Urteil des EuGH vom 09.12.2003

EuGH: kommission, beweis des gegenteils, verwaltung, gemeinschaftsrecht, umkehr der beweislast, republik, regierung, innerstaatliches recht, vereinigtes königreich, gesetzliche frist

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
9. Dezember 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Gemeinschaftsrechtswidrige Auslegung eines nationalen Gesetzes
durch die Rechtsprechung und die Verwaltungspraxis - Voraussetzungen für die Erstattung zu Unrecht
gezahlter Beträge“
In der Rechtssache C-129/00
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Beistand von P. Biavati, avvocato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Italienische Republik,
Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag
verstoßen hat, dass sie Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 „Disposizioni per
l'adempimento di obblighi derivanti dall'appartenenza dell'Italia alle Communità europee (legge comunitaria
per il 1990)“ (Bestimmungen zur Erfüllung der Verpflichtungen infolge der Zugehörigkeit Italiens zu den
Europäischen Gemeinschaften [Gemeinschaftsgesetz für 1990] - GURI Nr. 10 vom 12. Januar 1991,
supplemento ordinario, S. 5) beibehalten hat, der nach der Auslegung und Anwendung durch die Verwaltung
und die Gerichte eine Beweisregelung bezüglich der Abwälzung von unter Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgaben auf Dritte enthält, die die Ausübung des Rechts auf Erstattung
solcher Abgaben für den Steuerpflichtigen praktisch unmöglich macht oder zumindest übermäßig erschwert,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, C.
Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und A. Rosas, der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, J.-P. Puissochet
(Berichterstatter) und R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie des Richters S. von
Bahr,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 2. April 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Juni 2003
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die beim Gerichtshof am 4.
April 2000 eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die
Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie
Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428 vom 29. Dezember 1990 „Disposizioni per l'adempimento di
obblighi derivanti dall'appartenenza dell'Italia alle Communità europee (legge comunitaria per il 1990)“
(Bestimmungen zur Erfüllung der Verpflichtungen infolge der Zugehörigkeit Italiens zu den
Europäischen Gemeinschaften [Gemeinschaftsgesetz für 1990] - GURI Nr. 10 vom 12. Januar 1991,
supplemento ordinario, S. 5, im Folgenden: Gesetz Nr. 428/1990) beibehalten hat, der nach der
Auslegung und Anwendung durch die Verwaltung und die Gerichte eine Beweisregelung bezüglich der
Abwälzung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgaben auf Dritte enthält,
die die Ausübung des Rechts auf Erstattung solcher Abgaben für den Steuerpflichtigen praktisch
unmöglich macht oder zumindest übermäßig erschwert.
Das nationale Recht
2.
Durch das Gesetz Nr. 428/1990 wurden in das Abgabenrecht besondere Bestimmungen für die
„Erstattung von Abgaben, die für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärt worden sind“,
eingeführt. Artikel 29 Absatz 2 dieses Gesetzes bestimmt hierzu:
„Die Einfuhrzölle, die Produktionsteuer, die Verbrauchsteuer, der Zuschlag auf Zucker und die
staatlichen Gebühren, die nach mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbaren nationalen
Rechtsvorschriften erhoben worden sind, werden erstattet, sofern nicht die Belastung auf andere
Personen abgewälzt wurde.“
3.
Davor war diese Frage durch Artikel 19 Absatz 1 des Gesetzesdekrets Nr. 688 vom 30. September
1982 (GURI Nr. 270 vom 30. September 1982, S. 7072), umgewandelt in das Gesetz Nr. 873 vom 27.
November 1982 (GURI Nr. 328 vom 29. November 1982, S. 8599, im Folgenden: Gesetzesdekret Nr.
688/1982), geregelt. Dieser bestimmte:
„Wer ... ohne rechtlichen Grund Einfuhrzölle, Produktionsteuern, Verbrauchsteuern oder staatliche
Gebühren entrichtet hat, hat Anspruch auf Erstattung der gezahlten Beträge, wenn er - außer im Fall
eines Schreib- oder Druckfehlers - den urkundlichen Nachweis erbringt, dass die Belastung nicht in
irgendeiner Weise auf andere Personen abgewälzt worden ist.“
Vorgeschichte
4.
Artikel 19 des Gesetzesdekrets Nr. 688/1982 war Anlass für zwei Urteile des Gerichtshofes. Das
erste (Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595) erging
aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens, das zweite (Urteil vom 24. März 1988 in der
Rechtssache 104/86, Kommission/Italien, Slg. 1988, 1799) in einem Vertragsverletzungsverfahren der
Kommission gegen die Italienische Republik.
