Urteil des EuGH vom 17.12.1998
EuGH: sicherheit, treibstoff, schutz der gesundheit, nichteinhaltung der frist, anpassung, gefährdung, verfügung, auswärtige angelegenheiten, vereinigtes königreich, arbeitsbedingungen
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. Dezember 1998
„Sozialpolitik — Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer — Benutzung von Arbeitsmitteln —
Gefährdung durch Exposition gegenüber Karzinogenen — Richtlinien 89/655/EWG und 90/394/EWG“
In der Rechtssache C-2/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunale Genua (Italien) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Società italiana petroli (IP) SpA
gegen
Borsana Srl
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 4 der Richtlinie 89/655/EWG
des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei
Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels
16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 393, S. 13) und der Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie
90/394/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch
Karzinogene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie
89/391/EWG) (ABl. L 196, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, J. -P.
Puissochet, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter),
D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, R. Schintgen und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Società italiana petroli (IP) SpA, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Maresca und G. Mensi,
Genua,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch I. Martínez del Peral, Juristischer
Dienst, und E. Altieri, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Società italiana petroli (IP) SpA, vertreten durch
Rechtsanwalt M. Maresca, der französischen Regierung, vertreten durch R. Loosli-Surrans, Chargé de mission
in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, und
der Kommission, vertreten durch I. Martínez del Peral und P. Stancanelli, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 3. März 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. April 1998,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunale Genua hat mit Beschluß vom 14. Dezember 1996, beim Gerichtshof eingegangen am
3. Januar 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 der
Richtlinie 89/655/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und
Gesundheitsschutz bei
Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des
Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 393, S. 13) und der Artikel 3, 4 und 5 der
Richtlinie 90/394/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen
Gefährdung durch Karzinogene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1
der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 196, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diesen Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Società italiana petroli (IP) SpA (im
folgenden: Italiana petroli) und der Borsana Srl (im folgenden: Borsana) wegen der von letzterer auf
der Grundlage der Richtlinien 89/655 und 90/394 verlangten Lieferung von Treibstoff mit einem
möglichst niedrigen Benzolgehalt und von Vorrichtungen zum Auffangen der Gase und Dämpfe bei der
Abgabe des Treibstoffs.
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Die Richtlinie 89/655 wurde auf der Grundlage des Artikels 118a EWG-Vertrag erlassen. Sie
bestimmt in Artikel 4 (Vorschriften für die Arbeitsmittel):
„(1) Unbeschadet des Artikels 3 hat der Arbeitgeber sich Arbeitsmittel zu beschaffen bzw.
Arbeitsmittel zu benutzen, die,
a) sofern sie den Arbeitnehmern erstmalig nach dem 31. Dezember 1992 im Unternehmen bzw.
Betrieb zur Verfügung gestellt werden,
i) den Bestimmungen aller geltenden einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen;
ii) den Mindestvorschriften im Sinne des Anhangs entsprechen, wenn keine andere
Gemeinschaftsrichtlinie anwendbar ist oder wenn eine etwaige andere Gemeinschaftsrichtlinie nur
teilweise anwendbar ist;
b) sofern sie den Arbeitnehmern am 31. Dezember 1992 im Unternehmen bzw. Betrieb bereits zur
Verfügung stehen, spätestens vier Jahre nach diesem Zeitpunkt den Mindestvorschriften im Sinne des
Anhangs entsprechen.“
4.
Die Richtlinie 90/394 wurde auf der Grundlage des Artikels 118a des Vertrages erlassen. Ihr Artikel
3 (Anwendungsbereich — Ermittlung und Bewertung der Gefahren) sieht folgendes vor:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer aufgrund ihrer Arbeit Karzinogenen
ausgesetzt sind oder sein können.
(2) Für jede Tätigkeit, bei der eine Exposition gegenüber Karzinogenen auftreten kann, müssen die
Art, das Ausmaß und die Dauer der Exposition der Arbeitnehmer ermittelt werden, damit alle Gefahren
für die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bewertet und entsprechende Maßnahmen
festgelegt werden können.
Diese Bewertung muß in regelmäßigen Abständen und auf jeden Fall bei jeder Änderung der
Bedingungen, die sich auf die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber Karzinogenen auswirken
können, erneut vorgenommen werden.
Der Arbeitgeber muß den zuständigen Behörden auf Aufforderung die dieser Bewertung zugrunde
liegenden Kriterien mitteilen.
...“
5.
Artikel 4 der Richtlinie 90/394 (Verringerung und Ersatz) bestimmt:
„(1) Der Arbeitgeber verringert die Verwendung eines Karzinogens am Arbeitsplatz, insbesondere
indem er es, soweit dies technisch möglich ist, durch Stoffe, Zubereitungen oder Verfahren ersetzt,
die bei ihrer Verwendung bzw. Anwendung nicht oder weniger gefährlich für die Gesundheit und
gegebenenfalls für die Sicherheit der Arbeitnehmer sind.
