Urteil des EuGH vom 19.06.2003
EuGH: begriff, recycling, innerstaatliches recht, regierung, nummer, materialien, unternehmen, kommission, vereinigtes königreich, erzeugnis
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
19. Juni 200
„Richtlinie 75/442/EWG, geändert durch die Richtlinie 91/156/EWG und die Entscheidung 96/350/EG -
Richtlinie 94/62/EG - Begriff .Abfälle‘ - Begriff .Rückführung/stoffliche Verwertung‘ (.recycling‘) - Behandlung
von metallischen Verpackungsabfällen“
In der Rechtssache C-444/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's
Bench Division (Administrative Court) (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
The Queen, auf Antrag von Mayer Parry Recycling Ltd,
gegen
Environment Agency,
Secretary of State for the Environment, Transport and the Regions,
Beteiligte:
Corus (UK) Ltd,
und
Allied Steel and Wire Ltd (ASW),
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom
15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18.
März 1991 zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG über Abfälle (ABl. L 78, S. 32), und der Entscheidung
96/350/EG der Kommission vom 24. Mai 1996 (ABl. L 135, S. 32) sowie über die Auslegung der Richtlinie
94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und
Verpackungsabfälle (ABl. L 365, S. 10)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter C. W. A. Timmermans
(Berichterstatter), P. Jann, S. von Bahr und A. Rosas,
Generalanwalt: S. Alber,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen der
- Mayer Parry Recycling Ltd, vertreten durch M. Fordham und T. de la Mare, Barristers, beauftragt durch die
Kanzlei Denton Wilde Sapte, Solicitors,
- Environment Agency, vertreten durch R. Navarro als Bevollmächtigten im Beistand von J. Howell, QC,
- Corus (UK) Ltd, vertreten durch R. Singh und J. Simor, Barristers, beauftragt durch J. Maton, Solicitor,
- Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von
P. Sales und M. Hoskins, Barristers,
- dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. B. Wainwright und H. Støvlbaek als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Mayer Parry Recycling Ltd, vertreten durch M. Fordham,
der Environment Agency, vertreten durch J. Howell, der Corus (UK) Ltd, vertreten durch R. Singh, der
Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo im Beistand von P. Sales, der
niederländischen Regierung, vertreten durch J. van der Oosterkamp als Bevollmächtigten, und der
Kommission, vertreten durch R. B. Wainwright, in der Sitzung vom 18. April 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juli 2002
folgendes
Urteil
1.
Der High Court of Justice (England and Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court), hat
mit Beschluss vom 9. November 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2000, gemäß
Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975
über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991
zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG über Abfälle (ABl. L 78, S. 32) und der Entscheidung
96/350/EG der Kommission vom 24. Mai 1996 (ABl. L 135, S. 32) sowie nach der Auslegung der
Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über
Verpackungen und Verpackungsabfälle (ABl. L 365, S. 10) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Mayer Parry Recycling Ltd (im
Folgenden: Mayer Parry) und der Environment Agency (Umweltbehörde; im Folgenden: EA) wegen
deren Weigerung, dem Antrag von Mayer Parry auf Zulassung als „Wiederaufarbeitungsbetrieb“,
dessen Tätigkeit definitionsgemäß in der Verwertung oder stofflichen Verwertung besteht,
stattzugeben.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 1 der Richtlinie 75/442 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
a) .‘: alle Stoffe oder Gegenstände, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und
deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.
Die Kommission erstellt nach dem Verfahren des Artikels 18 spätestens zum 1. April 1993 ein
Verzeichnis der unter die Abfallgruppen in Anhang I fallenden Abfälle. Dieses Verzeichnis wird
regelmäßig überprüft und erforderlichenfalls nach demselben Verfahren überarbeitet;
b) .‘: jede Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind (.Ersterzeuger‘), und/oder
jede Person, die Vorbehandlungen, Mischungen oder sonstige Behandlungen vorgenommen hat, die
eine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung dieser Abfälle bewirken;
...
e) .‘: alle in Anhang II A aufgeführten Verfahren;
f) .‘: alle in Anhang II B aufgeführten Verfahren;
...“
4.
Im Rahmen der im Anhang II B der Richtlinie 75/442 aufgeführten Verwertungsverfahren wird unter
Position R 4 die „Verwertung [englische Fassung: recycling]/Rückgewinnung anderer anorganischer
Stoffe“ genannt. Nach der Vorbemerkung zu Anhang II B führt dieser Verwertungsverfahren auf, die in
der Praxis angewandt werden.
5.
Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 75/442 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um Folgendes zu fördern:
a) in erster Linie die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen und ihrer
Gefährlichkeit, insbesondere durch:
...
b) in zweiter Linie
- die Verwertung der Abfälle im Wege der Rückführung [englische Fassung: recycling], der
Wiederverwendung, des Wiedereinsatzes oder anderer Verwertungsvorgänge im Hinblick auf die
Gewinnung von sekundären Rohstoffen
oder
- die Nutzung von Abfällen zur Gewinnung von Energie.“
6.
Artikel 4 der Richtlinie 75/442 lautet:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfälle
beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren
oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können.
...
Die Mitgliedstaaten ergreifen ferner die erforderlichen Maßnahmen, um eine unkontrollierte
Ablagerung oder Ableitung von Abfällen und deren unkontrollierte Beseitigung zu verbieten.“
7.
Artikel 8 der Richtlinie 75/442 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit jeder Besitzer von Abfällen
- diese einem privaten oder öffentlichen Sammelunternehmen oder einem Unternehmen übergibt,
das die in Anhang II A oder II B genannten Maßnahmen durchführt, oder
- selbst die Verwertung oder Beseitigung unter Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie
sicherstellt.“
8.
Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 75/442 lautet wie folgt:
„Für die Zwecke der Artikel 4, 5 und 7 bedürfen alle Anlagen oder Unternehmen, die die in Anhang II A
genannten Maßnahmen durchführen, einer Genehmigung durch die in Artikel 6 genannte zuständige
Behörde.“
9.
In Artikel 10 der Richtlinie 75/442 heißt es:
„Für die Zwecke des Artikels 4 bedürfen alle Anlagen oder Unternehmen, die die in Anhang II B
genannten Maßnahmen durchführen, einer Genehmigung.“
10.
Artikel 12 der Richtlinie 75/442 bestimmt:
„Die Anlagen oder Unternehmen, die gewerbsmäßig Abfälle einsammeln oder befördern oder die für
die Beseitigung oder Verwertung von Abfällen für andere sorgen (Händler oder Makler), müssen bei
den zuständigen Behörden gemeldet sein, sofern sie keine Genehmigung benötigen.“
11.
Artikel 13 der Richtlinie 75/442 sieht vor:
„Die Anlagen oder Unternehmen, die die in den Artikeln 9 bis 12 genannten Maßnahmen durchführen,
werden von den zuständigen Behörden regelmäßig angemessen überprüft.“
12.