5.
Im letztgenannten Urteil hat der Gerichtshof entschieden:
„6 [Es] obliegt mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der Erstattung
von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Steuern den Mitgliedstaaten, die
Erstattung dieser Steuern nach ihrem innerstaatlichen Recht sicherzustellen. Das Gemeinschaftsrecht
schreibt keine Erstattung von ohne rechtlichen Grund erhobenen Steuern unter Umständen vor, die
zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führen würden; so schließt es
die Berücksichtigung des Umstands nicht aus, dass die Belastung durch die ohne rechtlichen Grund
erhobenen Steuern auf andere Unternehmen oder auf die Verbraucher abgewälzt werden konnte.
7 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof im Urteil [San Giorgio] zu eben dem
hier in Rede stehenden Artikel 19 des Decreto-legge Nr. 688 entschieden hat, Beweisvorschriften
nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, die es praktisch unmöglich machen oder übermäßig
erschweren, die Erstattung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgaben zu
erreichen, und dass dies insbesondere der Fall ist bei Vermutungen oder Beweisregeln, die dem
Abgabenpflichtigen die Beweislast dafür auferlegen, dass die ohne Rechtsgrund gezahlten Abgaben
nicht auf andere abgewälzt worden sind, oder bei besonderen Beschränkungen hinsichtlich der Form
der zu erbringenden Beweise, wie dem Ausschluss aller Beweismittel außer dem Urkundsbeweis.
...
11 ... Die streitige Bestimmung des italienischen Rechts erlegt den Wirtschaftsteilnehmern die
Beweislast für den Nachweis einer negativen Tatsache auf, da sie gegenüber den bloßen
Behauptungen der Verwaltung nachweisen müssen, dass die ohne Rechtsgrund erhobene Abgabe
nicht auf andere Personen abgewälzt worden ist, wobei als Beweismittel nur der Beweis durch
Urkunden zugelassen ist. Eine solche Vorschrift läuft den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, wie
sie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergeben, zuwider.“
6.
Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990 gab danach selbst Anlass zu Vorlagefragen, die der
Gerichtshof mit Urteil vom 9. Februar 1999 in der Rechtssache C-343/96 (Dilexport, Slg. 1999, I-579)
beantwortet hat. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wird diese Bestimmung von den
italienischen Gerichten in der Weise ausgelegt und angewandt, dass sich die Verwaltung, wenn sie die
Erstattung zu Unrecht gezahlter Zölle oder Steuern ablehnt, auf die Vermutung stützen kann, dass
diese Abgaben normalerweise auf Dritte abgewälzt werden.
7.
Der Gerichtshof hat wie folgt entschieden:
„52 Wenn, wie das nationale Gericht meint, eine Vermutung für die Abwälzung rechtswidrig
verlangter oder zu Unrecht erhobener Abgaben auf Dritte besteht und die Erstattung der Abgabe
davon abhängt, dass der Antragsteller diese Vermutung widerlegt, sind die betreffenden Vorschriften
als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen.
53 Wenn dagegen, wie die italienische Regierung geltend macht, die Verwaltung mit allen nach
nationalem Recht allgemein zulässigen Beweismitteln nachzuweisen hat, dass die Abgabe auf andere
Personen abgewälzt worden ist, sind die betreffenden Vorschriften nicht als
gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen.
54 Auf die [Fragen] ist daher zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat
verwehrt, die Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger Zölle und Abgaben einer Voraussetzung wie der
fehlenden Abwälzung dieser Zölle oder Abgaben auf Dritte zu unterwerfen, deren Erfüllung der
Antragsteller zu beweisen hat.“
Das Vorverfahren
8.
Die Kommission ist im Kern mit dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache Dilexport der Ansicht,
dass Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990 in seiner Auslegung und Anwendung durch die
italienische Verwaltung und Rechtsprechung zu demselben Ergebnis wie der frühere Artikel 19 des
Gesetzesdekrets Nr. 688/1982 führe.
9.
Nachdem die Kommission der Italienischen Republik Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte, gab
sie am 17. September 1997 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der dieser
Mitgliedstaat aufgefordert wurde, seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag binnen zwei Monaten
nachzukommen. Da die Kommission die Antwort, die die italienischen Behörden mit Schreiben vom 25.
November 1997 gaben, nicht für zufriedenstellend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Vorbringen der Parteien
10.
Die Kommission macht geltend, nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 14. Januar 1997 in den
Rechtssachen C-192/95 bis C-218/95 (Comateb u. a., Slg. 1997, I-165, Randnr. 25) bestehe auf dem
Gebiet der indirekten Abgaben keine Vermutung, dass der Abgabenpflichtige die Vorsteuer im Handel
abgewälzt habe, aufgrund deren ihm der negative Beweis des Gegenteils obliege, wenn er die
Erstattung einer derartigen Abgabe wünsche.
