Urteil des EuGH vom 21.04.2005

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WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
21. April 2005)
„Patentrecht – Arzneimittel – Ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel“
In den verbundenen Rechtssachen C‑207/03 und C-252/03
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice
(England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Vereinigtes Königreich, C-207/03), und von der
Cour administrative (Luxemburg, C-252/03) mit Entscheidungen vom 6. Mai und 3. Juni 2003, beim
Gerichtshof eingegangen am 14. Mai und 13. Juni 2003, in den Verfahren
Novartis AG
University College London,
Institute of Microbiology and Epidemiology
gegen
Comptroller-General of Patents, Designs and Trade Marks for the United Kingdom
und
Ministre de l’Économie
gegen
Millenium Pharmaceuticals Inc.,
hat
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter C. Gulmann
(Berichterstatter), J.-P. Puissochet, R. Schintgen und J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Novartis AG, des University College London und des Institute of Microbiology and
Epidemiology, vertreten durch M. Utges Manley, lawyer, T. Powell, Solicitor, D. Anderson, QC, und
K. Bacon, Barrister,
– des Ministre de l’Économie, vertreten durch P. Reuter, avocat,
– des Comptroller-General of Patents, Designs and Trade Marks for the United Kingdom und der
Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Manji und M. Berthell als
Bevollmächtigte und durch C. Birss und J. Turner, Barristers,
– der Millenium Pharmaceuticals Inc., vertreten durch R. Subiotto, Solicitor, und durch
Rechtsanwalt C. Feddersen,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
– der isländischen Regierung, vertreten durch E. Gunnarsson und F. T. Birgisson als
Bevollmächtigte,
– der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, vertreten durch A. Entner-Koch, M. Blaas und
C. Büchel als Bevollmächtigte,
– der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Holten, F. Platou Amble und K. Waage als
Bevollmächtigte,
– der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch E. Wright und M. Sánchez Rydelski als
Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Forman und K. Banks als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2004
folgendes
Urteil
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Artikels 13 der Verordnung (EWG) Nr.
1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für
Arzneimittel (ABl. L 182, S. 1).
Rechtlicher Rahmen
2 Die Verordnung Nr. 1768/92 bezweckt, die Länge des Zeitraums zwischen der Einreichung einer
Patentanmeldung für ein Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses
Medikaments auszugleichen, indem sie in bestimmten Fällen einen ergänzenden Zeitraum für den
Patentschutz vorsieht.
3 Die achte und die neunte Begründungserwägung dieser Verordnung, die die Laufzeit des ergänzenden
Schutzzertifikats betreffen, haben folgenden Wortlaut:
„Die Dauer des durch das Zertifikat gewährten Schutzes muss so festgelegt werden, dass dadurch ein
ausreichender tatsächlicher Schutz erreicht wird. Hierzu müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber
eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der
ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft
eingeräumt werden.
In einem so komplexen und empfindlichen Bereich wie dem pharmazeutischen Sektor müssen jedoch
alle auf dem Spiel stehenden Interessen einschließlich der Volksgesundheit berücksichtigt werden.
Deshalb kann das Zertifikat nicht für mehr als fünf Jahre erteilt werden. …“
4 Artikel 3 der Verordnung Nr. 1768/92 bestimmt:
„Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung … eingereicht wird, zum
Zeitpunkt dieser Anmeldung
a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;
b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der
Richtlinie 65/65/EWG … erteilt wurde. …
…“
5 Nummer 6 des Anhangs XVII des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992
(ABl. 1994, L 1, S. 3 und 482, im Folgenden: EWR-Abkommen) in der durch Anhang 15 des Beschlusses
Nr. 7/94 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses vom 21. März 1994 (ABl. L 160, S. 1) geänderten
Fassung bestimmt, dass für die Zwecke dieses Abkommens dem Artikel 3 Buchstabe b der Verordnung
Nr. 1768/92 Folgendes angefügt wird:
„für die Zwecke dieses Buchstabens und der auf ihn verweisenden Artikel gilt eine gemäß den
nationalen Rechtsvorschriften eines EFTA-Staates erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen als
Genehmigung gemäß der Richtlinie 65/65/EWG ...“
6 Nach Artikel 7 des EWR‑Abkommens sind Rechtsakte, auf die in den Anhängen dieses Abkommens
Bezug genommen wird oder die darin enthalten sind, für die Vertragsparteien verbindlich und Teil des
innerstaatlichen Rechts oder in innerstaatliches Recht umzusetzen.