(2) Der Arbeitgeber teilt der zuständigen Behörde auf Anforderung das Ergebnis seiner
Untersuchungen mit.“
6.
Artikel 5 der Richtlinie 90/394 (Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung einer Exposition)
ergänzt:
„(1) Ergibt sich aus den Ergebnissen der in Artikel 3 Absatz 2 vorgesehenen Bewertung ein Risiko
für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer, so muß die Exposition der Arbeitnehmer
vermieden werden.
(2) Ist die Substitution des Karzinogens durch Stoffe, Zubereitungen oder Verfahren, die bei ihrer
Verwendung bzw. Anwendung nicht oder weniger gefährlich für die Sicherheit und Gesundheit sind,
technisch nicht möglich, so sorgt der Arbeitgeber dafür, daß die Herstellung und die Verwendung des
Karzinogens, soweit technisch möglich, in einem geschlossenen System stattfinden.
(3) Ist die Anwendung eines geschlossenen Systems technisch nicht möglich, so sorgt der
Arbeitgeber dafür, daß die Exposition der Arbeitnehmer auf das geringste technisch mögliche Niveau
gesenkt wird.
...“
7.
Die Richtlinie 85/210/EWG des Rates vom 20. März 1985 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über den Bleigehalt von Benzin (ABl. L 96, S. 25) wurde auf der Grundlage des Artikels
100 EG-Vertrag vor dem Inkrafttreten der Einheitlichen Akte erlassen. Sie bestimmt in Artikel 4 Absatz
1:
„Ab 1. Oktober 1989 beträgt der Benzolgehalt von verbleitem und unverbleitem Benzin nicht mehr als
5,0 % vol.“
8.
Artikel 7 der Richtlinie 85/210 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich des Absatzes 2 dürfen die Mitgliedstaaten aus Gründen des Blei- oder
Benzolgehalts den freien Verkehr und die freie Vermarktung von Benzin, das den Vorschriften dieser
Richtlinie entspricht, nicht verhindern oder begrenzen.
(2) Wendet ein Mitgliedstaat Artikel 2 Absatz 3 an, so wird der zulässige Höchstgehalt an Blei des in
seinem Hoheitsgebiet auf den Markt gebrachten Benzins auf 0,15 g Pb/1 festgesetzt.“
Das italienische Recht
9.
Das Decreto legislativo Nr. 626 vom 19. September 1994 (GURI Nr. 265 vom 12. November 1994,
supplemento ordinario; im folgenden: Decreto legislativo Nr. 626/94) bestimmt in Artikel 6 Absatz 1:
„1. Die Planer von Arbeitsplätzen, -stellen oder -anlagen beachten bei den planerischen und
technischen Entscheidungen die allgemeinen Verhütungsgrundsätze im Bereich der Sicherheit und
Gesundheit und wählen Maschinen und Schutzvorrichtungen, die den wesentlichen in den geltenden
Rechtsvorschriften vorgesehenen Sicherheitsanforderungen entsprechen.“
10.
Artikel 62 (Ersatz und Verringerung) des Decreto legislativo Nr. 626/94 sieht vor:
„1. Der Arbeitgeber vermeidet oder verringert die Verwendung eines Karzinogens am Arbeitsplatz,
insbesondere indem er es, soweit dies technisch möglich ist, durch Stoffe, Zubereitungen oder
Verfahren ersetzt, die bei ihrer Verwendung nicht oder weniger schädlich für die Gesundheit und
gegebenenfalls für die Sicherheit der Arbeitnehmer sind.
2. Ist die Substitution des Karzinogens technisch nicht möglich, so sorgt der Arbeitgeber dafür, daß
die Herstellung und die Verwendung des Karzinogens, soweit technisch möglich, in einem
geschlossenen System stattfinden.
3. Ist die Anwendung eines geschlossenen Systems technisch nicht möglich, so sorgt der
Arbeitgeber dafür, daß die Exposition der Arbeitnehmer auf das geringste technisch mögliche Niveau
gesenkt wird.“
11.
Artikel 63 (Bewertung der Gefahr) des Decreto legislativo Nr. 626/94 bestimmt:
„1. Vorbehaltlich des Artikels 62 nimmt der Arbeitgeber eine Bewertung der Exposition gegenüber
Karzinogenen vor, deren Ergebnisse in dem in Artikel 4 Absatz 2 genannten Dokument festgehalten
werden.
2. Diese Bewertung berücksichtigt insbesondere die Merkmale, Dauer und Häufigkeit der Arbeiten
sowie die Mengen und Konzentration der hergestellten oder verwendeten Karzinogene und deren
Eignung, durch verschiedene Arten der Absorption in den Organismus einzudringen, wobei auch zu
berücksichtigen ist, in welchem Aggregatzustand sie sich befinden und, wenn dieser fest ist, ob sie
eine kompakte Masse bilden oder flockig oder pulvrig sind und ob sie sich in einer ihren Austritt
beschränkenden oder verhindernden festen Matrix befinden oder nicht.