11.
Die Kommission macht geltend, dass die italienische Corte suprema di cassazione im Ergebnis eine
solche Vermutung zum Nachteil des Abgabenpflichtigen eingeführt habe, der die Erstattung mit dem
Gemeinschaftsrecht unvereinbarer Abgaben im Sinne von Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr.
428/1990 verlange. Die Gründe der einschlägigen Entscheidungen dieses Gerichts seien
unterschiedlich, beruhten jedoch im Kern auf der Annahme, dass die Handelsgesellschaften ihre
mittelbaren Abgaben auf ihre Kundschaft abwälzten, sofern keine außergewöhnlichen Umstände
vorlägen. Die eingehendsten Überlegungen, auf die sich die Corte suprema di cassazione gestützt
habe, um insbesondere in ihrem Urteil Nr. 2844 vom 28. März 1996 zu diesem Ergebnis zu gelangen,
beruhten auf folgenden Erwägungen:
- Der Importeur sei keine Privatperson, sondern ein Handels- oder Industrieunternehmen gewesen;
- das Unternehmen sei in einer normalen geschäftlichen Lage gewesen, es habe nicht mit Verlust
gearbeitet und sei nicht insolvent gewesen, was die Vermutung gerechtfertigt hätte, dass unter den
Gestehungskosten verkauft worden sei;
- die nicht geschuldeten Abgaben seien von allen italienischen Zollstellen erhoben worden, was ein
Klima des Vertrauens bezüglich ihrer Rechtmäßigkeit geschaffen habe;
- die nicht geschuldete Abgabe sei während einer langen Zeit ohne Beanstandung erhoben worden.
12.
Die Corte suprema di cassazione stütze sich für ihre Ansicht, dass Klagen der Verwaltung auf
Vorlage von Buchungsunterlagen der betroffenen Unternehmen oder deren Prüfung keinen reinen
Ausforschungscharakter hätten - was sie rechtswidrig machen würde -, sondern ein zulässiges
Instrument seien, um der Verwaltung den Nachweis zu ermöglichen, dass eine Abwälzung
stattgefunden habe, auf die Vermutung, dass die Handelsunternehmen indirekte Abgaben
üblicherweise auf Dritte abwälzten.
13.
Ferner entscheide die Corte suprema di cassazione auf der Grundlage von Artikel 116 des
italienischen Codice di procedura civile (Zivilprozessordnung), dass die Nichtvorlage von
Buchungsunterlagen auf eine derartige Klage hin zusammen mit der Vermutung, dass die Abgaben
üblicherweise abgewälzt würden, den Beweis erbringe, dass dies der Fall gewesen sei. So entscheide
sie auch, wenn das Unternehmen, das die Unterlagen nicht vorlege, erkläre, dass diese wegen des
Ablaufs der im italienischen Codice civile (Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehenen zwingenden
Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren nicht aufbewahrt worden sei. Da zwischen der Erhebung einer
Klage auf Vorlage von Buchungsunterlagen und der gerichtlichen Entscheidung hierüber mehrere
Jahre vergehen könnten, sei eine Pflicht zur Aufbewahrung dieser Unterlagen über die gesetzliche
Aufbewahrungsfrist hinaus insbesondere wegen der damit verbundenen hohen Kosten und
Lagerungsprobleme für die Unternehmen unzumutbar. Sie stelle damit ein zusätzliches Hemmnis für
die tatsächliche Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger Abgaben dar.
14.
Die Kommission führt aus, dass zahlreiche Gerichte der Tatsacheninstanzen wie auch einige
Sachverständige, die in Gerichtsverfahren bestellt wurden, um die Buchungsunterlagen von
Abgabenpflichtigen zu prüfen und zu ermitteln, ob diese die in Rede stehenden Abgaben abgewälzt
hätten, diese Grundsätze befolgten. Sie führt hierfür einige Beispiele an.
15.
Diese Vorgehensweise schaffe de facto eine Vermutung der Abwälzung
gemeinschaftsrechtswidriger Abgaben durch die Steuerpflichtigen, die deren Erstattung verlangten;
es obliege diesen, diese Vermutung durch den Beweis des Gegenteils zu widerlegen, wodurch die vom
Gerichtshof in Randnummer 52 des Urteils Dilexport getroffene Entscheidung verkannt werde.
16.