7 Kapitel XIII des Anhangs II dieses Abkommens nimmt auf die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26.
Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. 1965,
Nr. 22, S. 369) Bezug.
8 Nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 gilt das Zertifikat ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des
Grundpatents für eine Dauer, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das
Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der
Gemeinschaft entspricht, abzüglich eines Zeitraums von fünf Jahren.
9 Nummer 8 des Protokolls 1 zum EWR‑Abkommen sieht vor: „Enthalten die Rechtsakte, auf die Bezug
genommen wird, Bezugnahmen auf das Gebiet der ‚Gemeinschaft‘ oder auf den ‚Gemeinsamen Markt‘,
so gelten diese Bezugnahmen im Sinne des Abkommens als Bezugnahmen auf die Hoheitsgebiete der
Vertragsparteien im Sinne des Artikels 126 des Abkommens.“
10 Artikel 126 des Abkommens bestimmt:
„Das Abkommen gilt für die Gebiete, in denen der Vertrag zur Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft ... angewendet wird, … und für die Hoheitsgebiete ... des Fürstentums
Liechtenstein ...“
11 Anhang II des Abkommens in der durch Anhang 2 des Beschlusses Nr. 1/95 des EWR-Rates vom 10.
März 1995 über das Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum für das
Fürstentum Liechtenstein (ABl. L 86, S. 58) geänderten Fassung bestimmt:
„Liechtenstein kann für Erzeugnisse, die unter die in diesem Anhang aufgeführten Rechtsakte fallen,
auf dem liechtensteinischen Markt parallel zu den Durchführungsvorschriften zu den Rechtsakten, auf
die in diesem Anhang Bezug genommen wird, schweizerische technische Vorschriften und Normen
anwenden, die sich aus seiner regionalen Union mit der Schweiz ergeben. Bestimmungen über den
freien Warenverkehr in diesem Abkommen oder in den aufgeführten Rechtsakten gelten bei Ausfuhren
aus Liechtenstein in das Gebiet der anderen Vertragsparteien nur für Erzeugnisse, die den
Rechtsakten entsprechen, auf die in diesem Anhang Bezug genommen wird.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 Die Novartis AG, das University College London und das Institute of Microbiology and Epidemiology (im
Folgenden: Novartis u. a.) reichten beim Comptroller-General of Patents, Designs and Trade Marks for
the United Kingdom (im Folgenden: Patent Office) zwei Anmeldungen von ergänzenden
Schutzzertifikaten ein, nämlich eine für ein Immunsuppressivum „Basiliximab“ und die andere für eine
aus einer Kombination aus Artemether und Lumefantrin bestehendes Mittel gegen Malaria.
13 Die schweizerischen Behörden hatten am 7. April 1998 eine Genehmigung für das Inverkehrbringen
von Basiliximab und am 22. Januar 1999 eine solche Genehmigung für die Kombination aus Artemether
und Lumefantrin erteilt. Diese Genehmigungen wurden in Liechtenstein nach den Rechtsvorschriften
dieses Staates automatisch anerkannt.
14 Für Basiliximab und die Kombination aus Artemether und Lumefantrin wurden am 9. Oktober 1998 und
am 30. November 1999 Genehmigungen für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft erteilt.
15 Das Patent Office, nach dessen Ansicht für die Berechnung der Laufzeit der ergänzenden
Schutzzertifikate der Zeitpunkt der Erteilung der genannten Genehmigungen in der Schweiz zu
berücksichtigen war, erließ am 12. Februar 2003 eine Entscheidung über die Erteilung der
ergänzenden Schutzzertifikate, deren Laufzeit nach Maßgabe dieses Zeitpunkts festgelegt worden war.
16 Da Novartis u. a. der Auffassung waren, dass die Laufzeit der ergänzenden Schutzzertifikate auf der
Grundlage der ersten Genehmigungen für das Inverkehrbringen im EWR hätte berechnet werden
müssen, erhoben sie gegen diese Entscheidung Klage beim High Court of Justice (England & Wales),
Chancery Division (Patents Court).
17 Dieses Gericht hat unter den geschilderten Umständen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und
dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der Zeitpunkt der Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Schweiz, die in
Liechtenstein automatisch anerkannt wird, als die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen
eines Arzneimittels für die Berechnung der Laufzeit eines ergänzenden Schutzzertifikats nach
Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 (in der durch das EWR‑Abkommen geänderten Fassung)
anzusehen?
