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen es erlaubt, dass eine nationale Regelung wie die im
Ausgangsverfahren  streitige  einem  Gebietsfremden  den  Abzug  der  Steuerberatungskosten  verwehrt,
während  ein  Gebietsansässiger  diese  im  Rahmen  seiner  Einkommensteuererklärung  geltend  machen
kann.
20      Der Gerichtshof hat zu den mit den Einkünften einer beschränkt steuerpflichtigen Person unmittelbar
zusammenhängenden  Ausgaben  festgestellt,  dass  eine  beschränkt  steuerpflichtige  Person  bei
Ausgaben  wie  den  mit  einer  Tätigkeit  in  einem  anderen  Mitgliedstaat  zusammenhängenden
Betriebsausgaben genauso wie eine unbeschränkt steuerpflichtige Person zu behandeln ist (vgl. Urteil
vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C‑234/01, Gerritse, Slg. 2003, I‑5933, Randnr. 27).
21            Bei  unbeschränkt  Steuerpflichtigen  ist  der  Abzug  der  Steuerberatungskosten  als  Sonderausgaben
nach  Ansicht  der  deutschen  Regierung  dadurch  begründet,  dass  diese  Aufwendungen  wegen  des
komplexen nationalen Steuerrechts erforderlich seien.
22      Herr Conijn hat die im Ausgangsverfahren streitigen Steuerberatungskosten für die Erstellung seiner
Einkommensteuererklärung über seine in Deutschland erzielten Einkünfte aufgewendet. Die Pflicht zur
Abgabe  dieser  Erklärung  ergibt  sich  daraus,  dass  er  in  diesem  Mitgliedstaat  Einkünfte  erzielt.  Die
Steuerberatungskosten  stehen  also  in  einem  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  den  in  diesem
Mitgliedstaat  erzielten  Einkünften;  sie  belasten  daher  die  Einkünfte  aller  Steuerpflichtigen,  ob
gebietsansässig oder nicht, in gleicher Weise.
23      Außerdem befinden sich die gebietsansässigen und die gebietsfremden Steuerpflichtigen im Hinblick
auf  die  Komplexität  des  nationalen  Steuerrechts  in  einer  vergleichbaren  Situation.  Daher  ist  das
gebietsansässigen  Steuerpflichtigen  zuerkannte  Abzugsrecht,  mit  dem  die  Aufwendungen  für  eine
Steuerberatung ausgeglichen werden sollen, auch gebietsfremden Steuerpflichtigen zuzuerkennen, für
die das nationale Steuersystem genauso komplex ist.
24            Unter  diesen  Umständen  befinden  sich  gebietsansässige  und  gebietsfremde  Steuerpflichtige
hinsichtlich  der  Frage  der  Abzugsfähigkeit  der  Steuerberatungskosten  als  Sonderausgaben  in  einer
vergleichbaren  Situation,  und  die  nationale  Vorschrift,  die  Gebietsfremden  die  Möglichkeit  eines
solchen Abzugs verwehrt, stellt eine unzulässige Beschränkung im Sinne von Artikel 52 EG-Vertrag dar.
25            Da  vor  dem  Gerichtshof  keine  konkrete  Rechtfertigung  für  eine  solche  Ungleichbehandlung
vorgetragen wurde, ist festzustellen, dass sich die nationale Vorschrift hauptsächlich zum Nachteil von
Staatsangehörigen  der  übrigen  Mitgliedstaaten  auswirkt  und  dadurch  zu  einer  mittelbaren
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führt.
26      Infolgedessen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 52 EG-Vertrag einer nationalen
Vorschrift  entgegensteht,  die  einer  beschränkt  steuerpflichtigen  Person  nicht  erlaubt,  die
Steuerberatungskosten,  die  ihr  für  die  Erstellung  ihrer  Einkommensteuererklärung  entstanden  sind,
nicht  in  gleicher  Weise  wie  eine  unbeschränkt  steuerpflichtige  Person  von  ihren  steuerpflichtigen
Einkünften als Sonderausgaben abzuziehen.
Kosten
27            Für  die  Parteien  des  Ausgangsverfahrens  ist  das  Verfahren  ein  Zwischenstreit  in  dem  bei  dem
vorlegenden  Gericht  anhängigen  Rechtsstreit;  die  Kostenentscheidung  ist  daher  Sache  dieses
Gerichts.  Die  Auslagen  anderer  Beteiligter  für  die  Abgabe  von  Erklärungen  vor  dem  Gerichtshof  sind
nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) steht einer nationalen Vorschrift
entgegen,
die
einer
beschränkt
steuerpflichtigen
Person
nicht
erlaubt,
die
Steuerberatungskosten,  die  ihr  für  die  Erstellung  ihrer  Einkommensteuererklärung
entstanden  sind,  nicht  in  gleicher  Weise  wie  eine  unbeschränkt  steuerpflichtige  Person
von ihren steuerpflichtigen Einkünften als Sonderausgaben abzuziehen.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Deutsch.