Die Kommission fügt hinzu, dass die in Rede stehenden Überlegungen unlogisch seien, denn sie
beruhten auf der Prämisse, dass die Unternehmen üblicherweise die indirekten Abgaben abwälzten,
und gründeten darauf eine Vermutung genau des gleichen Inhalts wie diese Prämisse. Die bei diesen
Überlegungen mitunter herangezogenen Faktoren betreffend den Unternehmensstatus und den
Umstand, dass der Antragsteller nicht insolvent sei, wie auch die allgemeine und andauernde
Anwendung der beanstandeten Abgaben seien nicht erheblich. So könne ein Unternehmer, der die
Abgaben nicht auf Dritte abwälze, einfach einen geringeren Gewinn erzielen, werde jedoch nicht
zwangsläufig insolvent. Es sei willkürlich, daraus, dass keine Insolvenz vorliege, abzuleiten, dass
tatsächlich Abgaben abgewälzt worden seien.
17.
Die italienische Verwaltung beachte auch die auf die Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger
Abgaben anwendbaren Grundsätze nicht. In den Rundschreiben Nr. 21/2/VII vom 11. März 1994 und Nr.
480/VIII vom 12. April 1995 des Ministers der Finanzen heiße es im Kern, dass die Abwälzung von
Abgaben auf Dritte feststehe, wenn diese Abgaben nicht im Jahr ihrer Zahlung als Vorauszahlungen
an die Finanzverwaltung wegen nicht geschuldeter Abgaben als Forderungen auf der Aktivseite der
Bilanz des Unternehmens verbucht seien, das ihre Erstattung verlange. Das Unterbleiben einer
solchen Verbuchung belege, dass das Unternehmen die in Rede stehenden Abgaben als gewöhnliche
Kosten betrachtet und zwangsläufig abgewälzt habe. Nach Ansicht der Kommission führt diese
Vorgehensweise zu einer übermäßigen Belastung der Unternehmen, vor allem für die Jahre vor der
Feststellung der Unvereinbarkeit dieser Abgaben mit dem Gemeinschaftsrecht.
18.
Selbst wenn einige Abgabenpflichtige schließlich vor Gericht um den Preis langer und kostspieliger
Verfahren in der Sache obsiegten, lasse das nicht den Schluss zu, dass der Effektivitätsgrundsatz
beachtet worden sei, wonach die Ausgestaltung der nationalen Verfahren, in denen über Anträge
aufgrund von Rechten, die die Rechtsbürger aus dem Gemeinschaftsrecht ableiteten, entschieden
werde, die Ausübung dieser Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren
dürfe. Im Übrigen seien die erfolgreichen Klagen einiger Abgabenpflichtiger, mit denen diese nach
Angaben der italienischen Regierung von 1992 bis 2000 die Erstattung von 120 Milliarden ITL ohne
Zinsen und Kosten erlangt hätten, im Vergleich zu den Beträgen, die in diesem Bereich Gegenstand
von Rechtsstreitigkeiten seien, unbedeutend. Der Effektivitätsgrundsatz sei nur dann eingehalten,
wenn Erstattungsanträge nur in außergewöhnlichen Fällen abgelehnt würden, und die Ausübung von
Rechten aus dem Vertrag dürfe nicht durch allgemeine Maßnahmen, die mit einer Vermutung des
Rechtsmissbrauchs begründet seien, behindert werden.
19.
Die italienische Regierung rügt, dass die Kommission Spekulationen anstelle und die tatsächlichen
Daten vernachlässige. Nur die effektive Feststellung, dass Abgabenpflichtige, die
gemeinschaftsrechtswidrige Abgaben entrichtet hätten, deren Erstattung nicht oder nur schwer
erlangen könnten, könne den Tatbestand der Verkennung des Effektivitätsgrundsatzes erfüllen. Die
italienische Regierung führt neben der in der vorstehenden Randnummer erwähnten Summe der
erstatteten Hauptbeträge 17 Urteile oder Entscheidungen von Gerichten der Tatsacheninstanzen an,
in denen die Abgabepflichtigen obsiegt hätten und die rechtskräftig geworden seien.
20.
Zur Frage einer Beweisaufnahme des Gerichtshofes im Hinblick auf die Bezifferung des
Prozentsatzes der erfolgreichen Erstattungsanträge im Vergleich zur Gesamtheit der eingereichten
Anträge führt die italienische Regierung aus, dass mit der Vornahme einer solchen Beweisaufnahme
dem Gerichtshof die Führung des Beweises der von der Kommission behaupteten Vertragsverletzung
aufgebürdet werde und dass die Kommission in der Lage sein müsse, den Beweis beim Abschluss des
vorgerichtlichen Verfahrens zu erbringen.