Artikel 15 der Richtlinie 75/442 lautet:
„Gemäß dem Verursacherprinzip sind die Kosten für die Beseitigung der Abfälle zu tragen von
- dem Abfallbesitzer, der seine Abfälle einem Sammelunternehmen oder einem Unternehmen im
Sinne des Artikels 9 übergibt, und/oder
- den früheren Besitzern oder dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfälle herrühren.“
13.
In Artikel 1 der Richtlinie 94/62 heißt es:
„(1) Diese Richtlinie bezweckt, die Vorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungs- und
der Verpackungsabfallwirtschaft zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle in allen
Mitgliedstaaten sowie in dritten Ländern auf die Umwelt zu vermeiden bzw. diese Auswirkungen zu
verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren
des Binnenmarktes zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der Gemeinschaft zu
Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und -beschränkungen kommt.
(2) Hierzu werden in dieser Richtlinie Maßnahmen vorgeschrieben, die auf Folgendes abzielen: Erste
Priorität ist die Vermeidung von Verpackungsabfall; weitere Hauptprinzipien sind die
Wiederverwendung der Verpackungen, die stoffliche Verwertung und die anderen Formen der
Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der endgültigen
Beseitigung der Abfälle.“
14.
Artikel 3 der Richtlinie 94/62 schreibt vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. .Verpackungen‘ aus beliebigen Stoffen hergestellte Produkte zur Aufnahme zum Schutz, zur
Handhabung, zur Lieferung und zur Darbietung von Waren, die vom Rohstoff bis zum
Verarbeitungserzeugnis reichen können und vom Hersteller an den Benutzer oder Verbraucher
weitergegeben werden. Auch alle zum selben Zweck verwendeten .Einwegartikel‘ sind als
Verpackungen zu betrachten.
...
2. .Verpackungsabfälle‘ Verpackungen oder Verpackungsmaterialien, die unter den Begriff .Abfälle‘
im Sinne der Richtlinie 75/442/EWG fallen, mit Ausnahme von Produktionsrückständen;
...
6. .Verwertung‘ die Maßnahmen nach Anhang II B der Richtlinie 75/442/EWG;
7. .stoffliche Verwertung‘ [englische Fassung: recycling] die in einem Produktionsprozess erfolgende
Wiederaufarbeitung der Abfallmaterialien für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke
einschließlich der organischen Verwertung, jedoch mit Ausnahme der energetischen Verwertung;
...“.
15.
In Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben a bis c der Richtlinie 94/62 heißt es:
„Zur Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen mit
folgenden, sich auf ihr gesamtes Hoheitsgebiet beziehenden Zielvorgaben:
a) Spätestens fünf Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie in innerstaatliches Recht
umgesetzt sein muss, werden zwischen mindestens 50 und höchstens 65 Gewichtsprozent der
Verpackungsabfälle verwertet.
b) Innerhalb dieses Verwertungsziels und innerhalb der gleichen Frist werden zwischen mindestens
25 und höchstens 45 Gewichtsprozent des gesamten Verpackungsmaterials, das in
Verpackungsabfällen enthalten ist, und mindestens 15 Gewichtsprozent jedes einzelnen
Verpackungsmaterials stofflich verwertet.
c) Spätestens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie in innerstaatliches Recht
umgesetzt sein muss, wird ein Gewichtsprozentsatz der Verpackungsabfälle verwertet bzw. stofflich
verwertet, der vom Rat gemäß Absatz 3 Buchstabe b) mit Blick auf eine erhebliche Erhöhung der unter
den Buchstaben a) und b) genannten Zielvorgaben zu bestimmen sein wird.“
16.
Artikel 7 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 94/62 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen zur Einrichtung von Systemen für
a) die Rücknahme und/oder Sammlung von gebrauchten Verpackungen und/oder
Verpackungsabfällen beim Verbraucher oder jedem anderen Endabnehmer bzw. aus dem
Abfallaufkommen mit dem Ziel einer bestmöglichen Entsorgung;
b) die Wiederverwendung oder Verwertung - einschließlich der stofflichen Verwertung [englische
Fassung: recycling] - der gesammelten Verpackungen und/oder Verpackungsabfälle,
um die Zielvorgaben dieser Richtlinie zu erfüllen.“
17.
Section 93 des Environment Act 1995 (Umweltgesetz) ermächtigt den Secretary of State for the
Environment, Transport and the Regions zum Erlass von Verordnungen, durch die bestimmten
Personen im Hinblick auf bestimmte Produkte und Materialien Erzeugerpflichten auferlegt werden
können. Diese Vorschrift wurde zur Umsetzung des Artikels 6 Absatz 1 der Richtlinie 94/62 erlassen.
18.
Auf der Ermächtigungsgrundlage der Sections 93 bis 95 des Environment Act 1995 wurden die
Producer Responsibility Obligations (Packaging Waste) Regulations 1997 (Verordnung über
Erzeugerpflichten [Verpackungsabfälle] von 1997; im Folgenden: Regulations 1997) erlassen.
19.
Die in Artikel 3 der Richtlinie 94/62 enthaltenen Begriffsbestimmungen der Verwertung und der
stofflichen Verwertung wurden durch die Regulations 1997 übernommen. Diese definieren den
„Wiederaufarbeitungsbetrieb“ als eine Person, die im Rahmen der normalen Ausübung eines
Gewerbes oder einer beruflichen Tätigkeit Maßnahmen der Verwertung oder stofflichen Verwertung
durchführt.
20.
Nach den Regulations 1997 muss ein Abfallerzeuger der EA eine Bestätigung dafür vorlegen, dass
er seinen Pflichten zur Verwertung oder stofflichen Verwertung nachgekommen ist. Verstöße gegen
diese Vorschrift sind strafbar. Nach Regulation 22 der Regulations 1997 muss der Erzeuger bei der EA
ferner Angaben aus seinen Büchern, u. a. über die Menge der an Wiederaufarbeitungsbetriebe
gelieferten Verpackungsabfälle in Tonnen, einreichen.
21.
Nach den Regulations 1997 kann ein Erzeuger seinen Verpflichtungen auch dadurch nachkommen,
dass er während eines bestimmten Jahres einem zugelassenen System angehört. Der Systembetreiber
ist nicht verpflichtet, der EA eine Bestätigung vorzulegen. Er hat aber nach Regulation 24
Aufzeichnungen mit bestimmten Angaben aufzubewahren, u. a. über die Menge der an
Wiederaufarbeitungsbetriebe gelieferten Verpackungsabfälle in Tonnen, und der EA vorzulegen.
22.
Die EA und die Scottish Environment Protection Agency (im Folgenden: SEPA) haben ein „Orange
Book“ herausgegeben, durch das ein freiwilliges Zulassungssystem für Wiederaufarbeitungsbetriebe
geschaffen wird. Dieses System berechtigt die zugelassenen Wiederaufarbeitungsbetriebe zur
Ausstellung von „Packaging Waste Recovery Notes“ (Bescheinigungen über die Verwertung von
Verpackungsabfall; im Folgenden: PRNs) zum Nachweis ihrer Belieferung mit Verpackungsabfällen
durch Erzeuger oder zugelassene Erzeugervereinigungen.