3. Der Arbeitgeber trifft aufgrund der Ergebnisse der Bewertung nach Absatz 1 die im vorliegenden
Titel genannten Verhütungs- und Schutzmaßnahmen und paßt sie den Besonderheiten der
Arbeitssituationen an.
...“
12.
Die Artikel 89 und 90 des Decreto legislativo Nr. 626/94 sehen bei Nichtbeachtung der in den
Artikeln 62 und 63 festgelegten Verpflichtungen Strafen bis zu Freiheitsstrafe von drei bis sechs
Monaten vor.
13.
Artikel 36 Absatz 7 des Decreto legislativo Nr. 626/94 hat darüber hinaus Artikel 20 des Dekrets des
Präsidenten der Republik Nr. 303 vom 19. März 1956 um folgenden Absatz ergänzt:
„Arbeitsmittel, die aufgrund des Ausströmens von Gas, Dämpfen oder Flüssigkeiten oder aufgrund der
Emission von Staub Gefahren verursachen, sind mit geeigneten Auffang- oder
Extraktionsvorrichtungen nahe bei der Gefahrenquelle zu versehen.“
14.
Artikel 36 des Decreto legislativo Nr. 626/94 trat gemäß seinem Absatz 8 drei Monate nach der
Bekanntmachung des Dekrets in der in Kraft.
15.
Im übrigen bestimmt Artikel 2 Absätze 1 und 2 des Decreto-legge Nr. 294 vom 27. Mai 1996 (GURI
Nr. 123 vom 28. Mai 1996 ; im folgenden: Decreto-legge Nr. 294/96):
„1. Vom 1. Juli 1997 bis zum 30. Juni 1999 beträgt der zulässige Benzolgehalt von Benzin maximal 1,4
Vol.-%.
2. Ab 1. Juli 1999 beträgt der zulässige Benzolgehalt von Benzin maximal 1 Vol.-%.“
Das Ausgangsverfahren
16.
Am 19. Juli 1991 schloß Italiana petroli mit Borsana mehrere Verträge über die Lieferung von
Treibstoff für Kraftfahrzeuge sowie über die unentgeltliche Überlassung der für den Weiterverkauf des
Treibstoffs nötigen Anlagen und Einrichtungen.
17.
Mit Schreiben vom 3. Juni 1996 forderte Borsana die Italiana petroli gemäß den Bestimmungen des
Decreto legislativo Nr. 626/94 und der Richtlinien 89/655 und 90/394 auf, ihr Treibstoff mit einem
möglichst niedrigen Benzolgehalt und Vorrichtungen zum Auffangen der Gase und Dämpfe bei der
Abgabe des Treibstoffes zur Verfügung zu stellen, um die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen.
18.
Italiana petroli hielt es wegen der Divergenzen, die zwischen den Vorschriften des Decreto
legislativo Nr. 626/94, insbesondere seinen Artikeln 62 und 63, und denen der Richtlinien 90/394 und
89/655 im Hinblick auf die Bewertung der Gefährdung durch die Exposition gegenüber Karzinogenen
und die den Arbeitgebern für die Anpassung der Arbeitsmittel gewährten Fristen bestünden, nicht für
möglich, der Forderung von Borsana zu entsprechen. Sie bezweifelte zudem, ob die Richtlinie 90/394
und das Decreto legislativo Nr. 626/94 mit den Artikeln 30, 36 und 100a EG-Vertrag vereinbar seien,
soweit sie die Arbeitgeber zusätzlich dazu verpflichteten, nach Maßgabe der durch den technischen
Fortschritt eröffneten Möglichkeiten die Exposition gegenüber Karzinogenen und somit gegenüber in
Treibstoff enthaltenem Benzol auf ein Niveau unterhalb des in der Richtlinie 85/210 festgesetzten
Grenzwertes und sogar der noch niedrigeren Grenzwerte des Decreto-legge Nr. 294/96 zu senken.
19.
Italiana petroli erhob daher am 25. Juni 1996 beim Tribunale Genua Klage gegen Borsana auf
Feststellung, daß sie weder verpflichtet ist, Borsana Treibstoff mit einem niedrigeren Benzolgehalt als
in der Richtlinie 85/210 und dem Decreto-legge Nr. 294/96 festgelegt zu liefern, noch, ihr vor Ablauf
der in der Richtlinie 89/655 und dem Decreto-legge Nr. 294/96 festgesetzten Fristen Gas- und
Dampfauffangvorrichtungen zur Verfügung zu stellen.
20.
In seinem Vorlagebeschluß weist das nationale Gericht zunächst darauf hin, daß im italienischen
Vertriebssystem der Unternehmer oder sein Personal alle die Treibstoffabgabe und Dienstleistungen
für Kraftfahrer betreffenden Verrichtungen selbst ausführten und Kraftfahrer nur an sehr wenigen
Tankstellen und meist nur an Feiertagen oder während der Schließzeiten über automatische
Zahlungsvorrichtungen direkten Zugang zu den Zapfsäulen hätten. Aufgrund dieser
Situation sei der Arbeitnehmer den Treibstoffgasen und -dämpfen in erhöhtem Maße ausgesetzt.