21.
Hilfsweise prüft die italienische Regierung grundsätzlich die von der Kommission beanstandete
Ausgestaltung der Ausübung des Rechts auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge und macht
erstens geltend, die Kommission räume ein, dass der Wortlaut von Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes
Nr. 428/1990 als solcher mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Nach dieser Bestimmung sei die
Verwaltung dafür beweispflichtig, dass der Abgabenschuldner die Abgabe auf Dritte abgewälzt habe,
wenn sie der Erstattungspflicht entgehen wolle.
22.
Die italienische Regierung erinnert zweitens daran, dass, wie der Gerichtshof in Randnummer 25
des Urteils Comateb u. a. ausgeführt habe, die tatsächliche völlige oder teilweise Abwälzung einer
indirekten Abgabe bei jedem Handelsgeschäft von mehreren Faktoren abhängt, die es von anderen
Fallkonstellationen unterscheide. Somit sei die Frage der Abwälzung oder Nichtabwälzung einer
indirekten Abgabe in jedem Einzelfall eine Tatfrage, die in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts
falle, das in der Beweiswürdigung frei sei. Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer habe in seinen
Schlussanträgen in der Rechtssache Dilexport ausgeführt, dass das nationale Gericht alle nach
nationalem Recht zulässigen Beweismittel verwerten dürfe. Die Corte suprema di cassazione sei kein
Gericht der Tatsacheninstanz, sondern stelle nur bestimmte allgemeine Grundsätze der
Beweisführung nach Maßgabe der Verfahrensumstände auf, die sich von Rechtsstreit zu Rechtsstreit
erheblich unterscheiden könnten. Der Tatrichter könne Deduktionsmechanismen bei der
Beweiswürdigung berücksichtigen. In den im vorliegenden Verfahren angeführten gerichtlichen
Entscheidungen zugunsten von Abgabenpflichtigen werde lediglich festgestellt, dass die Verwaltung
den Beweis für die Abwälzung der Abgabe nicht erbracht habe.
23.
Die Verwaltung, der die Beweislast obliege, sei berechtigt, Einsicht in die Buchungsunterlagen des
Antragstellers zu verlangen, denn nur diese Sachermittlungsmaßnahme erlaube es ihr, diesen Beweis
zu erbringen, und habe daher keinen Ausforschungscharakter. Lege der Antragsteller seine
Buchführung nicht von sich aus vor, so sei es üblich, dass die Verwaltung, wenn er seine Ansprüche
gerichtlich geltend mache, diese Vorlage im selben Weg verlange. Dies sei der Sinn der beiden in
Randnummer 17 des vorliegenden Urteils erwähnten Ministerialrundschreiben, die von der Kommission
beanstandet worden seien. Das Gericht werte das Unterbleiben einer Vorlage der
Buchungsunterlagen nur dann zugunsten der Verwaltung, wenn der Antrag auf Vorlegung dieser
Unterlagen vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist gestellt worden sei. In diesem Fall gebiete,
selbst wenn das Gericht über diesen Antrag erst nach Ablauf dieser Frist entscheide, eine Pflicht zur
redlichen Prozessführung dem Abgabenpflichtigen, seine Buchungsunterlagen aufzuheben und sie
aufgrund der Entscheidung des Gerichts, diesem Antrag stattzugeben, vorzulegen (Urteil der Corte
suprema di cassazione vom 18. November 1994, Nr. 9797).
24.
Selbst wenn es manchmal langer Verfahren bedürfe, damit eine Erstattung erlangt werden könne,
würden die mit dieser Verfahrensdauer verbundenen Nachteile durch die Gewährung von Zinsen auf
die geschuldeten Beträge ausgeglichen.
Würdigung durch den Gerichtshof
25.
Nach ständiger Rechtsprechung ist in Ermangelung einer Gemeinschaftsregelung über die
Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben die Bestimmung der zuständigen Gerichte
und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht
erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen
Mitgliedstaaten, wobei diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein dürfen als bei
entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und die
Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich
machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. insbesondere Urteil vom 16.
Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, und vom 24. September
2002 in der Rechtssache C-255/00, Grundig Italiana, Slg. 2002, I-8003, Randnr. 33).
26.
Was Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990 angeht, so sind, wie in Randnummer 7 dieses
Urteils ausgeführt worden ist und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Auslegungen dieser
Bestimmung, nach dem Urteil Dilexport, das in einem Vorabentscheidungsverfahren ergangen ist,
nach dessen Abschluss das nationale Gericht den Rechtsstreit zu entscheiden hat, dann, wenn eine
Vermutung für die Abwälzung rechtswidrig verlangter oder zu Unrecht erhobener Abgaben auf Dritte
besteht und die Erstattung der Abgabe davon abhängt, dass der Antragsteller diese Vermutung
widerlegt, die betreffenden Vorschriften als gemeinschaftswidrig anzusehen.