23.
Das Zulassungssystem soll es dem Erzeuger ermöglichen, der EA oder der SEPA gegenüber
nachzuweisen, dass die von ihm an einen Wiederaufarbeitungsbetrieb gelieferten Verpackungsabfälle
verwertet oder stofflich verwertet worden sind, und so eine hinreichende Überwachung der Erzeuger
und der zugelassenen Systeme hinsichtlich ihrer Pflichten nach den Regulations 1997 ermöglichen.
Ferner soll es dazu dienen, die Einhaltung der Bestimmungen über den urkundlichen Nachweis der
Verwertung oder stofflichen Verwertung zu vereinheitlichen.
24.
Nach Auffassung der EA enthalten die von den zugelassenen Wiederaufarbeitungsbetrieben im
Rahmen des durch das Orange Book eingeführten Systems ausgestellten PRNs alle Angaben, die die
Erzeuger ihr nach Regulation 22 der Regulations 1997 normalerweise mitteilen müssen. Nur diese
Betriebe sind berechtigt, PRNs auszustellen. Diese sind übertragbar und haben einen wirtschaftlichen
Wert. Sie werden nämlich von den zugelassenen Wiederaufarbeitungsbetrieben an die Erzeuger von
Verpackungsabfällen verkauft.
25.
Die EA lässt grundsätzlich die Betriebe zu, die im Anhang D Absatz 3 des Orange Book aufgeführt
sind, wonach „bei Metallen (Aluminium und Stahl) der Wiederaufarbeitungsbetrieb ein Betrieb ist, der
aus Verpackungsabfällen Blöcke, Bleche oder Rollen aus Aluminium oder Stahl herstellt“.
26.
Die Zulassung bezieht sich in der Regel auf den Verfahrensschritt im Kreislauf, mit dem ein neues
Erzeugnis hergestellt wird, das nicht von einem Produkt zu unterscheiden ist, das aus Materialien
hergestellt ist, die niemals Abfall waren. Das System soll gewährleisten, dass PRNs im Verlauf der
Verarbeitung derselben Materialien nicht zweimal ausgestellt werden, und so die Betrugsgefahr
vermindern.
27.
Die Vorschriften über die integrierte Bekämpfung der Umweltverschmutzung im Environment
Protection Act 1990 (Umweltschutzgesetz 1990) regeln die durch bestimmte im Gesetz angeführte
Verfahren, darunter Verfahren im Bereich der Stahlerzeugung, hervorgerufene Umweltverschmutzung.
Die Verwendung solcher Verfahren muss von der Umweltbehörde genehmigt werden. Tätigkeiten, die
Teil eines der integrierten Bekämpfung der Umweltverschmutzung unterliegenden Verfahrens sind,
fallen daher nicht unter die nationale Genehmigungsregelung für die Abfallbewirtschaftung, wie sie
durch die Waste Management Licensing Regulations 1994 (Verordnung über die Genehmigung zur
Abfallbewirtschaftung 1994) eingeführt wurde, mit der die Richtlinie 75/442 umgesetzt wurde.
Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen
28.
Mayer Parry ist ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Schrott so aufzubereiten, dass
Stahlunternehmen ihn zur Herstellung von Stahl verwenden können.
29.
Mayer Parry bezieht Schrott, darunter auch Verpackungsabfälle, aus gewerblichen und anderen
Quellen. Der Schrott hat einen wirtschaftlichen Wert, und Mayer Parry muss ihn im Regelfall käuflich
erwerben. Der Schrott wird von ihr gesammelt, sichtgeprüft, auf Strahlung geprüft, sortiert, gereinigt,
geschnitten, getrennt und geschreddert (zerkleinert). Auf diese Weise verarbeitet Mayer Parry
Eisenschrott zu Material, das den Anforderungen der Sorte 3B entspricht (im Folgenden: 3B-Material).
Sie verkauft dieses Material an Stahlwerke, die es zur Herstellung von Stahlblöcken, -blechen oder -
rollen nutzen.
30.
Im November 1998 beantragte Mayer Parry bei der EA, im Rahmen des von EA und SEPA errichteten
freiwilligen Systems gemäß dem Orange Book als zur Ausstellung von PRNs berechtigter
Wiederaufarbeitungsbetrieb zugelassen zu werden.
31.
Mit Schreiben vom 15. November 1999 lehnte die EA diesen Antrag ab. Mayer Parry stellte beim
High Court (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court), einen Antrag auf
„judicial review“ (Überprüfung der Rechtmäßigkeit), der u. a. auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung
sowie auf die Feststellung gerichtet war, dass ihre Tätigkeit zur Verwertung und stofflichen
Verwertung im Sinne der Richtlinie 94/62 gehöre. Corus (UK) Ltd (im Folgenden: Corus) und Allied Steel
and Wire Ltd (im Folgenden: ASW) sind dem Verfahren vor diesem Gericht als Streithelfer beigetreten.
32.
Der High Court führte aus, in dem bei ihm anhängigen Verfahren habe sich die Notwendigkeit
ergeben, festzustellen, ob die Tätigkeit von Mayer Parry als Verwertung im Sinne der Richtlinie 94/62
anzusehen sei. Angesichts des Vorbringens der Beteiligten habe sich weiter das Erfordernis der
Prüfung einiger Fragen betreffend die Richtlinie 75/442 sowie das Verhältnis zwischen dieser und der
Richtlinie 94/62 ergeben.
33.
Zwischen Mayer Parry und der EA sei bereits früher ein Rechtsstreit über die Definition des
Begriffes „Abfall“ anhängig gewesen, das zu einem ersten Urteil des High Court vom 9. November
1998 geführt habe. In der Folge dieses Urteils sei der von Mayer Parry zu 3B-Material verarbeitete
Schrott nicht mehr als Abfall behandelt worden.
34.
Da die bei ihm anhängige Rechtssache nach Auffassung des High Court (England & Wales),
Queen's Bench Division (Administrative Court), die Auslegung des Gemeinschaftsrechts erforderlich
macht, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
Wenn ein Unternehmen Verpackungsmaterialien einschließlich Eisenmetalle, die beim Empfang durch
das Unternehmen „Abfall“ im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442/EWG des Rates in
der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates und der Entscheidung 96/350/EWG der Kommission
darstellen, durch Sortieren, Reinigen, Schneiden, Zerkleinern, Trennen und/oder Paketieren so
behandelt, dass diese Materialien als Rohstoffe in einem Schmelzofen mit dem Ziel der Herstellung
von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet werden können:
1. Sind diese Materialien im Sinne der Richtlinie 75/442 des Rates „rückgeführt“ („recycled“) worden
und haben ihre Eigenschaft als Abfall verloren, wenn sie
a) als Rohstoff verwendbar gemacht worden sind oder
b) von einem Stahlerzeuger zur Herstellung von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet
worden sind?