21.
Was die Frage angehe, ob die dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung zur Verringerung und
Substitution von Karzinogenen von einer vorherigen Bewertung der Gefährdung durch die Exposition
gegenüber diesen Stoffen abhänge, so scheine das Decreto legislativo Nr. 626/94 „umgekehrt“
aufgebaut zu sein als die von ihm umgesetzte Richtlinie 90/394. Nach Artikel 62 dieses Decreto
legislativo sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Verwendung von Karzinogenen zu vermeiden, zu
ersetzen oder zu verringern und die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber diesen Stoffen „auf das
geringste technisch mögliche Niveau“ zu senken, während Artikel 63 des Decreto legislativo den
Arbeitgeber „vorbehaltlich des Artikels 62“ dazu verpflichte, die Gefährdung durch die Exposition
gegenüber Karzinogenen zu bewerten und aufgrund der Ergebnisse dieser Bewertung Verhütungs-
und Schutzmaßnahmen zu treffen. Die in Artikel 62 des Decreto legislativo vorgesehene Pflicht, die
Exposition der Arbeitnehmer gegenüber Karzinogenen „auf das geringste technisch mögliche Niveau“
zu senken, treffe den Arbeitgeber also unabhängig von der Gefahrenbewertung, während die
Richtlinie 90/394 die Pflicht, die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber Karzinogenen zu vermeiden
oder zu verringern, vom Ergebnis einer solchen Bewertung abhängig mache.
22.
Zur Frage der Anpassung der Arbeitsmittel führt das vorlegende Gericht aus, daß Artikel 36 Absatz
8 des Decreto legislativo Nr. 626/94 im Gegensatz zu dem in Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 89/655
vorgesehenen Übergangszeitraum von vier Jahren bestimme, daß die Vorschriften über die
Arbeitsmittel drei Monate nach der Bekanntmachung des Dekrets in der
in Kraft träten. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist es weder
angemessen noch verhältnismäßig, den Arbeitgeber dazu zu verpflichten, der neuen Regelung
innerhalb von drei Monaten nachzukommen, zumal unter Androhung von Strafen bis zu Freiheitsstrafe
von drei bis sechs Monaten.
23.
Zur Frage der Senkung des Benzolgehalts in Treibstoff auf Werte unterhalb der in der Richtlinie
85/210 und dem Decreto-legge Nr. 294/96 vorgesehenen Grenzwerte hebt das vorlegende Gericht
hervor, daß die italienische Regierung in dem genannten Decreto-legge niedrigere Werte als die in der
Richtlinie 85/210 enthaltenen festgelegt habe. Die italienische Regierung habe zu diesem Zweck von
dem in Artikel 100a Absatz 4 des Vertrages vorgesehenen Mechanismus Gebrauch gemacht und das
Decreto-legge entsprechend der Kommission mitgeteilt. Außerdem erlege Artikel 6 Absatz 1 des
Decreto legislativo Nr. 626/94 den „Planern von Arbeitsplätzen, -stellen oder -anlagen“ bezüglich der
Planung die Verpflichtungen auf, die den Arbeitgebern gemäß der Richtlinie 90/394 oblägen. Eine
solche Ausdehnung der in der Richtlinie 90/394 vorgesehenen Verpflichtungen sei als Maßnahme zum
verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das Tribunale di
Genova ist sich jedoch nicht sicher, ob die Richtlinie 90/394, die die Verpflichtung vorsieht, die
technisch möglichen Maßnahmen zur Gefahrverringerung zu treffen, zur Senkung des Benzolgehalts
von
Treibstoff auf ein Niveau unterhalb des in der Richtlinie 85/210 und dem Decreto-lei Nr. 294/96
festgelegten Niveaus verpflichtet.
24.
Das Tribunale Genua hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen
vorgelegt:
1. Sind die Bestimmungen der Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie 90/394 vom 28. Juni 1990 über den
Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie)
dahin auszulegen, daß sie die Verpflichtung zum Erlaß der Maßnahmen zur Verringerung und
Ersetzung der Gefahr und der Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung der
Karzinogenexposition vom Ergebnis der „Risikobewertung“ nach Artikel 3 abhängig machen?
Wenn ja, verstößt dann eine nationale Umsetzungsregelung gegen die Richtlinie, wenn sie für den
Arbeitgeber unabhängig von der vorherigen konkreten Bewertung der Gefahr und den Feststellungen
nach Artikel 3 der Richtlinie Interventionspflichten vorsieht, um im Rahmen des „technisch Möglichen“
die Verwendung des Karzinogens zu ersetzen oder zu verringern, und/oder Interventionspflichten, um
die Exposition der Arbeitnehmer „auf das geringste technisch mögliche Niveau“ zu senken, und wenn
sie bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtungen Strafen, auch Freiheitsstrafen, vorsieht, die sich in
ihrer gesetzlichen Form nicht von den Strafen unterscheiden, die für den Fall vorgesehen sind, daß
der Arbeitgeber nach der konkreten Bewertung und Ermittlung des Vorliegens und Ausmaßes der
Gefahr nicht im gesetzlich festgelegten Sinne tätig wird?