2. Ist eine innerhalb des EWR zuständige Behörde verpflichtet, bestehende ergänzende
Schutzzertifikate zu berichtigen, deren Laufzeit fehlerhaft berechnet worden ist?
18 Am 15. Dezember 1999 beantragte die Cor Therapeutics Inc., die später von der Millenium
Pharmaceuticals Inc. (im Folgenden: Millenium), beides Gesellschaften amerikanischen Rechts,
übernommen wurde, beim luxemburgischen Wirtschaftsminister (im Folgenden: Minister) die Erteilung
eines ergänzenden Schutzzertifikats im Sinne der Verordnung Nr. 1768/92 für das Medikament
„Eptifibatide“, für das die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft am 1. Juli
1999 erteilt wurde. Millenium hatte in ihrem Antrag angegeben, dass die schweizerischen Behörden für
dieses Medikament am 27. Februar 1997 eine solche Genehmigung erteilt hätten.
19 Aufgrund der Tatsache, dass die schweizerischen Genehmigungen für das Inverkehrbringen nach den
Rechtsvorschriften Liechtensteins in diesem Staat, der dem EWR angehört, automatisch anerkannt
werden, erteilte der Minister am 15. Februar 2000 ein ergänzendes Schutzzertifikat, wobei er den
Beginn der Laufzeit des Zertifikats auf den Zeitpunkt der schweizerischen Genehmigung, also auf den
27. Februar 1997, festlegte.
20 Millenium erhob beim Tribunal administratif Luxemburg Klage und beantragte, dass dieses als
Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen angegebene Datum durch das des 1. Juli
1999 ersetzt werde. Das Gericht gab der Klage von Millenium statt.
21 Der Minister legte gegen das Urteil des Tribunal administratif bei der Cour administrative Berufung ein.
22 Er machte geltend, dass nach dem Recht Liechtensteins die von einer schweizerischen Behörde
erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Medikamenten im Hoheitsgebiet dieses
Staates, der Vertragspartei des EWR-Abkommens sei, Geltung hätten und die Kommission der
Europäischen Gemeinschaften daraus den Schluss gezogen habe, dass eine erste solche
Genehmigung, die von einer schweizerischen Behörde erteilt worden sei, für die Berechnung der
Laufzeit des ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel zu berücksichtigen sei.
23 Millenium vertrat die Auffassung, dass sowohl eine Textanalyse als auch eine teleologische Prüfung
der Verordnung Nr. 1768/92, des EWR-Abkommens und der Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft andererseits (ABl. 2002, L 114, S. 6) ergäben, dass eine schweizerische
Genehmigung nicht als „erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft“ im Sinne
von Artikel 13 der genannten Verordnung angesehen werden könne.
24 Die Cour administrative hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stellt eine von den schweizerischen Behörden erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen eine
erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 13 der
Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 dar?
Zur Verbindung der Rechtssachen C‑207/03 und C‑252/03
25 Da diese beiden Rechtssachen miteinander in Zusammenhang stehen, sind sie nach Artikel 43 in
Verbindung mit Artikel 103 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.
Zu den Vorlagefragen
26 Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 ist für die Anwendung des EWR-Abkommens so zu lesen, dass
das ergänzende Schutzzertifikat ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents für eine Dauer
gilt, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem
Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen im Hoheitsgebiet eines der Staaten des
EWR-Abkommens entspricht, abzüglich eines Zeitraums von fünf Jahren.
27 Folglich ist zu prüfen, ob eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, die von den schweizerischen
Behörden erteilt worden ist und vom Fürstentum Liechtenstein nach den Rechtsvorschriften dieses
Staates automatisch anerkannt wird, tatsächlich eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im
Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 darstellt.
28 Insoweit ergibt sich aus Anhang II des EWR‑Abkommens in der durch Anhang 2 des Beschlusses Nr.
1/95 des EWR-Rates geänderten Fassung, dass dieser Staat u. a. für Arzneimittel, die unter die
Richtlinie 65/65 fallen, auf seinem Markt parallel zu den Durchführungsvorschriften zu dieser Richtlinie
schweizerische technische Vorschriften und Normen anwenden kann, die sich aus seiner regionalen
Union mit der Schweiz ergeben.