2. Sind diese Materialien im Sinne der Richtlinie 94/62 des Europäischen Parlaments und des Rates
über Verpackungen und Verpackungsabfälle „stofflich verwertet“ („recycled“) worden, wenn sie
a) als Rohstoffe verwendbar gemacht worden sind oder
b) von einem Stahlerzeuger zur Herstellung von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet
worden sind?
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
35.
Mayer Parry macht geltend, die Richtlinien 75/442 und 94/62 enthielten vier für das
Ausgangsverfahren wichtige Merkmale. Erstens gebe die Richtlinie 75/442 eine gemeinsame
Terminologie vor. Zweitens ergebe sich aus diesen Richtlinien, dass der „Entledigungsgrundsatz“ sich
auf die Qualifizierung von Material als Abfall in der Weise auswirke, dass 3B-Material nur als Abfall
eingestuft werden könne, wenn Mayer Parry sich seiner entledige. Drittens werde das Ziel, „Rohstoffe
einzusparen“ erreicht, wenn sekundäre Rohstoffe wie 3B-Material gewonnen würden. Viertens werde
in den beiden Richtlinien zwischen „stofflicher Verwertung“ und „energetischer Verwertung“
unterschieden.
36.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofes enthalte vier Leitlinien für die Bestimmung des Zeitpunkts,
zu dem Abfälle stofflich verwertet worden seien. Erstens falle die Frage, ob es sich bei einem Material
um „Abfall“ handele, in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, und die Entscheidung hierüber
müsse unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles sowie der Zielsetzung der
Richtlinie 75/442 und der Notwendigkeit, sicherzustellen, dass ihre Wirkung nicht beeinträchtigt
werde, getroffen werden. Zweitens sei jede Substanz Abfall, wenn der Besitzer sich ihrer entledige
oder entledigen wolle. Drittens sei zwischen der „Verwertung von Abfall“ und der „gewöhnlichen
industriellen Behandlung“ zu unterscheiden. Viertens liege eine Verwertung vor, wenn in dem
betreffenden Verfahren Sekundärrohstoffe gewonnen werden könnten, die in einem
Produktionsprozess eingesetzt werden könnten. Wenn nämlich ein Sekundärrohstoff zu diesem Zweck
gewonnen worden sei, wie im Ausgangsverfahren das von Mayer Parry hergestellte 3B-Material, sei die
Verwertung und damit die stoffliche Verwertung als abgeschlossen anzusehen, und das Material stelle
keinen Abfall mehr dar.
37.
Die EA macht geltend, dem Begriff der stofflichen Verwertung müsse in den Richtlinien 75/442 und
94/62 dieselbe Bedeutung zugemessen werden, da diese dieselben Ziele verfolgten. Da auch der
Begriff des Abfalls in den beiden Richtlinien derselbe sei, müssten diese gemeinsam geprüft werden.
Im Übrigen betreffe die vom nationalen Gericht vorgelegte Frage die Auslegung des
Gemeinschaftsrechts, und die Antwort auf eine solche Frage könne nicht dem nationalen Gericht
überlassen werden.
38.
Zur Bestimmung des Zeitpunkts der Verwertung der Abfälle trägt die EA vor, eine Substanz verliere
nicht bereits deswegen ihren Abfallcharakter, weil sie im Besitz einer anderen Person als des
ursprünglichen Herstellers sei und diese Person selbst nicht die Absicht oder die Pflicht habe, sich
ihrer zu entledigen. Auch wenn Abfälle den Abfallcharakter nicht zwangsläufig schon deswegen
verlören, weil geltend gemacht werden könne, dass sie einem Verwertungsverfahren unterzogen
worden seien, könne die Beschreibung einiger dieser Verfahren gleichwohl die Feststellung
ermöglichen, zu welchem Zeitpunkt ein Stoff aufhöre, Abfall zu sein. Somit gebe es keinen Grund,
Abfallverwendungskontrollen für Stoffe aufrechtzuerhalten, wenn diese energetisch verwertet
(Position R 1 des Anhangs II B der Richtlinie 75/442) oder rückgewonnen, regeneriert, stofflich
verwertet, wieder verwendet oder auf den Boden zum Nutzen der Landwirtschaft oder der Ökologie
aufgebracht (Positionen R 2 bis R 10 dieses Anhangs) worden seien oder wenn die bei einem dieser
Verfahren gewonnenen Rückstände verwendet worden seien (Position R 11 dieses Anhangs).
39.
Tätigkeiten eines Unternehmens wie Mayer Parry führten nicht zur stofflichen Verwertung, da diese
als Herstellerin nur vorbereitende oder andere Verfahren durchführe, die zu einer Änderung der Natur
oder der Zusammensetzung des behandelten Schrotts führten.
40.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, zur Lösung des Ausgangsrechtsstreits genüge
es, festzustellen, ob die Tätigkeit von Mayer Parry eine stoffliche Verwertung im Sinne der Richtlinie
94/62 darstelle, so dass die Richtlinie 75/442 nicht mehr geprüft zu werden brauche. Insoweit verweist
sie erstens darauf, dass Abfälle nach der Richtlinie 94/62 nur einmal stofflich verwertet werden
könnten. Zweitens erfülle die Tätigkeit von Mayer Parry nicht die Voraussetzungen, wie sie sich aus
der Definition der stofflichen Verwertung in Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62 ergäben, da diese
Tätigkeit keinen Produktionsprozess darstelle und nicht der Wiederaufarbeitung im Sinne einer
Verarbeitung von Abfällen zu einem neuen Erzeugnis bzw. einer Verwendung in einem Verfahren, das
demjenigen entspreche, in dem der Ausgangsstoff verwendet werde, zuzurechnen sei. Drittens ergebe
sich aus Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 94/62, dass die stoffliche Verwertung erst in dem Stadium
erfolge, in dem der Stahlhersteller Stahlblöcke, -bleche oder -rollen herstelle.
41.
Für den Fall, dass es sich als notwendig erweise, das Verhältnis zwischen den Richtlinien 94/62 und
75/442 zu prüfen, sei festzustellen, dass den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der letztgenannten
Richtlinie ein großer Ermessensspielraum für ihre Definition der Verwertung eingeräumt sei, während
ein solcher Spielraum bei der Richtlinie 94/62 nicht bestehe. In Bezug auf die Bestimmung des
Zeitpunkts, ab dem ein Stoff kein Abfall mehr sei, sei für jede dieser Richtlinien ein anderes Vorgehen
erforderlich, da sie unterschiedliche Ziele verfolgten.
42.