2. Verstößt es gegen die Gemeinschaftsregelung des Artikels 4 der Richtlinie 89/655 (soweit diese
bei den Fristen für die Anpassung der Arbeitsmittel zwischen Arbeitsmitteln, die den Arbeitnehmern
am 31. Dezember 1992 bereits zur Verfügung standen, und solchen unterscheidet, die den
Arbeitnehmern erst später zur Verfügung gestellt werden), wenn die nationale Umsetzungsregelung —
möglicherweise im Widerspruch zu den Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit —
keinerlei Unterscheidung trifft und einen einheitlichen Zeitraum von drei Monaten für ihr Inkrafttreten
mit allen Wirkungen festsetzt (verbunden mit einem System schwerwiegender Strafen für den
Arbeitgeber)?
3. Sind die Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie 90/394 (und die entsprechenden Artikel des sie
umsetzenden Decreto legislativo Nr. 626/94) dahin auszulegen, daß sie den Arbeitgebern und den
sonstigen in Artikel 6 des Decreto legislativo Nr. 626/94 genannten Rechtssubjekten in bezug auf die
Verringerung des Benzolgehalts von Benzin Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten auferlegen, die
über die Grenzwerte der Richtlinie
85/210 und die noch niedrigeren Grenzwerte des Decreto legge Nr. 294/96 hinausgehen und im
Vergleich zu diesen unbestimmt sind?
25.
Nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84
(Marshall, Slg. 1986, 723, Randnr. 48) kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen
einzelnen, im vorliegenden Fall einen privaten Arbeitgeber, begründen und daher als solche nicht
gegenüber einer derartigen Person in Anspruch genommen werden.
26.
Seit dem Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colsen und Kamann, Slg. 1984,
1891, Randnr. 26) entscheidet der Gerichtshof jedoch ebenfalls in ständiger Rechtsprechung, daß die
sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel
zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EG-Vertrag, alle zur Erfüllung dieser
Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern
öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch
den Gerichten. Wie aus den Urteilen vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89
(Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8) und vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache C-334/92
(Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911, Randnr. 20) folgt, muß das nationale Gericht, soweit es bei der
Anwendung des nationalen Rechts — gleich, ob es sich um speziell zur Durchführung der Richtlinie
erlassene Regelungen handelt oder nicht — dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie
möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag
verfolgte Ziel zu erreichen.
27.
Vorbehaltlich dieser Ausführungen sind die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu
beantworten.
Zur ersten Frage
28.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen,
— ob die Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie 90/394 dahin auszulegen sind, daß die Verpflichtungen des
Arbeitgebers, das Karzinogen zu verringern oder zu ersetzen und die Karzinogenexposition zu
vermeiden oder zu verringern, vom Ergebnis der Gefahrenbewertung nach Artikel 3 der Richtlinie
abhängen,
— und, wenn ja, ob eine nationale Regelung, die den Arbeitgeber unabhängig von der
Gefahrenbewertung dazu verpflichtet, das Karzinogen zu verringern oder zu ersetzen und/oder die
Exposition der Arbeitnehmer gegenüber dem Karzinogen zu vermeiden oder zu verringern, gegen die
Richtlinie 90/394 verstößt.
29.
Gemäß Artikel 3 der Richtlinie 90/394 müssen für jede Tätigkeit, bei der eine Exposition gegenüber
Karzinogenen auftreten kann, die Art, das Ausmaß und die Dauer der Exposition der Arbeitnehmer
ermittelt werden, damit alle Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer
bewertet und entsprechende Maßnahmen festgelegt werden können.
30.
Wird gemäß Artikel 3 eine Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Arbeitnehmer
festgestellt, so muß der Arbeitgeber nach Artikel 5 der Richtlinie 90/394 die Exposition der
Arbeitnehmer gegenüber dem Karzinogen vermeiden oder auf das geringste technisch mögliche
Niveau senken.
31.
Die in Artikel 5 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung, die Exposition der Arbeitnehmer
gegenüber dem Karzinogen zu vermeiden oder zu verringern, wird ausdrücklich von den Ergebnissen
der Bewertung nach Artikel 3 abhängig gemacht.
32.
Anders verhält es sich dagegen bei der in Artikel 4 der Richtlinie 90/394 festgelegten Verpflichtung.
Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber die Verwendung des Karzinogens am Arbeitsplatz zu
verringern oder das Karzinogen, soweit dies technisch möglich ist, durch Stoffe zu ersetzen, die nicht
oder weniger gefährlich sind, ohne daß diese Verpflichtung an die Ergebnisse der Bewertung nach
Artikel 3 geknüpft wird.
33.
Aus dem Wortlaut der Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie 90/304 ergibt sich also, daß die Verpflichtung
des Arbeitgebers nach Artikel 5, die Karzinogenexposition zu vermeiden oder zu verringern, im
Gegensatz zur Verpflichtung nach Artikel 4, das Karzinogen zu verringern oder zu ersetzen, vom
Ergebnis der Gefahrenbewertung nach Artikel 3 abhängig gemacht wird.
