Urteil des EuGH vom 14.12.2000

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WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
14. Dezember 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 96/97/EG - Verwirklichung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit -
Nichtumsetzung“
In der Rechtssache C-457/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
durch A. Aresu, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Hellenische Republik,
Sonderabteilung des Außenministeriums für Rechtsfragen der Europäischen Gemeinschaften, als
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Griechische Botschaft, 117, Val Sainte-Croix, Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag
verstoßen hat, dass sie die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um der Richtlinie 96/97/EG
des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen
Sicherheit (ABl. 1997, L 46, S. 20) in vollem Umfang nachzukommen, innerhalb der gesetzten Frist nicht in
Kraft gesetzt hat, hilfsweise wegen Feststellung, dass sie diese Vorschriften der Kommission nicht mitgeteilt
hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. La Pergola sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter)
und L. Sevón
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 29. März 2000, in der die Kommission durch M. Patakia,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, und die Hellenische Republik durch I. Galani-Maragkoudaki,
Stellvertretende Rechtsberaterin, Sonderabteilung des Aussenministeriums für Rechtsfragen der
Europäischen Gemeinschaften, als Bevollmächtigte, und S. Vodina vertreten war,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2000,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15. Dezember 1998
bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG)
Klage erhoben auf Feststellung, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften,
um der Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG
zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den
betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. 1997, L 46, S. 20; im Folgenden: Richtlinie) in
vollem Umfang nachzukommen, innerhalb der gesetzten Frist nicht in Kraft gesetzt hat, hilfsweise
wegen Feststellung, dass sie diese Vorschriften der Kommission nicht mitgeteilt hat.
2.
Durch die Richtlinie wurden die durch das Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88
(Barber, Slg. 1990, I-1889) betroffenen Vorschriften der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli
1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den
betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. L 225, S. 40) angepasst.
3.
Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts-
Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um der Richtlinie spätestens bis zum 1. Juli 1997 nachzukommen,
und die Kommission davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
4.
Die Kommission stellte fest, dass diese Frist abgelaufen war, ohne dass die Hellenische Republik sie
vom Erlass von Maßnahmen unterrichtet hatte, und forderte die griechische Regierung mit Schreiben
vom 9. September 1997 gemäß Artikel 169 des Vertrages auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.
5.
Die griechische Regierung kam dieser Aufforderung nicht nach, und die Kommission richtete an sie
am 12. Januar 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie die in ihrem
Aufforderungsschreiben enthaltenen Erklärungen wiederholte und ihr eine Frist von zwei Monaten zum
Erlass der zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen setzte.
6.
Nachdem die griechische Regierung sich zu den Rügen in der mit Gründen versehenen
Stellungnahme nicht geäußert hatte, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
7.
In ihrer Klagebeantwortung macht die griechische Regierung zum einen geltend, dass es die
Institution „betriebliches System der sozialen Sicherheit“, so wie diese in der Richtlinie beschrieben
sei, in der griechischen Rechtsordnung grundsätzlich nicht gebe. Sowohl das allgemeine System der
sozialen Sicherheit als auch die Sondersysteme seien „gesetzliche Systeme“ und für sie gelte daher
die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, in deren durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. L
28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung. Der gesetzliche Charakter dieser Systeme werde
dadurch bestätigt, dass sie ohne Konsultation der Sozialpartnergeschaffen worden seien und
arbeiteten. In ihrer Gegenerwiderung fügt die griechische Regierung hinzu, der gesetzliche Charakter
der griechischen Systeme der sozialen Sicherheit ergebe sich auch aus Artikel 22 Absatz 4 der
griechischen Verfassung.
8.
Die griechische Regierung trägt zum anderen vor, der griechische Gesetzgeber sei bereits tätig
geworden, um das innerstaatliche Recht an die Richtlinie anzupassen. In diesem Zusammenhang
verweist sie auf das Gesetz Nr. 2676/1999 über die organische und funktionelle Neustrukturierung der
Träger der sozialen Sicherheit (, Erster Teil, Nr. 1, vom 5. Januar
1999), das erst vor kurzem erlassen worden sei und durch dessen Artikel 81 in Artikel 5 des Gesetzes
Nr. 1414/1984 über die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit der Geschlechter im
Arbeitsverhältnis und über andere Vorschriften ein Absatz 3 mit folgendem Wortlaut eingefügt worden
sei:
„Unzulässig sind Bestimmungen in einem Tarifvertrag oder einer Unternehmenssatzung, wonach in
Bezug auf betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers
unterschieden wird.“
9.
Erstens ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-
147/95 (Evrenopoulos, Slg. 1997, I-2057), das das Sozialversicherungssystem der Dimosia Epicheirisi
Ilektrismou (Staatliches Elektrizitätsversorgungsunternehmen; im Folgenden: DEI) betraf, ausdrücklich
bestätigt hat, dass es in Griechenland betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit der in der
Richtlinie beschriebenen Art gibt.
10.
In dieser Rechtssache hatten die griechische Regierung und die DEI geltend gemacht, das
Versicherungssystem der DEI sei ein gesetzliches System, das nicht in den Anwendungsbereich von
Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 bis 143 EG ersetzt
worden) falle. Insoweit hob die DEI hervor, dass das System unmittelbar durch Gesetz geschaffen
worden sei und ausschließlich durch dieses geregelt werde, dass es weder durch eine einseitige
Entscheidung des Arbeitgebers noch nach Verhandlungen oder einer Konzertierung mit den
Arbeitnehmervertretern geschaffen worden sei, dass Modalitäten seines Funktionierens mit Gründen
der Sozialpolitik und nicht mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammenhingen und dass es schließlich
keinen ergänzenden Charakter im Verhältnis zu einem anderen allgemeinen Versicherungssystem
habe, da die im Rahmen dieses Systems gewährten Leistungen nicht ganz oder teilweise an die Stelle
der Leistungen irgendeines anderen allgemeinen Versicherungssystems träten.
11.
Der Gerichtshof hat dieses Vorbringen unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass allein das
Kriterium, dass die Rente dem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren
Arbeitgeber gezahlt wird, d. h. das aus dem Wortlaut des Artikels 119 selbst abgeleitete Kriterium der
Beschäftigung, entscheidend sein kann (Urteil Evrenopoulos, Randnr. 19).
12.
Daraus folgt, dass es in Griechenland Systeme der sozialen Sicherheit gibt, die in den
Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, so dass die Hellenische Republik die Richtlinie in ihrem
innerstaatlichen Recht umzusetzen hatte.
13.
Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz Nr. 2676/1999, auf das die griechische Regierung
sich berufen hat, im am 5. Januar 1999 veröffentlicht worden ist,
d. h. nach Ablauf der den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie gesetzten Frist und nach
Erhebung der Klage durch die Kommission.
14.
Nach ständiger Rechtsprechung können diejenigen Bestimmungen eines Mitgliedstaats, die von
diesem nach Klageerhebung zur Erfüllung seiner Verpflichtungen erlassen worden sind, vom
Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (Urteil vom 1. Oktober 1998 in der Rechtssache C-71/97,
Kommission/Spanien, Slg. 1998, I-5991, Randnr. 18).
15.
Daher ist festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der
Richtlinie verstoßen hat, dass sie innerhalb der gesetzten Frist nicht die erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie nachzukommen.
Kosten
16.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Hellenischen Republik beantragt hat
und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Hellenische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie
96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den
betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit verstoßen, dass sie innerhalb der
gesetzten Frist nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen
hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.
2. Die Hellenische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
La Pergola
Edward
Sevón
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Dezember 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
A. La Pergola
Verfahrenssprache: Griechisch.