Die Firma Corus ist ein Stahlhersteller, der von Mayer Parry hergestelltes 3B-Material für die
Herstellung von Stahlblöcken, -rollen und -blechen verwendet. Sie ist von der EA als
Wiederaufarbeitungsunternehmen zugelassen und ist eine der Streithelferinnen im
Ausgangsverfahren. Sie schließt sich den Ausführungen der Regierung des Vereinigten Königreichs an
und trägt erstens vor, im vorliegenden Fall brauche sich der Gerichtshof lediglich zur Richtlinie 94/62
zu äußern. Zweitens handele es sich bei ihrer Tätigkeit um stoffliche Verwertung im Sinne der
Richtlinie 94/62, da sie die Verwendung von 3B-Material für Produktionszwecke ermögliche. Drittens
falle die Art und Weise des Nachweises der stofflichen Verwertung in die Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten.
43.
Die dänische Regierung schließt sich dem Vorbringen der EA an und führt aus, der Begriff des
Abfalls müsse im Interesse des Umweltschutzes weit ausgelegt werden. Bei der Auslegung dieses
Begriffes komme der Frage Bedeutung zu, ob die Zusammensetzung des Abfalls so verändert worden
sei, dass er als neues Produkt angesehen werden könne, das nicht mehr der Kontrolle der
Mitgliedstaaten unter Umweltgesichtspunkten unterworfen werden müsse. Eine Behandlung wie
diejenige durch Mayer Parry sei keine stoffliche Verwertung im Sinne der Richtlinien 75/442 und 94/62,
so dass das von dieser Gesellschaft hergestellte 3B-Material weiterhin Abfall sei.
44.
Die niederländische Regierung vertritt die Auffassung, im Rahmen der Richtlinie 75/442 beziehe sich
der Begriff der stofflichen Verwertung nicht nur auf die Abfallbehandlung in einem Produktionsprozess,
sondern auch auf die Abfallbehandlung im Rahmen eines Verwertungsverfahrens zur Gewinnung von
Sekundärrohstoffen. Um zu entscheiden, ob ein solches Verfahren durchgeführt und dieser Stoff
daher kein Abfall mehr sei, müsse geprüft werden, ob der Besitzer sich seiner womöglich im Sinne von
Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442 „entledigen“ wolle. Hierzu müsse geprüft werden, ob durch
die Verwertung ein Stoff mit den Merkmalen und Eigenschaften eines Rohstoffes habe gewonnen
werden können.
45.
Der Begriff der „stofflichen Verwertung“ im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62 müsse
demgegenüber anders ausgelegt werden. Nach dieser Vorschrift sei die stoffliche Verwertung von
Verpackungsabfällen erst abgeschlossen, wenn diese - als Sekundärrohstoff - in einem
„Produktionsprozess“ wieder verwendet worden sei. Die stoffliche Verwertung im Sinne der Richtlinie
94/62 sei also nicht schon zu dem Zeitpunkt abgeschlossen, zu dem ein Sekundärrohstoff gewonnen
worden sei, auch wenn das Material zu diesem Zeitpunkt seinen Charakter eines Abfalls im Sinne der
Richtlinie 75/442 verloren habe. Nur die tatsächliche Verwendung von Verpackungsabfällen als
Sekundärrohstoffe in einem Produktionsprozess gewährleiste, dass weniger Primärrohstoffe
verbraucht würden. Das von Mayer Parry hergestellte 3B-Material sei daher erst dann im Sinne der
Richtlinie 94/62 stofflich verwertet, wenn es von einem Stahlhersteller zur Produktion von
Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet worden sei.
46.
Die österreichische Regierung trägt erstens vor, die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 94/62
könnten nicht von denen der Richtlinie 75/442 abweichen. Zweitens sei zur Beurteilung, ob ein Abfall,
der einer Verwertung zugeführt worden sei, nicht mehr Abfall sei, zwischen dem Interesse des
Schutzes der Umwelt und der menschlichen Gesundheit einerseits und der Förderung des Recyclings
andererseits abzuwägen. Drittens müsse die Verwertung eines Abfalls nicht in einem Schritt erfolgen.
Bei jedem Einzelschritt sei zu überprüfen, ob eine Verwertung vorliege. Mayer Parry führe daher keine
stoffliche Verwertung, sondern lediglich eine Verwertung von Abfällen durch, um sie einer stofflichen
Verwertung im Sinne der Richtlinie 94/62 zuzuführen.
47.
Die Kommission macht geltend, die Begriffsbestimmungen der Verwertung und der stofflichen
Verwertung als Verwertungsverfahren müssten im Rahmen der Richtlinie 75/442 genauso ausgelegt
werden wie diejenigen der Richtlinie 94/62. Jede unterschiedliche Auslegung würde bedeuten, dass im
Bemühen, die Ziele dieser Richtlinien zu verwirklichen, ein und derselbe Vorgang womöglich zweimal
berücksichtigt würde. Im Übrigen könne ein Abfall erst nach Abschluss des gesamten
Wiederaufarbeitungsprozesses, nach Verarbeitung zu einem neuen Produkt, als stofflich verwertet
angesehen werden. In diesem Zusammenhang könnten die von Mayer Parry hergestellten Materialien
nicht als Ergebnis einer stofflichen Verwertung in dem Sinne angesehen werden, dass es sich nicht
mehr um Abfälle handele. Der Umstand, dass das von Mayer Parry hergestellte 3B-Material einen
wirtschaftlichen Wert habe und an Stahlunternehmen verkauft werde, ändere nichts an diesem
Ergebnis.
48.
Die Bestimmung der Abfalleigenschaft sei für das Funktionieren der Abfallbehandlungskontrollen
unerlässlich. Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993
zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen
Gemeinschaft (ABl. L 30, S. 1) verweise auch auf die Definition des Begriffes „Abfall“ in Artikel 1
Buchstabe a der Richtlinie 75/442. In diesem Rahmen sei für möglicherweise umweltgefährdende
Stoffe ohne Kontrolle oder Überwachung kein freier Verkehr innerhalb der Gemeinschaft und über ihre
Grenzen hinaus möglich. Für Schrott, der noch nicht vollständig verwertet oder stofflich verwertet sei,
sei ein unkontrollierter Verkehr in der Gemeinschaft daher ausgeschlossen.
Antwort des Gerichtshofes
49.
Vorab ist das Verhältnis zwischen den Richtlinien 75/442 und 94/62 zu prüfen, da die beim
Gerichtshof eingereichten Erklärungen insoweit voneinander abweichen und die Fragen sich auf beide
Richtlinien beziehen.
50.
Die Richtlinie 75/442 in ihrer ursprünglichen Fassung war die erste Richtlinie, die Maßnahmen zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Abfallvermeidung und -
beseitigung enthielt.
51.
Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 91/156 erheblich geändert, auch wenn diese Änderung
den Abfallbegriff nicht grundlegend geändert hat; er erfasst immer noch die Stoffe oder Gegenstände,
deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Zu den durch die Richtlinie
91/156 eingeführten neuen Vorschriften gehört Artikel 2 Absatz 2, dem zufolge zur Regelung der
Bewirtschaftung bestimmter Abfallgruppen in Einzelrichtlinien besondere oder ergänzende
Vorschriften erlassen werden können; damit wurde aus der Richtlinie 75/442 eine Rahmenrichtlinie.
52.