34.
Aus dem Vorlagebeschluß geht aber hervor, daß der Arbeitgeber nach Artikel 62 des Decreto
legislativo Nr. 626/94 auf jeden Fall und unabhängig von der Gefahrenbewertung verpflichtet ist, die
Exposition der Arbeitnehmer gegenüber Karzinogenen „auf das geringste technisch mögliche Niveau“
zu senken. Eine solche Vorschrift erlegt dem Arbeitgeber somit eine weitergehende Verpflichtung auf
als Artikel 5 der Richtlinie 90/394, soweit sie die Pflicht, die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber
Karzinogenen zu vermeiden oder zu verringern, nicht ausdrücklich vom Ergebnis der
Gefahrenbewertung abhängig macht.
35.
Insoweit ist festzustellen, daß die Richtlinie 90/394 auf der Grundlage von Artikel 118a des
Vertrages erlassen wurde und „Mindestvorschriften“ im Bereich des Schutzes der Sicherheit und der
Gesundheit der Arbeitnehmer gegen die Gefährdung durch Karzinogene bei der Arbeit festlegt. Wie
der Gerichtshof im Urteil vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-84/94 (Vereinigtes
Königreich/Rat, Slg. 1996, I-5755, Randnr. 17) festgestellt hat, bedeutet der Ausdruck
„Mindestvorschriften“ in Artikel 118a, der in Artikel 1 der Richtlinie 90/394 wiederholt wird, daß die
Mitgliedstaaten weitergehende Maßnahmen treffen
können, als sie das Gemeinschaftsrecht vorsieht. Artikel 118a des Vertrages bestätigt übrigens in
Absatz 3, daß die Mitgliedstaaten, wenn solche Mindestvorschriften nach diesem Artikel erlassen
werden, weiterhin Maßnahmen zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen erlassen können.
36.
Daher ist zu prüfen, ob eine nationale Vorschrift wie Artikel 62 des Decretolegislativo Nr. 626/94, die
den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber dem Karzinogen
unabhängig von der Gefahrenbewertung zu verringern, eine nach Artikel 118a Absatz 3 des Vertrages
und nach der Richtlinie 90/394 zulässige Maßnahme zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen
darstellt.
37.
Zum einen erhöht die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber
dem Karzinogen unabhängig von der Gefahrenbewertung zu verringern, den Schutz der Gesundheit
und Sicherheit der Arbeitnehmer. Außerdem verstärkt eine solche Pflicht lediglich diejenige nach
Artikel 5 der Richtlinie 90/394. Sie beeinträchtigt daher nicht die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts
im Bereich des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer.
38.
Zum anderen wirkt eine nationale Vorschrift, die die Verpflichtung nach Artikel 5 der Richtlinie
90/394 dadurch verstärkt, daß sie dem Arbeitgeber die Verringerung der Exposition der Arbeitnehmer
gegenüber dem Karzinogen unabhängig von der Gefahrenbewertung auferlegt, nicht diskriminierend
und behindert nicht die Ausübung der durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten.
39.
Daher ist festzustellen, daß eine nationale Vorschrift wie Artikel 62 des Decreto legislative Nr.
626/94, die den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber dem
Karzinogen unabhängig von der Gefahrenbewertung zu verringern, eine nach Artikel 118a Absatz 3
des Vertrages und nach der Richtlinie 90/394 zulässige Maßnahme zum verstärkten Schutz der
Arbeitsbedingungen darstellt.
40.
Da es sich um eine mit dem Vertrag vereinbare Maßnahme zum verstärkten Schutz der
Arbeitsbedingungen und damit um die Ausübung der nach Artikel 118a Absatz 3 des Vertrages
behaltenen Kompetenzen durch einen Mitgliedstaat handelt, ist es nicht Sache des Gerichtshofes,
sich dazu zu äußern, ob eine solche Regelung und die Sanktionen, mit denen sie bewehrt ist, den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.
41.
Auf die erste Frage ist daher wie folgt zu antworten:
— Artikel 4 der Richtlinie 90/394 ist dahin auszulegen, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers, das
Karzinogen zu verringern oder zu ersetzen, nicht vom Ergebnis der Gefahrenbewertung nach Artikel 3
der Richtlinie abhängt.
— Artikel 5 der Richtlinie 90/394 ist dahin auszulegen, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers, die
Karzinogenexposition zu vermeiden oder zu verringern, vom Ergebnis der Gefahrenbewertung nach
Artikel 3 der Richtlinie abhängt.
— Eine nationale Vorschrift, die den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Exposition der Arbeitgeber
gegenüber dem Karzinogen unabhängig von der Gefahrenbewertung zu verringern, verstößt nicht
gegen die Richtlinie 90/394, da sie eine nach Artikel 118a Absatz 3 des Vertrages und nach der
Richtlinie 90/394 zulässige Maßnahme zum verstärkten Schutz der Arbeitsbedingungen darstellt.