29 Das EWR-Abkommen lässt es folglich zu, dass im Fürstentum Liechtenstein zwei Arten von
Genehmigungen für das Inverkehrbringen nebeneinander bestehen, nämlich einmal die von den
schweizerischen Behörden erteilten Genehmigungen, die aufgrund der regionalen Union zwischen der
Schweiz und Liechtenstein in diesem Staat automatisch anerkannt werden, und zum anderen die
gemäß der Richtlinie 65/65 in Liechtenstein erteilten Genehmigungen.
30 Somit ergibt sich aus Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 in Verbindung mit Anhang II des EWR-
Abkommens in der durch Anhang 2 des Beschlusses Nr. 1/95 des EWR-Rates geänderten Fassung,
dass eine Genehmigung für das Inverkehrbringen, die von den schweizerischen Behörden erteilt
worden ist und in Liechtenstein im Rahmen seiner regionalen Union mit der Schweiz automatisch
anerkannt wird, als eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne dieses Artikels 13
anzusehen ist.
31 Eine solche Auslegung der genannten Bestimmung entspricht im Übrigen dem in der achten
Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1768/92 genannten Ziel dieser Verordnung, wie es für die
Anwendung des EWR-Abkommens zu verstehen ist und wonach demjenigen, der gleichzeitig Inhaber
eines Patents und eines Zertifikats ist, höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten
Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels im EWR eingeräumt werden.
Denn wenn ausgeschlossen wäre, dass eine solche Genehmigung, die von den schweizerischen
Behörden erteilt worden ist und vom Fürstentum Liechtenstein nach den Rechtsvorschriften dieses
Staates automatisch anerkannt wird, nicht eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne
von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 darstellen kann, müsste die Laufzeit des ergänzenden
Schutzzertifikats aufgrund einer später im EWR erteilten Genehmigung berechnet werden. Daher
könnte der Ausschließlichkeitszeitraum von fünfzehn Jahren im EWR überschritten werden.
32 Darüber hinaus ist der Umstand, dass die in der Schweiz erteilten Genehmigungen für das
Inverkehrbringen nicht den Verkehr mit den zugelassenen Arzneimitteln im Gebiet des EWR mit
Ausnahme Liechtensteins ermöglichen, entgegen dem Vorbringen von Novartis u. a., von Millenium,
der niederländischen, der isländischen, der liechtensteinischen und der norwegischen Regierung
sowie der EFTA-Überwachungsbehörde für die Auslegung von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92,
wie er für die Anwendung des EWR-Abkommens zu verstehen ist, unerheblich. Insoweit braucht nur, wie
es der Generalanwalt in Nummer 43 seiner Schlussanträge getan hat, darauf hingewiesen zu werden,
dass die von einem Mitgliedstaat nach der Richtlinie 65/65 erteilten Genehmigungen für das
Inverkehrbringen ebenso wenig den freien Vertrieb des Erzeugnisses auf dem Markt der anderen
Mitgliedstaaten erlauben.
33 Daraus ergibt sich, dass, soweit eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels, die
von den schweizerischen Behörden erteilt worden ist und vom Fürstentum Liechtenstein nach den
Rechtsvorschriften dieses Staates automatisch anerkannt wird, die erste solche Genehmigung für
dieses Arzneimittel in einem der Staaten des EWR ist, sie die erste Genehmigung für das
Inverkehrbringen im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92, wie er für die Anwendung des
EWR-Abkommens zu verstehen ist, darstellt.
34 Da das Patent Office in seiner Entscheidung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens in der
Rechtssache C-207/03 ist, die vom Gerichtshof bei der Beantwortung der ersten Vorlagefrage
vorgenommene Auslegung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1768/92, wie er für die Anwendung des
EWR-Abkommens zu verstehen ist, vertreten hat, erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage.
Kosten
35 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den
vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof
sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Soweit eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels, die von den
schweizerischen Behörden erteilt worden ist und vom Fürstentum Liechtenstein nach den
Rechtsvorschriften dieses Staates automatisch anerkannt wird, die erste solche
Genehmigung für dieses Arzneimittel in einem der Staaten des Europäischen
Wirtschaftsraums ist, stellt sie die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne
von Artikel 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die
Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel, wie er für die Anwendung
des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zu verstehen ist, dar.
Unterschriften.
Verfahrenssprachen: Englisch und Französisch.