Die Richtlinie 94/62 enthält besondere oder die Richtlinie 75/442 ergänzende Vorschriften im Sinne
dieses Artikels 2 Absatz 2 zur Regelung der Bewirtschaftung einer bestimmten Abfallgruppe, nämlich
der Verpackungsabfälle.
53.
Die Richtlinie 75/442 ist jedoch weiter von großer Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der
Richtlinie 94/62.
54.
Erstens reiht sich die Richtlinie 94/62, wie sich aus ihrer siebten Begründungserwägung ergibt, in
die u. a. durch die Richtlinie 75/442 festgelegte Gemeinschaftsstrategie für die Abfallbewirtschaftung
ein.
55.
Zweitens enthält die Richtlinie 94/62 eingedenk des in der dritten Begründungserwägung der
Richtlinie 91/156 genannten Zieles, eine einheitliche Terminologie für den Abfallsektor zu schaffen,
Vorschriften, die ausdrücklich auf die Richtlinie 75/442 verweisen, wie z. B. Artikel 3 Nummer 2
betreffend die Begriffsbestimmung der Verpackungsabfälle.
56.
Drittens sind Verpackungsabfälle Abfälle im Sinne der Richtlinie 75/442, so dass diese auf sie
anwendbar bleibt, soweit die Richtlinie 94/62 nichts anderes bestimmt. Dies gilt z. B. für die
Bestimmungen der Artikel 4 und 5 der Richtlinie 75/442 betreffend die Abfallbeseitigung.
57.
Die Richtlinie 94/62 ist folglich als lex specialis gegenüber der Richtlinie 75/442 anzusehen, so dass
ihre Vorschriften in Fällen, die sie spezifisch regeln soll, denjenigen der letztgenannten Richtlinie
vorgehen.
58.
Im Ausgangsverfahren geht es um die Frage, ob Mayer Parry mit der Herstellung von 3B-Material
eine stoffliche Verwertung vorgenommen hat, aufgrund deren sie als „Wiederaufarbeitungsbetrieb“
zugelassen werden und damit PRNs ausstellen kann.
59.
Zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass das 3B-Material von Mayer
Parry aus metallischen Verpackungsabfällen hergestellt wird. In dem Rechtsstreit geht es somit in
erster Linie um den Begriff der stofflichen Verwertung im Zusammenhang mit Verpackungsabfällen.
60.
Daher ist zunächst die zweite Frage zu beantworten, die die stoffliche Verwertung von
Verpackungsabfällen im Sinne der Richtlinie 94/62 betrifft.
Zur zweiten Frage
61.
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob der Begriff „stoffliche
Verwertung“ (englische Fassung: „recycling“) im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62
dahin auszulegen ist, dass er die Verwertung metallischer Verpackungsabfälle erfasst, wenn sie zu
Sekundärrohstoffen wie dem 3B-Material verarbeitet worden sind oder nur wenn sie zur Herstellung
von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet worden sind.
62.
Um diese Frage zu beantworten, muss erstens der Begriff „stoffliche Verwertung“, wie er in Artikel 3
Nummer 7 der Richtlinie 94/62 definiert ist, ausgelegt und zweitens geprüft werden, ob die Gewinnung
von 3B-Material oder die Herstellung von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen aus metallischen
Verpackungsabfällen als „stoffliche Verwertung“ zu qualifizieren ist.
63.
Sowohl aus den Begründungserwägungen wie auch aus den Vorschriften der Richtlinien 75/442 und
94/62 ergibt sich, dass die stoffliche Verwertung eine Form der Verwertung ist. Das entscheidende
Merkmal für eine Abfallverwertungsmaßnahme liegt nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie
75/442 sowie nach ihrer vierten Begründungserwägung darin, dass ihr Hauptzweck darauf gerichtet
ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfüllen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die
für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Rohstoffquellen erhalten
werden können (Urteil vom 27. Februar 2002 in der Rechtssache C-6/00, ASA, Slg. 2002, I-1961,
Randnr. 69). Die stoffliche Verwertung als Form der Verwertung muss daher denselben Zweck
verfolgen.
64.
Die Definition der stofflichen Verwertung in Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62 führt alle
Tatbestandsmerkmale eines solchen Vorgangs auf, nämlich die in einem Produktionsprozess
erfolgende Wiederaufarbeitung der Abfallmaterialien für den ursprünglichen Zweck oder für andere
Zwecke, mit Ausnahme der energetischen Verwertung.
65.
Ausgangspunkt der stofflichen Verwertung ist nach dieser Definition Abfall, der wieder
aufgearbeitet werden muss. Auch wenn die Definition nicht den Hinweis enthält, dass es sich um
Verpackungsabfälle handeln muss, ist es im Kontext der Richtlinie 94/62, die sich nur auf
Verpackungen und Verpackungsabfälle bezieht, klar, dass nur diese gemeint sind. Nach Artikel 3
Nummer 2 der Richtlinie 94/62 und Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 75/442, auf die die
erstgenannte Vorschrift verweist, sind Verpackungsabfälle definiert als alle Verpackungen oder
Verpackungsmaterialien, mit Ausnahme von Produktionsrückständen, deren sich ihr Besitzer entledigt,
entledigen will oder entledigen muss. Verpackungsabfälle stammen somit von „Verpackungen“ im
Sinne von Artikel 3 Nummer 1 der Richtlinie 94/62.
66.
Nach der Definition der stofflichen Verwertung muss der Verpackungsabfall einer
Wiederaufarbeitung in einem Produktionsprozess unterzogen werden. Im Rahmen eines solchen
Prozesses muss der Verpackungsabfall bearbeitet werden, um ein neues Material zu gewinnen oder
ein neues Erzeugnis herzustellen. In diesem Sinne unterscheidet sich die stoffliche Verwertung
deutlich von anderen Verfahren der Verwertung oder Behandlung von Abfällen nach der
Gemeinschaftsregelung, wie der Rückgewinnung von Rohstoffen und Rohstoffverbindungen (vgl. R 3
bis R 5 des Anhangs II B der Richtlinie 75/442), der Vorbehandlung, der Mischung oder sonstigen
Behandlungen, die nur eine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung dieser Abfälle
bewirken (vgl. Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 75/442).
67.
Abfall kann ferner nur dann als stofflich verwertet angesehen werden, wenn er „für den
ursprünglichen Zweck“ zu einem neuen Material oder Erzeugnis wieder aufgearbeitet wurde. Dies
bedeutet, dass der Abfall in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden muss, um gegebenenfalls
für einen Zweck verwendet zu werden, der mit dem ursprünglichen Zweck des Materials identisch ist,
aus dem der Abfall hervorgegangen ist. Metallischer Verpackungsabfall ist somit als stofflich verwertet
anzusehen, wenn er im Rahmen eines Prozesses, der der Gewinnung eines neuen Materials oder der
Herstellung eines neuen Erzeugnisses mit Eigenschaften, die den Eigenschaften des Materials
entsprechen, aus dem der Abfall hervorgegangen ist, dient, wieder aufgearbeitet wurde, um erneut
für die Herstellung von metallischen Verpackungen verwendet zu werden.