Zur zweiten Frage
42.
Mit seiner zweiten Frage begehrt das vorlegende Gericht im wesentlichen Aufschluß darüber, ob der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Artikel 4 der Richtlinie 89/655 es einem Mitgliedstaat verbieten, für
die Anpassung der vorhandenen Arbeitsmittel eine Frist von drei Monaten festzusetzen und für
Arbeitgeber, die diese Frist nicht einhalten, Strafen bis zu Freiheitsstrafe von drei bis sechs Monaten
vorzusehen.
43.
Die den Mitgliedstaaten gewährte Frist für die Umsetzung der Richtlinie 89/655 ist gemäß Artikel 10
dieser Richtlinie am 31. Dezember 1992 abgelaufen.
44.
Eine Umsetzung der Richtlinie nach diesem Zeitpunkt, wie sie durch das Decreto legislativo Nr.
626/94 vom 19. Dezember 1994 erfolgt ist, ist daher verspätet.
45.
Des weiteren müssen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/655 Arbeitsmittel,
sofern sie den Arbeitnehmern am 31. Dezember 1992 bereits zur Verfügung stehen, spätestens vier
Jahre nach diesem Zeitpunkt den Mindestvorschriften im Sinne des Anhangs dieser Richtlinie
entsprechen.
46.
Durch die Festsetzung einer vor dem 31. Dezember 1996 ablaufenden Frist für die Anpassung
vorhandener Arbeitsmittel werden daher die Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie 89/655 inhaltlich respektiert.
47.
Die in diesem Artikel festgesetzte Frist von vier Jahren stellt nämlich eine Maximalfrist dar. Nichts
hindert die Mitgliedstaaten daran, die Umsetzung der in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen
für vorhandene Arbeitsmittel vorzuverlegen.
48.
Jedoch müssen die Mitgliedstaaten, wenn sie gemäß Artikel 5 des Vertrages alle geeigneten
Maßnahmen treffen, um die Erfüllung der Verpflichtungen aus einer Richtlinie sicherzustellen, die
allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten (in diesem Sinne Urteil
vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache C-326/88, Hansen, Slg. 1990, I-2911, Randnrn. 17 bis 19).
49.
Beim Erlaß von Maßnahmen wie der Festsetzung einer Frist für die Anpassung vorhandener
Arbeitsmittel, die die Berücksichtigung komplexer wirtschaftlicher und technischer Umstände
verlangen, verfügen die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum (in diesem Sinne u. a.
Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 174/82, Sandoz, Slg. 1983, 2445, Randnr. 19).
50.
Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob unter Berücksichtigung eines solchen
Ermessensspielraums und insbesondere der Eigenheiten des italienischen Vertriebssystems für
Treibstoff eine Frist von drei Monaten für die Anpassung der vorhandenen Arbeitsmittel den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, indem sie es den Arbeitgebern ermöglicht, eine derartige
Anpassung vorzunehmen, ohne daß ihnen Kosten entstehen, die im Vergleich zu den Kosten, die sie
bei einer längeren Frist hätten tragen müssen, eindeutig überhöht sind.
51.
Zur Frage, ob die bei Nichteinhaltung der Frist vorgesehenen Strafen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren, ist darauf hinzuweisen, daß das — zivilrechtliche —
Ausgangsverfahren einen Antrag der Borsana betrifft, ihr Treibstoff mit einem möglichst schwachen
Benzolgehalt zu liefern und Vorrichtungen zum Auffangen der Gase und Dämpfe bei der Abgabe zur
Verfügung zu stellen, um die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen.
52.
Unter diesen Umständen kann eine Beantwortung dieser Frage dem vorlegenden Gericht eindeutig
nicht beim Erlaß seiner Entscheidung dienlich sein.
53.
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 4 der Richtlinie 89/655 es einem
Mitgliedstaat nicht untersagt, für die Anpassung der vorhandenen Arbeitsmittel eine vor dem 31.
Dezember 1996 ablaufende Frist festzusetzen, solange diese Frist nicht so kurz ist, daß sie es den
Arbeitgebern nicht ermöglicht, diese Anpassung vorzunehmen, oder daß sie Kosten verursacht, die im
Vergleich zu den Kosten, die die Arbeitgeber bei einer längeren Frist hätten tragen müssen, eindeutig
überhöht sind.
Zur dritten Frage
54.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 3, 4 und 5 der
Richtlinie 90/394 und die entsprechenden Artikel des Decreto legislativo Nr. 626/94 dahin auszulegen
sind, daß sie für den Arbeitgeber und die sonstigen in Artikel 6 des Dekrets genannten Personen die
Verpflichtung vorsehen, den Benzolgehalt von Treibstoff auf ein Niveau unterhalb des Grenzwertes der
Richtlinie 85/210 und der noch niedrigeren Grenzwerte des Decreto-legge Nr. 294/96 zu senken,
soweit das technisch möglich ist.