27.
Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren hat der Gerichtshof jedoch selbst zu entscheiden, ob
unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kommission die Anwendung von Artikel 29 Absatz 2 des
Gesetzes Nr. 428/1990 durch die italienischen Behörden tatsächlich bewirkt, dass eine derartige
Vermutung aufgestellt wird, oder ob sie in anderer Weise dazu führt, dass die Ausübung des Rechts
auf Erstattung dieser Abgaben praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird, so dass
die Vertragsverletzung der Italienischen Republik festgestellt werden müsste.
28.
Diese Rüge, auf die die Kommission ihre Klage stützt, weist drei Aspekte auf. Erstens hielten
zahlreiche italienische Gerichte, insbesondere die Corte suprema di cassazione in ständiger
Rechtsprechung, die Überwälzung der Abgaben auf Dritte schon deshalb für erwiesen, weil der Kläger
ein Handelsunternehmen sei, und fügten mitunter die Begründung hinzu, dass das Unternehmen
nicht insolvent sei und dass die Abgabe jahrelang im gesamten Inland unbeanstandet erhoben
worden sei. Zweitens verlange die Verwaltung systematisch die Vorlage der Buchungsunterlagen des
Antragstellers. Die mit dessen Widerspruch befassten Gerichte gäben diesem Begehren der
Verwaltung ebenfalls aus derartigen Gründen statt und legten die unterbliebene Vorlage dieser
Unterlagen zum Nachteil des Antragstellers aus, auch wenn die gesetzliche Frist für die Aufbewahrung
dieser Unterlagen abgelaufen sei. Drittens sehe die Verwaltung darin, dass der Betrag der in Rede
stehenden Abgaben im Jahr ihrer Zahlung nicht als Vorauszahlung an die Finanzverwaltung wegen
nicht geschuldeter Abgaben als Forderung auf der Aktivseite der Bilanz des Unternehmens verbucht
werde, das ihre Erstattung verlange, den Beweis, dass diese Abgaben auf Dritte abgewälzt worden
seien.
29.
Eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats kann grundsätzlich gemäß Artikel 226 EG unabhängig
davon festgestellt werden, welches Staatsorgan durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß
verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsmäßig unabhängiges Organ handelt (Urteil
vom 5. Mai 1970 in der Rechtssache 77/69, Kommission/Belgien, Slg. 1970, 237, Randnr. 15).
30.
Die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ist unter Berücksichtigung ihrer
Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 8. Juni 1994 in der
Rechtssache C-382/92, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435, Randnr. 36).
31.
Im vorliegenden Fall geht es um Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990, wonach Abgaben,
die nach mit dem Gemeinschaftsnamen unvereinbaren nationalen Vorschriften erhoben worden sind,
erstattet werden, es sei denn, dass die Belastung auf andere Personen abgewälzt worden ist. Eine
derartige Bestimmung ist als solche sowohl in Bezug auf die Beweislast für die Abwälzung der Abgabe
auf andere Personen als auch in Bezug auf die für diesen Zweck zulässigen Beweismittel aus der Sicht
des Gemeinschaftsrechts nicht zu beanstanden. Ihre Bedeutung ist unter Berücksichtigung ihrer
Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen.
32.
Hierbei können isolierte gerichtliche Entscheidungen oder solche, die in einem durch eine andere
Ausrichtung gekennzeichneten Rechtsprechungskontext deutlich in der Minderheit sind, oder auch
eine vom obersten nationalen Gericht verworfene Auslegung nicht berücksichtigt werden. Dies gilt
nicht für eine signifikante richterliche Auslegung, die vom obersten Gericht nicht verworfen oder sogar
bestätigt worden ist.
33.
Können unterschiedliche gerichtliche Auslegungen einer nationalen Regelung berücksichtigt
werden, von denen die einen zu einer mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren Anwendung dieser
Regelung, die anderen zu einer damit unvereinbaren Anwendung führen, so ist festzustellen, dass
diese Regelung zumindest nicht hinreichend klar ist, um eine mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbare
Anwendung zu gewährleisten.
34.