68.
Die Definition der stofflichen Verwertung stellt weiter klar, dass der Abfall in einem
Produktionsprozess für den ursprünglichen Zweck „oder für andere Zwecke“ wieder aufgearbeitet
werden kann. Demnach ist der Begriff der stofflichen Verwertung nicht auf den Fall beschränkt, dass
das neue Material oder das neue Erzeugnis, das über Eigenschaften verfügt, die denjenigen des
ursprünglichen Materials entsprechen, erneut für Zwecke einer metallischen Verpackung verwendet
wird. Eine Verwendung zu anderen Zwecken fällt ebenfalls unter diesen Begriff.
69.
Diese anderen Zwecke sind beliebig, vorausgesetzt, die Wiederaufarbeitung der
Verpackungsabfälle erfolgt nicht in Gestalt einer energetischen Verwertung, die nach Artikel 3
Nummer 7 der Richtlinie 94/62 ausdrücklich ausgeschlossen ist, oder im Wege einer Beseitigung, die
dem Begriff der stofflichen Verwertung selbst als einer Form der Verwertung von Abfällen zuwiderläuft.
70.
Die Definition der stofflichen Verwertung gemäß den Randnummern 63 bis 69 des vorliegenden
Urteils entspricht den Zielen der Richtlinie 94/62.
71.
Sowohl aus der ersten Begründungserwägung der Richtlinie 94/62 als auch aus ihrem Artikel 1
Absatz 1 ergibt sich nämlich, dass sie einerseits Auswirkungen der Verpackungsabfälle auf die Umwelt
vermeiden und verringern will, um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, und andererseits
das Funktionieren des Binnenmarkts gewährleisten soll.
72.
Die Erhaltung der Umwelt und die Erreichung eines hohen Umweltschutzniveaus stellen ein Ziel dar,
das den Anforderungen des Artikels 174 Absätze 1 und 2 EG entspricht. Zur Verwirklichung dieses
Zieles hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 94/62
Mindestzielvorgaben gesetzt, die gewährleisten sollen, dass mindestens 50 Gewichtsprozent der
Verpackungsabfälle verwertet werden. Unter den verschiedenen Verwertungsverfahren spielt die
stoffliche Verwertung eine wesentliche Rolle, und ihr ist insoweit - gemeinsam mit der
Wiederverwendung - der Vorrang einzuräumen, wie sich aus der elften bzw. achten
Begründungserwägung der Richtlinie 94/62 ergibt.
73.
Durch die Auslegung der in Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62 enthaltenen Definition der
stofflichen Verwertung dahin, dass die Wiederaufarbeitung der Verpackungsabfälle die Gewinnung
eines neuen Materials oder eines neuen Erzeugnisses ermöglichen muss, das Eigenschaften aufweist,
die den Eigenschaften des Materials vergleichbar sind, aus dem sie hervorgegangen sind, ist ein
erhöhtes Umweltschutzniveau gewährleistet.
74.
Erst in diesem Stadium sind nämlich die ökologischen Vorteile, die den Gemeinschaftsgesetzgeber
bewogen haben, dieser Methode der Abfallverwertung einen gewissen Vorrang einzuräumen, d. h.
eine Verringerung des Verbrauchs von Energie und primären Rohstoffen (vgl. elfte
Begründungserwägung der Richtlinie 94/62), vollständig erreicht.
75.
Ferner verlieren die betreffenden Materialien auch erst in diesem Stadium die Eigenschaft von
Verpackungsabfällen, so dass die vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehenen verschiedenen
Abfallkontrollen gegenstandslos werden. Da die stoffliche Verwertung nämlich die Verarbeitung der
Verpackungsabfälle zu einem neuen Material oder einem neuen Erzeugnis darstellt, das vergleichbare
Eigenschaften wie das Material hat, aus dem sie hervorgegangen sind, kann das Ergebnis dieser
Verarbeitung nicht mehr als „Verpackungsabfälle“ eingestuft werden.
76.
Schließlich erlaubt die in den Randnummern 63 bis 69 dieses Urteils enthaltene Auslegung des
Begriffes der stofflichen Verwertung dadurch, dass sie alle Zweifel hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem
die Verpackungsabfälle als stofflich verwertet anzusehen sind, aufhebt, den Ausschluss der Gefahr,
dass verschiedene Vorgänge der Behandlung ein und desselben Abfalls im Hinblick auf die
Anwendung der Prozentsätze des Artikels 6 Absatz 1 der Richtlinie 94/62 als Maßnahmen der
stofflichen Verwertung angesehen werden.
77.
Eine solche Auslegung entspricht auch den Anforderungen der Klarheit und Einheitlichkeit, die sich
aus der Zielsetzung der Richtlinie 94/62 im Hinblick auf das Funktionieren des Binnenmarkts ergeben,
insbesondere was die Verhinderung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen angeht.
78.
Zum einen könnten nämlich Handelshemmnisse entstehen, wenn in den Mitgliedstaaten
unterschiedliche Begriffe der stofflichen Verwertung verwendet würden, so dass ein und dasselbe
Material oder Erzeugnis in einem Mitgliedstaat als stofflich verwertet angesehen werden könnte - und
damit die Eigenschaft von Verpackungsabfällen verloren hätte und von jeder spezifisch
abfallrechtlichen Kontrolle befreit wäre -, während dies in einem anderen Mitgliedstaat nicht der Fall
wäre.
79.
Zum anderen muss der Begriff der stofflichen Verwertung in Anbetracht dessen, dass alle an der
Herstellung, Verwendung, Einfuhr und Verteilung von Verpackungen und verpackten Erzeugnissen
Beteiligten die ihnen nach dem „Verursacherprinzip“ obliegende Verantwortung übernehmen müssen
(vgl. 29. Begründungserwägung der Richtlinie 94/62), einheitlich angewandt werden, um eine
Gleichstellung der Betreffenden im Hinblick auf den Wettbewerb im Binnenmarkt zu erreichen.
80.
Nach dieser Klärung des Begriffes der stofflichen Verwertung ist zweitens zu prüfen, ob 3B-Material,
wie das im Ausgangsverfahren von Mayer Parry produzierte Material, unter diesen Begriff subsumiert
werden kann.
81.
Zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass es sich bei den Materialien
oder Gegenständen, die der Herstellung von 3B-Material durch Mayer Parry zugrunde liegen, um
Verpackungsabfälle handelt.
82.