55.
Artikel 4 der Richtlinie 90/394 sieht für den Arbeitgeber die Verpflichtung vor, die Verwendung des
Karzinogens am Arbeitsplatz, zu verringern, insbesondere indem er es, „soweit dies technisch möglich
ist“, durch Stoffe ersetzt, die nicht oder weniger gefährlich für die Gesundheit und die Sicherheit der
Arbeitnehmer sind.
56.
Wie der Generalanwalt in den Nummern 57 ff. seiner Schlußanträge ausgeführt hat, ist es einem
Arbeitgeber wie Borsana, der Tankstellen betreibt, jedoch technisch nicht möglich, das Benzol in dem
von ihm vertriebenen Treibstoff durch Stoffe zu ersetzen, die nicht oder weniger gefährlich für die
Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer sind.
57.
Wie in Artikel 23 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, vertritt das nationale Gericht
außerdem die Auffassung, daß Artikel 6 des Decreto legislativo Nr. 626/94 den „Planern von
Arbeitsplätzen, -stellen oder -anlagen“ hinsichtlich der Planung die Pflichten auferlegt, die den
Arbeitgebern bezüglich der Konformität der Arbeitswelt durch die Artikel 3, 4 und 5 der Richtlinie
90/394 auferlegt seien. Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob die zitierten Vorschriften im
Hinblick auf die in Artikel 6 des Dekrets Nr. 626/94 genannten Personen dahin auszulegen sind, daß
sie sie dazu verpflichten, den Benzolgehalt von Treibstoff auf einen Wert unterhalb des in der Richtlinie
85/210 festgesetzten Grenzwertes von 5 Vol.-% zu senken, wenn eine solche Senkung technisch
möglich ist.
58.
Das vorlegende Gericht hält daher eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof
für erforderlich, um eine Frage des innerstaatlichen Rechts zu entscheiden.
59.
Der Gerichtshof ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung
des Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt,
aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales
Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie
fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das
Gemeinschaftsrecht angepaßt hat (vgl. zuletzt Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-28/95,
Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161, Randnr. 34).
60.
Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn für den Benzolgehalt von Treibstoff verweist das
Decreto legislativo Nr. 626/94 nicht auf eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, sondern auf das
innerstaatliche italienische Recht. Dieses setzt aber, wie aus dem Vorlagebeschluß hervorgeht, den
Benzolgehalt von Treibstoff ab dem 1. Juli 1997 auf maximal 1,4 Vol.-% und ab dem 1. Juli 1999 auf
maximal 1 Vol.-% fest.
61.
Unter diesen Umständen kann das Gemeinschaftsrecht, unabhängig davon wie es vom Gerichtshof
ausgelegt wird, keine Auswirkung auf die Anwendbarkeit der nach innerstaatlichem italienischen
Recht festgesetzten Grenzwerte für in Treibstoff
enthaltenes Benzol auf die in Artikel 6 des Decreto legislativo genannten Personen haben.
62.
Der Gerichtshof ist daher für eine Entscheidung über die dritte Vorabentscheidungsfrage nicht
zuständig.
Kosten
63.
Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschluß vom 14. Dezember 1996 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
1. Artikel 4 der Richtlinie 90/394/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über den Schutz der
Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene bei der Arbeit (Sechste
Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) ist dahin
auszulegen, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Karzinogen zu verringern oder
zu ersetzen, nicht vom Ergebnis der Gefahrenbewertung nach Artikel 3 der Richtlinie
abhängt.
Artikel 5 der Richtlinie 90/394 ist dahin auszulegen, daß die Verpflichtung des
Arbeitgebers, die Karzinogenexposition zu vermeiden oder zu verringern, vom Ergebnis
der Gefahrenbewertung nach Artikel 3 der Richtlinie abhängt.
Eine nationale Vorschrift, die den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Exposition der
Arbeitgeber gegenüber dem Karzinogen unabhängig von der Gefahrenbewertung zu
verringern, verstößt nicht gegen die Richtlinie 90/394, da sie eine nach Artikel 118a Absatz
3 EG-Vertrag und nach der Richtlinie 90/394 zulässige Maßnahme zum verstärkten Schutz
der Arbeitsbedingungen darstellt.
2. Artikel 4 der Richtlinie 89/655/EWG des Rates vom 30. November 1989 über
Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei
Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im
Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) untersagt es einem Mitgliedstaat
nicht, für die Anpassung der Arbeitsmittel eine vor dem 31. Dezember 1996 ablaufende
Frist festzusetzen, solange diese Frist nicht so kurz ist, daß sie es den Arbeitgebern nicht
ermöglicht, diese Anpassung vorzunehmen, oder daß sie Kosten verursacht, die im
Vergleich zu den Kosten, die die Arbeitgeber beieiner längeren Frist hätten tragen
müssen, eindeutig überhöht sind.
Rodríguez Iglesias Kapteyn Puissochet
Hirsch
Jann Mancini
Moitinho de Almeida
Edward Ragnemalm Schintgen
Ioannou
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Italienisch.