Im vorliegenden Fall bestreitet die italienische Regierung nicht, dass die Corte suprema di
cassazione in einer Reihe von Urteilen auf der Grundlage deduktiver Überlegungen zu dem Ergebnis
gelangt, dass, wenn nicht der Gegenbeweis erbracht wird, Handelsunternehmen, die sich in einer
normalen geschäftlichen Lage befinden, eine indirekte Abgabe auf die nächste Handelsstufe
abwälzen, insbesondere wenn diese Abgabe im gesamten Inland während einer beträchtlichen Zeit
und ohne Beanstandung erhoben worden ist. Die italienische Regierung trägt nämlich nur vor, dass
sich zahlreiche Gerichte der Tatsacheninstanz nicht mit derartigen Überlegungen begnügten, um den
Beweis einer solchen Abwälzung für erbracht zu halten, und führt nur Beispiele von Abgabenpflichtigen
an, denen gemeinschaftsrechtswidrige Abgaben erstattet wurden, nachdem es der Verwaltung in
diesen Fällen nicht gelungen war, vor dem angerufenen Gericht nachzuweisen, dass sie diese
Abgaben abgewälzt hatten.
35.
Die Überlegungen in den angeführten Urteilen der Corte suprema di cassazione beruhen selbst auf
einer Prämisse, die nur eine Vermutung ist, dass nämlich die indirekten Abgaben von den
Wirtschaftsteilnehmern grundsätzlich auf die nächste Handelsstufe abgewälzt würden, wenn sie die
Möglichkeit dazu hätten. Die übrigen gegebenenfalls berücksichtigten Umstände, nämlich der
gewerbliche Charakter der Tätigkeit des Abgabenpflichtigen und der Umstand, dass sich seine
wirtschaftliche Lage nicht verschlechtert hat, sowie die Erhebung der in Rede stehenden Abgabe im
gesamten Inland während einer beträchtlichen Zeit und ohne Beanstandung erlauben nämlich den
Schluss, dass ein Unternehmen, das seine Tätigkeit in einem solchen Kontext betrieben hat, die in
Rede stehenden Abgaben tatsächlich abgewälzt hat, nur dann, wenn von der Prämisse ausgegangen
wird, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer so vorgeht, sofern keine besonderen Gegebenheiten wie das
Fehlen der erwähnten Umstände vorliegen. Wie jedoch der Gerichtshof bereits entschieden hat (vgl.
Urteile San Giorgio, Randnrn. 14 und 15, vom 25. Februar 1988 in den Rechtssachen 331/85, 376/85
und 378/85, Bianco und Girard, Slg. 1988, I-1099, Randnr. 17, Kommission/Italien, Randnr. 7, und
Comateb u. a., Randnr. 25), entspricht aus den vom Generalanwalt in den Nummern 73 bis 80 seiner
Schlussanträge angeführten wirtschaftlichen Gründen eine solche Prämisse unter bestimmten
Umständen nicht den wirklichen Verhältnissen und stellt eine bloße Vermutung dar, die im Rahmen
der Prüfung von Anträgen auf Erstattung gemeinschaftswidriger indirekter Abgaben nicht zulässig sein
kann.
36.
In Bezug auf das Erfordernis der Vorlage der Buchungsunterlagen des Unternehmens, das die
Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger Abgaben verlangt, als Voraussetzung für eine Erstattung sind
die folgenden Erwägungen zu berücksichtigen.
37.
Ein solches Erfordernis, das die Jahre betrifft, für die die Erstattung beantragt wird und das
während des Zeitraums aufgestellt wird, für den diese Buchungsunterlagen zwingend aufbewahrt
werden müssen, kann nicht ohne weiteres als Umkehr der Beweislast für die Nichtabwälzung der
Abgaben auf Dritte zu Lasten der Abgabepflichtigen angesehen werden. Denn diese Unterlagen
liefern neutrale tatsächliche Daten, aufgrund deren insbesondere die Verwaltung nachzuweisen
versuchen kann, dass die Abgaben auf andere Personen abgewälzt worden sind (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 2. Oktober 2003 in der Rechtssache C-147/01, Weber's Wine World u. a., noch nicht in der
öffentlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 115). Unter diesen Umständen kann, wenn nicht
außergewöhnliche Umstände vorliegen, auf die sich der Antragsteller berufen kann, die Nichtvorlage
der Buchungsunterlagen, wenn diese von der Verwaltung angefordert worden sind, von dieser wie
auch vom Gericht als Umstand angesehen werden, der bei dem Nachweis zu berücksichtigen ist, dass
die Abgaben auf Dritte abgewälzt worden sind. Doch genügt dieser Umstand allein nicht für die
Vermutung, dass diese Abgaben auf Dritte abgewälzt worden sind, und erst recht nicht dafür, dem
Antragsteller die Beweislast für die Erbringung des Gegenbeweises aufzuerlegen (vgl. in diesem Sinne
Urteil Weber's Wine World u. a., Randnr. 116).