Metallische Verpackungsabfälle werden von Mayer Parry in dem vom vorlegenden Gericht in den
Nummern 34 f. des Vorlagebeschlusses beschriebenen Verfahren gesammelt, sichtgeprüft, auf
Strahlung geprüft, sortiert, gereinigt, geschnitten, getrennt und geschreddert (zerkleinert). Wie das
vorlegende Gericht festgestellt hat, arbeitet Mayer Parry bei der Herstellung von 3B-Material
Verpackungsabfälle wieder auf, um einen sekundären Rohstoff zu erhalten, der einen primären
Rohstoff wie Eisenerz ersetzen kann. Somit ist nicht von vornherein auszuschließen, dass Mayer Parry
eisenhaltige Verpackungsabfälle „in einem Produktionsprozess“ im Sinne des Artikels 3 Nummer 7 der
Richtlinie 94/62, d. h. in einem Prozess, durch den neues Material gewonnen oder ein neues Erzeugnis
hergestellt werden soll, wieder aufarbeitet.
83.
Die Herstellung von 3B-Material stellt jedoch keine Wiederaufarbeitung metallischer
Verpackungsabfälle mit dem Ziel dar, dieses Material in seinen ursprünglichen Zustand, d. h. Stahl, zu
versetzen und es für seinen ursprünglichen Zweck, nämlich die Herstellung von metallischen
Verpackungen, oder für andere Zwecke wiederzuverwenden. Die von Mayer Parry wieder
aufgearbeiteten metallischen Verpackungsabfälle sind somit nicht Gegenstand einer in einem
Produktionsprozess erfolgenden Wiederaufarbeitung, durch die das 3B-Material Eigenschaften erhält,
die denen des Materials entsprechen, aus dem die metallische Verpackung bestand.
84.
Das 3B-Material stellt nämlich eine Mischung dar, die neben Eisenanteilen Verunreinigungen
(zwischen 3 % und 7 % je nach Partie) wie Farbe und Öl, nicht eisenhaltige Stoffe sowie unerwünschte
chemische Bestandteile enthält, die im Zusammenhang mit seiner Verwendung zur Stahlherstellung
entfernt werden müssen. Das 3B-Material kann somit nicht direkt zur Herstellung neuer metallischer
Verpackungen verwendet werden.
85.
Folglich ist das besagte Material, wie es von Mayer Parry produziert wird, nicht als stofflich
verwerteter Verpackungsabfall anzusehen.
86.
Somit bleibt zu prüfen, ob die Verwendung von 3B-Material zur Herstellung von Stahlblöcken, -
blechen oder -rollen unter Bedingungen wie derjenigen des Ausgangsverfahrens als Verfahren der
stofflichen Verwertung von Verpackungsabfällen anzusehen ist.
87.
Dies ist tatsächlich der Fall, da der fragliche Produktionsprozess zur Herstellung von neuen
Erzeugnissen, nämlich Stahlblöcken, -blechen oder -rollen, führt, die Eigenschaften haben, die
denjenigen des Materials entsprechen, aus dem die im 3B-Material enthaltenen metallischen
Verpackungsabfälle ursprünglich bestanden, und die für denselben Zweck verwendet werden können,
den ursprünglich das Material hatte, aus dem diese Abfälle hervorgegangen sind, nämlich metallische
Verpackungen oder zu anderen Zwecken.
88.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Begriff „stoffliche Verwertung“
(„recycling“) im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 94/62 dahin auszulegen ist, dass er die
Wiederaufarbeitung metallischer Verpackungsabfälle nicht erfasst, wenn sie zu Sekundärrohstoffen
wie 3B-Material verarbeitet werden, dass er aber die Wiederaufarbeitung solcher Abfälle erfasst, wenn
sie zur Herstellung von Stahlblöcken, -blechen oder -rollen verwendet werden.
Zur ersten Frage
89.
Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob sich an der Antwort auf
die zweite Frage etwas ändern würde, wenn auf die Begriffe „Rückführung“ (englische Fassung:
„recycling“) und „Abfälle“ im Sinne der Richtlinie 75/442 abgestellt würde.
90.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Begriff „Verpackungsabfälle“ in Artikel 3 der Richtlinie 94/62
definiert wird als Verpackungen oder Verpackungsmaterialien, die unter den Begriff „Abfälle“ im Sinne
der Richtlinie 75/442 fallen. „Verpackungsabfälle“ im Sinne der Richtlinie 94/62 sind daher als „Abfälle“
im Sinne der Richtlinie 75/442 anzusehen.
91.
Zum einen ergibt sich aus den Randnummern 86 und 87 dieses Urteils, dass ein Hersteller von
Stahlblöcken, -blechen oder -rollen aus 3B-Material, das aus metallischen Verpackungsabfällen
hergestellt ist, eine „stoffliche Verwertung“ im Sinne der Richtlinie 94/62 vornimmt. Zum anderen
ergibt sich aus Randnummer 75 dieses Urteils, dass Verpackungsabfälle zu dem Zeitpunkt, zu dem sie
im Sinne dieser Richtlinie stofflich verwertet worden sind, nicht mehr als Verpackungsabfälle im Sinne
dieser Richtlinie und damit auch nicht im Sinne der Richtlinie 75/442 anzusehen sind. Folglich sind aus
3B-Material, das aus metallischen Verpackungsabfällen hervorgegangen ist, die stofflich verwertet
wurden, hergestellte Stahlblöcke, -bleche oder -rollen nicht mehr „Verpackungsabfälle“ im Sinne der
Richtlinie 94/62.
92.
Im Übrigen ist der Begriff der „Rückführung“ (englische Fassung: „recycling“) in der Richtlinie
75/442 nicht definiert. Für den Fall, dass dieser Begriff nach der Richtlinie 75/442 nicht denselben
Inhalt wie derjenige in der Richtlinie 94/62 haben sollte, wäre nur Letzterer auf Verpackungsabfälle
anwendbar. Wie sich nämlich aus den Randnummern 53 und 57 dieses Urteils ergibt, ist die Richtlinie
75/442 zwar als Rahmenrichtlinie für die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 94/62 maßgeblich,
doch verhindert dies nicht, dass die letztgenannte Richtlinie als lex specialis der Richtlinie 75/442
vorgeht.
93.
Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Antwort auf die zweite Frage nicht anders
ausfallen würde, wenn auf die Begriffe „Rückführung“ („recycling“) und „Abfälle“ im Sinne der Richtlinie
75/442 abgestellt würde.
Kosten
94.
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der dänischen, der niederländischen und
der österreichischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative
Court), mit Beschluss vom 9. November 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Begriff „stoffliche Verwertung“ („recycling“) im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der
Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994
über Verpackungen und Verpackungsabfälle ist dahin auszulegen, dass er die
Wiederaufarbeitung metallischer Verpackungsabfälle nicht erfasst, wenn sie zu
Sekundärrohstoffen wie 3B-Material verarbeitet werden, dass er aber die
Wiederaufarbeitung solcher Abfälle erfasst, wenn sie zur Herstellung von Stahlblöcken, -
blechen oder -rollen verwendet werden.
2. Diese Auslegung würde nicht anders ausfallen, wenn auf die Begriffe „Rückführung“
(„recycling“) und „Abfälle“ im Sinne der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975
über Abfälle abgestellt würde.
Wathelet
Timmermans
Jann
von Bahr
Rosas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Juni 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Englisch.