38.
Jedenfalls würde in den Fällen, in denen die Verwaltung die Vorlage dieser Unterlagen nach Ablauf
der gesetzlichen Frist für ihre Aufbewahrung verlangt und der Abgabenpflichtige sie nicht vorlegt, die
daraus gezogene Schlussfolgerung, dass dieser die in Rede stehenden Abgaben auf Dritte abgewälzt
hat, oder dieselbe vorbehaltlich der Erbringung des Gegenbeweises durch den Abgabepflichtigen
gezogene Schlussfolgerung im Ergebnis eine Vermutung zu dessen Nachteil schaffen, die dazu führen
würde, dass die Geltendmachung des Rechts auf Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger Abgaben
übermäßig erschwert würde.
39.
In Bezug auf den Umstand, dass die Verwaltung die Abwälzung einer Abgabe auf Dritte als erwiesen
ansieht, wenn der Betrag dieser Abgabe nicht im Jahr ihrer Zahlung als Vorauszahlung an die
Finanzverwaltung wegen nicht geschuldeter Abgaben als Forderung auf der Aktivseite der Bilanz des
Unternehmens, die ihre Erstattung verlangt, verbucht wird, ist Folgendes auszuführen.
40.
Diese Überlegungen führen zur Schaffung einer ungerechtfertigten Vermutung zum Nachteil des
Antragstellers. Denn angesichts der Umstände, unter denen ein Antrag auf Erstattung einer Abgabe
gestellt wird, setzt die Aufführung dieser Abgabe auf der Aktivseite der Bilanz des Jahres ihrer Zahlung
voraus, dass der Abgabenpflichtige der Ansicht ist, seine Zahlung sofort mit hoher Erfolgsaussicht
anfechten zu können, während er nach Artikel 29 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 428/1990 über eine Frist
von mehreren Jahren für die Stellung dieses Antrags verfügt. Außerdem kann der Abgabenpflichtige
sehr wohl, selbst wenn er die Zahlung der Abgabe anficht, seine Erfolgsaussichten für nicht
ausreichend gewiss halten, um das Risiko auf sich zu nehmen, den entsprechenden Betrag auf der
Aktivseite zu verbuchen. Angesichts der Schwierigkeiten, unter den im vorliegenden Verfahren
beschriebenen Umständen mit einem Erstattungsantrag Erfolg zu haben, könnte eine solche Buchung
sogar gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung verstoßen. Zudem beruht die
Ansicht, dass die Abwälzung der Abgabe auf Dritte feststehe, weil ihr Betrag nicht als Forderung auf
der Aktivseite verbucht worden ist, bereits auf der Vermutung, dass die indirekten Angaben
üblicherweise auf der nächsten Handelsstufe abgewälzt werden, einer Vermutung, die bereits bei der
Prüfung des ersten von der Kommission beanstandeten Aspektes für gemeinschaftsrechtswidrig
erklärt worden ist.
41.
Nach allem ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990, der von der
Verwaltung und einem erheblichen Teil der Gerichte einschließlich der Corte suprema di cassazione so
ausgelegt und angewandt wird, dass die Ausübung des Rechts auf Erstattung unter Verstoß gegen
Gemeinschaftsrecht erhobener Abgaben für den Abgabenpflichtigen übermäßig erschwert wird, nicht
ändert.
Kosten
42.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Im vorliegenden Fall ist die Italienische Republik unterlegen, und die Kommission
hat ihre Verurteilung zur Tragung der Kosten beantragt. Daher sind diesem Mitgliedstaat die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag
verstoßen, dass sie Artikel 29 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 428/1990 - „Disposizioni per
l'adempimento di obblighi derivanti dall'appartenenza dell'Italia alle Communità europee
(legge comunitaria per il 1990)“ - (Bestimmungen zur Erfüllung der Verpflichtungen infolge
der Zugehörigkeit Italiens zu den Europäischen Gemeinschaften [Gemeinschaftsgesetz für
1990]), der von der Verwaltung und einem erheblichen Teil der Gerichte einschließlich der
italienischen Corte suprema di cassazione so ausgelegt und angewandt wird, dass die
Ausübung des Rechts auf Erstattung unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erhobener
Abgaben für den Abgabenpflichtigen übermäßig erschwert wird, nicht ändert.
2. Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Skouris
Jann
Timmermans
Gulmann
Cunha Rodrigues
Rosas
Edward
La Pergola
Puissochet
Schintgen
Macken
Colneric
von Bahr
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Dezember 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Italienisch.